Der Irak - »Eine düstere Festung« - Von Joachim Guilliard

Jahresrückblick 2009 - Die Lage bleibt katastrophal. Die US-Besatzer stecken mit ihren Plänen fest. Das Bemerkenswerteste im Irak im vergangenen Jahr war das,

was nicht geschah. Ausgeblieben ist der von Barack Obama im Präsidentschaftswahlkampf versprochene rasche Abzug seiner Besatzungstruppen wie auch der Zugriff US-amerikanischer Konzerne auf das irakische Öl. Washington steckt mit seinen Plänen im Irak fest und entgegen der großen Hoffnungen, die viele in den Amtsantritt des neuen Präsidenten setzten, hat sich die Irakpolitik seither kaum geändert. Sieht man von spektakulären Ereignissen ab - wie den Bombenanschlägen im Bagdader Regierungsviertel – so ist der Irak aus den Schlagzeilen verschwunden und in der Folge auch kein Thema mehr für die Friedensbewegung. Immer mehr setzt sich der Eindruck durch, das Zweistromland sei nun auf dem Weg zur Normalität. Nur durch sporadische Besuche mutiger, nicht »eingebetteter« westlicher Journalisten oder kritischer Publizisten wie Jürgen Todenhöfer erhält man noch schlaglichtartig Einblicke in die tatsächlichen Verhältnisse. Todenhöfer hatte sich im Sommer Bagdad angesehen und festgestellt, daß »aus der legendären Stadt der Märchen von ›1000 und einer Nacht‹« eine »düstere Festung, ein Hochsicherheitsgefängnis mit 1000 Betonmauern, 1000 Schießtürmen und 1000 schwerbewaffneten Checkpoints« geworden ist. Noch immer gibt es in der total militarisierten Hauptstadt pro Tag über zehn militärische Zwischenfälle: Angriffe irakischer Widerstandskämpfer auf US-Truppen, Gewalttaten diverser Milizen und Terrorgruppen, Operationen von Besatzungssoldaten. Viele Iraker sind sich allerdings sicher, daß bei Anschlägen, die unzählige Unbeteiligte töten oder gezielt ethnisch-religiösen Haß schüren, sowohl Regierungsparteien als auch Todesschwadronen, ausländische Geheimdienste und »Sicherheitsfirmen« ihre Hände im Spiel haben.
 
Neue Todesschwadronen
Premier Nuri Al-Maliki, der als Kompromißkandidat ohne größere Hausmacht ins Amt kam, hat im Laufe des Jahres seine Machtposition weiter ausgebaut, indem er sukzessive - an Kabinett und Parlament vorbei - Schlüsselpositionen in Regierung Verwaltung, Polizei und Militär mit Getreuen aus seiner Partei oder seinem Clan besetzte. Die US-Armee baute zudem eine Spezialeinheit auf, die Maliki direkt unterstellt wurde. Die von den »Green Berets« ausgebildeten 4500 Mann der »Iraq Special Operations Forces« (ISOF) operieren völlig verdeckt unter US-Aufsicht, aber ohne Kontrolle irakischer Institutionen. Die neuen Todesschwadronen gelten mittlerweile als stärkste und gefährlichste Truppe des Landes. Während auch in westlichen Medien immer öfter von der Entstehung eines »Polizeistaates« die Rede ist, wird die dominierende Rolle der Besatzer völlig ausgeblendet. Besatzung und Polizeistaat sind aber nur zwei Seiten einer Medaille.
 
Im Wahlkampf hatte Obama versprochen, die im Irak stationierten US-Truppen innerhalb von sechzehn Monaten abzuziehen - beginnend mit seinem Amtsantritt jeden Monat fünf- bis zehntausend Mann. Als er Ende Februar seine Pläne für den Irak vorstellte, war nur noch vom Abzug der »Kampftruppen« bis August 2010 die Rede. Der Rest, mehr als die Hälfte der etwa 130.000 Soldaten, sollte aber erst, wie von Amtsvorgänger Bush bereits im Stationierungsabkommen zugesichert, bis 2012 das Land verlassen. Der Rückzug soll jedoch, so Obama, »verantwortungsvoll« erfolgen, also letztlich in Abhängigkeit der politischen und militärischen Lage. Wirklich verläßlich bei seinen Ankündigungen war somit nur die definitive Verlängerung der Besatzung um drei Jahre. Die Lage im Land verhinderte bisher auch eine nennenswerte Senkung der Truppenstärke. Die Zahl der US-Soldaten im Irak liegt nur geringfügig unter dem Niveau von vor dem Anfang 2007 begonnenen Ausbau der Präsenz. Da ein guter Teil der abgezogenen Soldaten durch private Söldner ersetzt wurde, liegt die Gesamtzahl der bewaffneten Besatzungskräfte immer noch deutlich höher. Daran soll sich bis zu den für März vorgesehenen Parlamentswahlen und der Bildung einer neuen Regierung auch nichts ändern. Letzteres kann sich leicht bis in den Sommer hinziehen.
 
Der gefeierte Rückzug aus den Städten Ende Juni 2009 ist vielerorts ebenfalls nur Etikettenschwindel. Zehntausende von US-Soldaten führen nun als »Trainings- und Unterstützungstruppen« den Kampf gegen die Opposition fort. Offener Krieg herrscht insbesondere noch in den Nordprovinzen, rund um Mosul und Baquba, wo US-Truppen regelmäßig große Militäroperationen durchführen. »Mag sein, daß etwas bei der Übersetzung (des Stationierungsabkommens vom Herbst 2008) verlorenging«, erwiderte der Kommandeur der für Bagdad zuständigen US-Division den Kritikern des vertragswidrigen Vorgehens. Sie hätten auf keinen Fall vor, vollständig aus der Stadt zu verschwinden, und würden garantiert auch keine Einschränkungen ihrer Operationsfreiheit hinnehmen. Dies könnte von ihren Gegnern ausgenutzt werden und so ihre Sicherheit gefährden. Die kommandierenden US-Generäle hatten von Anfang an signalisiert, daß sie den Termin für den vollständigen Abzug aller US-Truppen keinesfalls für verbindlich halten. Mittlerweile hat auch Regierungschef Maliki laut über eine Verlängerung der US-Präsenz über 2011 hinaus nachgedacht. Er weiß, daß sich seine Regierung ohne Truppen des Pentagons nicht lange halten könnte.
 
Obama möchte die Truppenzahl durchaus deutlich verringern - die Rede war mehrfach von 30000 bis 50000 - und so den Eindruck von Besatzung verringern, die immensen Kosten reduzieren und nicht zuletzt Kräfte für Afghanistan freimachen. Doch noch sitzen die verbündeten irakischen Kräfte nicht fest im Sattel, noch sind die wesentlichen Ziele nicht erreicht. Aufgrund des breiten Widerstands in der Bevölkerung, dem auch Maliki Rechnung tragen muß, sind die meisten Maßnahmen und Projekte blockiert, darunter auch das neue Ölgesetz, das eine Privatisierung der Ölproduktion ermöglichen würde. Big Oil enttäuscht: Zwar wurden im Dezember eine Reihe von Verträgen mit ausländischen Ölfirmen abgeschlossen. Diese sind aber weit von dem entfernt, was sich »Big Oil«, also die westlichen Öl-Multis, erhoffen und für das die Bush-Regierung den Krieg begann. Es handelt sich um reine Dienstleistungsverträge mit dem Ziel, die Fördermengen von Ölfeldern drastisch zu steigern. Die Auftragnehmer bekommen als Entgelt nur einen festen Betrag zwischen 1,20 und zwei US-$ für jedes zusätzlich geförderte Barrel Öl. Bei Laufzeiten von 20 Jahren sind dabei zwar durchaus zweistellige Milliardenverträge zu verdienen. Sie erhalten aber nach wie vor weder Anteile am geförderten Öl noch die operative Kontrolle über die Quellen. Von den großen US-Konzernen kam allein Exxon Mobil zum Zuge, ansonsten dominieren asiatische Firmen, allen voran die staatliche chinesische National Petroleum Corporation CNPC.
 
Noch sind die Verträge nicht unter Dach und Fach. Im Parlament, das gemäß dem geltenden Gesetz alle Verträge mit ausländischen Firmen billigen muß, regt sich Widerstand, und mehr noch in der staatlichen Ölindustrie, vom Management bis zu den Gewerkschaften. Niemand weiß, wie es nach den Parlamentswahlen im Irak weitergehen wird. Neue Regierungen könnten die auf wackliger Rechtsgrundlage geschlossenen Verträge jeder Zeit annullieren. Vor allem für die westlichen Konzerne gibt es dagegen nur eine Garantie: die Präsenz der US-amerikanischen Truppen. Wohlgemerkt: eine Garantie bei Vertragslaufzeiten von 20 Jahren.
 
 
http://www.jungewelt.de/2010/01-04/022.php  4. 1. 2010