Auch Afghanistan leert unsere Taschen

politonline d.a. Die Forderungen von Seiten der ununterbrochen Krieg führenden USA an die Europäer reißen nicht ab. Im Gegenteil, sie verstärken sich. Bereits auf der diesjährigen NATO-Sicherheitskonferenz verlangte Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer

bezüglich des Afghanistan-Einsatzes ein stärkeres Engagement der europäischen Länder: also mehr Truppen und mehr Kriegsgerät. Auf derselben Linie liegt auch der neue amerikanische NATO-Botschafter Ivo Daalder, der seinen ersten Auftritt dazu nutzte, um einen eindringlichen Appell an Europa und im besonderen an Deutschland ergehen zu lassen, das militärische und finanzielle Engagement in Afghanistan noch zu verstärken 1. »Die Vereinigten Staaten erfüllen ihren Teil, Europa und Deutschland können und sollten mehr tun«, sagte Daalder am 1. 7. auf dem Transatlantic Forum in Berlin. Angesichts des Fakts, dass niemand anderes als die USA selbst diesen Krieg, in den die EU in der Folge hineingezogen wurde, vom Zaun gebrochen hat, scheint mir dies von keiner schlechten Arroganz. Die Regierung Obama wird bis Ende 2009 mehr als 30.000 Soldaten zusätzlich entsandt haben und 7,5 Milliarden $ für Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Armee bereitstellen. Da sich der Finanzbedarf, den dieses Inferno jährlich schluckt, von 2010 an auf 19 Milliarden $ beläuft, drückte Daalder die Erwartung aus, daß die Europäer einen Großteil des verbleibenden Betrages übernehmen. Genau das,  ist zu erwarten, wird Brüssel auch fertigbringen, ungeachtet der bestehenden monströsen Verschuldung. Schließlich wünscht sich die Administration Obama eine ausgeglichenere Lastenteilung. Schützenhilfe erhielt Daalder vom deutschen Sondergesandten Bernd Mützelburg, der Daalder darin zustimmte, »daß die Europäer in Afghanistan mehr tun müßten. Entwicklung und Wiederaufbau müßten aber Vorrang vor militärischen Überlegungen haben, weil nur so die Herzen und Köpfe der Afghanen gewonnen werden könnten.« Auf die Weise, wie sie dort vorgehen, kann man beiden schon jetzt versichern, werden sie diese nie gewinnen, was sich diese eingestehen sollten; dazu scheint jedoch gerade Mützelburg nicht fähig zu sein, da er eine Verbesserung der Lage festgestellt zu haben glaubt; er meinte gar, die Vorbedingungen für einen Erfolg seien niemals besser gewesen als heute.
 
Das allerdings wird an anderer Stelle nicht so gesehen. Der Kern einer jetzt veröffentlichten Bestandsaufnahme der zunehmend prekären Lage der NATO-Interventionskräfte am Hindukusch bildet die Aussage, daß die USA und ihre NATO-Verbündeten dabei sind, den Krieg in Afghanistan zu verlieren. Für den Inhalt des Dokuments, schreibt Rainer Rupp 2 von der jungen Welt, »zeichnen die Größen des britischen Militärestablishments verantwortlich: der ehemalige britische Verteidigungsminister und spätere NATO-Generalsekretär Lord George Robertson, der ehemalige Generalstabschef und spätere britische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Jeremy Greenstock, sowie der ehemalige Hohe Kommissar der UNO in Bosnien, Lord Paddy Ashdown.« Im Gegensatz hierzu, berichtet Rupp ferner, »hatte der scheidende NATO-Oberbefehlshaber, US-General John Craddock, in einem am 30. Juni in der Stuttgarter Zeitung veröffentlichten Interview die zögerliche und egozentrische Haltung der Bündnispartner kritisiert und seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, daß mit mehr Soldaten und Militärausbildern der NATO der Krieg in Afghanistan doch noch zu gewinnen sei.« Was US-Präsident Barack Obama betrifft, so war dieser nach seinem Amtseintritt und nach Gesprächen mit den Spitzen des Pentagons sowie der Geheimdienste zu der Schlußfolgerung gelangt, daß der Krieg dort militärisch nicht mehr zu gewinnen sei, hatte aber anschließend dennoch der Entsendung zusätzlicher 17000 Soldaten zugestimmt; diese kommen jetzt in ihrer ersten Großoffensive in der südlichen Provinz Helmand zum Einsatz.
 
Inzwischen ist die Großoffensive der US-Armee gegen die Taliban in der Nacht zum 2. Juli in der südafghanischen Provinz Helmand gestartet worden 3. Wie US-Brigadegeneral Larry Nicholson mitteilte, unterscheidet sich die Operation Chandschar von den vorangegangenen »durch den Umfang der eingesetzten Kräfte und die Schnelligkeit des Angriffs«. An der Operation nehmen rund 4.000 US-Soldaten sowie 650 afghanische Polizisten und Soldaten teil. Das Hauptziel der Operation Chandschar (zu Deutsch Schwertschlag) stellt die Einnahme der Taliban-Stützpunkte im Süden Afghanistans dar, die anschließend den afghanischen Sicherheitskräften übergeben werden. Allerdings, berichtet SWR2, stieß man auf erheblichen Widerstand von Seiten der Taliban 4. Im südlichen Viertel des Sektors, in Helmand, gebe es laut Nicholson höllische Gefechte. Unterdessen sollen bei einem Luftangriff im benachbarten pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet zehn Menschen, bei denen es sich um radikal-islamische Extremisten handeln soll, getötet worden sein. Süd-Waziristan gerät zunehmend ins Visier der amerikanischen und pakistanischen Streitkräfte, auch weil dort der pakistanische Taliban-Führer und Al-Kaida-Verbündete Baitullah Mehsud vermutet wird. Auch die pakistanische Armee hatte in den vergangenen Wochen bereits mehrere Luftangriffe in der Region geflogen. Wie einem Bericht von Rüdiger Göbel zu entnehmen ist 5, wird die Armee die eroberten Gebiete anders als bislang halten. Die Truppen sollen Stützpunkte errichten und in Helmand bleiben. Zudem sind bei der jetzigen Offensive deutlich schwerere Waffen im Einsatz. Ziel sei, die Sicherheitslage in der Provinz langfristig zu verbessern, damit die Bevölkerung eine legitime Regierung einsetzen könne, erklärte ein Militärvertreter. Indessen stößt der Kriegseinsatz laut ARD-DeutschlandTrend auf die bislang größte Ablehnung. Die Bevölkerung schätzt die Lage in Afghanistan vernünftiger ein als das Gros der von ihr gewählten Mandatsträger im Bundestag. Einer am 2. 7. 09 veröffentlichten Umfrage zufolge sprechen sich 69 % der Bundesbürger dafür aus, daß die Bundeswehr »sich möglichst schnell aus Afghanistan zurückziehen sollte«. Die Forderung nach einem schnellen Rückzug findet eine Mehrheit bei den Anhängern aller Parteien, im Gegensatz zu deren Abgeordneten. Die größte Zustimmung [Anmerk.: was schwer begreiflich ist] erhält der Einsatz der Bundeswehr indessen bei den Anhängern von Bündnis 90/Die Grünen.  
 
Zu Afghanistan vermerkte Dr. Helmut Böttiger Ende März dieses Jahres: »Haben Sie sich einmal ernsthaft überlegt, daß wir nun schon fast sieben Jahre lang unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen, indem wir dort Leute umbringen und Sachvermögen zerstören lassen, nur weil die Menschen dort nicht nach unserer Pfeife tanzen und unserer Hochfinanz nicht das Recht auf ihr Land abtreten wollen, um es zum Beispiel als Durchlaß für den Raub des Kaspischen Erdöls zu nutzen?« 6
 
  
1http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E8740C6733AD8410BAFD0F7E5F5FD0D11~ATpl~Ecommon~Scontent.html  1. 7. 09 Deutschland und Europa müssen mehr tun - Von Klaus-Dieter Frankenberger und Konrad Mrusek
2 http://www.jungewelt.de/2009/07-03/026.php
Der Krieg wird verloren - US-Militärs fordern von Europäern mehr »Engagement« in Afghanistan. Briten mahnen Geschlossenheit an. UN-Generalsekretär warnt vor weiterer Gewalteskalation - Von Rainer Rupp
3http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=02072009ArtikelPolitikRIA2  2.7.09 US-Armee startet Großoffensive gegen Taliban 4http://www.swr.de/nachrichten/-/id=396/nid=396/did=5060900/11fn2wn/index.html  3.7.09
'Höllische Gefechte'' im Süden Helmands
5 http://www.jungewelt.de/2009/07-03/015.php Obama läßt’s krachen Von Rüdiger Göbel
6 http://www.spatzseite.de/pdf/sptz2009.pdf 29. 3. 09