Bilaterale Grenzerfahrungen im Tessin: Eine stark ansteigende Arbeitslosigkeit

Das Tessin ist zweifellos jener Kanton, der in unserem Land die negativen Folgen des freien Personenverkehrs und der Schengener Abkommen

am meisten zu spüren bekommt. Nur zwei Stichworte seien genannt: Arbeitslosigkeit und unlauterer Wettbewerb. Der Kanton Tessin hat im Verlaufe der letzten Jahre ein Phänomen verzeichnen müssen, das in anderen Landesteilen kaum vorkommt. Die Zahl der Beschäftigten ist generell gestiegen, was trotz der Wirtschaftskrise als Symptom für eine positive Wirtschaftsentwicklung gewertet werden kann; das Problem dabei ist allerdings, dass dabei gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen zugenommen hat.
 
Warum? Der Grund ist einfach: Der Tessiner Arbeitsmarkt wird von italienischen Grenzgängern überflutet. Zahlenmässig sind es über 45 000, die täglich in die Schweiz einreisen - in einen Kanton mit 340 000 Einwohnern - um dort zu arbeiten, während sich die Arbeitslosigkeit um 5 % bewegt. Unlängst hat Bundespräsidentin Doris Leuthard unbeeindruckt festgestellt, »dass zwischen der Anzahl der Grenzgänger und der Zunahme der Arbeitslosigkeit kein Zusammenhang bestehe«, sei dies im Tessin oder anderswo in der Schweiz. Wenn diese Aussage nicht von der Chefin unseres Volkswirtschaftsdepartements stammte, könnte man sie als belanglos abtun; aber wenn Frau Leuthard klare Zahlen und offensichtliche Zusammenhänge abstreitet, ist dies schlimm und als Indiz für eine intellektuelle Böswilligkeit zu werten. Ende 2009 nahm die Zahl der Beschäftigten im Tessin um 0,8 % ab, während die Zahl der Grenzgänger um 1,3 %  stieg. Die Zahl der Grenzgänger erreichte im 1. Halbjahr 2010 44 627 Einheiten, mit Zunahmen sowohl beim Handel als auch bei der Stellenvermittlung, während sie in der Industrie abnahm. Somit ersetzen und konkurrenzieren die Grenzgänger einheimische Arbeiter. Ende des 3. Trimesters 2009 nahm die Zahl der Beschäftigten im Tessin bis auf 173 000 ab (- 0,8 %), wovon 44 000 Grenzgänger sind (+1,3 %); wenn Frau Leuthard den Unterschied zwischen der gesamthaften Abnahme von -0,8 % und der Zunahme der Grenzgänger um + 1,3 % nicht versteht, darf man sich über die gegenwärtige Regierungskrise im Bundesrat und über die mangelnde Fähigkeit des Volkswirtschaftsdepartements, auf nationaler Ebene Probleme zu lösen, nicht wundern. Die Grenzgänger verlangen oft weit tiefere Löhne als in den Bilateralen Abkommen vertraglich abgemacht. Oft stösst man auf Stundenlöhne von 12 bis 15 Franken, insbesondere für die von Stellenvermittlungsbüros angestellten Grenzgänger, und das sind nicht wenige; sie machen nämlich insgesamt 18 % aller Grenzgänger aus.
 
Bilaterale fördern Arbeitslosigkeit
Aber der unlautere Wettbewerb hört hier nicht auf. Die italienischen Unternehmen werden im Tessin dank unserer unbürokratischen Praxis, welche den Zugang zum Tessiner Arbeitsmarkt erleichtert, tätig; die Handwerker arbeiten zu Schleuderpreisen und profitieren von der schlechten Angewohnheit, die einheimischen Unternehmen nicht zu bevorzugen. Daraus folgt, dass insgesamt rund 50 000 Grenzgänger und entsandte Arbeiter ins Tessin kommen und den einheimischen Beschäftigten die Arbeit wegnehmen. Die Bilateralen hätten eigentlich punkto Zugang zu den Arbeitsmärkten eine Gegenseitigkeit herbeiführen sollen. Unlängst kam es vor, dass ein Lieferwagen einer Tessiner Firma am italienischen Zoll aus lächerlichen Verfahrensgründen und fehlender Bewilligungen festgehalten wurde..… Fazit: Der Zugang zum italienischen Markt ist für Tessiner Unternehmer praktisch unmöglich. Sprunghaftes Vorgehen, schikanöse Bewilligungsanforderungen seitens des italienischen Staates und seiner Berufsverbände, überholte Gesetze und protektionistische Praktiken erlauben den freien Marktzugang nicht, bilaterale Abkommen hin oder her.  
 
Nationalrat Norman Gobbi, Lega, Kommunikationsberater, Piotta TI