Besser alleine als in schlechter Gesellschaft - Von Eros N. Mellini

Im 1. Kapitel des zweiten Titels unserer Bundesverfassung sind sämtliche Grundrechte aufgeführt, welche auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft

garantiert werden. Es handelt sich mithin um dieselben, die auch in den verschiedenen Menschenrechtskonventionen figurieren, darunter in der Europäischen mit ihren zusätzlichen Anhängen. So weit so gut. Denn wer wollte bestreiten, dass jedermann ein Recht auf Leben, auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Integrität und auf freie Bewegung hat? Oder dass die Folter und jede andere Art von grausamer unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung verboten sind? Aus diesem Grunde schien es, als die Schweiz 1974 die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die danach hinzugekommenen Anhänge unterzeichnete, dass dieser Schritt zwar unnötig sei, aber keinerlei besondere oder zusätzliche Rechtspflichten implizieren würde.
 
Das Problem entstand, als die Missionare des internationalen Gutmenschentums begannen, die Menschenrechte durch ihre willkürliche, völlig subjektive und oft phantasievolle Interpretation auszuweiten und vor allem konzeptionell jeder grundsätzlichen Bedeutung zu entblössen. Durch ihren Beitritt zum Europarat und die Unterzeichnung der EMRK unterwirft sich die Schweiz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dies auch in Fällen, die weit über die Grundrechte hinausgehen, wie sie seinerzeit von den Erschaffern der Bundesverfassung konzipiert und vom Volke gutgeheissen wurden. Die absurde Ausweitung dieser Rechte auf internationaler Ebene hat dazu geführt, dass sich jedermann berechtigt fühlt, jeden Bagatellfall nach Strassburg weiterzuziehen. Das äussert sich darin, dass letzteres Gericht von seiner Gründung 1959 bis zum Jahre 2000 etwa 10'000 Rekurse behandelte, die Zahl sich jedoch in den folgenden Jahren vervierfachte und 2008 50'000 erreichte.
 
Weiter ist darauf hinzuweisen, dass der Beitritt kein unilateraler Akt ist. Unser Land hat (leider) seinerzeit dem Europarat ein Beitrittsgesuch gestellt und wurde von diesem aufgenommen, im vollen Bewusstsein, dass in der Schweiz die demokratischen Rechte in Kraft sind und somit das Volk in Verfassungsfragen das letzte Wort hat. Wenn also unsere Verfassung dem Europarat (oder einer anderen internationalen Vereinigung) nicht mehr behagt, erkläre man uns wieso und werfe uns allenfalls aus diesem übrigens unnützen Gremium hinaus. Man erkläre uns dann auch, warum die älteste und traditionellste Demokratie Europas nicht würdig sei, ihm anzugehören - vor allem wenn man daran denkt, dass die Mehrheit der Länder, die dem Europarat angehören, nur auf dem Papier Demokratien sind.
 
Aber ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und folgende Frage stellen: Welchen Sinn macht es für die Schweiz, Verpflichtungen zu unterzeichnen, die sie in Tat und Wahrheit bereits im Kern erfüllt und in der Bundesverfassung verankert hat? Oder internationalen Vereinigungen beizutreten, von denen sie rein gar nichts zu lernen hat? Denn es ist unsinnig, dass man uns Rassismus vorwirft, weil die Polizei gegen Straftäter vorgeht, die just in den aufgeworfenen Fällen schwarzer Hautfarbe sind oder einen eigentümlichen Namen fast ohne Vokale haben. Die Ordnungskräfte intervenieren sehr oft, aber aus unerfindlichen Gründen wird der Vorwurf willkürlicher und übermässiger Gewaltanwendung stets nur dann erhoben, wenn Ausländer festgenommen werden, erst recht, wenn es sich dabei um Farbige handelt. Ist es denn wirklich so, dass die Polizisten leidenschaftliche Rassisten sind und deshalb gegen diese armen Teufel», die ja nur Mitmenschen verprügeln, ausrauben oder erstechen, besonders hart vorgehen?
 
Was die Polizisten betrifft, die ich kenne, und das sind viele, so bin ich viel eher davon überzeugt, dass sie immer gleich vorgehen, und dass, wenn von Zeit zu Zeit etwas härter und vielleicht gar mittels des einen oder anderen Faustschlags  durchgegriffen werden muss, dies nicht auf die Hautfarbe oder den Namen der Festzunehmenden zurückzuführen ist, sondern auf deren renitentes Verhalten. Wenn wir dem Europarat (oder auch der UNO) nicht angehörten und nicht unüberlegt an sich unnötige, aber keineswegs folgenlose internationale Abkommen unterzeichnet hätten, würde die Schweiz die Menschenrechte dennoch weiterhin freiwillig beachten - aber nur die grundlegenden, nicht die zusätzlich erfundenen - und würde nicht sklavisch den unberechtigten Forderungen jener nachgeben, die nicht im Traume daran denken, auch nur in minimalstem Masse Pflichten zu übernehmen. Und es könnte sich niemand mehr das Recht anmassen, die vom souveränen Volk in Ausübung seiner unbestrittenen direktdemokratischen Rechte getroffenen Entscheide aufheben oder korrigieren zu wollen. Ich bin davon überzeugt - bei allen Vorbehalten angesichts der unbestreitbaren Tatsache, dass wir, schon rein geographisch, in die internationale Gemeinschaft eingebettet sind - dass die Schweiz soweit möglich den »Alleingang« wagen sollte, vor allem wenn es um Fragen ihrer Rechtsordnung geht. Sie sollte somit aus jedem internationalen Gremium austreten - insbesondere der EMRK und der UNO - dessen Zugehörigkeit uns nur Einbussen punkto Autonomie und Unabhängigkeit einbrockt hat und erst noch viel Geld kostet.
 
Wir dürfen nicht abseits stehen, wir sind 7 Millionen und stehen einer halben Milliarde von Europäern gegenüber, wir können die Zeit nicht aufhalten, etc..: solches sagen uns die feigen Befürworter der bedingungslosen Kapitulation, die Verfechter des Verzichts auf die schweizerische Identität zugunsten der unschätzbaren Bereicherung, welche uns die multi-kulturelle Gesellschaft bringe.
 
Das mag sein, aber ich ziehe das alte und weise Sprichwort vor, das besagt: Besser alleine als in schlechter Gesellschaft!
 
Quelle: Il Paese, Ausgabe vom 3. Dezember 2010