Irak - Truppenabzug

d.a. Der aussenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Wolfgang Gehrcke, erklärte

am 1. 9. zur Rede des US-Präsidenten: »Auch Obama lügt zum Irak-Krieg. Mit Lügen hat die USA den Krieg gegen den Irak begonnen. Genauso verlogen ist die Erklärung von Barack Obama, dieser Krieg sei nun vorbei. Das Ende des Irak-Krieges hat die USA gleich zweimal erklärt: Präsident Bush 2003 auf einem Flugzeugträger »Mission erfüllt« und sein Nachfolger 2010 mit dem Abzug der Kampftruppen, der kein wirklicher Abzug ist. Immerhin verbleiben 50.000 US-Soldaten im Irak. Die damalige Außenministerin der Bush-Administration, Condoleezza Rice, sah im Irak-Krieg die Möglichkeit für eine Neuordnung des Nahen Ostens. Die Neuordnung läßt erschaudern: Hunderttausende von Toten, Millionen von Flüchtlingen, wirtschaftliche Zerrüttung und Zerstörung des Landes. Eine gierige Meute balgt sich heute um das Öl und die Naturschätze des Iraks. Die USA ist schuldig an Kriegsverbrechen. Die Verbündeten der USA, die dem Kurs von Präsident Bush Hilfe geleistet haben, haben sich mitschuldig gemacht. Auch unser Land ist mitschuldig geworden. Bis heute steht ein selbstkritisches Wort der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die deutsche Soldaten in den Irak schicken wollte, aus.« Der Abzug markiere, wie es heisst, ein Ende des Krieges nach siebeneinhalb Jahren. Die verbleibenden Soldaten sollen nun irakische Sicherheitskräfte ausbilden und bei der Terrorbekämpfung helfen. Daneben bleiben jedoch im Irak weiterhin private Söldnerfirmen im Auftrag des Pentagons aktiv, was für jedwede Art von Widerstand nichts Gutes verheissen kann. Zwar erklärte der US-Präsident, dass bis Ende kommenden Jahres alle Truppen Washingtons den Irak verlassen haben sollen, doch  stellte Verteidigungsminister Robert Gates bei seinem Besuch im Irak das Abzugsdatum in Frage. Eine Bitte um »Verlängerung des Mandats« müsste allerdings von der irakischen Regierung kommen und würde dann »selbstverständlich geprüft« werden, meinte er am 1. 9. 10. Jetzt gehe es allerdings zunächst darum, eine Regierung zu bilden. »Frühestens dann« könne über die Frage nachgedacht werden. Weit mehr als eine Billion Dollar hat der Krieg die amerikanischen Steuerzahler bisher gekostet. Viele sagen, es könnten unter Einschluss der Veteranenbetreuung sogar 3 Billionen sein, bis das amerikanische Engagement im Irak wirklich zu Ende ist. Wenigstens enthielt Obamas Rede an die Nation die Botschaft, »künftig mehr Augenmerk auf unseren Erfolg zu Hause und weniger auf die Förderung von Freiheit und Menschenwürde im Ausland zu legen.« Obama sprach sich in seiner Rede aber auch für die Beendigung der amerikanischen Abhängigkeit vom ausländischen Erdöl aus, womit er deutlich machte, dass der kriegerische Zugriff auf das Irakische schwarze Gold misslungen ist.
 
Im nachfolgenden veröffentlichen wir einen der Neuen Rheinischen Zeitung entnommenen Artikel:
 
Am Anfang stand die Lüge - Von Wolfgang Effenberger       
»USA beenden Kriegseinsatz im Irak«, springt die Titelseite der Süddeutschen Zeitung dem Betrachter ins Auge. Im Bildtext findet die frohe Botschaft noch ihre Ergänzung: »Im Irak verbleiben nun noch etwa 50.000 US-Soldaten, die jedoch vor allem die irakische Armee ausbilden und beraten, nicht mehr selbst kämpfen sollen.« 1 Diese Aussagen sind es wert, überprüft zu werden. Im Wahlkampf hatte Barack Obama versprochen, jeden Monat eine Brigade abzuziehen und somit den unpopulären Krieg im Irak binnen 16 Monaten zu beenden. Ende Februar 2010 verkündete er als US-Präsident bei seiner Ankunft auf dem Militärstützpunkt Camp Lejeune vor Soldaten und Offizieren: »Laßt es mich so klar sagen, wie ich kann: Mit dem 31. August 2010 wird unser Kampfauftrag im Irak enden«. Mit dem Abzug der Kampftruppen in den kommenden 18 Monaten trete der Irak-Einsatz in eine neue Phase. Das verbleibende Kontingent solle sich dabei auf drei Aufgaben konzentrieren: Sie sollen den Aufbau der irakischen Streitkräfte unterstützen, die zivilen und militärischen Anstrengungen der USA im Irak schützen und gezielte Anti-Terror-Missionen ausführen. Wie kann man bei militärischen Operationen zwischen Kampfauftrag und gezielten Spezialeinsätzen gegen Terroristen unterscheiden? In beiden Fällen sind Soldaten an den Operationen beteiligt, in beiden Fällen wird militärisches Gerät eingesetzt und in beiden Fällen werden Menschen getötet. Und in beiden Fällen wurde und wird das humanitäre Völkerrecht ausgehebelt. Die Differenzierung entlarvt sich somit als blanker Zynismus!
 
Die Pläne Obamas waren bereits im Vorhinein auf scharfe Kritik in den eigenen Reihen gestoßen. Führende demokratische Abgeordnete monierten, daß die Zahl bis zu 50.000 vorerst im Irak verbleibender US-Soldaten zu hoch sei. Auch Nancy Pelosi, die Präsidentin des Repräsentantenhauses, kritisierte die hohe Zahl der nach August 2010 im Irak verbleibenden US-Soldaten: »Ich weiß nicht, was die Rechtfertigung für 50.000 Soldaten im Irak ist«, sagte die Demokratin dem Sender MSNBC. »Ich denke, ein Drittel davon würde reichen.« 2 Der amtierende US-Präsident und Friedensnobelpreisträger verkündete am 2. August 2010 vor den Veteranen in Atlanta das Ende des amerikanischen Kampfeinsatzes im Irak zum 31. August. »Als Präsidentschaftskandidat habe ich versichert, den Krieg im Irak auf verantwortliche Weise zu beenden.« Nun sei es soweit. In der Begründung verstieg sich Obama zu der Aussage: »Die Gewalt im Irak ist auf dem niedrigsten Niveau seit Jahren.« Während die irakische Regierung vom Juli 2010 als blutigstem Monat seit 2 Jahren spricht und 535 Tote beklagt, reduziert das Weiße Haus die Opfer auf nur 222. 3
  
Pünktlich vor den Kongreßwahlen im November will Obama vermutlich zeigen, daß er die Macht hat, den unliebsamen Krieg im Irak zu beenden und scheint damit den Nerv der Bevölkerung zu treffen: 55 % der befragten Amerikaner seien der Meinung, der Krieg habe sich nicht gelohnt. Ähnliche Umfrageergebnisse dürften nach den zuletzt von der Internetplattform Wikileaks enthüllten Geheimdokumenten über Afghanistan zu erwarten sein. Doch von einem Ende der dortigen Mission mochte Obama in Atlanta nicht reden, sprach aber immerhin von Fortschritten trotz gewaltiger Herausforderungen. Ein Sprecher des Weißen Hauses fügte hinzu, es sei wichtig, »sich auf den echten Erfolg zu konzentrieren, den die Iraker beim Aufbau der Demokratie haben«. Daß sich kurdische, schiitische und sunnitische Gruppierungen im Lande seit der Parlamentswahl vor fünf Monaten bislang nicht auf eine Regierung einigen konnten, wurde dabei ausgeblendet. 
  
Zwölf Tage vor dem angekündigten Abzugstermin überschritt in der Nacht auf den 19. August 2010 eine mit Stryker-Radpanzern ausgerüstete Brigade der 2. Infanteriedivision die Grenze nach Kuwait. Während damit die Operation Irakische Freiheit endete, wurde die Operation Neue Morgendämmerung eingeläutet. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Philip Crowley, bezeichnete den Abzug als historischen Moment. Das langfristige US-Engagement im Irak ende damit jedoch nicht. „Wir beenden den Krieg (...), aber wir beenden nicht unsere Arbeit im Irak“(4), betonte Crowley. Dafür wird wohl die Anzahl der Söldner verdoppelt werden müssen. Die Sicherheitsleute sollen die Lücken füllen, die durch den stufenweisen Abzug der US-Truppen aus dem Irak entstehen. Darüber ließ sich US-Außenministeriums-Sprecher Crowley jedoch nicht aus. Für den demokratischen Kongreßabgeordneten Dennis Kucinich aus Ohio würde nur der Gesamtabzug der US-Truppen ein Ende der Kampfhandlungen bedeuten und er fragt: »Wer ist heute für unsere Operationen im Irak verantwortlich? George Orwell?« 5 Dieser Krieg basierte auf Lügen und beruht weiter auf Lügen.
  
An dieser Stelle muß an ein Wortlaut-Interview der Süddeutschen Zeitung vom 12. August 2006 mit dem eben pensionierten langjährigen deutschen UN-Botschafter Gunter Pleuger erinnert werden. Auf die Frage »Gab es während der Irak-Krise einen Moment im Sicherheitsrat, den Sie nie vergessen werden?« antwortete Pleuger: »Ja, der 5. Februar 2003, als US-Außenminister Colin Powell mit einer Diashow belegen wollte, daß der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Es war gespenstisch. Jeder im Saal wußte, daß seine Fakten falsch waren.« Weitere zwei Jahre später warf Pleuger den USA ein beispielloses Falschspiel bei der Vorbereitung des Krieges vor. Die USA hätten den Angriff auf den Irak lange vor den entscheidenden UNO-Sitzungen im Februar und März 2003 beschlossen, »wahrscheinlich schon im Sommer 2001.« 6
  
Auf Basis dieses Beweises [für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen] in Powerpoint-/Diashow-Format wurde der Irak-Krieg gestartet. Bis heute erbrachte er Hunderttausende von Toten und Millionen von Flüchtlingen. Wenn »jeder im Saal wußte«, daß Powell log, wußten es Hunderte von Diplomaten und Politiker und somit sehr schnell auch alle Nachrichtenagenturen. Dennoch schafften es erst Monate/Jahre später erste Zweifel an dieser Darstellung von Powell in die Weltpresse, als der Irak-Krieg längst geführt und der Regimewechsel vollzogen war. Und trotz dieser Erkenntnisse schreibt die Süddeutsche Zeitung nun am 20. August 2010 auf der Titelseite: Die von Anfang an umstrittene Begründung des Krieges durch die Bush-Regierung, der einstige Diktator Saddam Hussein bedrohe die Welt mit Massenvernichtungswaffen, erwies sich als falsch. Soll hier noch im Nachhinein dieses menschenverachtende Falschspiel nur als Irrtum dargestellt werden? Hatte sich hier nicht eher das Weiße Haus gegen den Weltfrieden verschworen?
  
Heute haben wir einen Krieg, der nicht Krieg genannt wird. Einen Krieg mit Kampftruppen, die nicht als Kampftruppen bezeichnet werden. Im Mai 2003 sagte Präsident Bush Mission erfüllt und im August 2010 verkündet Obama, die Kampfhandlungen im Irak seien beendet. Von den 50.000 US-Soldaten, so ist Kucinich überzeugt, werden noch viele an unweigerlich mit Kampf zusammenhängenden Tätigkeiten beteiligt werden. Auch widerspricht Kucinich der Einschätzung des Präsidenten über die Lage im Irak und zitiert eine Aussage des  irakischen Generals Babaker Shawkat Zebari vom 12. August 2010: »Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht trainiert und in den nächsten zehn Jahren auch nicht in der Lage, für die Sicherheit im Land zu sorgen.« In der widersprüchlichen Darstellung des Weißen Hauses will Kucinich nur eine neue Etappe in der Kampagne zur Beruhigung des amerikanischen Volkes erkennen. Ehrliche Antworten würden dem amerikanischen Volk vorenthalten. Das wäre nicht fair gegenüber den Soldaten, ihren Familien oder dem amerikanischen Volk. Obendrein würden sich die Kosten pro eingesetztem Soldaten auf ca. 1 Million US-$ pro Jahr belaufen. Auch diese Ausgaben seien angesichts der katastrophalen Finanzlage nicht mehr hinnehmbar. Doch trotz aller Schwierigkeiten scheinen die USA an ihren globalen Plänen und der per Gesetz verankerten Seidenstraßenstrategie 7 festzuhalten. Die Stützpunkte im zentralen US-Militärkommando CENTCOM - vom kaspischen Raum bis zum Horn von Afrika - werden weiter ausgebaut. Dazu entstehen im Westen und Osten Eurasiens die modernsten Einsatz- und Kampfführungszentren.
 
Völlig unspektakulär war in der US-Armeezeitung Stars & Stripes am 20. Oktober 2009 vom Umzug des Hauptquartiers der US-Army/Europa (USAREUR) von Heidelberg nach Wiesbaden zu lesen. 8 Auf dem dortigen US-Airfield Erbenheim soll bis 2013 das neue Europa-Hauptquartier der US-Army entstehen. 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und nach 11 US-Präsidenten seit Harry Truman (1945–1953) sollen in einem amphitheaterähnlichen Einsatz- und Kampfführungszentrum die militärischen Geschicke Europas gesteuert werden. Das 84 Millionen teure dreistöckige Zentrum wird auf ca. 26.500 Quadratmetern mit den neuesten Kommunikations- und Planungsgeräten ausgestattet und zur modernsten US-Militäreinrichtung in Europa ausgebaut. Den Grund für den Neubau erläuterte der Operationschef der USAREUR, Brigadegeneral David G. Perkins: »Bisher ist das Hauptquartier der USAREUR weder dazu ausgelegt, noch technisch oder personell so ausgestattet, daß es als Kriegsführungs-Hauptquartier dienen könnte.«
 
Welche neuen Kriege sollen von hier aus ab 2013 geführt werden? Das östliche Pendant dazu entsteht in Ginowan auf der Insel Okinawa und soll ebenfalls 2013 fertiggestellt werden. Im Gegensatz zu den Bundesbürgern haben die Japaner anläßlich des Obama-Besuchs öffentlich wirksam gegen den weiteren Ausbau protestiert und sogar die Schließung der in der Nähe ihrer Stadt gelegenen amerikanischen Marine-Corps-Futenma-Air-Base verlangt.
 
  
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15556  Neue Rheinische Zeitung
Online-Flyer Nr. 264  vom 25.08.2010 - Hervorhebungen durch politonline
1 Süddeutsche Zeitung vom 20. August 2010, S. 1
2 Obama verspricht Truppenabzug bis Ende 2011 vom 27. Februar 2009, unter URL:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,610382,00.html
3 König, Michael: Obamas (un)vollendete Mission, vom 3. August 2010 unter URL:
http://www.sueddeutsche.de/politik/irak-truppenabzug-bis-obamas-unvollendete-mission-1.983351
4 Jetzt schlägt die Stunde der Söldner, 20. August 2010 08 unter http://www.20min.ch/news/dossier/irak/story/28639180
5 Kucinich, Dennis: The War in Iraq has entered a New Stage of Public Relations vom 19. August 2010 unter http://kucinich.house.gov/News/DocumentSingle.aspx?DocumentID=203578
6 Berliner Zeitung, Wochenendausgabe vom 1./2. März 2008.
7 Am 19. März 1999 - also fünf Tage vor dem Beginn der Bombardierung Jugoslawiens - verabschiedete der US-Kongreß unter Clinton das sogenannte Seidenstraßen-Strategie-Gesetz. Mit diesem Gesetz definierten die USA ihre umfassenden wirtschaftlichen und strategischen Interessen in einem breiten Korridor, einer riesigen ehemaligen Region, die bis vor einigen Jahren zur wirtschaftlichen und geopolitischen Sphäre Moskaus gehörte und sich vorn Mittelmeer bis nach Zentralasien erstreckt: Silk Road Strategy Act of 1999 (H.R. 1152 -106th Congress) Offizieller Titel: To amend the Foreign Assistance Act of 1961 to target assistance to support the economic and political independence of the countries of the South Caucasus and Central Asia. Unter George W. Bush wurde das Gesetz im Mai 2006 modifiziert: Silk Road Strategy Act of 2006 (S. 2749 - 109th Congress) Offizieller Titel: A bill to update the Silk Road Strategv Act of 1999 to modify targeting of assistance in order to support the economic and political independence of the countries of Central Asia and the South Caucasus in recognition of political and economic changes in these regions since enactment of the original legislation
8 Patton, Mark: »Contract awarded for Wiesbaden USAREUR center« in Stars and Stripes, European edition, Tuesday, October 20, 2009, aufgerufen unter http://www.stripes.com/article.asp?section=104&article=65500