Die Börsen - Fusionen

Mit der Übernahme der New York Stock Exchange, heisst es bei »German Foreign Policy«, bereitet die Deutsche Börse ihren Sprung an die Weltspitze vor.

Der Zusammenschluss der beiden Finanzunternehmen wird dem neuen deutsch-US-amerikanischen Konzern nicht nur eine herausragende Position bezüglich der von den Börsen Asiens ausgehenden Konkurrenz sichern, sondern auch das europäische Geschäft dominieren. Im Termingeschäft etwa käme man auf einen Marktanteil in Europa von mehr als 90 %. Deutsche Medien sprechen angesichts des neu entstehenden Börsengiganten vom Griff nach der Weltmacht, wie beispielsweise der Spiegel online titelte 1. Die Süddeutsche Zeitung prahlte: Die Wall Street wird deutsch; die Deutsche Börse AG werde in New York die Rolle des Seniorpartners übernehmen und steige zur Nummer eins in der Welt der Aktien auf. In der Konzernkontrolle, führt GFP aus, ist die deutsche Seite gegenüber den US-Amerikanern erkennbar im Vorteil. Der Zusammenschluss wurde möglich, da der Kurs der New York Stock Exchange (NYSE) infolge der Krise stark eingebrochen ist. Die amerikanischen Widerstände konnten gebrochen werden, weil die NYSE schwer unter den Auswirkungen der Finanz- und Weltwirtschaftskrise leidet. Der Börsenkurs des Konzerns sank von gut 100 US-$ im Jahr 2007 auf etwas mehr als 30 $, bevor die angekündigte Fusion ihn leicht auf 36 $ steigen liess. Die Krise beschleunigte den beständig zunehmenden Kostendruck, dem die Börsen ausgesetzt sind; mit immer grösseren Fusionen sollen nun die Handelsvolumina erhöht werden, um die einzelnen Transaktionen billiger anbieten zu können. Durch Rationalisierungs- und Synergieeffekte hoffen NYSE und die Deutsche Börse ein Sparpotential von 300 Millionen € jährlich realisieren zu können. Die bislang bekannt gewordenen Details des transatlantischen Deals belegen: Die Altaktionäre der Deutschen Börse werden 60 % der Aktien am neuen Börsenkonzern halten, auf dessen Name die Partner sich noch nicht einigen konnten, während die NYSE sich mit 40 % begnügen muss. Die Deutsche Börse AG wird 10 Vertreter in den 17-köpfigen Verwaltungsrat entsenden.
 
Was die Aktionärsstruktur der Deutschen Börse betrifft, so ist diese allerdings schon lange nicht mehr deutsch dominiert: Investoren aus der Bundesrepublik hielten im Jahr 2009 nur noch 17 % aller Anteile an ihr, während amerikanische Aktionäre 41 % des Aktienbestandes kontrollierten. Dementsprechend werden gut 55 %  der Aktien des neuen transatlantischen Börsenkonzerns - auch wenn sich dies durch Kauf und Verkauf prinzipiell ändern lässt - in US-Händen sein. Bis Ende des Jahres soll die Fusion abgeschlossen sein, allerdings müssen sowohl die Aktionäre als auch die Aufsichtsbehörden in beiden Ländern ihre Zustimmung erteilen.
 
Während NYSE-Chef Duncan Niederauer von New York aus die Konzernleitung übernimmt, soll der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, der Schweizer Reto Francioni, in Frankfurt als Verwaltungsratspräsident tätig sein. Die deutsche Seite bekommt 10 der 17 Posten im Verwaltungsrat. Die einzelnen Handelsplätze sollen ihre Bezeichnungen behalten; die Zentralen in Frankfurt am Main und in New York sollen bleiben. Der neue Börsenkonzern wird einen Börsenwert von knapp 20 Milliarden € aufweisen und die Börsenweltrangliste mit deutlichem Abstand anführen. Zugleich wird er bei Termingeschäften eine Monopolstellung in Europa erringen und Handelsplätze in Paris, Brüssel, London, Chicago, Zürich, Amsterdam und Lissabon unterhalten. Über die weitere Expansionsrichtung herrscht Einigkeit: Der neue Konzern wolle ein attraktiver Partner asiatischer Börsen werden, erklärten Niederauer und Francioni.
 
Während der neue Konzern gefeiert wird, schreiten langfristig wirksame Verschiebungen auf dem Börsensektor voran: Neuartige Handelsplattformen mit Verankerung in der USA und in Japan, die mit schlanken, netzwerkartigen Strukturen und mit konsequenter Digitalisierung des Wertpapierhandels arbeiten, drängen die traditionellen Börsen zurück. Nur wenige - wie etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung - wiesen darauf hin, dass die Machtkämpfe im neuen Börsenkonzern erst wirklich beginnen dürften: Tatsächlich aber geht hinter den Kulissen mit den bisher gefassten Beschlüssen das Tauziehen auf beiden Seiten des Atlantiks erst richtig los. In der USA fielen die Reaktionen ziemlich frostig aus. Derselbe Donald Trump, der von einem großartigen Deal der Deutschen sprach, verglich die Übernahme mit einem weiteren blauen Auge für die USA: »Ich denke, es ist lächerlich, dass dieses Land den Deutschen erlaubt, die New York Stock Exchange zu kaufen.« 4 Eine amerikanische Institution gehe nun kaputt, lamentierte etwa die zum Wall Street Journal gehörende Internetplattform Marketwatch, während Forbes die Wall Street als das schlagende Herz des amerikanischen Kapitalismus bezeichnete, das sich nun in Agonie befinde. Tausende, wenn nicht Millionen von Menschen hätten auf die Nachricht von der Übernahme mit wachsender Trauer und Sorge reagiert. Der Vorstandsvorsitzende der New York Stock Exchange bat schliesslich die Medien, nicht von einer Übernahme, sondern von einer Fusion beider Börsen zu sprechen. Der 88 Jahre alte John Whitehead, Ex-Vorstandschef der Investmentbank Goldman Sachs und eine Art graue Eminenz der Wall Street, erklärte, der geplante Kauf wäre »eine Beleidigung für die Stadt New York, den Bundesstaat New York und in der Tat für ganz Amerika.« 5
 
Die Financial Times Deutschland hingegen sieht die Fusion in einem anderen Licht, was ihrem Artikel Die Entmachtung der Deutschen Börse 5 zu entnehmen ist:
 
»Die  Handelsplattform feiert die Fusion mit der NYSE Euronext als großen Erfolg. De facto ist der Zusammenschluß für die Frankfurter ein weiterer Schritt in die Bedeutungslosigkeit. Triumphieren wird die Wall Street«. In Eschborn Süd befindet sich der Cube der Deutschen  Börse, ein luftiges Gebäude mit viel Glas und Sichtbeton. Bald, wenn alle Pläne aufgehen, ist das hier eine der beiden Zentralen der größten Börse der Welt..….  Drinnen, im grün schimmernden Glaswürfel, ist vielen Mitarbeitern bewußt, daß man bald noch weniger sein wird als eine an den Stadtrand verbannte Börse. »Es kann sein, daß unsere Kinder nicht mehr wissen werden, daß es hier in Frankfurt einmal eine bedeutende Börse gegeben hat«, sagt Johannes Witt, Controller und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Börse. Die Fusion scheint nicht der große Wurf zu sein, als der er verkauft wird. Sie ist eher die logische Fortsetzung der Marktentwicklung in den vergangenen Jahren. Im Klartext: Sie ist ein weiterer Abstieg. Das Handelssystem Xetra wird wohl abgeschafft, das Rechenzentrum nach Paris verlagert, der neue Chef, Duncan Niederauer, wird in New York sitzen.«  »Bei näherer Betrachtung« schreibt die FTD ferner, »hieß es in der Folge an der Wall Street, daß die Leidtragenden der Fusion nicht in New York, sondern in Frankfurt sitzen. Schließlich hat die Deutsche Börse viele amerikanische Fonds als Aktionäre, mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten haben angelsächsische Wurzeln. Und schon heute stellt der Fusionsvertrag klar: In 4 Jahren soll der Verwaltungsrat verkleinert werden, die Deutsche Börse ihre Mehrheit verlieren. Spätestens dann droht sie eine Filiale der New Yorker zu werden. Wie die Pariser Euronext, die vor vier Jahren mit der NYSE fusionierte. Auch damals beschworen die Manager eine Fusion unter Gleichen. Doch dann übernahmen die Amerikaner   hintenherum die Kontrolle.« »Unsere Börse hat eine so lange Historie«, sagt Witt, »und nun sieht es so aus, als würde sie binnen kurzer Zeit kaputtgemacht.« Noch vor 5 Jahren war alles anders. Die Börsenwelt blickte neidisch auf Frankfurt. Das, was Börsenchef Werner Seifert von 1993 bis zu seinem Ausscheiden 2005 aufgebaut hatte, konnte sich sehen lassen. Als einmalig und fortschrittlich galt das Computerhandelssystem Xetra. Noch wichtiger war, daß Seifert die Börse breit aufstellte. Sie sollte nicht nur Käufer und Verkäufer über das Computersystem zusammenbringen. Auch alle Schritte, die sich nach dem Kauf einer Aktie oder eines Derivats abspielen, sollten von der Deutschen Börse gesteuert werden. …… Doch dann begann der Abstieg. Schuld war nicht die Finanzkrise, gegen die war die Börse im Grunde immun, gehandelt wird schließlich immer. Vielmehr bekam sie massive Konkurrenz. 2007 trat die EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Mifid) in Kraft - und die überschaubare Welt der traditionellen Börsen geriet heftig ins Wanken. Denn mit dem Regelwerk öffnete Brüssel den Markt für neue außerbörsliche Handelsplätze. Nun durften auch Banken selbst handeln, billiger und unter geringeren Transparenzanforderungen. In Europa brachte die japanische Bank Nomura die in London ansässige Plattform Chi-X auf den Markt. Sie ist inzwischen zur zweitgrößten Aktienbörse nach der London Stock Exchange aufgestiegen. 2008 folgte ein Konsortium aus Investmentbanken mit der Plattform Bats. Zusammen kommen beide Anbieter auf einen Anteil im Aktienhandel von knapp 30 %. Gerade haben die Unternehmen ihren Zusammenschluss angekündigt. Bei der Deutschen Börse hatte inzwischen der heute 55jährige Schweizer Reto Francioni Werner Seifert an der Spitze abgelöst. »Ab der Mitte des neuen Jahrzehnts ging der rote Faden in den Strategien verloren«, sagt Witt. Statt auf die Bedürfnisse der Anleger zu reagieren, hätte das Management nur zwei Antworten gefunden: eisern sparen und prestigeträchtig zukaufen. Mehrere rigorose Sparpakete hat Francioni in seiner Amtszeit aufgelegt - und drei Fusionen angeleiert. 2006 versuchte sich die Deutsche Börse mit der Euronext zusammenzuschließen - vergeblich. 2008 näherten sich die NYSE und die Deutschen das erste Mal an, aber die Verhandlungen wurden jäh abgebrochen, als die Öffentlichkeit in einem frühen Stadium von den Plänen erfuhr. Und nun der neue Anlauf. Kurz vor Weihnachten sollen Francioni und Niederauer miteinander gesprochen und beschlossen haben, einen neuen Versuch zu wagen. Dann ging alles sehr schnell, von Anfang Januar bis Dienstag, 15. 2., wurde die Fusion durchgeplant. Ein sehr kurzer Zeitrahmen, sagen Übernahmespezialisten. ……  Warum Francioni so verbissen am Wachstumskurs festhält, verstehen nicht alle seine Mitarbeiter. »Der NYSE gehen Marktanteile verloren, der Deutschen Börse auch. Wenn sie sich nun zusammenschließen, wird mir nicht klar, warum sich dadurch etwas ändern sollte«, sagt Martin Ulrici aus der Personalabteilung der Deutschen Börse.«
 
 
Quelle: auszugsweise http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58011   21. 2. 11
Die Dinosaurier-Übernahme
1 Griff nach der Weltmacht; www.spiegel.de 15.02.2011
2 Die Wall Street wird deutsch; www.sueddeutsche.de 15.02.2011
3 Das Tauziehen beginnt; www.faz.net 16.02.2011
4 Großartig für Deutschland; www.handelsblatt.com 15.02.2011
http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/:agenda-die-entmachtung-der-deutschen-boerse/60014964.html   22. 2. 11  Die Entmachtung der Deutschen Börse - Von Jarka Kubsova, Eschborn, Jörn Petring und Doris Grass