Pakistan - unverminderten Angriffen ausgesetzt

politonline d.a. Bei den absolut desolaten, fast täglich über uns hereinbrechenden Nachrichten aus Afghanistan und Pakistan müsste man eigentlich zu dem Schluss gelangen,

dass man die von der UNO und einigen anderen Stellen instituierten humanitären Foren zur Verteidigung der Menschenrechte durchaus schliessen könnte. Sie kosten die Steuerzahler Milliarden, richten aber dennoch nie das aus, was sie sollten: die Verhinderung von Kriegen und der oftmals bewusst angeheizten Krisen. So will Washington in Pakistan jetzt verstärkt unbemannte, mit Raketen ausgestattete Drohnen für Angriffe gegen »islamische Extremisten« und deren mutmassliche Stellungen, Trainingslager, Unterkünfte und Häuser einsetzen. Seit seiner Amtseinführung hat Barack Obama zahlreiche unbemannte Drohnen-Attacken gegen Pakistan durchführen lassen, bei denen über 300 Menschen getötet wurden, darunter viele  Frauen und Kinder 1. Die USA gibt zu Drohnenangriffen auf Pakistan keine Stellungnahme ab; allein der US-Geheimdienst CIA verfügt in der Region über derartige Waffen. Die  pakistanische Regierung hat die US-Angriffe zwar wiederholt als Missachtung der »Souveränität des Landes« kritisiert, nicht wenige Beobachter gehen jedoch davon aus, dass Islamabad diese in den umkämpften südwestlichen Grenzgebieten zu Afghanistan hinter vorgehaltener Hand akzeptiert.  
 
So kamen bei einem US-Raketenangriff im Nordwesten Pakistans nahe der Bezirkshauptstadt Miran Shah an der Grenze zu Afghanistan in der Nacht zum 21. 8. 09 mindestens 13 Menschen ums Leben 2. Ein Vertreter pakistanischer Sicherheitsbehörden behauptete, dass alle Getöteten »islamistische Kämpfer« gewesen seien, unter denen sich allerdings kein »hochrangiges Ziel« befunden habe. Einem Bericht der New York Times zufolge wurden von  der CIA beauftragte Mitarbeiter des Söldnerunternehmens »Blackwater« unter anderem auch zur Installation von Laser-ferngesteuerten Hellfire-Raketen auf unbemannten Drohnen des Typs General Atomics MQ-1B »Predator« eingesetzt. Die Auswahl der Ziele und konkrete Befehle seien immer durch Mitarbeiter der CIA erfolgt, erfuhr die New Yorker Zeitung von ehemaligen und dort noch immer beschäftigten Angestellten. Der Start der Drohnen wurde in einem der Stützpunkte, im pakistanischen Shamsi oder in einer Station im afghanischen Dschalalabad, von den Söldnern der grössten Privatarmee der Welt vorbereitet. Anschliessend hätten CIA-Mitarbeiter den Angriff im mehr als 11000 km entfernten Hauptquartier in Langley, Virginia, per Fernsteuerung ausgelöst. Nur eine Handvoll von CIA-Leuten seien überhaupt in der jeweiligen Basis gewesen, die Hauptarbeit sei von Blackwater-Söldnern ausgeführt worden. Die meisten Pakistani, vermerkt Knut Mellenthin 3, glauben offenbar nicht der Behauptung ihrer eigenen Regierung, dass es beim Kampf gegen die islamistischen Rebellen im Nordwesten um das Überleben des Landes gehe 3. Nur 11 % der Befragten gaben als »grösste Bedrohung« für Pakistan die Taliban an, 18 % das Nachbarland Indien und 59 % die USA. Ins Reich der Legenden gehört nach den Umfrageergebnissen auch die Behauptung, »ganz Pakistan« unterstütze die seit Ende April stattfindende Militäroffensive gegen die Taliban. Tatsächlich sind es 41 %, während sich 43 % für Verhandlungen aussprechen. Zugleich hat der Anteil der Befürworter eines harten Vorgehens gegen die Taliban im Vergleich zu früheren Umfragen deutlich zugenommen. Videoaufnahmen aus den von Islamisten beherrschten Gebieten im Nordwesten, insbesondere die öffentliche Auspeitschung einer jungen Frau wegen »Ehebruchs«, wirkten auf den grössten Teil der Bevölkerung schockierend und abstossend.
 
Aus dem ganzen Vorgehen resultiert ein für die Bevölkerung tödliches Chaos, zu dem auch die Bombenanschläge von Seiten der angegriffenenTaliban gehören, denen jetzt am 15. Oktober in mehreren Provinzen Pakistans mindestens 39 Menschen zum Opfer fielen; weitere Opfer fordern die Selbstmordanschläge. Die islamischen Rebellen haben Pakistans Streitkräften mit weiteren Gewalttaten gedroht, sollten diese in die Taliban-Hochburg Südwasiristan vordringen, wo die Regierung bereits seit Tagen Luftangriffe fliegt; rund 200.000 Menschen sind seit August aus der Region geflohen. Wie der Nachrichtensender Al-Dschasira meldete, forderten die Angriffe der pakistanischen Luftwaffe nahe der Grenze zu Afghanistan am 14. und 15. 10. neun Menschenleben. Es war der 42. Angriff, den die USA seit Jahresanfang mit Drohnen durchgeführt hat. Das hielt Pakistans Staatspräsident Asif Ali Sardari nicht davon ab, zu erklären, dass das Blutvergiessen die Regierung nicht von ihrer Aufgabe abhalten werde, die Extremisten auszulöschen. Er übergeht nicht nur, dass dadurch eine riesige Anzahl seiner eigenen Landsleute gleichermassen ausgelöscht, man kann schon sagen, ausgerottet werden, sondern dass diese auf Grund der Mithilfe Pakistans bei dem seinerzeitigen Aufbau der Taliban durch die USA, die CIA und Saudiarabien in diesen grauenhaften Kriegsstrudel gerissen wurden.
 
Das nachfolgende Interview befasst sich mit der gegenwärtigen Situation des Landes:
 
»Invasion in Pakistan wäre ein großer Fehler« - Von Jürgen Cain Külbel
 
Die USA und die NATO haben den Krieg in Afghanistan nahezu verloren. Die Ausweitung der Kampfzone auf das Nachbarland ist nicht hinnehmbar. Das nachfolgende Gespräch mit dem ehemaligen Außenminister Pakistans, Akram Zaki, führte Jürgen Cain Külbel. Zaki war von 1954 an im diplomatischen Dienst seines Landes tätig, unter anderem war er Botschafter in den USA, in China und auf den Philippinen und war von 1997 bis 2002 Mitglied des Senats in Islamabad 5.
 
Eine Niederlage der USA in Afghanistan wäre ein schwerer Schlag für Washingtons imperiale Ambitionen. Nähmen die Vereinigten Staaten zur Abwendung einer militärischen Schlappe die Destabilisierung der Nuklearmacht Pakistan in Kauf?
Die USA hat den Krieg in Afghanistan nahezu verloren. Während US-Präsident Barack Obama am Rückzug aus dem Irak bastelt, schickt er immer mehr Truppen nach Afghanistan und verlängert mit der Strategie »Af Pak« den Feldzug. Als die USA seinerzeit in Vietnam verlor, griffen sie Kambodscha am. Dann mußten sie in Schande gehen. Wenn sie den gleichen Fehler in unserer Region wiederholen, wird das Ergebnis ähnlich sein.
 
Vor zwei Jahren sagten Sie, die USA wolle Pakistan destabilisieren, entislamisieren und denuklearisieren. Ihre Regierung, enger Verbündeter der USA, hat da eine ganz andere Position.
Ich bin immer noch der gleichen Ansicht: Pakistan und China sollen entzweit werden und unser Land soll »freundschaftliche« Beziehungen zu Indien, und zwar zu Indiens Bedingungen, aufbauen. Die Destabilisierung von Pakistan ist das geeignete Instrument zum Erreichen dieser Ziele. Die USA baut Indien zu einem strategischen Partner für ihre Politik in der Region gegen China, Pakistan und den Iran auf. Globale und regionale Hegemonialmächte arbeiten hier zusammen.
 
Seit April führt die pakistanische Armee auf heftigen Druck aus Washington hin eine militärische Offensive im Nordwesten Ihres Landes, um dort die Taliban zu eliminieren.
Die militärische Operation gegen die wachsende Bedrohung durch den Terrorismus war unvermeidlich geworden. Es war schon fast zu einem großen Aufstand infolge verstärkter Einmischung von außen gekommen.
 
Von außen?
Die afghanischen Taliban, in der Mehrzahl Paschtunen, leisten gegen die ausländischen Besatzungstruppen Widerstand. Sie wehren sich gegen die USA und die NATO wie seinerzeit gegen die Sowjets. Die pakistanischen Taliban hingegen sind ein durcheinandergewürfelter Haufen, der aus religiösen Extremisten, kriminellen Elementen und einigen ausländischen Agenten besteht, die von unseren Nachbarn und ihren mächtigen internationalen Alliierten unterstützt, finanziert und bewaffnet werden.  
 
Pakistans Geheimdienst ISI argumentiert, daß die Offensive der US-Marines in der südafghanischen Provinz Helmand die Taliban-Kämpfer ins pakistanische Belutschistan dränge, was dort zur Destabilisierung führe.
Es gibt zunehmend Beweise, daß die US- und NATO-Truppen mehr und mehr afghanische Widerstandskräfte nach Pakistan verdrängen. Hintergrund: Sie wollen das Leben der US-amerikanischen und NATO-Soldaten retten und hoffen, daß die pakistanische Armee deren Feinde auf pakistanischem Boden bekämpft. Das hat schwerwiegende Folgen für unsere Sicherheit und Stabilität. Mein Land wird gezwungen, zusätzliche Streitkräfte von der Ost- an die Westgrenze zu verlegen, um den Zustrom in unsere Gebiete kontrollieren zu können.
 
Zwischen 1996 und 2001 kontrollierten die Taliban mit Unterstützung der pakistanischen Regierung das Nachbarland Afghanistan.
Ja, die Taliban-Regierung in Afghanistan verursachte uns keinerlei Probleme. Sie beseitigten dort den gesamten Mohnanbau, schränkten den Drogenhandel sehr stark ein, kontrollierten die Verbreitung von Waffen, hielten Recht und Ordnung aufrecht. Nach dem 9. 11. machte Diktator Pervez Musharraf, unser Präsident, unter amerikanischem Druck eine Kehrtwendung, in der Hoffnung, seine unpopuläre Regentschaft mit Unterstützung der USA verlängern zu können. Er profitierte persönlich, aber das Land leidet, da er aus eigenen egoistischen Gründen pakistanische Interessen den Interessen des Imperiums unterordnete. Dagegen erheben die Mittelschicht, Zivilgesellschaft und Medien ihre Stimmen immer lauter, damit die Außen- und Innenpolitik zum Schutz der lebenswichtigen nationalen Interessen neu bestimmt werden.
 
Obamas Kriegserweiterungsstrategie »Af Pak« zielt darauf ab, »Al Qaida zu isolieren und zu zerschlagen und ihre sicheren Häfen zu zerstören«. Hat Al Qaida in Ihrem Land eine Basis?
Die pakistanische Regierung hat über Verstecke von Al-Qaida, falls überhaupt vorhanden, um zuverlässige Geheimdienstinformationen gebeten. Es kam aber nichts. Al-Qaida und Taliban wurden seinerzeit im Kampf gegen die Sowjets vom amerikanischen Geheimdienst CIA kreiert, nun ist die USA ihr Feind.
 
Befinden sich US-Kampfverbände in Pakistan?
Es gibt Berichte, daß die USA einige Truppen entsenden wollte, aber Pakistan habe nicht zugestimmt. Eine begrenzte Anzahl von Ausbildern ist allerdings vor Ort.
 
Ist es eine Frage der Zeit, bis US-Truppen in Ihr Land eindringen?
Wiederholte Behauptungen, Al-Qaida-Führer, einschließlich Osama bin Laden, versteckten sich in Pakistan, bergen die Gefahr der Verletzung der territorialen Integrität. Obamas Konzept deutet an, daß die USA auch unser Territorium als Kriegsgebiet betrachtet. Eine Invasion in Pakistan wäre ein großer Fehler.
 
Wo ist Osama bin Laden?
Als Osama bin Laden für die CIA gegen die Sowjetunion arbeitete, war er eine reale Person aus Fleisch und Blut. Seit dem 11. September 2001, dem die Invasion Afghanistans und eine massive Bombardierung dieses unglücklichen Landes folgten, ist er ein Mysterium. Es gibt keine verläßlichen Nachrichten, ob er tot oder lebendig ist. Die meisten Menschen glauben, er sei tot. Er wird am Leben gehalten als ein Geist, als ein politisches Instrument, das zur Rechtfertigung künftiger militärischer Abenteuer benutzt werden kann.
 
Sind die US-Raketenangriffe auf pakistanische Dörfer nicht als Invasion zu werten?
Die Drohnenangriffe, so wird behauptet, richten sich gegen Al-Qaida, jedoch sind die meisten der Toten und Verletzten Zivilisten, insbesondere Frauen und Kinder. Die Menschen in Pakistan empfinden diese Überfälle als Aggression.
 
Es heißt, die pakistanische Armee habe die Kontrolle über die Region des Swat-Tals wiedererlangt, nachdem die Taliban verjagt worden sind. Diese hätten Städte und Dörfer übernommen, dies in Verletzung eines Friedensabkommen, das wiederum die Einführung des islamischen Rechts in der Region erlaubte.
Das Friedensabkommen wurde von allen Seiten verletzt, denn jede Seite hatte ihre eigene Auslegung. Die Einführung der islamischen Gesetze war eine alte lokale Forderung. Hierzu gab es schon 1994 und 1999 Abkommen, die nie umgesetzt wurden. Das ist auch der Grund, warum die Extremisten so populär wurden. Einige Kriminelle und ausländische Agenten heizten die Turbulenzen dann an und schufen am Ende die wirklich ernste Situation.
 
Obama macht nichtmilitärische US-Hilfe für Pakistan im Wert von 1,5 Milliarden US-$ pro Jahr von den Bemühungen der Regierung zur Bekämpfung der Taliban und Al-Qaida-Kämpfer abhängig. Ist das nicht Erpressung?
Es war ein amerikanischer Krieg, und Pakistan wurde zu einem wichtigen Opfer. Pakistan hat jetzt diese Geißel zu bekämpfen und ist über die »Unterstützung zu Bedingungen« unglücklich. Es werden Gespräche geführt, das zu kontern.
 
Allerdings wünscht sich Pakistan jetzt von der USA Drohnen und anderes Kriegsgerät, um die Offensive gegen die Taliban ausweiten zu können. Wie kann die Bevölkerung gewinnen, wenn sie bombardiert wird?
Ja, Drohnen- und andere Luftangriffe führen nur zum Verlust unschuldigen Lebens. Das verursacht tatsächlich Wut und eine antiamerikanische Stimmung, ebenso eine Stimmung gegen die Regierung in Islamabad. Gleichzeitig produziert es Sympathie sowie potentielle Unterstützung für Extremismus.
 
Die Stämme in den semi-autonomen Regionen entlang der Grenze zu Afghanistan haben sich gegen die pakistanische Regierung vereinigt. Wird Ihr Land demnächst von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen erschüttert werden?
Die Bereiche der sogenannten föderal verwalteten Stammesgebiete, kurz FATA, und vor allem Nord- und Südwasiristan, sind schwer zu befrieden. Ausländische Agenten sind dort ziemlich aktiv. Militäraktionen könnten die Konflikte wahrlich verlängern. Einen nuklear bewaffneten Al-Qaida-Gottesstaat Pakistan wird es nie geben.
 
 
1 http://www.jungewelt.de/2009/09-23/066.php  23 9. 09
US-Angriffsziel Pakistan - Kriegsgebiet ausgedehnt: Obama will verstärkt unbemannte Drohnen in Afghanistans Nachbarland bomben lassen
2 http://www.jungewelt.de/2009/08-22/019.php
Drohnenangriff Nummer 52 - CIA schlägt erneut in Pakistan zu. Mindestens 13 Tote. Blackwater-Söldner beteiligt
3 http://www.jungewelt.de/2009/08-12/035.php  12. 8. 09 Geschosse der CIA - Zehn Tote bei erneuter Drohnenattacke in Pakistan. US-Präsident Obama steigert Häufigkeit der Angriffe sprunghaft - Von Knut Mellenthin
4 http://www.jungewelt.de/2009/10-16/034.php 16.10.09 Bombenkrieg in Pakistan
5 http://www.jungewelt.de/2009/08-14/010.php
»Invasion in Pakistan wäre ein großer Fehler« - Von Jürgen Cain Külbel