Brückenkopf zur Arktis

politonline d.a. Wie German Foreign Policy soeben berichtete, »wünschen Berliner Regierungsberater den EU-Beitritt Islands und erklären das Land zum »strategischen Brückenkopf« der EU in Richtung Arktis.

Weil das Polarmeer wegen der Eisschmelze in Zukunft als Rohstoffquelle und als Seehandelsroute große Bedeutung besitzen werde, sei es vorteilhaft, wenn Reykjavik sich der EU anschließe, heißt es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Für die Arktis, an die der Inselstaat grenzt, sagen Beobachter harte Einflußkämpfe und eine baldige Militarisierung voraus. Island gehört der NATO an und ist militärpolitisch bislang vor allem den Vereinigten Staaten verbunden. Seit dem Kollaps der isländischen Finanzen diskutiert das politische Establishment lebhaft über den Beitritt zur EU, ein schneller Beginn entsprechender Verhandlungen ist im Gespräch. Die SWP warnt allerdings, daß wegen der EU-Skepsis in der Bevölkerung Islands wie in anderen Ländern ein »konzertierter Einsatz« von Politik und Medien unumgänglich sei, um das vorgeschriebene Referendum zu gewinnen.«

Hier zeigt sich erneut der spezielle Aspekt der sogenannten EU-Demokratie, denn unter diesem konzertierten Einsatz läßt sich nichts anderes als Beeinflußung und Manipulation, die höchstwahrscheinlich wiederum von den Stiftungen im Verbund mit der Presse geschultert werden, verstehen. Offenbar gibt es auf diesem Sektor kein Entrinnen mehr; und schon gar nicht vor der sich verstärkt abzeichnenden Militarisierung der EU. Gemäß einer Beurteilung der SWP sei das Polit-Establishment in Reykjavik grundsätzlich euroskeptischer als in jedem anderen nordischen Land; dies gelte nicht weniger für die Bevölkerung. Bei vergleichbaren Referenden in anderen Ländern habe es sich gewöhnlich zudem gezeigt, daß die öffentliche Meinung in dem Maße kritischer wird, in dem sich die Beitrittsbedingungen konkretisieren und zum Gegenstand der politischen Debatte werden. Zwar könne sich dieser Meinungstrend auch wieder zugunsten der EU ändern, doch erfordere dies aller Erfahrung nach den konzertierten Einsatz der politischen Elite mit Macht, Millionen und Medien, wie ein norwegischer EU-Gegner einmal gesagt hat.
 
»Die neue EU-Beitritts-Debatte in Island«, schreibt GFP ferner, »ist eine unmittelbare Folge des Finanzkollapses im vergangenen Herbst. Die isländische Währung, die Krone, ist damals zusammengebrochen und soll nach herrschender Meinung abgewrackt werden, berichtet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Erwogen werde die Einführung des Dollars oder der norwegischen Krone. Alternativ hierzu ist laut SWP ein rascher Beitritt zur Eurozone im  Gespräch. Bereits vor dem Beginn der Weltfinanz- und -wirtschaftskrise hätten Teile des Establishments darüber nachgedacht, ob eine Integration in die Eurozone möglich wäre, ohne zugleich Vollmitglied der EU zu werden. Die EU lehnt dies aber ab. Nach dem Zusammenbruch der Staatsfinanzen hat die Krise in Island jetzt ein Ausmaß erreicht, das in dem überwiegend EU-skeptischen Land zumindest eine Mehrheit für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sichert - um der Einführung des Euros willen. Die neu gewählte sozialdemokratische Ministerpräsidentin hat während des Wahlkampfes erklärt, sie wolle spätestens im Juni die Gespräche mit Brüssel eröffnen. Zwar könnten die Verhandlungen über zahlreiche Themen rasch abgeschlossen werden: Island gehört nicht nur dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) an, sondern ist auch dem Schengener Abkommen beigetreten und erfüllt daher schon jetzt zentrale Rechtsnormen der EU. Dennoch warnt die SWP vor Beitrittseuphorie: es sei vor allem mit ernsten Auseinandersetzungen um die Fischerei zu rechnen. Der Fischfang und die fischverarbeitende Industrie gelten als alles dominierende Grundlage der isländischen Wirtschaft. Reykjavik werde die Kontrolle darüber nicht preisgeben, mutmaßt die SWP, während die EU ihrerseits darauf bestehen werde, die nationalen Gewässer zu vergemeinschaften. Bei der Selbstverwaltung der nationalen Fischgründe stehen den Regierungsberatern zufolge keinerlei Kompromissmöglichkeiten in Aussicht; ein Scheitern der Verhandlungen sei daher nicht auszuschließen.«  
 
»Trotz allem«, fährt GFP fort, »plädieren die Berliner Regierungsberater dafür, die Beitrittsbestrebungen in Reykjavik nach Kräften zu unterstützen. Zwar sind die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes, das weniger als 300.000 Einwohner zählt, begrenzt; sollte es aber wider Erwarten gelingen, eine Einigung über den Fischfang zu erzielen, dann könne Island auf seinem Weg in die EU womöglich das letzte nordische Land mitziehen, das sich noch außerhalb der EU befindet - nämlich Norwegen, schreibt die SWP. Frühere Versuche, Norwegen in die EU zu integrieren, waren ebenfalls an Fischereifragen gescheitert. Vor allem aber wäre Island ein strategischer Brückenkopf in den für die EU zunehmend wichtigen arktischen Raum. Am Nordpol, dessen Eiskappe wegen des Klimawandels abschmilzt, können in den kommenden Jahrzehnten voraussichtlich umfangreiche Bodenschätze gewinnbringend abgebaut werden; zudem öffnen sich neue Seehandelsrouten im Polarmeer. Beobachter halten es für möglich, daß sich um die Arktis ein neues Great Game entwickelt: Ein solcher geopolitischer Wettlauf könnte dazu führen, daß die Arktis zunehmend militarisiert wird. Für diesen Fall käme Island eine erhebliche Bedeutung zu. Der Inselstaat, der unmittelbar an die Arktische See grenzt, hat zwar keine eigenen Streitkräfte, ist aber Gründungsmitglied der NATO und mit einem Verteidigungsabkommen an die USA gebunden. Bis zum Jahr 2006 unterhielten diese einen Militärstützpunkt in Keflavik (nahe Reykjavik), der Washington die Kontrolle des Atlantiks etwa auf halbem Wege zum einstigen Systemopponenten Sowjetunion ermöglichte. Seit mehr als zweieinhalb Jahren ist der Stützpunkt, der seine alte Bedeutung verloren hat, geräumt. Die Nutzung Islands als Brückenkopf in Richtung Arktis würde dem Land eine neue geostrategische Bedeutung für die Konflikte der Zukunft verleihen. Die EU solle davon Gebrauch machen, heißt es bei der SWP. Selbst für den Fall, daß Island nicht den Weg in die EU wählt, sagt die SWP bei engagierter Unterstützung der Beitrittsbemühungen langfristige Vorteile für die BRD voraus. Auch Norwegen habe sich trotz intensiver bundesdeutscher Einflußnahme zweimal gegen den Beitritt entschieden, rufen die Berater in Erinnerung. Der Bonner Einsatz zahle sich dennoch aus. Heute, urteilt die SWP zufrieden, verbindet Deutschland mit Norwegen trotz seiner Sonderstellung am Rande der EU eine exzellente Partnerschaft von strategischer Bedeutung
 
Von der Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung ist nicht die Rede, dafür wiederholt von Militarisierung und Konflikt. Es steht zu befürchten, daß im entscheidenden Moment  nicht einmal davor zurückgechreckt würde, den Krieg auch noch in diesen Winkel zu tragen.
 
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57529 13.05.2009
Reykjavik/Berlin (Eigener Bericht) Brückenkopf zur Arktis