Libyen - Zerstörung eines Landes

»Die Luftangriffe der NATO gegen Libyen«, schreibt André Scheer in der Jungen Welt, »gleichen immer mehr dem Krieg des westlichen Militärbündnisses

gegen Jugoslawien 1999, als Fernsehstationen, diplomatische Vertretungen, Krankenhäuser und von Dorfbewohnern genutzte Brücken bombardiert wurden. Bereits am 9. 5. 11 hatten die NATO-Flieger den örtlichen Sitz der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Tripolis angegriffen. In unmittelbarer Nähe des Gebäudes befinden sich auch die Sendeeinrichtungen des staatlichen libyschen Fernsehens, informierte TeleSur-Korrespondent Rolando Segura. Die Einwohner des Viertels sehen laut Segura in den Attacken einen weiteren Versuch der imperialistischen Kräfte, die Bevölkerung in Angst zu versetzen. So sei bei den Angriffen auch eine Spezialklinik für Verbrennungsopfer beschädigt worden. Offizielle Grundlage des Luftkriegs gegen Libyen ist noch immer die Resolution Nr. 1973 des Sicherheitsrates vom 17. März, in dem die militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Land beschlossen wurde, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Für den Apostolischen Vikar von Tripolis, Giovanni Martinelli, ist das jedoch keine Rechtfertigung. Dies bedeutet nicht, daß die Vereinten Nationen, die NATO oder die Europäische Union moralisch dazu berechtigt sind, über Bombenangriffe zu entscheiden, sagte der Bischof der katholischen Nachrichtenagentur Fides.« 1
 
Ein Ende der Angriffe auf Libyen ist indessen nicht in Sicht. »Man wolle den Druck auf das Regime von Muammar Al-Ghaddafi so lange aufrechterhalten, bis die Gewalt beendet ist, lautet die verquere Logik des westlichen Militärpakts«, legt Joachim Guilliard dar. »Viele scheuen sich, Stellung gegen den Krieg zu beziehen, avancierte Libyen im Zuge der Kriegsvorbereitungen doch im Westen in kurzer Zeit zur übelsten Diktatur. Es wird leichtfertig übersehen, welch einen fürchterlichen Preis ein Bürgerkrieg und die NATO-Intervention von den Libyern fordern können. Schließlich hatte Libyen bis jetzt den höchsten Lebensstandard in Afrika, und das »Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen« (UNDP) bescheinigte dem nordafrikanischen Land beste Aussichten, die Entwicklungsziele der UNO bis 2015 zu erreichen. Diese Hoffnungen dürfte der NATO-Krieg bereits zerstört haben. Die Analphabetenrate sank in Libyen auf 11,6 % und liegt deutlich unter der von Ägypten (33,6), Algerien (27,4), Tunesien (22) und Saudi-Arabien (14,5). Der vom UNDP ebenfalls berechnete Bildungsindex, in den neben der Alphabetisierung auch die Zahl von Schülern in höheren Schulen und Studenten eingeht, liegt sogar über dem der kleinen superreichen Scheichtümer Kuwait und Katar, die man an sich kaum mit den arabischen Flächenstaaten vergleichen kann. Dem Land droht nun ein Absturz, der mit dem im Irak vergleichbar ist. Für Richard Falk, den UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in Palästina, ist »der Grad der Unterdrückung in Libyen nicht durchdringender und schwerer als in anderen autoritär regierten Ländern. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß ein von den NATO-Staaten durchgesetzter Regime Change in Libyen für das Land viel besser ausgehen würde - von einem langem Bürgerkrieg und einer Teilung des Landes ganz zu schweigen.  Schließlich sind die angreifenden Mächte und ihre Agenda nahezu identisch und auch die Führung der Aufständischen ähnelt in vielem der der Iraker, die die USA im Zweistromland an die Regierung brachten - radikale islamische Organisationen und prowestliche, neoliberale Verfechter einer vollständigen Öffnung und Privatisierung der Wirtschaft des Landes.« 2
 
»Aus der Sicht von China Daily, der größten englischsprachigen chinesischen Tageszeitung, kann die Kriegsallianz in Libyen nicht gewinnen. Stattdessen verliert sie in Afrika an Boden. Das Blatt befürchtet, daß der Krieg zu einer humanitäre Katastrophe führen wird. Auch mit Hilfe der massiven Bombardierungen der Regierungskräfte ist es den libyschen Rebellen nicht gelungen, merklich an Boden zu gewinnen. Tatsächlich bringen die zivilen Opfer der westlichen Luftangriffe und das zunehmende humanitäre Desaster auch einen Teil der Rebellen zu der Überzeugung, so China Daily ferner, daß die Oppositionsführung nationale Interessen verrät und allein zur Durchsetzung eigener Interessen auf die Hilfe ausländischer Mächte zurückgreift. Gleichzeitig, heißt es weiter, schürten die Bombardierungen in ganz Afrika anti-koloniale Stimmungen. Die libysche Regierung werde auf dem Kontinent zunehmend als Bannerträger im Kampf gegen die westlichen kolonialen Intervention angesehen. Im Vergleich zu Afrikas wachsender Einheit steht die Zersplitterung der arabischen Welt einer Lösung der Situation in Afrika diametral entgegen. Unter den arabischen Ländern herrsche Konfusion. Zuerst hätten sie den Westen aufgefordert, in Libyen zu intervenieren und danach gestrebt, Gaddafi als Opferlamm gegen die Unruhen in ihren Ländern dienen zu lassen. Nachdem es diesem gelang, den Angriffen der Kriegsallianz standzuhalten, distanzierten sie sich, um nicht vor ihrer Bevölkerung als Verräter an den arabischen Interessen zu erscheinen. Je länger sich die westliche Allianz in den innerlibyschen Konflikt einmischt, desto stärker werden die anti-interventionistische Gefühle in Afrika werden, mit dem Ergebnis, daß die politische Legitimität der libyschen Opposition noch weiter sinkt und der Westen zu einem noch stärkeren Eingreifen gezwungen sein wird, bis er schließlich ihn Afrika völlig feststeckt.« 3
 
In der Nacht auf den 15. 5. flog nun die NATO  erneut Luftangriffe auf Tripolis. Mit einer SMS hat die libysche Regierung auf einstündigen Gefechtslärm im Grossraum Tripolis reagiert. Die Libyer sollten den Lügen in (Nachrichten-) Kanälen, Gerüchten und Aufrufen zu Kampf und Zerstörung nicht glauben, hiess es darin. Der UNO-Sondergesandte Abdelelah al Chatib unternimmt heute, am 15. 5., einen weiteren Versuch in Tripolis, eine Waffenruhe in Libyen zu erreichen 4.
 
 
 
1 http://www.jungewelt.de/2011/05-11/001.php    11. 5. 11
Terror in Tripolis - Von André Scheer
2 http://www.jungewelt.de/2011/05-05/001.php  Zerstörung eines Landes - Droht Libyen der gleiche Absturz wie dem Irak? Überlegungen über den drohenden »Preis der Freiheit« - Von Joachim Guilliard - Eine ausführlichere Fassung und Quellenhinweise finden auf
http://jghd.twoday.net/stories/truppen-aktivitaeten-und-manoever-deuten-auf-interventionsvorbereitung
3 http://jghd.twoday.net/stories/libyen-krieg-humanitaere-katastrophe-westen-in-afrika-festgefahren/     4. 5. 11  Libyen-Krieg: humanitäre Katastrophe, Westen in Afrika festgefahren;
Originaltext auf http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=24438 21. 4. 11
Libya's expanding complications - Libyan War: Humanitarian Disaster, West Getting Bogged Down In Africa
4 http://bazonline.ch/aboservice2/Nato-bombardiert-Tripolis--Ghadhafi-versendet-Durchhalteparole/story/19929007   15. 5. 11