Jemen: »Sie wollen auf unser Gebiet«

Wie bekannt, führt die jemenitische Regierung gegen die aufständische Houthi-Bewegung im Nordwesten des Landes, an der Grenze zu Saudi-Arabien, Krieg und wird dabei vom saudischen Militär unterstützt.

Hierzu erklärt Yavuz Özoguz, daß im »Jemen eine Gruppe von Schiiten gegen das Unrecht, gegen die Unterdrückung, gegen die Dominanz von korrupten Herrschern aufgestanden ist. Sie sind in der nahenden Zeit des Monats Muharram in Gedenken an Imam Husain aufgestanden, der jegliche Gewaltherrschaft abgelehnt und sich auch dagegen auflehnte. Saudi-Arabien verfügt selbst über eine nicht unerhebliche schiitische Bevölkerung. Die Saudischen Könige haben Angst. Während die Prinzen sich gegenseitig zu ermorden suchen, versucht die USA die Machtkämpfe im Königshaus zu vertuschen und bombardiert die Gefahr vom Nachbarland!« 1 
 
Karin Leukefeld von der jungen Welt führte das nachfolgende Gespräch mit Mohammed Abdulsalam, dem Sprecher der Houthi-Bewegung im Jemen.
 
Die jemenitische Regierung führt im Nordwesten des Landes [seit Anfang August 2009] Krieg gegen die Houthis. Wer sind die »Houthis«. Sind Sie ein Stamm, ein Zusammenschluß von Stämmen oder eine Partei?
Die Houthis repräsentieren einen großen Teil des jemenitischen Volkes. Wir sind kein bestimmter Stamm, sondern setzen uns aus Mitgliedern aller Stämme des Landes zusammen. Die Houthis haben eine besondere islamische Geschichte, die von allen muslimischen Glaubensrichtungen wegen ihrer Gerechtigkeit und Ehrlichkeit anerkannt wird. Aus unserer Nation gingen viele Gelehrte und Denker hervor. Wir respektieren religiöse Unterschiede, lehnen aber die Spaltung zwischen den muslimischen Gemeinschaften ab. Unserer Ansicht nach sollten sich die Muslime wiedervereinen und damit dem Koran als Buch Gottes folgen. Was die Frage zur Partei betrifft: Nach der Wiedervereinigung des Jemens 1990 haben wir die Al-Haq-Partei gegründet, doch das Regime hat uns ausgegrenzt. Es hat unsere Mitglieder ermordet und uns die einfachsten Rechte vorenthalten. Kürzlich wurde die Al-Haq-Partei aufgelöst.
 
Warum haben Sie gegen die jemenitische Regierung zu den Waffen gegriffen?
Diejenigen, die gegen uns Krieg führen und uns ausgrenzen, wissen genau, daß wir uns nur verteidigen. Sie wissen auch, daß sie Krieg gegen unsere friedlichen und kulturellen Anliegen führen. Denn in erster Linie sind wir eine kulturelle Bewegung. Tatsache ist, daß wir den Krieg nicht begonnen haben. Es war die Regierung, die voller Hochmut in unsere Häuser und Dörfer eindrang und uns mit Gewalt zwingen wollte, unsere Kultur und unsere Überzeugungen aufzugeben. Inzwischen hat es sechs brutale Kriege gegen uns gegeben.
 
Was fordern Sie angesichts ihrer Unterdrückung von der jemenitischen Regierung?
Bis zum ersten Krieg gegen uns hatten wir keine Forderungen an den Staat. Das hat sich inzwischen geändert. Vier Ziele sind für uns zentral. Erstens muß ein Waffenstillstand in Kraft treten, der garantiert, daß alle vertriebenen Personen in Sicherheit in ihre Häuser und Dörfer zurückkehren können. Zweitens müssen alle Kriegsgefangenen sofort freigelassen werden. Drittens fordern wir Reparationszahlungen für die erlittenen Kriegsschäden. Schließlich muß die Regierung zusichern, daß die Situation in der Provinz Sa’ada und anderen Gebieten wieder so wird, wie sie vor Kriegsbeginn im Jahr 2004 war. Das beinhaltet einen Rückzug der Armee aus den Dörfern, eine Auflösung ihrer Militäranlagen und ein Ende der entstandene Militarisierung des zivilen Lebens. Das bedeutet aber auch, daß man uns mit grundlegenden Basisdiensten versorgt und uns fair und gleichberechtigt mit anderen Regionen in der Republik Jemen behandelt. Die regionale Diskriminierung muß ein Ende haben.
 
2007 vermittelte das Emirat Katar einen Waffenstillstand, warum hat dieser nicht gehalten?
Das Regime hat die Doha-Vereinbarung gebrochen. Das hat der Präsident selber zugegeben, als er sagte, das Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen, sei ein Fehler gewesen. Ein anderer Grund war die ausländische Einmischung, insbesondere die von Saudi-Arabien, das eine Rolle Katars im Jemen grundsätzlich ablehnt. Das liegt an politischen Spannungen zwischen den beiden Staaten.
 
Trotz aller Dementis hat die saudische Armee zugunsten der jemenitischen Armee in die Kämpfe eingegriffen. Wann fing das an, und warum machen die Saudis das?
Das saudische Regime hat erstmals 2007 offen in den Krieg gegen uns eingegriffen. Dem jemenitischen Regime war es gelungen, Saudi-Arabien einzuschüchtern und es zu erpressen. Der Jemen sagt, daß wir ein Ableger internationaler Akteure, insbesondere vom Iran und von der (libanesischen) Hisbollah sind. Und es ist bekannt, daß die Saudis mit beiden Probleme haben. Unglücklicherweise ist das saudische Regime auf diese falschen Anschuldigungen gegen uns hereingefallen. Doch keines der Regimes legte irgendeinen Beweis für diese Anschuldigungen vor. Jetzt, in diesem aktuellen sechsten Krieg gegen uns, hat sich die Lage verschlechtert; und das saudische Regime hat sich aus politischen Gründen direkt in die Kämpfe eingemischt. Es hat jemenitische Dörfer mit Kampfjets angegriffen und versucht, auf dieses Gebiet vorzurücken. Alles mit der falschen Anschuldigung, wir hätten saudisches Territorium infiltriert.
 
Westliche Medien sprechen von einen »Stellvertreterkrieg«, den der Iran gegen Saudi-Arabien und gegen den Jemen führt. Außerdem heißt es, Teheran benutze die Houthis, um von Teheran bis zum Libanon ein »Schiitisches Reich« zu schaffen. Was sagen Sie dazu?
Unsere kulturellen Prinzipien schließen aus, daß wir ein Anhängsel für irgendeine andere Partei sind, egal ob es der Iran oder eine andere Macht der Welt ist. Tatsache ist, daß Teheran das jemenitische Regime unterstützt, sie haben enge diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. Außerdem fließt eine Menge Geld.
 
Hinzu kommt, daß die  Glaubensgemeinschaft der Zwölfer Shia im Jemen mehr Freiheiten genießt als wir. Die Zwölfer Shia ist die schiitische Lehre im Iran. Dieses Gerede über eine iranische Einmischung dient lediglich dazu, Saudi-Arabien zu erpressen: die Saudis sollen das mittellose und fragile jemenitische Regime unterstützen. Wir sind nicht so dumm, daß wir unsere Kinder, Frauen und unser eigenes Blut opfern, unsere Häuser, Dörfer und Moscheen zerstören lassen und überhaupt unser ganzes Leben blockieren, nur um die politische Position irgendeines Staates zu vertreten. Diese Darstellung ist unwahr, kein rational denkender Mensch kann so etwas akzeptieren.
 
Westliche Beobachter sehen im Jemen einen »gescheiterten Staat«. Was bedeutet so eine Bewertung aus Sicht Ihrer Bewegung?
Der Jemen ist nicht nur ein gescheiterter Staat, man kann den Jemen gar nicht als Staat bezeichnen. Das Regime hat dem Land nie eine wirkliche Entwicklung ermöglicht. Die hohe Arbeitslosigkeit, die Armut, der geringe Bildungsstand und der Rassismus sind für jeden Besucher sichtbar. Es gibt eine kleine Gruppe von Superreichen, der Rest lebt von dem, was er auf der Straße findet. Die Mitglieder des Regimes haben gut gefüllte Bankkonten in Europa und anderen Teilen der Welt, während die einfachen Leute sich glücklich schätzen können, wenn sie ein Stück Brot finden. Die internationale Hilfe, die Jemen erhält, wäre mehr als genug, um das Land und seiner Bevölkerung Unabhängigkeit und Sicherheit zu geben. Doch die Vorraussetzung dafür wäre jedoch die Existenz eines funktionierender Staates, der verantwortlich handelt.
 
Im Juni wurde eine deutsche Familie in der Provinz Sa’ada entführt und ist seitdem verschwunden. Haben Sie Informationen über deren Situation?
Was mit der deutschen Familie geschehen ist, tut uns sehr leid. Dieses Verbrechen verstößt gegen unsere Werte, gegen unsere Moral und gegen unsere Bräuche. Diese Familie war Teil unserer Gesellschaft. Man respektierte sie und war dankbar für ihre Arbeit im Jemen allgemein und insbesondere in Sa’ada. Wir haben keine genauen Informationen über das Verbrechen, weil es in einer Gegend geschah, zu der wir keinen Zugang haben – und zwar in der Nähe des Gebäudes der Sicherheitsbehörden mitten in Sa’ada-Stadt. Es ist auf allen Seiten von Sicherheitskräften der Polizei und der Armee umgeben. Wie dem auch sei, wir versuchen weiterhin auf jede nur erdenkliche Weise, etwas über ihre Situation und ihren Aufenthaltsort zu erfahren. Es ist unsere Pflicht, die Verbrecher zu finden und Einzelheiten über das zu erfahren, was geschehen ist.
 
Anmerkung d.a. Wie Leukefeld letzten November ausführte, »werden die Houthis von der jemenitischen Armee seit drei Monaten in der Operation Verbrannte Erde angegriffen.« 2  Die Brutalität des Namens für diesen Kriegszug spricht für sich, zumal gerade im Jemen extremer Wassermangel herrscht. »Die Nachrichtenagentur AFP berichtete damals aus dem Grenzgebiet von saudischer Seite, daß die Region seit Tagen von saudischen F-15 und Tornadokampfjets überflogen und bombardiert werde. Artillerie und Raketenwerfer seien in Stellung gebracht, Militärcamps aufgeschlagen, die Straße zur jemenitischen Grenze werde vom Militär kontrolliert.« Wie man das praktisch in jedem Kriegsgebiet konstatieren kann, ist die UNO zwar präsent, indem sie mit anderen Hilfsorganisationen zusammen Lager zur Aufnahme der Flüchtenden errichtet, demonstriert jedoch gleichzeitig ihre bekannte Machtlosigkeit, die darin besteht, daß sie den Krieg weder anhalten noch verhindern kann. Nur im Oktroyieren von Gesetzen, vorzugsweise für die Europäer, sowie im Erheischen von finanziellen Mitteln ist sie gross, zwei Gebiete, auf denen ihr niemand entgegentritt. Um die Aussicht, diesen zusätzlichen Kampf gegen den Terror zum Stillstand zu bringen, steht es schlecht, was die Rüstungsbranche aller Länder von Herzen freuen dürfte. Denn, so der der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh bei einer Rede für seine gefallenen Soldaten: »Wir werden sie kriegen, diese Verräter, diese Ungläubigen.« Es werde »keine Versöhnung, keinen Waffenstillstand und kein Einlenken geben, bis wir das Ende dieser kleinen Gruppe von Abweichlern sehen.« Das kann er offenbar ohne Schwierigkeiten zu Gehör bringen, hat ihm doch eine von dem republikanischen Senator John McCain geführte US-Delegation Mitte August letzten Jahres zugesichert, daß der Jemen im »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« ein wichtiger Partner (!) bleibe und weiter unterstützt werde.   
 
 
Quelle des Interviews: http://www.jungewelt.de/2009/12-22/045.php
1 http://www.muslim-markt.de/forum/messages/1415.htm  Yavuz Özoguz - Deutschland braucht Revolutionäre der Wahrheit 28. 12. 09
2 http://www.jungewelt.de/2009/11-10/034.php
Verbrannte Erde - Saudi-Arabien greift auf Seiten Jemens in Kampf gegen Houthi-Milizen ein - Von Karin Leukefeld