Der Iran - unvermindert in der Kritik

Ob Drohungen oder Sanktionen, das Land unterliegt sozusagen ohne Unterbruch der Kritik, was auch aus einem in der »Basler Zeitung«

erschienenen Bericht von Ulrich Achermann hervorgeht, der Anlass zu dem nachfolgenden offenen Schreiben war:
 
Sehr geehrter Herr Achermann,
mir liegt Ihr Beitrag in der Ausgabe 274 der »Basler Zeitung« vom 24. 11. 09 vor. Allein schon der Titel, Roter Teppich für Holocaust-Leugner, fällt für meine Begriffe in die Kategorie der mit grosser Unermüdlichkeit vorangetriebenen Hetze gegen den Iran, da die Zusatzbezeichnung nicht wenig dazu geeignet sein dürfte, den Abscheu vor dem iranischen Präsidenten zu erhöhen. Um letzteres zu fördern, scheint alles recht zu sein. So unterstellen Sie Ahmadinedjad auch gleich die inzwischen längst widerlegte Behauptung, »dass der Holocaust-Leugner Ahmadinejad ja schon mehrfach dafür plädiert hat, Israel sei von der Landkarte zu tilgen.‹« Allein schon das mehrfach trifft nicht zu. Die Richtigstellung dieser von den Medien damals aufgegriffenen falschen Aussage ist in zahlreichen Presseartikeln erfolgt, so dass es mich erstaunt, dass Sie hiervon keine Kenntnis haben sollten.
 
Wie Katajun Amirpur auf Seite 15 des Feuilletons der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 15./16. März 2008 darlegt, »gehen die Vernichtungsphantasien, die dem Iran unterstellt werden, auf einen einzigen Satz zurück: Israel must be wiped off the map. Kein Satz wird so häufig mit dem amtierenden Präsidenten des Irans, Mahmud Ahmadinedschad, assoziiert wie dieser: Israel muß von der Landkarte radiert werden. Das Problem ist nur - er hat diesen Satz nie gesagt. Ahmadinedschad hat die Worte für map und wipe off nie benutzt. Die persische Originalversion von Ahmadinedschads Äußerungen über Israel ist weit weniger martialisch als die Übersetzung, die verschiedene Agenturen verbreitet haben und die wiederum auf der englischen Übersetzung des persischen Originals beruht. Was also ist passiert? Am 26. 10. 2005 sprach Ahmadinedschad auf einer Konferenz, die unter dem Motto Die Welt ohne Zionismusstand. Es waren im Wesentlichen die großen westlichen Nachrichtenagenturen, die die Übersetzung dieser Passage lieferten: Israel von der Landkarte radieren (AFP), Israel von der Landkarte tilgen (AP, Reuters), Israel ausrotten (DPA). Ahmadinedschad sagte jedoch wörtlich: in rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad. Das bedeutet: Dieses Besatzerregime muss von den Seiten der Geschichte (wörtlich: Zeiten) verschwinden. Oder, weniger blumig ausgedrückt: Das Besatzerregime muss Geschichte werden. Das ist keine Aufforderung zum  Vernichtungskrieg, sondern die Aufforderung, die Besatzung Jerusalems zu beenden.«
 
Meiner Auffassung nach verfehlen es die zum Teil von einer unglaublichen Überheblichkeit zeugenden verbalen Angriffe auf den Iran nicht, die Hetze gegen dieses Land in zahlreiche Gemüter zu tragen, was ich als wenig intelligente Vorgehensweise betrachte, zumal man Arroganz als solche durchaus einer immensen menschlichen Dummheit gleichsetzen kann. Soll also jetzt nach den monströsen Lügen, die das Inferno über den Irak brachten, auch noch der Gedanke geschürt werden, neben dem gegenwärtig eine unsagbare Verwüstung erleidenden Afghanistan einen weiteren Staat zu überfallen, was ich, offen gesagt, auf die Stufe des Wahnsinns stellen müsste. Wir haben bereits 12 Regionen im Irak, die von jeglicher Bevölkerung geräumt werden mussten, da sie, vollkommen verseucht, nicht mehr bewohnbar sind; sollen also auch noch Flächen dieser Art im Iran entstehen? Reicht ein Blick in die Geschichte dieses Landes nicht aus, um zu erkennen, dass das Mass, betrachtet man die Eingriffe Englands und der USA im Iran, endgültig voll ist? Schliesslich war es die USA, die 1953 den  Sturz der Regierung Mossadegh inszenierte, denn unter dieser war der in den Augen der USA und der Briten untragbare Fakt der Verstaatlichung der Erdölgewinnung des Landes eingetreten, deren Privatisierung dann 1954 unter dem Shah wieder gelang. 
 
Sollte, wie Sie darlegen, die Reise Ahmadinejads nach Brasislien dazu gedient haben, Vorbereitungen zu treffen, um schärfere Sanktionen des Westens im Zusammenhang mit dem Atomprogramm des Irans abzufedern, dann, denke ich, hat niemand das Recht, ihn daran zu hindern, zumal die von den Repräsentanten unserer westlichen Wertegemeinschaftengegen das Land getroffenen Massnahmen für meine Begriffe die Inkarnation der Willkür darstellen. Was die von Ihnen angetönten Unterschiede zwischen den Kulturen des Irans und Brasiliens angeht, so führen sie unweigerlich zu der Überlegung, dass das heutige iranische Regime  wahrscheinlich nicht in seiner jetzigen Form bestünde, hätten die USA und alle ihr willig Zudienenden davon abgesehen, den Shah zu stützen.
 
Ansonsten sehe ich keinerlei Grund gegeben, die Bestrebungen, Geschäfte zwischen dem Iran und Brasilien in die Wege zu leiten, in irgendeiner Weise zu bemäkeln. Warum es offenbar Ihr Missfallen erregt, dass Lula da Silva nicht darauf zu sprechen kommt, dass die Iraner »Mittelstreckenraketen haben, die Israel erreichen könnten«, hätte ich gerne von Ihnen erklärt. Fakt ist, dass der Iran nicht die Gewohnheit hat, andere Staaten ständig zu bedrohen, wie dies unter Benutzung der Bezeichnung Schurkenstaaten von der USA so locker gehandhabt wird. Darüber hinaus ist das atomare Bedrohungspotential der dem Iran feindlich gesinnten Staaten mit tödlicher Sicherheit um ein Vielfaches grösser ist als das, was dem Iran an Waffen zur Verfügung steht. Somit sehe ich auch die von Ihnen ins Feld geführten iranischen Luftabwehrmanöver zum Schutz der Atomanlagen als durchaus gerechtfertigt. Es ist mir nicht klar, ob Sie die Bezeichnung von Hugo Chávez als unberechenbarem Anti-Imperialisten selbst geprägt oder Berichten Ihrer Kollegen entlehnt haben. Jedenfalls empfinde ich auch das als Herabminderung seiner Person; sie liegt ganz im Trend, stossen doch Chávez politische Schritte in Washington auf alles andere als auf Gegenliebe.
 
Wäre es möglich, dass die Presse damit begänne, sich hinsichtlich aller Steigerungen von hetzerischen Aussagen in Bezug auf Staaten, die den Plänen und Schachzügen der USA und ihrer Verbündeten nicht genehm sind, fortan eine Mässigung aufzuerlegen? Reicht es nicht, wenn die Neue Zürcher Zeitung es einem Mann wie Hans Rühle ermöglicht, einen Aufsatz mit der Überschrift zu bringen, der »Iran kann unbeirrt an der Bombe weiterarbeiten. Der letzte Schritt zur Produktion eines atomaren Sprengkopfes wird in kürzester Zeit möglich sein.« 1 Rühle stellt seinen Ausführungen zwar die Feststellung voran, dass der Iran laut Erkenntnissen der US-Geheimdienste sein militärisches Nuklearprogramm 2003 eingestellt hat. »Über zivile und andere (geheime) Installationen«, heisst es dann jedoch anschliessend, »wird das Land aber spätestens 2009 in der Lage sein, den letzten Schritt zu waffenfähigem Uran in kurzer Zeit zu tun.« Dies zu einem Zeitpunkt, zu dem Aussagen der CIA vorlagen, denen zufolge der Bau von atomaren Waffen, beabsichtigte der Iran dies in der Tat, noch 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen würde. Oder fördert etwa ein Ausspruch wie der, dass Atombomben in den Händen eines Irren wie Ahmadinedjadeine grosse Gefahr für Millionen von Menschen in ganz Europa seien, die er opfern würde. woran man ihn mit allen Mitteln hindern müsste 2 den Ansatz zur Beruhigung der Lage?
 
Wie Seymour Hersh und Scott Ritter festhielten 3, wissen sowohl der Mossad als auch die  CIA definitiv, und das nicht zuletzt von den vom Mossad in das Urananreicherungsprogramm des Irans eingeschleusten Quellen, dass das Land kein Atomwaffenprogramm verfolgt. Bei einem Angriff, so die beiden Autoren, wird die Antwort des Irans hauptsächlich auf ökonomischem Gebiet erfolgen, insbesondere in der Unterbrechung resp. Zerstörung wichtiger Ölförderanlagen und Transportwege im mittleren Osten, was den Rohölpreis innerhalb von Tagen emporschnellen lassen würde. Es ist ja wohl nicht möglich, in einiger derartigen Konstellation auch nur den Hauch von Vernunft zu erkennen. Soll etwa der Drang, ölreiche Länder in die alleinige Hand des Westens zu zwingen, einen weiteren Krieg rechtfertigen? Im übrigen darf man durchaus davon ausgehen, dass das iranische Regime wohl keineswegs so einfältig sein würde, atomare Waffen, fänden sich solche in seinem Besitz, von sich aus einzusetzen, ohne dass das Land zuvor angegriffen worden wäre. Im übrigen hat der Iran als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags das Recht hat, Uran schwach anzureichern. Der Versuch, das Land unter ein diskriminierendes, nur für diesen einen Fall erlassenes Anreicherungsverbot zu stellen, entbehrt, wie iranische Politiker in den vergangenen Jahren nicht müde wurden zu argumentieren, jeglicher Rechtsgrundlage.
 
Unsere im eigentlichen für den Frieden dieser Welt verantwortlichen Politiker haben es fertiggebracht, grauenhafte Zustände zu schaffen, wozu nicht nur Guantánamo, sondern auch die Folterlager in Afghanistan sowie die in vielen anderen Ländern angewendete Folter zählen. Da das Wort global heute den alles abdeckenden Begriff darstellt, wären sie auch global in die Pflicht zu nehmen, um jeglichen weiteren Aggressionen auf Grund der diesen innewohnenden Sinnosigkeit abzuschwören, worauf wir ganz offensichtlich noch lange warten müssen.
 
Doris Auerbach   
  
 
1 http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1080  22. 11. 08
Irans Atomprogramm
2 http://www.arbeiterfotografie.com/iran/index-iran-0000.html 
3 Gespräch zwischen Seymour Hersh und Scott Ritter: http://informationclearinghouse.info/article15434.htm
3 http://www.jungewelt.de/2009/06-16/003.php  16. 6. 09
Verhandeln statt drohen - US-Senator Kerry fordert Obama zur Neuorientierung im Atomstreit auf: »Iran hat das Recht zur Urananreicherung« - Von Knut Mellenthin
Siehe auch http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1146
Zum Atomstreit mit dem Iran