Nachtrag zum Abgang von Horst Köhler

Der CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler hatte anlässlich des Rücktritts des Vorgängers von Wulff

den folgenden offenen Brief an Horst Köhler gerichtet: Erklären Sie sich!
 
Sehr geehrter Herr Bundespräsident a. D. Köhler,

ganz Deutschland rätselt über die wahren Gründe Ihres Rücktritts. Ihre letzten Worte im Amt galten der Ehre, die Ihnen der Dienst des Staatsoberhauptes war. Ihrem Amt - so sagten Sie uns - sei der notwendige Respekt versagt worden. Wer hat das durch welche Handlung getan? Das Volk hat Anspruch darauf, dass Sie sich klar äußern. Die Erklärung Ihres Rücktritts sollte doch ein Zeichen für uns alle sein. Dies war von der Absicht her sehr tapfer, und die Tapferkeit im Scheitern kostet ja besonders viel Kraft. Aber die Botschaft des Tapferen muss verstanden werden. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten - aber auch der rangniedrigste Beamte müßte ein so ungewöhnliches Handeln in seiner Sphäre auf Dienstpflicht erklären. Weil sein Handeln nicht nur ihn persönlich, sondern die Allgemeinheit angeht. Der Präsidialdienst für 80 Millionen Menschen ist keine Wegwerfware. Es muß  für die plötzliche Weggabe dieser größtmöglichen Ehre, die das Land zu vergeben hat, schwerstwiegende Gründe geben. Wenn es die kritischen Artikel nach Ihrem Radiointerview über die Bundeswehr waren, müssen Sie es sagen. Das glaubt bisher nämlich niemand. Weil allgemein bekannt ist, dass Sie in Ihrem Leben schon ganz andere Drucksituationen aushalten mußten und bestanden haben. Von der guten Presse, die Sie über die Jahre ja auch hatten, ganz abgesehen.
 
Zum Rücktritt haben Sie sich in engem zeitlichem Zusammenhang mit Ihrer Unterschrift unter das sogenannte Euro-Schutzgesetz entschlossen. Dieses extrem weitreichende Gesetz - das Bürgschaftsermächtigungen für die Regierung in 3stelliger Milliardenhöhe enthält - wurde in ungewöhnlich kurzer Zeit, in wenigen Stunden, im Bundespräsidialamt geprüft und unterschrieben. Die Bundesregierung teilt mir auf meine Anfrage schriftlich mit, sie habe das Gesetz zur Euro-Stabilisierung am Nachmittag des 21. Mai 2010 nach Beendigung der Sitzung des Bundesrats dem Bundespräsidenten übermittelt. Sie wissen, daß zu diesem Zeitpunkt bereits meine Klage gegen dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht vorlag. Tatsächlich waren Sie zu dieser Zeit noch auf dem Rückweg von Ihrem Truppenbesuch in Afghanistan, von dem Sie erst kurz vor Mitternacht zurückkehrten und das Gesetz noch nicht persönlich in Augenschein nehmen konnten. Gleichwohl berichteten die Agenturen noch vor Ihrer Rückkehr, daß Sie am Samstag, den 22. Mai 2010, das Gesetz unterschreiben wollten. Ebenfalls am 21. 5. 10 - noch vor Ihrer Rückkehr und vor Beginn der Prüfung des Gesetzes zur Euro-Stabilisierung - verschickte die Presseabteilung des Bundespräsidialamtes versehentlich eine bereits fertiggestellte Pressemitteilung, wonach Sie das Gesetz schon ausgefertigt und den Verkündungsauftrag erteilt hätten. Am nächsten Tag, dem Samstag, 22. Mai 2010, eilten Sie ins Amt, um das Gesetz zu unterzeichnen und den Auftrag zur Verkündung im Bundesgesetzblatt zu erteilen. Dort wurde es dann - entgegen dem üblichen Ablauf - nicht am nächsten Werktag, sondern bereits am gleichen Samstag veröffentlicht.
 
Ist es wirklich wahr, daß Sie keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Prozedur hatten? Haben Sie aus freien Stücken in so ungewöhnlicher Eile das Gesetz unterschrieben und ausfertigen lassen? Das wäre völlig unverständlich, und auch das müßten Sie jetzt als freier Mann Ihrem Volk erklären; schließlich kann diese Unterschrift unser Land die Summe der Lohn- und Einkommensteuereinnahmen eines Jahres kosten. Wenn Druck ausgeübt wurde - was die Bundesregierung bestreitet - warum haben Sie sich das gefallen lassen? Ist es nicht so, daß sich die gesamte Propaganda der Bundesregierung zur gemeinsamen Währung seit 1991 - der Euro wird so stabil wie die D-Mark - auf diese von Ihnen als früherem Ministerialdirektor und dann beamtetem Staatssekretär ausgearbeiteten und verantworteten Bestimmungen stützt? Die Stabilitätsgesetze mit den Maastricht-Kriterien, dem Bailout-Verbot, dem Verbot der Staatsfinanzierung, den Vorschriften über die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und deren Direktoriums - alles, was jetzt in kurzer Folge verletzt und missachtet wird - waren doch Ihre Gesetze!  Der Bundespräsident ist auch der staatliche Hüter der Verfassung. Konnten Sie eine solche Aushöhlung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wirklich zwischen Freitagnacht und Samstagmorgen auf ihre Unbedenklichkeit hin ausreichend prüfen, wie es das Grundgesetz verlangt? Trifft es wirklich zu, daß sogar erwogen wurde, die Gesetzesurkunde zu Ihnen an den Flughafen zu bringen, um Sie gleich dort unterschreiben zu lassen? Die Deutschen haben mehr Respekt vor dem Amt des Staatsoberhauptes, als viele in Berlin vermuten. Aber wir alle sind es diesem Respekt schuldig, die Vorgänge mit Ihrer Hilfe aufzuklären. Deshalb bitte ich Sie, sich darüber zu erklären. Wer A sagt, muß auch B sagen.
 
Eine Antwort hierauf ist bislang offenbar ausgeblieben. Desgleichen auf die Frage, wie eine nicht mehr tilgbare Schuldenlast eine Währungsstabilisierung herbeiführen soll. Die von Gauweiler öffentlich gemachten Umstände der Unterzeichnung, die sozusagen zwischen Tür und Angel erfolgte. sind schwerwiegende Umstände. Unter Juristen ist umstritten, ob der Bundespräsident neben einem Prüfungsrecht für das verfassungsmäßige Zustandekommen von Gesetzen auch eine Prüfungspflicht hat, die in diesem Fall bei Zutreffen der von Gauweiler ins Spiel gebrachten Umstände dann möglicherweise verletzt worden wäre. Eines dürfte indessen ganz sicher sein: Was oder wer Köhler letztlich zum Rücktritt bewogen hat, werden wir nie erfahren. 
 
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-71029975.html   Nr. 25 vom 21. 6. 2010
Von Gauweiler, Peter - Ein offener Brief des an den Bundespräsidenten a. D. Horst Köhler