Der Iran - alte Behauptungen neu aufgelegt

Einer Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Juni zufolge verschärft die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ihren Ton gegenüber dem Iran.

»Generaldirektor Yukiya Amano sagte zum Auftakt einer Sitzung des Gouverneursrats der Behörde am Montag in Wien, die IAEA habe Informationen erhalten, die darauf hindeuteten, daß das iranische Atomprogramm entgegen der Behauptungen aus Teheran wahrscheinlich eine militärische Dimension habe. Die mit einer möglichen militärischen Dimension verbundenen Aktivitäten scheinen bis vor kurzem angedauert zu haben, sagte Amano. Er teilte nicht mit, woher die Informationen stammten. Die IAEA verfügt nicht über eigene geheimdienstliche Erkenntnisse, sondern bekommt solche von Mitgliedstaaten zugespielt, wenn es diesen opportun erscheint. Das gibt häufig Anlaß zum Streit im Wiener Gouverneursrat, weil sich Länder wie der Iran oder Syrien beschweren, daß sich die UN-Behörde zum Spielball westlicher Mächte mache. Bisher hatte sich die IAEA zurückhaltender geäußert. Meist hieß es, der Iran arbeite nicht hinreichend genug mit der IAEA zusammen, um dieser die Möglichkeit zu geben, eine militärische Dimension seines Atomprogramms auszuschließen. Der UN-Sicherheitsrat ist jedoch überzeugt davon, daß der Iran heimlich militärische Absichten hegt, und hat deshalb Sanktionen gegen das Land verhängt. In seinem Bericht an die Mitglieder des Gouverneursrats hat Amano ausgeführt, die neuen Erkenntnisse bezögen sich auch auf die Entwicklung eines atomaren Sprengkopfes für eine Rakete.« 1

 

Im Zusammenhang mit den gegen den Iran erneut erhobenen Anschuldigungen haben nun Paul von Maltzahn, Richard Dalton, Steen Hohwü-Christensen, Guillaume Metten, François Nicoullaud und Roberto Toscano die folgende Erklärung abgegeben 2:

 

Raus aus der Sackgasse

Wir sind zur selben Zeit Botschafter im Iran gewesen. Wir haben die Entwicklung der Krise zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft wegen des Nukleardossiers aus nächster Nähe verfolgt. Wir halten es für unhaltbar, daß die Nuklearverhandlungen immer noch in einer Sackgasse stecken. Die arabische Welt und der Nahe Osten treten in eine neue Phase ein. Überall zeichnen sich neue Perspektiven ab. Das bietet Gelegenheit, etablierte Positionen neu zu überdenken - auch in der iranischen Nuklearfrage. Die Position, die Europa und Amerika vertreten, beruht auf einer Reihe von Resolutionen des Sicherheitsrates, die sich auf Kapitel VII der UN-Charta beziehen, die im Falle von Bedrohungen für den Frieden Zwangsmaßnahmen erlauben.

 

Aber worin besteht die Bedrohung? Ist es die Anreicherung von Uran in iranischen Zentrifugen? Das ist gewiß eine sensitive Aktivität eines sensitiven Staates in einer sensitiven Region. Die Bedenken der internationalen Gemeinschaft sind legitim. Der Iran ist nicht nur moralisch verpflichtet, sondern sollte auch aus politischer Notwendigkeit auf diese Bedenken eingehen. Jedoch grundsätzlich verbietet nichts im internationalen Recht und im Nichtverbreitungsvertrag (NVV) die Anreicherung von Uran. Außer  dem Iran reichern mehrere andere Staaten Uran an, ohne daß sie beschuldigt werden, den Frieden zu bedrohen. Überdies unterliegt die Anreicherungsaktivität im Iran den Inspektionen der IAEA. Es stimmt, daß diese Inspektionen durch ein überholtes Abkommen eingeschränkt sind. Aber es stimmt auch, daß die IAEA nie einen Versuch, angereichertes Material für militärische Zwecke abzuzweigen, aufgedeckt hat.


Ist die
Bedrohung des Friedens in einem aktiven, geheimen Programm zum Bau von Nuklearwaffen enthalten? Seit mehr als drei Jahren haben die amerikanischen Nachrichtendienste diese Hypothese nicht mehr aufrechterhalten. James Clapper, der an deren Spitze steht, hat im vergangenen Februar vor dem Kongreß ausgesagt: »Wir gehen weiterhin davon aus, daß der Iran sich die Option vorbehält, nukleare Waffen zu produzieren. .... Wir wissen aber nicht, ob sich der Iran letztendlich dazu entschließen wird. ..... Wir sind weiterhin der Meinung, daß Irans nuklearer Entscheidungsprozeß von einem Kosten-/Nutzen-Ansatz geleitet wird. Dies bietet der internationalen Gemeinschaft Ansätze, Einfluß auf den Iran zu nehmen.« Heute scheint die Mehrheit der Fachleute der Meinung zu sein, daß der Iran danach strebt, ein Schwellenstaat zu werden, der technisch in der Lage ist, Nuklearwaffen zu produzieren, aber einstweilen davon absieht. Wir können dies bedauern, jedoch verbietet nichts im internationalen Recht eine solche Absicht.


Es wird oft behauptet, da
ß Irans böser Wille, seine Weigerung, sich auf ernsthafte Verhandlungen einzulassen, unseren Staaten nur die Wahl gelassen haben, den Iran vor den Sicherheitsrat zu zitieren. Hier liegen die Dinge auch nicht so einfach. Der Iran war im Jahr 2005 bereit, über eine Begrenzung der Zahl der Zentrifugen zu diskutieren und den Anreicherungsgrad weit unter der für militärische Zwecke notwendigen Grenze zu halten. Vor allem aber erklärte sich der Iran bereit, das Zusatzprotokoll mit der IAEA, das eingehende Inspektionen, auch in nicht deklarierten Anlagen erlaubt, anzuwenden. Damals wollten Europäer und Amerikaner den Iran dazu zwingen, sein Anreicherungsprogramm aufzugeben. Zumindest aus der Sicht der Iraner zielt das Beharren des Sicherheitsrats auf Suspendierung aller iranischen Anreicherungsaktivitäten immer noch in diese Richtung. Bevor wir den Iran beschuldigen, Verhandlungen hinauszuzögern, sollten wir zugeben, daß die Formel null Zentrifugen im Iran ein unrealistisches Ziel ist.


Aber warum sollte man dem iranischen Regime einen Ansatz bieten, seine nationale und internationale Legitimität wiederherzustellen? Sollten wir nicht lieber auf einen akzeptableren Nachfolger warten? Auf der anderen Seite nannte Ronald Reagan die Sowjetunion das
Reich des Bösen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, intensiv mit Michael Gorbatschow über atomare Abrüstung zu verhandeln. Die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats und Deutschland (P5+1) sollten zwar gewiß den Druck in Sachen Menschenrechte aufrechterhalten, aber auch versuchen, ein frustrierendes und immer noch dringendes Proliferationsproblem zu lösen. Damit würden wir einen ernsthaften Grund für Spannungen in einer Region reduzieren, die sich mehr als je zu vor nach Ruhe sehnt.


Das Scheitern der Verhandlungsrunde in Istanbul und der letzte enttäuschende Briefaustausch zwischen den Parteien zeigen, da
ß es nicht einfach sein wird, den gegenwärtigen toten Punkt zu überwinden. Je diskreter und fachspezifischer die Verhandlungen verlaufen, desto größer sind die Erfolgsaussichten. Und in der Substanz kommt es darauf an, daß jede Lösung auf der Qualität des Inspektionssystems der IAEA aufbauen muß. Tatsächlich könnte der erste Schritt für die beiden Parteien darin bestehen, die IAEA zu fragen, welche zusätzlichen Instrumente erforderlich sind, um das iranische Atomprogramm erfolgreich zu überwachen und glaubhaft sicherzustellen, daß es in jeder Hinsicht friedlichen Zwecken dient. Auf der Basis der darauf gegebenen Antwort könnten pragmatische Verhandlungen aufgenommen werden.

 

 

1 F.A.Z. Nr. 132 vom 8. 6. 2011; IAEA verschärft Ton gegen Iran  

2 F.A.Z. Nr. 134 vom 10. 6. 2011; Fremde Federn Raus aus der Sackgasse
Die Verfasser Paul von Maltzahn (Deutschland), Richard Dalton (Großbritannien), Steen Hohwü-Christensen (Schweden), Guillaume Metten (Belgien), François Nicoullaud (Frankreich), Roberto Toscano (Italien) waren Botschafter in Teheran.