Überparteiliches Komitee - »Gemeindegesetz: SO NICHT!«

Zur Vernehmlassung zum neuen Gemeindegesetz im Kanton Zürich: Das Überparteiliche Komitee »Gemeindegesetz: So NICHT!« wendet sich an die Öffentlichkeit,

weil es für die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wichtig ist, dass sie die Hintergründe und Folgen dieser radikalen Totalrevision kennen. Das Komitee will eine breite Diskussion über den Unsinn dieser Vorlage anstossen, weil es absehbar negative Auswirkungen auf unsere direkte Demokratie, unser Gemeinwohl und unser Gemeineigentum befürchtet: Auf der Suche nach neuen Märkten haben sich transnationale Unternehmen darauf spezialisiert, mehr Wachstum durch die weltweite Übernahme öffentlicher Dienste zu generieren. Dabei stossen sie auf »Investitionsschranken« durch die nationalen Gesetzgebungen. Diese Schranken werden gegenwärtig auf Grund der durch die Nationalstaaten eingegangenen GATS-WTO-Verpflichtungen, die sich auf über 160 Sparten - vom Tourismus über Telekommunikation, Wasserwirtschaft bis hin zur Bildung und Gesundheit - erstrecken, weltweit abgebaut. Das GATS-Regime zwingt die Unterzeichnerstaaten, durch Änderung der nationalen Gesetzgebung Investitionsschranken abzubauen und die Privatisierung des öffentlichen Sektors zu ermöglichen 1. Diese Privatisierungspolitik führt nicht nur zur Enteignung öffentlichen Eigentums, sondern durch die Überordnung von wirtschaftlichen über die politischen Interessen der Menschen auch zur Ausschaltung von Demokratie und Politik. Die globalen Privatisierungen und Liberalisierungen der letzten Jahrzehnte haben für die Weltbevölkerung nicht nur grosse wirtschaftliche Nachteile – Weltwirtschaftskrise, Hungersnöte, usw. - gebracht, sondern sie sind auch aus demokratischer Perspektive höchst problematisch, insbesondere in Bereichen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse; weil die Welt keine Ware ist. Diese Entwicklungen machen auch vor unserem Land nicht halt, weil die Schweiz im Rahmen der GATS-Verhandlungen offenbar Verpflichtungen eingegangen ist, die die Liberalisierung der Dienstleistungen des öffentlichen Sektors betreffen. Auch in der Schweiz werden nun bei Gesetzesrevisionen Änderungen im Sinne der GATS-Abkommen vorgenommen.
 
Besonders empörend dabei ist, dass diese Hintergründe dem Volk, den Behörden und den Politikern - auch vor Abstimmungen! - bisher nie transparent gemacht wurden, wie das folgende Beispiel zeigt: Pressemitteilung zur Liberalisierung im Bildungsbereich (GATS) vom 11. 11. 2002: Die EDK fordert öffentliche Diskussion und Transparenz: Sie kritisiert, dass diese Verhandlungen bisher ohne Einbezug der politisch Verantwortlichen im Bildungsbereich stattgefunden haben. Das überparteiliche Komitee hat beim Entwurf zum neuen Gemeindegesetz unter anderem folgende Änderungen gefunden, die sich als Türöffner für die Privatisierung des öffentlichen Sektors eignen; siehe auch die unten angefügte Vernehmlassungsantwort:
 
1. Möglichkeit der Vergabe von Aufgaben an Dritte
2. Möglichkeit der Ausgliederung von Aufgaben an neu zu gründende juristische Personen
3. Gelder vom Kanton zur Erleichterung von Fusionen
4. Machtkonzentration bei der Exekutive
5. Entmachtung der selbständigen Kommissionen, der Legislative und der selbständigen     Schulgemeinden
6. Einführung der Möglichkeit zur Abschaffung der direkten Demokratie
7. Anpassung des Rechnungswesens an einen komplizierten internationalen Standard   
 
1 Sogenannte horizontale Pflichten: Transparenz: (Staaten müssen beweisen, dass nationale Regelungen keine versteckten Investitionsschranken darstellen. Meistbegünstigung: eine einem Staat erklärte Präferenz muss allen anderen Staaten ebenfalls gewährleistet werden und eine nationale Behandlung, eine vom Staat einem inländischen Unternehmen gewährte Begünstigung muss allen Dienstleistern gewährt werden.
Pressecommunique vom 26. Februar 2011
 
»Unsere Verfassung macht das Volk zur Regierung. Jeder hat das Recht und sogar die Pflicht, uns auf die Finger zu sehen.« Willi Ritschard, SP-Bundesrat
 
Nachfolgend die an die Direktion der Justiz und des Innern in Zürich gerichtete
Vernehmlassungsantwort des Überparteilichen Komitees »Gemeindegesetz: SO NICHT!«
 
Totalrevision des Gemeindegesetzes
Sehr geehrter Herr Regierungsrat
Sehr geehrte Damen und Herren
 
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 haben Sie den Gemeinden und weiteren interessierten
Kreisen, so auch unserem Komitee, Gelegenheit gegeben, zum Entwurf eines Gesetzes über die Neuregelung der Gemeindeangelegenheiten vom 6. Oktober 2010 bis zum 31. März 2011 (nachträglich bis 30. April 2011 verlängert) Stellung zu nehmen. Wir bedanken uns dafür und senden Ihnen die nachfolgende Stellungnahme zu Handen des Regierungsrates.
 
A. Vorbemerkungen
Als Milizbehörden und Politiker der wichtigsten Parteien haben wir Einblick in die Funktionsweise unseres weltweit einzigartigen politischen Systems. Dank langjähriger Erfahrungen in Politik, Wirtschaft und verschiedensten Berufsfeldern sind wir in der Lage, die Auswirkungen des neuen Gesetzes auf unsere direkte Demokratie, den öffentlichen Sektor und das Gemeinwohl kompetent zu beurteilen und hoffen, damit einen konstruktiven Beitrag zur eingeleiteten Diskussion zu leisten. Die Stellungnahme erfolgt somit schwergewichtig auf die angestrebte Zielrichtung der radikalen Veränderungen. Das überparteiliche Komitee ist besorgt, dass mit den fundamentalen Änderungen neu die Möglichkeit bestehen würde, direktdemokratische Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung zur angeblichen Effizienzsteigerung abzuschaffen. Sie befürchtet, dass die sogenannte  Professionalisierung, zum Beispiel durch die im Gesetz vorgesehene Ausgliederung von
Gemeindeaufgaben oder die Übergabe von Aufgaben an Dritte, zu einem Kostenschub für die Gemeinden führt, der angesichts der angespannten Finanzlage, in der öffentlichen Verwaltung und besonders im Bildungs- und Gesundheitswesen zu gravierenden Einsparungen und einem massiven Anstieg der Steuern führen könnte. Professionalisierung bzw. Privatisierung bedeutet immer einen Abbau von Demokratie, weil Unternehmen (auch wenn sie der öffentlichen Hand gehören) hierarchisch (top-down) geführt werden und in erster Linie profitorientiert sind, während die direkte Demokratie von unten (bottom-up) funktioniert und gemeinwohlorientiert ist (Beispiele sind der Kostenschub bei Post, SBB,
Krankenkassen, usw.).
 
Der Fall Bonstetten und die Professionalisierung:
Der Zürcher Justizdirektor nutzt den aufsehenerregenden Mord an Florian, um die Laienbehörde von Bonstetten schlechtzumachen. Tatsächlich machte diese vor allem einen Fehler: Sie vertraute den Experten (Weltwoche 6/11). Die Berichte über das Gutachten von Professor Breitschmied über den Fall Bonstetten bringt einiges an den Tag. Keine Aufmerksamkeit wird aber dem Datenschutz gewidmet, der leider auch in diesem Fall eine fragwürdige Rolle spielte. Aus dem Gutachten erfahren wir, dass die Bonstetter Behörde bereits zwei Jahre intensiv mit Vater, Mutter und Florian nach einer Lösung gesucht hatte, als   sie aus den Medien über das kriminelle Vorleben des Vaters erfuhr. Einmal mehr stellen wir fest, dass Datenschutz vor allem Täterschutz bedeutet. Kommt dazu, dass praktisch jeder Entscheid der Behörde via Rekurs der Anwälte von Vater und Mutter infrage gestellt wurde. Jetzt die Überforderung der Behörde als das einzige Problem hinzustellen ist doch sehr einfach. Im Fall Bonstetten propagiert der Justizdirektor nun die Professionalisierung der Behörde als Lösung aller Probleme. Doch gerade weil sie mit dem Gutachten der Psychologin auf Experten vertraute, veranlasste die Vormundschaftsbehörde, dem Vater das Sorgerecht für den Sohn zu übergeben. Ein weiterer Beweis, dass der Ruf nach Professionalisierung weniger der Sache dient, sondern vielmehr als eine Werbeaktion aus der Branche zu betrachten ist, die von höheren Löhnen und erweitertem Stellenangebot zu profitieren hofft.
 
B. Grundsätzliche Aspekte
Die dem Entwurf zugrunde gelegte wirkungsorientierte Verwaltungsführung (englisch: New Public Management), die Effizienz und Professionalisierung bringen soll, hat weltweit nicht die erhofften Resultate gebracht und gilt mittlerweile als überholt. Sie wird heute selbst von der OECD in Zweifel gezogen: »The paradigm of New Public Management (NPM) is in trouble, that’s for sure.« [OECD Conference Center, Paris, 3 June 2009]. Es wäre fatal, ein neues Gemeindegesetz mit einem Paradigma, das bereits weltweit gescheitert ist, gesetzlich zu verankern. Wenn man die einzelnen Gesetzesartikel miteinander vergleicht - wo das überhaupt möglich ist - kann man zwar gewisse Tendenzen erkennen, aber es fehlt noch der Zusammenhang. Wenn man die Sache aber in einem grösseren Zusammenhang betrachtet, sieht man, wie die einzelnen Änderungen ineinandergreifen und alle auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind. Dieses gemeinsame Ziel ist -es tönt für uns im Gegensatz zu Ländern wie England, Deutschland usw. noch etwas utopisch - die Deregulierung und Privatisierung des öffentlichen Sektors: Der grösste Anteil der Ausgaben der öffentlichen Haushalte fliesst in Bereiche, die bislang noch weitgehend marktgeschützt waren und durch den Service Public abgedeckt wurden. Dies ist auch der tiefere Grund, weshalb die Grossinvestoren und globalen Konzerne nicht nur weniger Steuern bezahlen wollen, sondern mit Nachdruck eine Deregulierung und Privatisierung des öffentlichen Sektors fordern, um in diesen (potentiell) rentablen Sektoren investieren zu können. Nach Angaben der OECD wurden im Jahr 1997 mehr als 150 Milliarden US-$ an Vermögenswerten aus dem öffentlichen in den Privatsektor transferiert - 50 % mehr als im Vorjahr. Einige besonders expansive Konzerne, darunter mehrere europäische, haben sich darauf spezialisiert, ihr Wachstum auf die Übernahme öffentlicher Dienste zu gründen Die Bereiche Gesundheit und Bildung erweisen sich dabei als die lukrativsten: Auf dem noch weitgehend staatlich kontrollierten Gesundheitsmarkt werden laut Weltbank weltweit jährlich 3.500 Milliarden US-$ umgesetzt, auf dem Bildungsmarkt 2.200 Milliarden. Im Wassermarkt schätzt man die zu erwartenden Gewinne auf 800 Milliarden. Hierzu ein Beispiel: Im englischen Distrikt East Riding steuert die Bertelsmann-Tochterfirma Arvato seit 2005 einen ganzen Landkreis. Die Verwaltungsaufgaben umfassen 3000 Strassenkilometer, 7 Millionen Mülltonnen jährlich, 11 000 Sozialwohnungen, 159 Schulen, 990 Fahrzeuge und 39 000 Strassenlaternen 1.
 
C. Verfängliche und irreführende Wortwahl und Information
Die Ziele der Gesetzesreform werden in den Informationsunterlagen zum Entwurf wie folgt umschrieben: »Das neue Gemeindegesetz soll den Gemeinden ermöglichen, ihre Aufgaben selbstständig, demokratisch, wirtschaftlich und rechtmässig zu erfüllen«. In Wirklichkeit wird durch den Entwurf die Gemeindeautonomie eingeschränkt, die direkte Demokratie abgebaut, ist ein Kostenschub vorprogrammiert und findet eine Verletzung der Gewaltentrennung statt. Was als Erweiterung des Handlungsspielraums zur Ausgestaltung der Organisationsuggeriert wird, ist in Wirklichkeit eine Deregulierung, die einer Privatisierung Vorschub leistet. Was als zeitgemässe und wirksame Mitwirkungsrechte [nicht mehr  Mitbestimmung! Anmerkung des Komitees] der Stimmberechtigten angepriesen wird, ist in Wirklichkeit ein Abbau der direktdemokratischen Rechte und eine Machtkonzentration bei der Exekutive. Es wird suggeriert, die direkte Demokratie sei nicht mehr zeitgemäss, weil angeblich nicht effizient, obwohl neue Studien das Gegenteil feststellen 2.  
 
D. Türöffner zur Privatisierung des öffentlichen Sektors
Der Entwurf zum neuen Gemeindegesetz ist unseres Erachtens ein gefährlicher Türöffner zur Privatisierung des öffentlichen Sektors zugunsten wirtschaftlicher Interessen und zuungunsten der Bevölkerung. Es versteht sich von selbst, dass hier die direkte Demokratie (Schulpflegen, Legislative usw.) als Handelshemmnisse keinen Platz mehr hätten und deshalb bereits im Entwurf immer mehr an den Rand gedrängt werden. Die Rolle des Türöffners ist insbesondere bei folgenden Gesetzesänderungen angelegt:
 
1. Möglichkeit der Vergabe von Aufgaben an Dritte
Die Vergabe von Aufgaben an Dritte war in den letzten Jahren in der Wirtschaft gängige Praxis. Mittlerweile hat ein Umdenken stattgefunden, weil das Outsourcing zu hohen Kosten, Abschieben von Verantwortung, Demotivation bei den eigenen Angestellten und Schnittstellenproblemen geführt hat.
 
2. Möglichkeit der Ausgliederung von Aufgaben an neu zu gründende juristische Personen
Bei der Gründung von sogenannt gemeinnützigen Aktiengesellschaften oder von Public Private Partnerships besteht ein Zielkonflikt: Die Politik ist am Gemeinwohl orientiert und hat daher bei der Allokation von Ressourcen die Interessen aller Menschen wahrzunehmen. Das Hauptziel eines Unternehmens dagegen ist die Gewinnmaximierung für seine Eigentümer. Dadurch besteht die Gefahr der Verschlechterung des Leistungsangebotes auf Grund der meist monopolartigen Exklusivverträge. Als Aktiengesellschaft ist eine Firma (zum Beispiel ein Spital) gezwungen, Entscheidungen so zu fällen, dass weniger Kosten anfallen -also die Kosten über das Wohl des Patienten gehen. Ob eine Aktiengesellschaft privatrechtlich oder öffentlichrechtlich ist, ändert daran nichts. Dazu zwei Beispiele: Im Fall des Zuger Kantonsspitals, seit 1999 eine privatrechtliche Aktiengesellschaft, wurde 2010 über eine Volksinitiative für die Rückführung des Kantonsspitals in öffentliches Recht abgestimmt, um nach mehreren Vorkommnissen die Gesundheitsversorgung wieder in den Vordergrund zu stellen. Aktiengesellschaften haben sich bei Schweizer Spitälern nicht durchgesetzt. Im Fall des Limmatspitals hatte der Verwaltungsdirektor kurzfristig gekündigt und einen Interimspräsidenten ernannt. Daraufhin wurde ein Projekt lanciert, das in der Schweiz einzigartig ist. Man wollte die Auslagerung des Managements ohne Mitwirkung des Stimmbürgers beschliessen. Inzwischen ist klar, dass das Vorgehen so nicht korrekt war. Die Informationen fielen knapp aus und sie wurden dosiert abgegeben. Überrascht war man, als plötzlich im Amtsblatt zu lesen war, dass der Managementvertrag bereits abgeschlossen wurde. Der Verwaltungsrat hatte den Auftrag damals nicht an die Firma H Services AG erteilt, in der der Interimspräsident Verwaltungsrat ist, sondern zunächst an den Interimspräsidenten. Es ist nicht verwunderlich, dass danach Aufsichtsbeschwerden eingereicht wurden. Die Gesundheitsdirektion und das Gemeindeamt des Kantons hielten die Auslagerung der operativen Spitalführung an eine private Unternehmung für widerrechtlich.
 
3. Gelder vom Kanton zur Erleichterung von Fusionen
Die Annahmen, dass grössere Gemeinden ihre Aufgaben kostengünstiger, effizienter und bürgernäher ausführen könnten und weniger Schulden machen würden, hat sich in der Praxis nicht bewahrheitet bzw. vielfach als geradezu gegenteilig ausgewirkt. Grössere Gemeindeverwaltungen sind meist komplexer, das kostengünstige Milizsystem stösst an Grenzen und die Wahrscheinlichkeit, dass Aufgaben ausgelagert oder externe Berater zugezogen werden müssen, steigt. Es ist deshalb gegenüber dem Steuerzahler nicht zu verantworten, dass Fusionen mit Steuergeldern erleichtert werden, die dem Steuerzahler in der fusionierten Gemeinde oft eine höhere Steuerbelastung bringt. »Die Schweiz lebt von der aktiven Mitarbeit der Bürger in Gemeinde, Kanton und Bund. Erlahmt diese, dann erlischt auch ein Staatswesen wie die Schweiz. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass der Sinn für das Gemeinwesen am besten in kleineren und mittleren Gemeinden ausgebildet ist. Der Wille, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen, schwindet dagegen in den zur Anonymität neigenden Agglomerationen.« 3
 
4. Machtkonzentration bei der Exekutive
Die im Entwurf vorgesehene, in der Schweiz bisher nicht übliche Machkonzentration beim Gemeindevorstand ähnlich der Direktion in einer Firma (Diktatur statt Mitbestimmung) ist eine Verletzung der demokratischen Gewaltenteilung, weil damit eine Schwächung des Einflusses des Souveräns, der Legislative und der Parteien verbunden ist. Diese Machtkonzentration schafft jedoch eine gute Ausgangsbasis für eine zukünftige Privatisierung des öffentlichen Sektors.
 
5. Entmachtung der selbständigen Kommissionen, der Legislative und der selbständigen
Schulgemeinden
Die vorgesehene Entmachtung der selbständigen Kommissionen, der Legislative und der Schulgemeinden ist die Vorraussetzung zur Machtkonzentration bei der Exekutive.
 
6. Einführung der Möglichkeit zur Abschaffung der direkten Demokratie
Im Entwurf wird die Möglichkeit eingeräumt, die Wahl der Schulpflege dem Souverän zu entziehen und durch die Exekutive ausführen zu lassen. Dies würde zur Abschaffung der Mitbestimmung des Volkes in der Volksschule führen. Damit wird an einem Fundament unserer direkten Demokratie gerüttelt, stellt doch die allgemeine Volksschulbildung die Voraussetzung für das Funktionieren der direkten Demokratie dar. Dies würde jedoch die Privatisierung der Volksschule - für die sich die Schweiz offenbar in den GATS-Verhandlungen bereit erklärt hat - erleichtern.
 
7. Anpassung des Rechnungswesens an einen komplizierten internationalen Standard
Das vorgesehene neue Rechnungswesen gleicht demjenigen für globale Konzerne (US, GAAP, IFRS), das nur von Spezialisten betreut und geprüft werden kann. Diese befinden sich grösstenteils in den amerikanischen Big-Four Revisionsgesellschaften. Müsste man diese Spezialisten mit der Revision beauftragen, hätten amerikanisch dominierte Firmen tiefen Einblick in jede Gemeinde (Transparenz statt Datenschutz?). Der komplizierte, für internationale Grosskonzerne ausgelegte Standard ist unverhältnismässig, bringt für die Gemeinden unnötigen Mehraufwand, der in keinem Verhältnis zum Nutzen steht und ist - wie das Beispiel Luzern zeigt, wo das neue Gemeindegesetz 2005 eingeführt wurde - eine Überforderung der Gemeindeverwaltungen. Dass global tätige Grosskonzerne nach diesen Standards konsolidieren, mag im Interesse der internationalen Vergleichbarkeit der Rechnungsabschlüsse der einzelnen Einheiten ja noch nachvollziehbar sein. Bei einer Gemeinde entbehrt ein solches Ansinnen aber jeder Vernunft, von den immensen Kostenfolgen einmal abgesehen. Ausserdem würde dadurch die in aller Regel sehr gute Arbeit der Geschäfts- und Rechnungsprüfungskommissionen unterminiert. Die Ausrichtung der Rechnungslegung nach internationalen Buchhaltungsstandards widerspricht den Grundsätzen des Schweizerischen Obligationenrechts mit seinem Vorsichtsprinzip und der Bildung von stillen Reserven für Notzeiten. Die Aufwertung von unveräusserlichem Gemeindevermögen (Gemeinde- und Rathäuser, Friedhöfe, Kapellen, Sportplätze, Brücken, Verwaltungsgebäude, Schulhäuser, Strassen, Wälder, Strom- und Wasserwerke usw.) zu dem durch die Immobilienblase stark überhöhten Zeitwert bringt eine unrealistische Aufblähung der Bilanz und des Eigenkapitals und verführt Politiker zu zusätzlichen Investitionen, Schuldenbildung und schlimmstenfalls zum Verkauf von Gemeineigentum, um kurzfristige Finanzlöcher zu stopfen oder unpopuläre Steuerfusserhöhungen für den nächsten Amtsinhaber aufzuschieben. Die Umstellung der Gemeindebuchhaltung auf internationale Standards macht nur Sinn, wenn man beabsichtigt, Gemeindeaufgaben an einen internationalen Konzern auszugliedern oder Teile des öffentlichen Sektors an die Börse zu bringen. Die bisherigen Praxiserfahrungen in Deutschland zeigen, dass die Umstellung auf das von oben verordnete neue Rechnungswesen für die Gemeinden doppelte Arbeit und hohe Kosten verursacht. Mittlerweile kehren die ersten Gemeinden wieder zu der bewährten Kameralistik zurück. Die kommualen Behörden berichten in einem Blog über ihre damit gemachten negativen Erfahrungen 4.
 
8. Schweizer Stimmbürger wird durch Stimmberechtigte ersetzt
Die grundlose Eliminierung des Wortes Schweizer im Entwurf wirkt, im Zusammenhang betrachtet, wie ein Symbol für die im Entwurf vorgesehene Verdrängung des schweizerischen politischen Systems der direkten Demokratie und der Gewaltenteilung, des schweizerischen Obligationenrechts mit seinem Vorsichtsprinzip, der schweizerischen Form des Milizsystems und für die Installierung einer unschweizerischen Machtkonzentration bei der Exekutive, der unschweizerischen Disposition des Gemeineigentums zur Privatisierung durch internationale Konzerne.
 
E. Zusammenfassung unserer wichtigsten Forderungen
- Erhalt der direkten Demokratie und der Gewaltentrennung auf Gemeindeebene (keine
Vorrangstellung der politischen Gemeinden). Behördenwahl ausschliesslich durch den Souverän oder die Legislative.
- Keine Machtkonzentration bei der Exekutive durch Entmachtung der selbständigen
Kommissionen und der Legislative.
- Erhalt der Gemeindeautonomie der Schul- und Politischen Gemeinden (keine Vorrangstellung der politischen Gemeinden).
- Keine Bestrebungen zur Teil- oder Vollprivatisierung der öffentlichen Verwaltung sowie Erhalt und Förderung des Milizsystems. Keine Ausgliederung von Verwaltungsaufgaben.
- Sicherstellung des Gemeindevermögens gegen die Übernahme durch Dritte und die
Vereinnahmung via Naturparkvereine und ähnlichen Organisationen, bei denen die
direktdemokratische Mitbestimmung aufgehoben wird.
- Das Prinzip einer einfachen, unbürokratischen, bürgernahen und dezentralen Verwaltung im
Sinne des Milizprinzips und der Gemeindeautonomie fördern.
- Der Beizug von Dritten ist auf ein absolutes Minimum zu beschränken und durch den Souverän zu bewilligen.
- Ausrichtung der Rechnungslegung und des Finanzhaushaltsrechtes nach den Grundsätzen des Schweizerischen Obligationenrechts und nicht nach internationalen Buchhaltungsstandards, da sie die Besonderheiten des schweizerischen Milizsystems nicht berücksichtigen.
- Beibehaltung des Vorsichtsprinzips und der stillen Reserven, keine Zeitwertbewertung.
- Erweiterung gesetzliche Verankerung der Schulverwaltungen im kantonalen Volksschulgesetz / Stärkung der Schulverwaltungen im allgemeinen.
 
Wir bitten Sie, unsere Anliegen zu berücksichtigen und hoffen, einen konstruktiven Beitrag zur Gesetzgebung aus der Sicht des betroffenen Souveräns gegeben zu haben.
 
Mit freundlichen Grüssen
Für das Komitee:
Christian Besmer, Vorstand SP Langnau a.A.
Peter Aebersold, SVP, Mitglied der Schulkommission für Sonderschulen und Therapien der Stadt Zürich
Charlotte M. Baer, SVP-Gemeinderätin, Wädenswil
Gertrud Zürcher, SP, Mitglied der Kreisschulpflege der Stadt Zürich
Trudi Frey, SVP-Gemeinderätin, Dietikon
Kontakt: Peter Aebersold, Schneebelistr. 7, 8048 Zürich (e-mail: peteraeb@bluewin.ch)
 
 
1 Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2010)
2 Gebhard Kirchgässner, Lars P. Feld, Marcel R. Savioz. Die direkte Demokratie. Modern, erfolgreich, entwicklungs- und exportfähig, Franz Vahlen, 1999
Bruno S. Frey: Direct democracy for a living constitution, 2003
Walter Lutz: Wie man Politiker und kommunale Mandatsträger an der Nase herum führt' mbVerlag, Rheinfelden 2010, ISBN 978-3-940411-23-5
3 Paul Widmer, Botschafter und Ständiger Vertreter der Schweiz beim Europarat in
Strassburg, Vortrag im Liberalen Institut Zürich am 15.2.2008
4 Reformruine kommunale Doppik: http://reformruinekommunaledoppik.wordpress.com/aufsatzezum-thema/