Es droht die Verwässerung der Ausschaffungs-Initiative - Von Ulrich Schlüer

Das Ringen um die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative ist in vollem Gang. Es mangelt an Respekt vor dem Volkswillen.

Man erinnere sich: Die Ausschaffungs-Initiative setzte sich in der Volksabstimmung vom 29. November letzten Jahres klar durch. In keinem einzigen Kanton konnte sich damals der vom Ständerat erarbeitete, vom Bundesrat sowie den Mitte-Parteien bis weit in die Linke hinein unterstützte Gegenvorschlag durchsetzen.
 
Markanter Unterschied
Initiative und Gegenvorschlag unterscheiden sich - unter anderem - in einem sehr wichtigen  Punkt deutlich. Auf der Grundlage des Gegenvorschlags hätten nur solche ausländische Kriminelle aus der Schweiz ausgewiesen werden können, die zu einer Gefängnisstrafe von erheblicher Länge verurteilt worden wären. Die bei Volk und Ständen siegreiche  Ausschaffungs-Initiative verlangt indessen die automatische Ausweisung jedes ausländischen Täters, der sich eines schweren Gewaltverbrechens schuldig gemacht hat,  wobei der Katalog der automatische Ausweisung bewirkenden Straftaten in der Initiative präzis festgehalten ist.
 
Der Unterschied zwischen den beiden Forderungen hat grosse Auswirkungen auf den Sicherheitsalltag aller Einwohnerinnen und Einwohner: Gemäss Gegenvorschlag könnte ein junger Ersttäter kaum je ausgewiesen werden, wenn er nicht gerade einen Mord begangen hätte. Denn Ersttäter, auch ausländische Ersttäter, erhalten in der heutigen Gerichtsrealität nur nach sehr schweren Verbrechen eine Gefängnisstrafe von mehr als sechs Monaten. Da dominiert vielmehr Wunsch- und Hoffnungsdenken, woraus Ersttätern zu allererst »eine zweite Chance« eingeräumt werden soll - vor allem dann, wenn der Ersttäter noch jung ist. Unbedingte Gefängnisstrafen sind bei Ersttätern erfahrungsgemäss äusserst selten.
 
Kuscheljustiz
Bestenfalls nach zweiter oder dritter krimineller Tat hätten ausländische Kriminelle, wäre der Gegenvorschlag gutgeheissen worden, mit einer Ausweisung rechnen müssen. Und klar ist auch: Wenn die Ausweisung eines kriminellen Ausländers von der Länge der gegen ihn ausgesprochenen Gefängnisstrafe abhängig wird, würde die Justiz bezüglich Strafmass-Bemessung ganz erheblich beeinflusst. Die Ausweisungsfrage würde jede Strafmass-Festlegung wesentlich mitbestimmen, eine höchst unerwünschte Förderung von Kuscheljustiz. Die Initiative sah eine solche Hintertreibung des Stimmbürgerwillens voraus. Deshalb darf gemäss Initiative allein der Tatbestand und nicht die Länge einer für eine konkrete Tat ausgesprochene Strafe für die Ausweisung ausländischer Krimineller ausschlaggebend sein. Liegt einer der in der Initiative aufgeführten Tatbestände vor, erfolgt die Ausweisung des ausländischen Kriminellen automatisch - völlig unabhängig von der Länge einer ausgesprochenen Strafe.
 
Verwässerungsversuch
Trotz des klaren Volksentscheids vom 29. November 2010 will sich die Kommission, welche von Bundesrätin Sommaruga eingesetzt worden ist, zwecks Erarbeitung der gesetzlichen Grundlage für die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative, offensichtlich an dem vom Souverän klar verworfenen Gegenvorschlag orientieren. Sie will - wie der Gegenvorschlag - allein die Zeitdauer einer ausgesprochenen Strafe als Grundlage für eine Ausweisung anerkennen. Und nicht - wie es die angenommene Initiative fordert - das begangene Delikt. Eine Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten sei Voraussetzung für eine Ausweisung. So will diese Experten-Kommission den Volksentscheid hintertreiben.
 
Das heisst im Kriminalitätsalltag: Ersttäter müssen äusserst selten mit sofortiger und automatischer Ausweisung rechnen. Ein Vergewaltiger müsste eine zweite Vergewaltigung, ein Räuber einen zweiten Raubüberfall, ein Kinderschänder eine zweite Kinderschändung, ein Drogendealer eine zweite schwere Straftat, ein Sozialwerk-Missbraucher eine zweite, dritte oder gar vierte Missbrauchstat begehen, bis die Ausweisung endlich ausgesprochen würde.
 
Hunderte zusätzliche Opfer
Ein einziges Vergewaltigungsopfer eines ausländischen Straftäters, ein einziges Raubopfer eines ausländischen Täters, ein einziges Gewaltopfer eines ausländischen Schlägers würde nicht genügen, damit der schuldige Ausländer ausgewiesen würde. Es bräuchte jährlich Dutzende, vielleicht Hunderte zusätzlicher Opfer, bis die Behörden unser Land von schweren Straftätern ohne Schweizer Bürgerrecht endlich befreien würden. Zugegeben: Es ist erst die »Expertenkommission« von Bundesrätin Sommaruga, die eine derart schwerwiegende Verwässerung des Volksentscheids vom 29. November 2010 vorschlägt. Die Bundesrätin hat also noch Gelegenheit, zu beweisen, dass sie Volksentscheide zu respektieren gewillt ist - entsprechend der hohen Verantwortung, die ihr zusammen mit ihrem hohen Amt übertragen worden ist.
 
Quelle: http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/News/Sechs_Monate-113
Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 11. März 2011