Pakistan - Die Unterwerfung: Das Parlament beugt sich den Vorgaben Washingtons - Von Knut Mellenthin

Wenige Stunden, nachdem das pakistanische Parlament einstimmig eine von der US-Regierung erzwungene »Antiterrorresolution« angenommen hatte, gab es einen weiteren US-amerikani-schen Militärschlag gegen pakistanisches Gebiet. Ersten örtlichen Berichten zufolge schoß ein unbemann- tes Flugzeug am 23. 10. 08 bei Miranschah in Nordwasiristan mehrere Raketen auf eine Madrassah, eine religiöse Schule ab. Mindestens zehn Menschen, alles Schüler zwischen 13 und 18 Jahren, wurden getötet. Weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

Es war der 14. Angriff dieser Art in nur zwei Monaten. Die US-Regierung hat die Zahl der Militärschläge drastisch gesteigert, seit Präsidentengeneral Pervez Musharraf, der sich 1999 an die Macht geputscht hatte, Anfang August zurücktreten mußte. Im ganzen Jahr 2007 hatte es lediglich drei solcher Angriffe gegeben. Alle Militärschläge im laufenden Jahr, nunmehr schon 21, richteten sich gegen die Bezirke Nord- und Südwasiristan in den sogenannten Stammesgebieten (FATA). Dort halten sich, im Gegensatz zu anderen Teilen der nordwestlichen Grenzregion, immer noch beide Seiten - Aufständische wie Regierung - an einen im Februar stillschweigend geschlossenen Waffenstillstand. Ziel der US-Angriffe ist es offenbar, auch dort einen Bruch zu provozieren. Die jüngste Aktion zeigt die Verachtung der US-Regierung für das Parlament in Islamabad und dessen hilfloses Bekenntnis zur »Verteidigung der Souveränität Pakistans«. Im wesentlichen haben das Weiße Haus und das Pentagon mit dem 14 Punkte umfassenden Dokument bekommen, was sie wollten.
 
Vorausgegangen war eine zwei Wochen lange gemeinsame Sitzung beider Häuser des pakistanischen Parlaments, die am 8. Oktober mit Vorträgen führender Militärs und Regierungspolitiker begonnen hatte. Die letzten beiden Tagen waren mit dem Gefeilsche in einem 16köpfigen Allparteienausschuß um jedes Wort der Schlußresolution vergangen. Der Auftrag, den die US-Regierung ihren Satrapen in Islamabad erteilt hatte, lautete: vor allem Einstimmigkeit! Gewünscht war eine Demonstration für die internationale Öffentlichkeit, daß Pakistans politische Kräfte sich den »Krieg gegen den Terror«, einschließlich des Bürgerkriegs in den Stammesgebieten, zu eigen machen und ihn geschlossen unterstützen. Das Parlament fügte sich bis zum letzten Senator und Abgeordneten. So wurde die Resolution zum jämmerlichen enttäuschenden Abschluß einer Debatte, in der deutlich geworden war, daß die Probleme in Wirklichkeit sehr kontrovers bewertet werden und daß Politiker fast aller Parteien das militärische Vorgehen in den Stammesgebieten für kontraproduktiv halten. An erster Stelle der Resolution steht nun die »große Sorge, daß Extremismus, Militanz und Terrorismus in allen Formen eine schwere Gefahr für die Stabilität und Integrität von Nation und Staat darstellen«. Gegen diese Gefahr müsse die Nation »vereint zusammenstehen«. Politische Gespräche dürfe es nur mit Kräften geben, die bereit seien, sich »der Verfassung Pakistans und der Herrschaft des Gesetzes zu unterwerfen«. Der Regierung wurde zugleich der Auftrag erteilt, »alle ausländischen Kämpfer von unserem Boden zu vertreiben«. Das ist angesichts der großen Zahl von insbesondere afghanischen Flüchtlingen und der entstandenen sozialen Verflechtungen eine kaum zu lösende Aufgabe, die jedenfalls einen umfassenden Einsatz militärischer Gewalt voraussetzt. Noch am 21. 10. 08 hatte Nawaz Scharif, Chef der zweitstärksten Partei im Parlament, der PML-N, ganz andere Töne angeschlagen. Bei einem Treffen mit dem Unterstaatssekretär im US-Außenministerium, Richard Boucher, hatte der zweimalige Premierminister erklärt, daß das »Terrorismus«-Problem nicht durch Gewaltanwendung und Militäroperationen zu lösen sei, sondern nur durch friedliche Verhandlungen, in die möglichst alle Kräfte einbezogen werden müßten.
 
Anmerkung politonline: Was den Rücktritt von Pervez Musharraf betrifft, so erklärt sich der auf diesen ausgeübte Druck mit der Politik der Kriegsfraktion im Westen, die von ihm praktisch den Krieg gegen die eigene Bevölkerung forderte. Die Kriegspartei um Dick Cheney begründete dies damit, daß Amerika »um den Sieg in Afghanistan gebracht wird«, wenn Pakistan nicht von Dschihad-Kämpfern, Al-Kaida und den Taliban gesäubert werde [1]. Im übrigen unterstützt die US-Regierung Pakistans Militär mit Milliardenbeträgen und hat für die wirtschaftliche Entwicklung in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan ein 150 Millionen $ Programm gestartet. Die poröse Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan ist 2500 Kilometer lang und verläuft durch schwer zugängliche Gebiete. Was also die jetzt erzielte »Einstimmigkeit« bezüglich der US-Forderungen betrifft - noch am 16. 9. 08 hatte Pakistan erklärt, die Angriffe amerikanischer Truppen, die von Afghanistan aus ins pakistanische Grenzgebiet eindringen, nicht länger hinnehmen zu wollen und mit Gegenschlägen gedroht - so liegt die Annahme nahe, daß hier auch die jetzt mit dem IWF beginnenden Verhandlungen mitspielen [2]. Pakistan war jahrelang durch den IWF gestützt worden; ohne diese Finanzhilfe wäre das Land einem Staatsbankrott wohl kaum entgangen. Gegenwärtig durchläuft Pakistan innerhalb des zurückliegenden Jahrzehnts eine seiner schwersten, von massiven Handels- und Budgetdefiziten, sinkenden ausländischen Währungsreserven und Kapitalflucht begleiteten wirtschaftlichen Krisen. Die traditionellen Verbündeten Pakistans, China und Saudiarabien, haben bislang die Bitten Pakistans um Hilfe abgelehnt. Allerdings heißt es, daß ein zwecks Stabilisierung des Landes angenommenes IWF-Programm auf Grund der damit verbundenen strikten Auflagen politisch gesehen unpopulär wäre. Dennoch kann man davon ausgehen, daß Pakistan unter diesen Umständen keine Wahl bleibt. Und damit bekäme die USA auch in diesem Land wieder die Oberhand. Und was das für die Bevölkerung bedeutet, braucht heutzutage sicherlich nicht näher erläutert zu werden.
 
1 Strategic Alert, 21. Jahrgang, Nr.36 vom  6. 9. 2007
2 http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/7684742.stm  22.10.08