Welch absurder Gedanke, es gehe bei

Verheerend ist, dass sich der Bundesrat im Hinblick auf die kommende Schengen-Abstim­mung wie eine politische Partei verhält. Er will ein "Ja" an der Urne erzwingen, koste es, was es wolle. Dementsprechend informiert er einseitig, womit weite Kreise unserer Bevölkerung gar nicht informiert werden, worum es bei Schengen wirklich geht.

Der Bundesrat setzt auf die "Strategie Sicherheit"
Der Bundesrat mobilisiert seine höchsten Zollbeamten und die Kantonsregierungen mit ihren höchsten Polizeibeamten, um dem Stimmbürger weiszumachen, es brauche Schengen, um die Sicherheit in der Schweiz zu verbessern. Erfahrungen an Podiumsgesprächen zeigen, dass die Strategie des Bundesrats gefährlich "erfolgreich" ist. Es wird nicht über das Wesent­liche gesprochen, sondern man verliert sich in Details, von der Zahl künftiger Grenzbeamter über die Art und Weise der künftigen Polizeikontrollen im Hinterland ("Schleier-Fahndung") bis hin zur Frage, welche Waffen künftig registriert werden müssen. Das Pikante dabei: Weder der Bundesrat noch die best informierten Zollbehörden und Polizeibeamten können heute wissen, was künftig gelten wird. Da die Schweiz mit Schengen eine Rechtsentwicklung übernimmt, weiss niemand, wie das massgebende Waffenrecht künftig aussehen wird, welche Informationen künftig in den Datenbanken gespeichert werden oder und welche Kontrollen künftig hinter den Grenzen durchgeführt werden dürfen. Werden ausländische Polizeibeamte auf Schweizer Boden aktiv werden können, aus Ländern wie Portugal, Griechenland oder eines Tages aus der Türkei? Wird künftig sogar der internationale Haftbefehl eingeführt, gemäss welchem Schweizer ans Ausland ausgeliefert werden müssen?
 
 
Worum geht es bei "Schengen" wirklich?
Wegen der Verschleierungstaktik des Bundesrats wird der zentrale Punkt von Schengen vielerorts gar nicht erkannt: Ziel von Schengen ist nicht mehr und nicht weniger als die Abschaffung der Grenzen zwischen den EU-Staaten; ein ge­meinsames Schengen-Recht soll dafür sorgen, dass die Nachteile dieser Grenzabschaffungen wieder ausgleichen werden.
 
 
a) Abschaffung der Binnengrenzen
Der Grundgedanke von Schengen ist, dass die EU eines Tages so aussehen soll wie die USA, in denen man als Reisender gar nicht merkt, wenn man von einem US-Bundesstaat in den anderen wechselt (mit Ausnahme von Schildern wie "welcome to California").
 
Diese Grenzabschaffung innerhalb der EU ist in den Schengen-Bestimmungen, welche die Schweiz übernehmen wird, bis ins letzte Detail vorgeschrieben: Personenkontrollen darf es nicht mehr geben. Niemand darf verpflichtet werden, beim Grenzübertritt ein Dokument vorzuweisen. Sogar baulich ist im Detail vorgeschrieben, was gelten soll: Strassen dürfen nicht mehr verengt werden, Zollhäuschen soll es keine mehr geben. Es dürfen nicht einmal mehr Geschwindigkeitsreduktionen verfügt werden, um den Verkehr zu verlangsamen, wo bisher die Landes-Grenzen bestanden.
 
 
b) Als Gegengewicht das gemeinsame "Schengen-Recht"
Hand in Hand mit der Abschaffung der Binnen-Grenzen wird durch Schengen das europäische "Binnen-Recht" vereinheitlicht. Die EU-Verantwortlichen wussten natürlich, dass sie mit der Aufhebung der Landes-Grenzen ein Sicherheitsproblem schufen. Deshalb bauten sie in dieses Schengen-Binnenrecht eine Vielzahl von Massnahmen ein, welche die Sicherheit wieder erhöhen sollen.
 
So können zum Beispiel in aussergewöhnlichen Situationen Grenzkontrollen wieder eingeführt werden (z.B. aktuell geworden bei der Fussballeuropameisterschaft in Portugal; der "Prinzenhochzeit" in Spanien, bei politischen Gipfeltreffen); der Austausch von Daten von Kriminellen wird erleichtert (z.B. Anschluss an die "SIS-Verbrecher-Datenbank"); im Landesinnern sollen die Kontrollen als Ausgleich für die wegfallenden Grenzkontrollen erhöht werden (die so genannte "Schleier-Fahndung"); die Registrierung von Waffen wird vereinheitlicht; die Länder wurden verpflichtet, bei der Bekämpfung von Drogen besser zusammenzuarbeiten; und so weiter und so fort.
 
 
Hauptproblem für die Schweiz ist die Weiterentwicklung des Rechts
Der Bundesrat hat zwar Recht, wenn er z.B. darauf hinweist, dass für die Schweiz bei der Uebernahme von Schengen an den Grenzen nur die Personenkontrollen wegfallen; Warenkontrollen bleiben möglich und somit kann es an den Schweizer Grenzen  - anders als zwischen EU-Staaten -  weiterhin Kontrollen geben. Aber das ändert nichts daran, dass die Schweiz mit Schengen einerseits den Grundsatz der Grenzabschaffung akzeptiert (dass es überhaupt keine Grenzkontrollen mehr geben wird, wenn die Zollunion eingeführt wird, verschweigt der Bundesrat wohlweislich) und dass wir andererseits das gesamte Schengen-Recht übernehmen, das von der EU ständig weiterentwickelt wird.
 
Damit sind wir beim zentralen Problem für unsere direkte Demokratie: Indem die Schweiz an Schengen "assoziiert" wird, macht sie automatisch jede Weiterentwicklung des Schengen-Rechts mit, ohne dass wir dabei mitentscheiden können. Bei einem EU-Rechtssystem, das sich ständig weiterentwickelt, kommt diese "Assoziation" einem Teilbeitritt zur EU gleich.
 
Zwar rühmt sich der Bundesrat, hervorragend verhandelt zu haben, weil wir bei unerwünsch­ten Weiterentwicklungen des Schengen-Rechts (z.B. mit einer Volksabstimmung innerhalb von zwei Jahren) aus dem ganzen Schengen-Vertrag "aussteigen" können. Das ist jedoch unrealistisch. Wenn Schengen einmal eingeführt ist, gibt es faktisch kein zurück mehr. Das Schengen-Recht hat schon heute einen Umfang von rund 500 Gesetzes-Seiten. Und laufend werden es mehr. Es ist nicht realistisch, dass das Schweizer Volk die Hunderten von Gesetzesseiten wieder über Bord wirft, wenn einmal eine neue Gesetzesseite hinzugefügt wird, die uns nicht passt. Wie sollen Hunderte von Bestimmungen gleichzeitig gekündigt und wieder rückgängig gemacht werden? Wie sollen schon nur die Personenkontrollen an der Grenze wieder eingeführt werden, wenn sie erst einmal aufgehoben worden sind?
  
 
Nicht Sicherheit, sondern EU-Beitritt
Welch absurder Gedanke, unser Land brauche den Anschluss an Schengen, um die Krimi­nalität effizient zu bekämpfen! Wer innerhalb der EU wäre je gegen eine Zusammenarbeit im Kampf gegen wirklich Kriminelle? Wer in der EU wäre je dagegen, dass kriminelle Daten ausgetauscht werden, von der Meldung über gestohlene Autos und Identitätspapiere bis hin zum Austausch von Informationen über international gesuchte Terroristen? Auch wenn wir Schengen ablehnen, ist eine solche Zusammenarbeit jederzeit möglich.

Das Problem liegt nur darin, dass die Schweiz nie eine solche Zusammenarbeit mit der EU beantragt hat (mit den unmittelbaren Nachbarn funktioniert eine Zusam­menarbeit bestens). Vielmehr hat der Bundesrat den Anschluss an das ganze Rechtssystem von Schengen gefordert. Weshalb, ist völlig klar: Seit 1992 verfolgt er ganz offiziell das strategische Ziel, der EU beizutreten. Offen und ehrlich hat dies Bundesrätin Calmy-Rey am 24.4.2003 wieder einmal betont: "Die Bilateralen Verträge sind dazu da, um den Weg in die EU zu ebnen". Klarer kann man es kaum sagen: Es geht bei Schengen überhaupt nicht um Sicherheit, sondern darum, den "Weg in die EU zu ebnen".