Japan nach dem 11. März 2011

Wir waren am 11. März nach Japan gereist, wo wir mit einem Tag Verspätung in Tokyo ankamen.

Kaum in Japan angekommen, wurden wir mit e-mails von unseren Freunden überschüttet, die um unser Leben fürchteten. Einerseits waren wir gerührt, andererseits doch sehr beunruhigt über die offensichtlich irreführenden und falschen Nachrichten, die über die Medien in der Schweiz und Europa verbreitet wurden. Offenbar herrschte in der Schweiz der Eindruck vor, Japan wäre ein einziges verstrahltes Trümmerfeld. Auch die offizielle Seite des EDA verbreitet mehr Panik als echte Information 1. Daher rekapituliere ich kurz:
 
Am 11. März ereignete sich vor der Küste von Sendai (circa 250 km von Tokyo) ein Erdbeben der Stärke 9. Dieses löste eine Flutwelle (Tsunami) aus, die Sendai und die Küste auf einer Länge von etwa 150 km verwüsteten. Diese Katastrophe war fürchterlich, forderte viele Tote und das Leid war unermesslich. Durch die beiden Naturkatastrophen wurde auch das Kernkraftwerk Fukushima in Mitleidenschaft gezogen. Die Wahl des Standortes beim Meer war in meinen Augen grob fahrlässig, um es milde auszudrücken. Noch heute kämpft die Betreiberfirma Tokyo Electric Power Co. (Tepco) mit den Folgen. Eine schnelle Lösung des Problems ist nicht in Sicht, wenn man bedenkt, dass es beim Unfall des KKW Three Mile Island von 1979 bis 1993 dauerte, bis die Schäden definitiv beseitigt waren.
 
Als wir in Tokyo ankamen, erwartete ich auf Grund des sehr starken Erdbebens doch einige Schäden zu sehen. Doch Tokyo stand wie eh und je und ich konnte bei unserer Fahrt vom Flugplatz und später keine Schäden sehen. Das Einzige, was während mehrerer Tagen nicht funktionierte, waren die Mobiltelefone, während vom Festnetz aus ohne Probleme telefoniert werden konnte. Daher finde ich die Idee, in der Schweiz die Alarmierung der Bevölkerung ganz auf Handys auszurichten, nicht gut. Die Werte für die Radioaktivität wurden vom zuständigen Ministerium jeden Tag veröffentlicht und z. B. in der Japan Times publiziert. Sie lagen zwischen dem 14. - 30. März zwischen 35 - 155 nano Sievert/h, (nano Sv/h) wobei am 15. März für kurze Zeit ein Spitzenwert von 809 nano Sv/h erreicht wurde. Am 24. März regnete es in Tokyo, wobei dort im Grundwasser kurzfristig eine erhöhte Radioaktivität festgestellt wurde, die aber bald wieder auf die Normalwerte sank. In der ersten Woche lagen die Werte meistens bei etwa 50 nano Sv/h, um dann am 22. März anzusteigen. Vergleicht man das mit der Schweiz, wo die Werte für die natürliche Radioaktivität zwischen 80 - 260 nano Sv/h liegen 2, so lagen die Werte für Tokyo durchaus im Bereich des Normalen.
 
Trotzdem forderte uns die Schweizer Botschaft auf, Tokyo unverzüglich zu verlassen und Jodtabletten einzunehmen, was unter diesen Umständen sogar gesundheitsgefährdend gewesen wäre. Das Suchteam in Sendai, das viel näher bei Fukushima liegt als Tokyo, konnte auch keinerlei Radioaktivität feststellen. Die Botschaft wurde nach Osaka verlegt, der Charterflug für die Evakuierung der Schweizer allerdings mangels Interesse abgesagt. Würde der gleiche Massstab wie in Tokyo angelegt, so müsste eher die ganze Schweiz evakuiert werden. Dieses Verhalten der Schweizer und anderer ausländischer Botschaften, die ihre Landsleute zum sofortigen Verlassen des Landes aufforderten, wurde von den Japanern als sehr beleidigend empfunden. Mir ist es vollkommen unverständlich, da in Tokyo und weiter südlich (Japan hat eine Küstenlinie von circa 2000 km) absolut keine Gefahr bestand.  Ich kann mich nicht erinnern, dass das EDA beim Unfall des KKW Three Mile Island die Schweizer vor Reisen in die USA gewarnt hätte. Das Gleiche gilt für das KKW Tricastin, das im Rhonetal bei Avignon liegt. Dort flossen 2008 offenbar 30 m3 radioaktives Wasser (307.000 Bq/Liter) über 2 Nebenflüsse in die Rhone. Eine offizielle Bestätigung oder ein Dementi dieser Zahl konnte ich nicht finden 3. Auch hier kann ich mich nicht erinnern, dass das EDA vor Reisen nach Frankreich gewarnt hätte oder die Medien das auch nur erwähnenswert fanden. Frankreich bezieht 80 % seiner Stromproduktion aus AKWs und denkt nicht im Traum daran, diese stillzulegen. Ganz im Gegenteil. Deutschland hat einige seiner AKWs stillgelegt, dafür aber den Import von Atomstrom aus Frankreich verdoppelt. Frankreich wird also die grosse Gewinnerin sein, da wegen eines Reaktorunfalls in Japan (mit Brennstäben aus Frankreich) alle daran denken, ihre Atomanlagen stillzulegen. Da Solaranlagen im Moment noch einen zu geringen Wirkungsgrad haben, müssen diese Länder Atomstrom aus Frankreich beziehen, zumal alle Regierungen auch noch das Credo der CO2 Neutralität nachbeten.
 
Bei all diesen Diskussionen werden die Opfer des Tsunamis vergessen, da sie nur dazu dienen, die politischen Ziele gewisser Parteien zu verwirklichen. In Japan wird, entgegen allen Berichten in gewissen Medien, eine sehr grosse Arbeit von Freiwilligen und vom Militär geleistet, um die Toten zu bergen und die sehr grosse Anzahl von Obdachlosen zu versorgen. Die Bevölkerung nimmt grossen Anteil. Es würde der Schweiz wohl anstehen, sich auch für die humanitäre Hilfe einzusetzen, statt in eine Massenpsychose zu verfallen.
 
Dr. Alexandra Nogawa, 6. April 2011
 
 
1 www.admin.ch
2 www.naz.ch/de/aktuell/tagesmittelwerte.shtml
3 Florian Rötzer auf heise online vom 9. 7. 2008   www.heise.de