Europas Zockerbremse

d.a. Wie die »Welt« am 20. Mai schrieb, wird das gegenwärtige Dilemma auch noch als grosse Bewährungsprobe Europas betrachtet. Es steht ausser Frage

dass es jeder von uns vorzöge, sich auf eine gänzlich andere Weise zu bewähren. »Scheitert der Euro«, so Frau Merkel, »dann scheitert Europa.« In ihrer Erklärung verknüpfte sie das Schicksal der Gemeinschaftswährung mit Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent. Den Wohlstand hätte sie sich, wäre sie bereit gewesen, der Ehrlichkeit den Vortritt zu lassen, durchaus ersparen können, da dieser, ob in der EU oder der USA, im Begriff steht, von den Schulden erdrosselt zu werden. Inzwischen hat die Regierung der BRD bekanntlich zur Attacke auf die Spekulanten geblasen. Wie es heisst, verbietet die deutsche Finanzaufsicht Bafin ungedeckte Leerverkäufe mehrerer Aktien deutscher Finanzunternehmen und europäischer Schuldtitel. Ausserdem untersagt sie den Handel mit Kreditderivaten (Credit Default Swaps, CDS) auf Staaten der Euro-Zone, die nicht gedeckt sind. Gemeint ist dabei: Ab sofort darf kein CDS-Staaten-Papier gekauft werden, wenn der jeweilige Investor damit nicht Staatsanleihen oder andere Wertpapiere absichert. Hierzu meinte Greg Gibbs von der Royal Bank of Scotland: »Es ist schockierend, daß die deutsche Regierung nach einem 750 Mrd. Euro großen Rettungspaket und Nothilfen der Europäischen Zentralbank glaubt, daß solch ein Verbot noch vonnöten ist«, während die Währungsstrategen der Commerzbank dies als eine Verzweiflungstat betrachten 1. Daneben steht die Einführung einer europaweiten Finanzsteuer zur Debatte.
 
»Hedgefonds-Bremse, Finanzsteuer, Verbot von Leerverkäufen: Europas Anti-Zocker-Kreuzzug erzürnt die Finanzprofis. Die ersten Firmen drohen mit dem Exodus aus Europa - und Lobbyisten klopfen das Regelwerk systematisch nach Schwächen ab, um einzelne Beschränkungen noch zu kippen 2. Am Tag nach Europas Anti-Zocker-Rundumschlag formierten sich Londons Finanzprofis zum Gegenangriff. Manche begegneten dem neu verfassten Regelwerk mit Geringschätzung - andere versuchten, mit Schreckensszenarien gegen die geplanten Beschränkungen Stimmung zu machen. »Wir sind sehr enttäuscht von den Brüsseler Vorschlägen«, sagt Andrew Shrimpton, Partner bei der führenden Londoner Hedgefondsberatung Kinetic Partners. Sollten die Regeln tatsächlich umgesetzt werden, würde die Branche massiv schrumpfen. Die EU-Finanzminister stimmten wie der Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments für eine schärfere Regulierung von Hedgefonds und Private-Equity-Firmen. Über die Bedenken der britischen Regierung setzten sie sich dabei hinweg.
 
Vor allem die geplante Hedgefonds-Bremse provoziert Kritik in Europas Finanzmekka London. Man ist verstimmt, weil 80 % der europäischen Hedgefonds in Grossbritannien sitzen - und verweist darauf, dass es sich die Deutschen auch verbitten würden, dass Brüssel ihre Autoindustrie schrumpft. Auch das Verbot ungedeckter Leerverkäufe stiess auf Missbilligung: Es sei ein unüberlegter Reflex der Bundesregierung, sagt Manoj Ladwa von der Internet-Trading-Plattform ETX Capital. Angela Merkel gießt nur Öl ins Feuer. Die Sorge um den Euro wird noch angeheizt. Die Finanzprofis drohten Europa mit möglichen Konsequenzen: Die Hälfte der Hedgefonds in Grossbritannien seien Ableger von US-Firmen, sagt Shrimpton. »Es ist wirklich eine angloamerikanische Industrie« (!). Die US-Manager würden sich nun überlegen, ob das Londoner Büro den Preis noch wert sei. Auch Ladwa behauptet, die Finanzplätze in Frankfurt und London seien gefährdet, wenn die EU zu einseitig reguliere. »Die Schweiz wartet mit offenen Armen«, sagt er. Die Gefahr sei real, er kenne Leute, die bereits ihren Unternehmenssitz verlegt hätten.
 
Die Drohung ist altbekannt. Sie gehört zum Standardrepertoire der Händler und Fondsmanager und ertönt immer dann, wenn höhere Steuern oder schärfere Regelwerke diskutiert werden. Das letzte Mal drohten Londons Finanzprofis im Dezember 2009 mit dem grossen Exodus - nachdem Gordon Browns Regierung beschlossen hatte, eine 50-Prozent-Sondersteuer auf die Bonus-Pools der Banken zu erheben. Passiert ist seinerzeit wenig. Die meisten blieben. Das dürfte daran liegen, dass andere Kriterien bei der Standortentscheidung viel wichtiger sind. Einer Umfrage der Büroimmobilien-Firma Cushman and Wakefield zufolge nennen Fondsmanager die Nähe zu internationalen Flughäfen, die lokale Business-Infrastruktur und Zugang zu gut ausgebildeten Fachkräften als Top-Prioritäten. In all diesen Punkten schlägt die globale Finanzmetropole London Städte wie Genf um Längen. Zwar eröffnen einige Institute Standorte in der Schweiz und anderen Ländern, doch viele verfahren so wie der Hedgefonds Blue Crest Capital: Der hat kürzlich eine Filiale mit 50 Mitarbeitern in Genf eröffnet, die Zentrale jedoch bleibt mit 300 Mitarbeitern in London.
 
Anmerkung: Es wird sich herausstellen, wer in der Folge letztendlich regieren wird: Die Finanzwirtschaft oder die Politiker.
 
Quellen:
1http://www.ftd.de/finanzen/derivate/:verteidigung-der-euro-zone-das-grosse-raetselraten-um-das-deutsche-cds-verbot/50116477.html     20. 5. 10  Das große Rätselraten um das deutsche CDS-Verbot  - auszugsweise  
2http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,695743,00.html   19. 5. 10  Europas Zockerbremse - Finanz-Lobbyisten rüsten zum Gegenschlag - Von Michael Kröger und Carsten Volkery, London - auszugsweise