Insiderskandal in Schweden - Deckname Ophelia - Von Helmut Steuer

In Stockholm kommt der größte Insiderskandal der schwedischen Wirtschaftsgeschichte vor Gericht.

Die Vernehmungsprotokolle und der mehr als 10 000 Seiten starke Untersuchungsbericht lesen sich wie ein Wallander-Krimi 1. Unter den Angeklagten sind Mitarbeiter von Morgan Stanley, Carnegie, Nordea, SEB sowie ein professioneller Poker-Spieler. Doch auch Kommissar Zufall spielt mit. Es ist der 16. April 2007, am frühen Montagmorgen. Vor dem gepflegten Wohnhaus in der Styrmansgatan im noblen Stockholmer Stadtteil Östermalm sind mehrere Polizeiwagen vorgefahren. Kurz nach sieben dann klingeln die Beamten an einer der Wohnungstüren. Ein Mann, 36 Jahre alt, öffnet, die Polizisten stürmen hinein und werden rasch fündig: Drei Millionen Kronen, das sind rund 300 000 €, liegen versteckt in einem Koffer. Der Mann wird abgeführt und bereits um 7.53 Uhr dem Haftrichter vorgeführt. In Lidingo, eine mit der schwedischen Hauptstadt über eine vierspurige Brücke verbundene Insel und Domizil zahlreicher Prominenter, findet nahezu zeitgleich eine zweite Razzia statt. Die Polizisten postieren sich vor einer gelben Holzvilla und verschaffen sich auf Kommando Eintritt. Auch hier landen sie einen Treffer. Diesmal erinnert das Geldversteck eher an einen billigen Spionagethriller: In der Füllung eines Kindersitzes entdecken die Beamten eine halbe Million Kronen in ausländischen Scheinen. Der 37jährige Hausbesitzer wird ebenfalls abgeführt.
 
Zwei Jahre später steht auf Grund eines mehr als 10 000 Seiten starken Untersuchungsberichts fest, daß die frühmorgendliche Polizeiaktion den größten Insiderskandal der schwedischen Wirtschaftsgeschichte aufgedeckt und durch eine umfassende Medienberichterstattung auch die breite Öffentlichkeit erstmals auf das Thema Insidergeschäfte aufmerksam gemacht hat. Mittlerweile sind fünf Männer im Alter zwischen 34 und 40 Jahren wegen schweren Betrugs angeklagt, ein sechster der Mithilfe. Sie alle sollen zwischen 2005 und 2007 ihre Kenntnisse von Übernahmen, Fusionen und anderen kursrelevanten Ereignissen genutzt haben, um am Aktienmarkt kräftig Kasse zu machen. Unter den Angeklagten sind Mitarbeiter der Investmentbanken Morgan Stanley und Carnegie, der größten nordeuropäischen Bank Nordea, ein SEB-Mitarbeiter in Luxemburg und ein professioneller Poker-Spieler. Drahtzieher jedoch ist der »Cevian-Mann«, wie ihn schwedische Medien getauft haben. Er war die Person, bei der die Polizei an jenem Montagmorgen 3 Millionen Kronen entdeckte. Der »Cevian-Mann« arbeitete als Aktienanalyst bei der gleichnamigen Stockholmer Investmentgesellschaft des schwedischen Finanzmanns Christer Gardell. Cevian ist unter anderem mit knapp 3 % an der Münchener Rück beteiligt. Mittlerweile hat Gardell den verdächtigten Mitarbeiter vor die Tür gesetzt, weil »die Person gegen die internen Regeln von Cevian Capital verstoßen« hat.
 
Dieser Regelverstoß bestand in erster Linie in einem ausgeklügelten Netzwerk, wie Staatsanwalt Stig Åström sagt. Der »Cevian-Mann« erhielt vom Carnegie-Mann oder dem Morgan-Stanley-Mann Tipps über bevorstehende Deals, so wie bei der Übernahme des Stockholmer Börsenbetreibers OMX durch die US-Technologiebörse Nasdaq im Frühjahr 2007. In den Vernehmungsprotokollen liest sich ein abgehörtes Telefongespräch zwischen dem  »Cevian-Mann« und dem Nordea-Mann dann so: »Hast du den starken Abschluß von Ophelia gesehen?«, fragt der Nordea-Mann. »Nein, ich habe beschlossen, vor Montagabend nicht mehr zu gucken«, entgegnet der »Cevian-Mann«. »Na, sie schmierte zunächst etwas ab, aber ging dann auf 158,50«, beruhigt der Nordea-Mann. Das Gespräch ist beendet. Die einzige Aktie, die an diesem Tag mit 158,50 Kronen schloß, war das Papier von OMX. Oder: »Kannst du sprechen? « fragt der Carnegie-Mann geheimnisvoll über das Handy den »Cevian-Mann«. »Klar«. »Ich weiß, am Freitag kommt ein Übernahmeangebot«. »Am Freitag?« »Ja«. »Okay, dann machen wir es. Aber nicht über mein Handy. Ich rufe dich später an. Punkt 5.30 Uhr.«
 
Es wird für Staatsanwalt Åström nicht leicht werden, den Beschuldigten den unerlaubten Insiderhandel nachzuweisen. »Ohne Abhören der Telefone wäre das gar nicht möglich gewesen«, sagt er heute, kann sich aber dennoch nicht sicher sein, daß das Gericht seiner Anklage folgen wird. Seine wichtigsten Indizien gegen die Angeklagten sind die Geldverstecke, die Telefonprotokolle, die Freundschaft der Männer, die zum Teil bis zur gemeinsamen Schulzeit zurückgeht und die ungewöhnliche Investitionsstrategie, die sich mit dem Grundsatz »Alles oder Nichts« am besten beschreiben läßt. Die Männer haben entweder alles auf eine Karte gesetzt und in eine Aktie investiert oder sie sind aus einem Titel vollkommen ausgestiegen. »Ungewöhnlich«, nennt das die Anklage. Die Beschuldigten leugnen und sagen, »daß alle unsere Aktiengeschäfte auf Grundlage öffentlich zugänglicher Information durchgeführt« worden seien. Vor Gericht werden sie allerdings erklären müssen, wieso sie binnen zwei Jahren ihr Startkapital von fünf Millionen Kronen auf 144,6 Millionen Kronen steigern konnten und Aktien im Wert von 1,3 Milliarden Kronen umsetzten. Insgesamt haben sie 60 Aktiengeschäfte in dieser Zeit durchgeführt, die überwiegende Mehrheit mit Riesengewinn, der zum überwiegenden Teil auf Schweizer Bankkonten verschwunden ist und nur zum Teil in bar sichergestellt werden konnte. Die Anklage bezieht sich nur auf 21 Fälle. Da waren die Nasdaq-Übernahme der OMX oder der Einstieg von GE Healthcare beim schwedischen Konkurrenten Biocare. Eigene Analyse, sagt die Verteidigung, Insiderinformationen, die Anklage. In diesem Herbst wird der größte Insider-Skandal in Stockholm verhandelt. Es droht eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Jahren. Daß den Angeklagten auch noch Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, ist dann wohl eher Nebensache.
 
Kommissar Zufall spielt mit
Der Verdacht: Im August 2005 unternahm die luxemburgische SEB Private Bank eine Routineüberprüfung, nachdem ein schwedischer Kunde bei ihnen Optionen des dänischen Telekom-Konzerns TDC erworben hatte. Das war nur wenige Tage bevor bekannt wurde, daß zwei Investmentgesellschaften den Telekomriesen übernehmen wollten. Die TDC-Aktie schoß um mehrere 100 % nach oben. Die interne Kontrolle förderte zutage, daß der Kunde auch bei früheren Geschäften einen perfekten Riecher gehabt haben mußte: Er hatte Electrolux-Aktien kurz vor der Abspaltung der Gartengerätesparte Husqvarna erworben und Papiere des Versicherungskonzerns Skandia unmittelbar vor Bekanntwerden des Einstiegs des südafrikanischen Konkurrenten Old Mutual gekauft. Die SEB informierte die schwedische Polizei. Der schwierige Beweis: Staatsanwalt Stig Åström muß den sechs Angeklagten nachweisen, daß sie tatsächlich Insider-Informationen über bevorstehende Großaufträge, Fusionen, Abspaltungen und Übernahmen hatten. Das wird nicht leicht, da die Angeklagten bei ihren telefonischen Kontakten hauptsächlich mit Decknamen arbeiteten und die Unternehmen nie direkt nannten. Außerdem verwendeten sie Prepaid-Karten in ihren Handys, so daß den Beteiligten nicht alle Gespräche eindeutig zugeordnet werden können.
 
 
Die Goldman-Connection – Von Norbert Häring
 
Der Aufsichtsratschef der New Yorker Federal Reserve, der wichtigsten der zwölf regionalen Notenbanken, hat mit privaten Aktiengeschäften und einem Aufsichtsratsmandat bei Goldman Sachs eine Diskussion um die Verquickung der Interessen der Wall Street mit den Aufgaben einer Notenbank ausgelöst [2]. Dabei sind die Geschäfte von Stephen Friedman, mit denen er Millionen machte, nur die Spitze eines Eisbergs. FRANKFURT. Wie das Wall Street Journal aufdeckte, war Stephen Friedman zur Hochzeit der öffentlichen Bankenrettungsprogramme nicht nur Oberkontrolleur der regionalen Notenbank, sondern gleichzeitig auch Aufsichtsrat von Goldman Sachs, die direkt und indirekt massiv von den Staatshilfen profitiert haben. Und Friedman profitierte gleich mit. Er kaufte Aktien des staatlich gestützten Instituts, das er früher einmal geleitet hat, und machte damit Millionengewinne. Damit hat sich der 71-Jährige selbst für den Geschmack republikanischer Parlamentarier zu viel herausgenommen. Richard Shelby, der für die Republikaner im Bankenausschuß des Senats sitzt, nannte die Aktienkäufe gegenüber dem Wall Street Journal »zutiefst irritierend.« Dabei sind sie nur die Spitze eines Eisbergs an Verquickung von Wall-Street-Interessen mit öffentlichen Aufgaben. Was bei Europäern Verwunderung hervorruft und auch viele Amerikaner nicht wissen: Die zwölf regionalen Federal Reserve Banken, die zusammen mit dem Federal Reserve Board das Notenbanksystem der USA bilden, nehmen zwar öffentliche Aufgaben wahr, gehören aber den Banken, die auch die Aufsichtsräte dominieren, welche wiederum die regionalen Fed-Präsidenten wählen. Diese Interessenverquickungen rücken nun die Rolle der New York Fed, die für die Wall Street zuständige und daher mit Abstand wichtigste und mächtigste unter den regionalen Notenbanken, in ein schiefes Licht. Diese Notenbank spielte in dieser, wie in früheren Wall-Street-Krisen eine führende Rolle: bei der Krisenbewältigung und dem damit verbundenen Einsatz öffentlicher Mittel zugunsten von Banken.
 
Die New York Fed wurde bereits vom Goldman Sachs Aufsichtsrat Friedman kontrolliert, als der ehemalige Goldman-Chef und damalige Finanzminister Hank Paulson im September 2008 die Vollmacht einholen wollte, über Wertpapierkäufe 700 Mrd. Dollar unter den Wall-Street-Banken zu verteilen - ohne jede vorgegebene Regel oder Kontrolle und mit Hilfe der New York Fed. Als Barack Obama den Chef der New York Fed, Timothy Geithner zum Finanzminister kürte, war es Goldman-Aufsichtsrat Friedman, der die Wahl eines Nachfolgers leitete. Die Wahl fiel auf den ehemaligen Goldman-US-Chefvolkswirt William Dudley. Goldmans Einfluß bleibt gesichert. Es mußte einiges zusammenkommen, damit die Aktiengeschäfte und der Nebenjob des Fed-Aufsichtsratschefs mit den Notenbankregeln in Konflikt kamen. Nicht zuletzt auf Betreiben der New York Fed wurde im September 2008 der Investmentbank Goldman Sachs erlaubt, ihren Status auf Geschäftsbank zu ändern. Kurz darauf erhielt sie eine Kapitalspritze von 10 Mrd. $. Weil Goldman als Geschäftsbank in die Zuständigkeit der Fed wechselte, durften dem Gemeinwohl verpflichtete Fed-Aufsichtsräte Goldman-Aktien nicht mehr halten, und dort keine Ämter mehr bekleiden. Das galt auch für Friedman. Schließlich war er einer der drei Aufsichtsräte, welche das Federal Reserve Board in Washington als Interessenvertreter der Allgemeinheit entsendet. Damit waren sein Goldman-Amt und sein ausgedehnter Aktienbesitz regelwidrig. Der damalige Fed-Chef Timothy Geithner beantragte beim Federal Reserve Board eine Ausnahmegenehmigung für seinen Chefkontrolleur. Doch noch während diese ausstand, kaufte Friedman im Dezember über 37 000 weitere Goldman-Aktien. Und weil seine Ausnahmegenehmigung nur bis Jahresende gilt, will Friedman, der Interessenkonflikte weit von sich weist, dann sein Amt bei der Fed niederlegen.   
 
1 Quelle: http://www.handelsblatt.com/finanzen/boerse-inside/insiderskandal-in-schweden-deckname-ophelia;2265631  6.5.09 leicht gekürzt
2 Quelle: http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur-nachrichten/die-goldman-connection;2268232  7.5.09 ; alle Hervorhebungen durch politonline