Naturpärke - alles nur Propaganda für ein neoliberales EU-Projekt - Von Erika Vögeli

Naturpärke sind kein Schweizer Produkt, sondern ein EU-Importartikel. Sie reihen sich nahtlos in alle Strategien

der neoliberalen Globalisierer zur Auflösung der Nationalstaaten ein. Privatisierung ist hier ein Stichwort, unter dem Ressourcen und Land der öffentlich-rechtlichen Kontrolle von Staaten bzw. Gemeinden entzogen werden. Entbürgerlichung der Bürger müsste ein zweites lauten, denn Privatisierung einerseits und supranationale Strukturen andererseits schaffen neue privatwirtschaftliche Einfluss- und Entscheidungsgremien jenseits der staatlich garantierten politischen Rechte, welche dadurch auf immer kleinere Einflussbereiche zusammengestutzt werden sollen. Die EU selbst ist dafür ein Paradebeispiel: Immer weniger Gesetze werden von den gewählten Parlamenten der Nationalstaaten erlassen, statt dessen werden diese von 27 nicht vom Volk gewählten Kommissaren kreiert, dies unter dem Einfluss von 15000 gutbezahlten Lobbyisten der Wirtschafts- und Finanzkonzerne, die dafür in Brüssel ihre Büros unterhalten.

 

Angesiedelt ist die Naturpark-Strategie unter anderem in einem Programm der EU zur «Entwicklung des ländlichen Raums», denn auch die Länder der EU sind mit derartigen Projekten weitflächig überzogen. Und genau wie bei den Naturpärken in der Schweiz werden auch sie mit Umweltschutz, wirtschaftlicher Entwicklung, Förderung von Labels zur besseren Vermarktung lokaler Produkte, Tourismusförderung, Schaffung von Arbeitsplätzen, usw., PR-mässig angepriesen.

 

Wenn «von unten nach oben» von oben gesteuert wird

Tatsache ist, dass die Naturpärke auf einer Website der Europäischen Kommission als Beispiele sogenannter Local Action Groups, lokaler Aktionsgruppen, figurieren. Diese bilden, man lese genau, «die Hauptstützen zur Implementierung des Leader Konzepts» [1]. Diese ganz und gar nicht lokale, sondern von der EU-Zentrale entwickelte Herangehensweise werde von den Aktionsgruppen genutzt, «um ihre Entwicklungsstrategie zu implementieren und zu finanzieren. Diese Strategien sind auf die Förderung von Public Private Sector Partnershipsangelegt und setzen eine multisektorielle, von unten nach oben angesetzte Herangehensweise ein, welche lokale Kooperation und lokale Netzwerke fördert.» [2] Die Aktionsgruppen wiederum sind Teil nationaler Netzwerke, die alles einbinden, was an dieser Entwicklung beteiligt ist. Zusammengeführt wird das Ganze im Europäischen Netzwerk für die Entwicklung des ländlichen Raums (European Network for Rural Development ENRD), dessen Aufgabe die effiziente Umsetzung der EU-Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum ist.

 

Appetit auf Nutzung ländlicher Ressourcen

Das Interesse der EU ist nicht unbegründet, schliesslich entsprechen ländliche Gebiete in der EU «90 % des Territoriums, und die ländliche Entwicklung ist ein lebenswichtiger Bereich der Politik. Land- und Forstwirtschaft bleiben für die Landnutzung und das Management von natürlichen Ressourcen in den ländlichen Gebieten der EU entscheidend.» [3] Allein die Tatsache, dass die sogenannten lokalen Aktionsgruppen über verschiedene Strukturen (Leader, Nationale Netzwerke, Europäisches Netzwerk) schliesslich an die Politik der EU-Kommission gekoppelt sind, straft die ganze Darstellung Lügen. Was auf der Ebene der Gemeinden als lokale Aktionsgruppe daherkommt, die sich als Strategie von unten nach oben ausgibt, erweist sich als letztes Glied einer von Brüssel inszenierten Strategie, die sich als Förderung lokaler Anliegen präsentiert, um Bürgernähe zu suggerieren, in Wirklichkeit aber an Brüsseler Vorgaben und Vorschriften hängt, welche sich zu einem Netz von Fallstricken und teuren Gerichtsverfahren für die lokale Wirtschaft erweisen können.

 

«Harmonisierung» - Der Deckbegriff für die Ausschaltung der Bürger und Zentralisierung

Wie die Auflösung nationalstaatlicher Grenzen vorangetrieben wird, präsentiert sich etwas konkreter auf der Seite «Regionalpolitik Europäische Union» unter «Naturparks ohne Hindernisse». Weil die Landschaft eine «geographische Einheit» bildet, müsse diese «Trennung» durch Auflösung der Grenzen – und damit nationalstaatlicher Strukturen, die «harmonisiert» werden müssten – rückgängig gemacht werden. [4] Harmonisierung, ein typischer Spin, bedeutet konkret: Was bisher der Gesetzgebung von Gemeinden, Bezirken, Kantonen und Staaten unterstellt war, soll da herausgelöst und am Beispiel der Naturpärke den Entscheiden solcher überstaatlicher privater Aktionsgruppen und Vereine zugeordnet werden, die über die entsprechenden Netzwerke bzw. finanzielle Abhängigkeit an die EU-Vorgaben angebunden werden.

 

Demokratieabbau – kein Schweizer Weg

Betrachtet man die Entstehung der Naturpärke in der Schweiz, stellt man fest, dass das Vorgehen praktisch analog erfolgt. Der leere Brüsseler Tropf fehlt zwar, ersetzt wird er jedoch durch Mittel aus der Bundeskasse. Und genau analog der Leader-Strategie werden öffentlich-rechtliche Gemeinden in einen privaten Verein eingebunden, der dann eine neue Ebene bildet, die sich – und das ist für die Schweiz entscheidend – der direkt­demokratischen Einflussnahme entzieht; man schafft Strukturen, die letztlich der politischen Kontrolle der Bevölkerung entzogen sind. Wohl können die Stimmberechtigten der jeweils betroffenen Gemeinden im Fall der Naturpärke über den Beitritt zum Parkvertrag abstimmen: das war dann allerdings das letzte Mal. Der Vorgang verläuft ansonsten analog zu demjenigen in den demokratisch nicht legitimierten Metropolitan-Konferenzen und -vereinen in den städtischen Gebieten des Mittellandes: Dort beschliessen Exekutivmitglieder der beteiligten Städte und Gemeinden über die Programme für diese Region, obwohl dies die verfassungsmässig festgelegte Kompetenz der Bund- und Kanton-konstituierenden politischen Körperschaften ist, die als solche den politischen Rechten, Referendum und Initiative, unterliegen. Man schafft mit solchen Gremien eine weitere verfassungsmässig nicht definierte, staatsrechtlich nicht erfasste Ebene, die sich Entscheidungsbefugnisse zuschreibt, welche von Bund- und Kantonsverfassungen klar zugeordnet und nicht verfügbar sind. Diese demokratisch nicht kontrollierte Zwischenebene produziert oder kopiert dann – im Verbund mit anderen solchen Gremien und manchmal mit einzelnen Abteilungen in den Bundesämtern, die solche Initiativen fördern, im Falle der Naturpärke im zuständigen Bundesamt für Umwelt Bafu – Richtlinien, Bestimmungen, Verordnungen usw., ganz analog dem Vorgang in der EU. Das Konzept, dass private «parastaatliche Organisationen» staatliche Aufgaben übernehmen, drängt den Staat zurück und leitet seine schleichende Privatisierung ein. Hier wird – ohne formelle EU-Mitgliedschaft – auf verschiedenen Ebenen an Strukturen gebastelt, die sich genauso wie andernorts in neoliberale Konzepte einpassen liessen. Etwa dann, wenn der Appetit auf «Landnutzung und Management der natürlichen Ressourcen» sich auf die finanziellen Möglichkeiten privatisierter Verkehrswege oder Wasserressourcen richtet.

 

Finanzielle Verlockungen aus euphorischen Zeiten

Die Schweiz jedenfalls braucht solche Konzepte nicht. Schon gar nicht in Zeiten wirtschaftlicher Anspannung, denn bei der Entwicklung solcher Strukturen soll auch Geld fliessen, manchmal viel Geld, etwa für Machbarkeitsstudien oder ähnliches. Dabei wurden diese Projekte in einer Zeit entwickelt, als noch reichlich Geld in die Bundeskasse floss. Mittlerweile zeigen die Erschütterungen der Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Folgen: Die aktuellen Bundeseinnahmen werden wesentlich geringer ausfallen. Und vermutlich sind die Kapazitäten für diese Parkprojekte nach Finanzierung teurer Konzeptions- und Machbarkeitsstudien auch schon erschöpft, so dass weitere Kosten von den Gemeinden und Kantonen zu übernehmen wären.

 

Zurück zur Vernunft

Natur und Landschaft sind bei uns seit Jahrzehnten gepflegt und geschützt. Wenn es wirklich um die Förderung der ländlichen Gebiete geht: Wie wäre es da stattdessen mit einer Erinnerung zum Beispiel an den Investitionshilfefonds für die Berggebiete? Dieser Fonds hatte zuletzt rund 1,5 Milliarden Franken geäufnet. Daraus wurden unzählige zinslose Darlehen für Infrastrukturbauten finanziert und von den Gemeinden immer wieder zuverlässig zurückgezahlt. Dieser Fonds ist nun im Zuge der neuen Regionalpolitik aufgelöst wordenwerden die Zahlungen des Bundes für die Naturpark-Projekte nun daraus finanziert? Dieses Mal allerdings ohne Rückzahlung. Bis die Kasse leer ist? Und dann? Werden die Gemeinden in die Pflicht genommen? Oder verscherbeln wir dann unseren Lebensraum an private Investoren? Besinnen wir uns wieder auf uns selber, auf die eigenen Werte und Erfahrungen. Lösen wir uns von dem Irrglauben, alles Neue sei per se auch besser. Die Schweiz hat mit dem Investitionshilfefonds beste Erfahrungen gemacht. Wie wäre es anstelle demokratiezerstörender EU-Projekte mit einer Wiederbelebung dieser echt schweizerischen und wirklich nachhaltigen Lösung? Und übrigens: Uri zum Beispiel hätte mit seinen Volkstheatern, an denen vom Schulkind bis zum Landammann das ganze Tal mitwirkte und die bei den Besuchern auf begeisterten Beifall stiessen, etwas Eigenständigeres und Sinnvolleres zu bieten als EU-kopierte Parkverordnungen und weitere Ergänzungen für den unüberschaubaren Label-Salat. Nebenbei bieten solche Initiativen auch Gelegenheit, die Jugend mit sinnvolleren Aktivitäten vertraut zu machen, ihnen neben Geschichte und Allgemeinwissen auch ihre Bedeutung für die Gemeinde und das Gemeinwohl zu vermitteln, anstatt sie dem hirnlosen Kulturabbau des American way of life zu überlassen. 

 

[1]  Leader steht dabei für «Liaison Entre Actions de Développement de l’Economie Rurale», was soviel heisst wie «Bindeglieder zwischen ländlicher Wirtschaft und Entwicklungsaktionen.»

[2]  http://enrd.ec.europa.eu/rural-development-policy/leader/en/leader_home_en.cfm

[3]  http://enrd.ec.europa.eu/rural-development-policy/introduction/en/introduction_home_en.cfm

[4]  Europäische Kommission. Regionalpolitik Europäische Union. Naturparks ohne Hindernisse (pdf.)

 

Quelle:  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=501

Zeit-Fragen  >  2011  >  Nr. 46 vom 14.11.2011  >  Naturpärke – alles nur Propaganda für ein neoliberales EU-Projekt

 

 

 

 

Verkaufen wir uns und unsere Landschaft für ein Linsengericht? – Naturpark: Verlust an Mitsprache und Demokratie

 

 

Im direktdemokratischen System der Schweiz sind alle für die Öffentlichkeit relevanten Bereiche in einem filigranen Zusammenspiel auf Bundes-,

 

Kantons- und Gemeindeebene geregelt: Der Gewässerschutz, damit wir sauberes Wasser haben; die Waldwirtschaft - so, dass manche der Meinung sind, es müssten einige Vorschriften gelockert werden: aber nur auf dem vollen Wege des direktdemokratischen Verfahrens; Umweltfragen – so perfekt, dass manche an Korrekturen denken, aber nur auf regulärem Wege.

 

Die Landwirtschaft ist mehr als perfekt geregelt. Direktvermarktung ist kein Problem mehr: die landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentren haben exzellente Weiterbildungsmodule angeboten. Einige Kantone haben kleine, aber hocheffiziente «Agro-Marketing»-Firmen gegründet, die beste Arbeit leisten. «Schlaf-im-Stroh», «Ferien auf dem Bauernhof», «Schule auf dem Bauernhof», «Bed and Breakfast»: alles ist in vernetzten Organisationen mit bester Beratung und Unterstützung geregelt. Der Tourismus hat seine eigenen Organisationen und das sind die Letzten, die behaupten wollen, sie seien nicht zu einem effizientem Marketing fähig. So viele Touristen, wie derzeit allen Ländern versprochen werden, gibt es auf der ganzen Welt gar nicht. Was also soll das, dass einzelne kantonale Departemente wie Umwelt und Raumplanung immer noch getrieben werden, mit EU-Naturpark-Ideologie Illusionen zu predigen und unnötige Zweitstrukturen wie ein Spinnennetz über unser Staatswesen zu legen? Jetzt, da die Kantone ihre Budgets nach unten korrigieren müssen und endlich das Überflüssige gestrichen werden sollte, immer noch? Müssen Umwelt- und Raumplanungsämter die Immobilienblase für den Tourismus in  unsere Berg- und Randgebiete wie Seerücken und Jura-Plateau holen, damit sie nachher «in die Pfanne gehauen» werden können? Was läuft da ab? In wessen Auftrag und zu wessen Gunsten? Gerade der Kanton Graubünden hat mit den zwei ausserordentlich sympathischen Verkaufsstationen einheimischer Spezialitäten und einheimischen Kunsthandwerks im «Heidiland» und im «Viamala» beste Verkaufsmöglichkeiten geschaffen. Dass sie von Frauen aus der Umgebung eher reiferen Alters betreut werden, macht sie noch liebenswerter. Man trifft auf all die lieben Sachen, mit denen sich Erinnerungen verbinden, und hat das Gefühl, innerlich nach Hause zu kommen. Darum nimmt man noch so gern einen Sack Apfelringe oder ein paar Nidelzeltli oder ein kleines Geschenklein für ein Enkelkind mit nach Hause. Für solche Verkaufsstationen braucht es keine Naturpärke, die die schönsten Murmeltierwiesen in Öko-Bürokratie verwandeln, in denen jedes natürliche menschliche Mitleben abgewürgt wird. Wer hat diese EU-Naturpark-Planung ins Land geholt? Im Rahmen welchen Deals?

 

Die Redaktion von «Zeit-Fragen» hat Jon Peider Lemm, den Präsidenten der SVP Graubünden, nach Sinn und Zweck dieses Spinnennetzes befragt.

 

Z.-F.: Sind die Naturpärke ein Bedürfnis von der Basis her, oder kommt der Impuls von woanders her?

Jon Peider Lemm: Die Praxis zeigt uns ganz klar, dass Naturpärke von oben diktiert werden. Am besten hat sich das gezeigt, als es um die Erweiterung des Schweizerischen Nationalparks mit einer Umgebungszone gegangen ist. Hier haben die Gemeinden zusammen mit den interessierten Kreisen beraten und die Sache an die Hand genommen. Eine Gemeinde hat dann nein gesagt, eine andere hat in dieser Frage ein Moratorium beschlossen. Spätestens dann hat man gemerkt, dass das Projekt scheitern wird.

 

Was geschah dann?

Unter dem Vorwand der Regionalförderung hat man im Natur- und Heimatschutzgesetz drei verschiedene Kategorien von Pärken von nationaler Bedeutung aufgenommen: zuerst den Naturerlebnispark, dann den regionalen Naturpark, und die dritte Kategorie bildet der Nationalpark. Im Gesetz steht, dass der heutige Nationalpark der einzige in der Schweiz sei, der das Label «Schweizerischer Nationalpark» trägt, obwohl er im Moment über keine – wie im Gesetz neu vorgesehen – Umgebungszone verfügt. Weiter hat man im Gesetz festgehalten, dass der Bund eine allfällige Erweiterung mit finanziellen Mitteln fördert. Den Gemeinden im Münstertal und im Unterengadin hat man damals gesagt, wenn ihr aus dem Münstertal ein Biosphärenreservat macht, dann gilt dieses gleichzeitig als Umgebungszone des Schweizerischen Nationalparks. Mit viel Geld hat man die Münstertaler gelockt, und die Bevölkerung hat dieses Reservat angenommen. Als die Verantwortlichen für die Anerkennung nach Paris gereist sind, um Unesco-Biosphärenreservat zu werden, hat man ihnen in Paris gesagt, ihr dürft euch Unesco-Biosphärenreservat nennen, aber ihr müsst in den nächsten Jahren trotzdem auch noch eine Umgebungszone um den Schweizerischen Nationalpark errichten, und zwar einen geschlossenen Gürtel und nicht ein Anhängsel wie das Biosphärenreservat Münstertal. Jetzt ist genau das passiert, was Sie gesagt haben: Man hat die Gemeinden von oben in die Sackgasse getrieben. Jetzt heisst es natürlich im Engadin: «Wir können doch jetzt nicht mehr nein zu dieser Umgebungszone sagen.» Das Münstertal würde ansonsten viel Geld und das Label Biosphärenreservat verlieren. Die Gemeinden werden nun wohl alle ja sagen müssen. Der ganze Ablauf zeigt nichts anderes, als dass die Gemeindeautonomie ausgehebelt, der Druck von oben per Gesetz verordnet wird und dass unser bewährtes demokratisches System ausgeschaltet wird. Das ist ein Vorgehen und eine Art und Weise, die einem sehr zu denken geben. Deshalb gibt es nur eins: Die Menschen in den betroffenen Gemeinden müssen von ihren demokratischen Rechten Gebrauch machen und bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass man nachher nichts mehr zu sagen hat, enorm gross ist.

 

Ein Vertrag muss kündbar sein, sonst ist er unethisch …..

Bei den Strukturen des Nationalparks und bei den Naturpärken sieht man, dass die Gemeinden praktisch nichts mehr zu sagen haben. Die Gemeinden können den Vertrag nicht mehr kündigen. Bei den Naturpärken ist es ähnlich. Hier kann man den Vertrag 10 Jahre lang nicht kündigen. In einer Radiosendung erzählte Frau Semadeni, die Präsidentin von Pro Natura Schweiz, dass sie eine Million für den Park Adula zur Verfügung stellen können. Die Million werden sie aber erst auslösen, wenn bereits gewisse Schutzbestimmungen im Sinne der Pro Natura eingeführt sind. Es wird mit Geld Druck aufgebaut, damit die Menschen am Schluss sagen, wir können doch nicht auf eine Million Franken verzichten. Und so laufen sie blindlings in eine Sackgasse. Wenn man im Natur- und Heimatschutzgesetz schaut, heisst es bei der Definition der Nationalpärke, dass in der Umgebungszone eine «naturnahe Bewirtschaftung» vorgesehen ist. Wenn ich ein Papier verlange, aus welchem hervorgeht, was «naturnahe Bewirtschaftung» bedeutet, bekomme ich keine konkrete Antwort. Das ist bis heute nicht definiert. Das ist auch damals der Erweiterung des Schweizerischen Nationalparks zum Verhängnis geworden, weil das alles erst nachher festzulegen war. Die Vertreter der Schutzorganisationen verlangten plötzlich ein Verbot, Pilze und Beeren zu sammeln, ein Verbot, Hunde frei laufen zu lassen usw. usw. Auch der Wald- und der Landwirtschaft sowie der Jagd und Fischerei hat man immer grössere Einschränkungen und Auflagen gemacht, bis eine Organisation nach der anderen abgesprungen ist.

 

Sieht es nicht so aus, als ob der Bundesrat immer noch mit Vorgaben aus der globalen Wirtschaft arbeitet? Die Schweiz mit Salamitaktik EU-reif zu schiessen und die fünfte Kolonne ins Wasserschloss zu holen? Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die beabsichtigte Errichtung des Naturparks Beverin? Wozu sollen wir diese Naturpärke einrichten? Und Park Adula?

 

In unseren Gemeinden können wir am besten selbst bestimmen, was wir wollen, und was in Zukunft sein soll. Wir haben auch genügend eigene Gesetze, die dafür sorgen, dass keine Überbordung stattfinden wird. Sich vom Geld blenden lassen, um nachher von fremden Leuten bestimmt zu werden, nein: Der Preis ist zu hoch! Die demokratischen Einschränkungen, der Verlust an Mitsprache und Einfluss ist sehr gross. Ich bin es gewöhnt, dass man beim Aushandeln von Verträgen ausgewogen vorgeht. Das ist ein Geben und Nehmen. Und im Fall von Naturpärken sind die Gemeinden nur auf der Geberseite. Mit dem Geld zahlen wir diejenigen, welche teure Berichte, Studien, Konzepte, Leitbilder usw. ausarbeiten. Das Geld ist schnell verbraucht. Geld ist nicht nachhaltig. Das Geben und Nehmen ist hier in einem völligen Ungleichgewicht …

 

und die demokratischen Rechte sind weg.

Bei den Naturpärken bestimmen der Bund und die Schutzorganisationen nach den Vorgaben – man höre und staune – aus Brüssel. Ist der Park einmal da, ist es ein Leichtes zu sagen, das lässt sich mit einem Naturpark nicht vereinbaren. Das kommt einer Enteignung gleich. Nehmen wir noch einmal das Beispiel Biosphärenreservat Münstertal. Die Idee, auf einer Alp in der Val Mora eine SAC-Hütte aufzubauen, stammt vom Schweizerische Alpenclub, und jetzt kommen bereits alle Schützer wie Pro Natura und ähnliche und machen ein Geschrei, dieses Projekt lasse sich nicht mit einem Biosphärenreservat vereinbaren. Beim Haus meiner Grosseltern in Tschierv hat ein Bauer auf seinem Land etwas den Boden ausgeglichen und geebnet. Da sind sofort alle Schutzorganisationen und natürlich auch die Medien gesprungen. Es war ein riesiger Rummel. Er musste eine Busse bezahlen, und als Auflage hat er ein Biotop-Seeli als Ausgleich bauen müssen, nur weil er seine eigene Wiese ein bisschen begradigt hat.

 

Sie haben den Tourismus erwähnt.

Ob man es wahrhaben will oder nicht, Tourismus ist ein Massengeschäft. Und wenn man die Massen anzieht, dann ist es auch nicht mehr im Einklang mit dem Schutzgedanken dieser Pärke oder des Reservats. Das Argument vom sanften Tourismus ist Augenwischerei. Schutzorganisationen verlangen immer mehr Einschränkungen, und je mehr Einschränkungen es gibt, desto weniger Tourismus entwickelt sich. Die Leute wollen skifahren, sie wollen Skilifte, Bergbahnen, sie wollen künstlichen Schnee, damit gute Pisten garantiert sind, sie wollen ausgebaute Wege für Mountainbikes und andere Aktivitäten entwickeln, zum Teil auch verrückte Sachen, über die ich nur den Kopf schüttle – aber das ist die Realität. Sie wollen Action, Fun … Wir im Engadin, in ganz Graubünden haben kein Problem, die tollsten und schönsten Landschaften anzubieten, wir haben beides, aber man kann sich mit derartigen Verträgen, bei denen dann erst im Nachhinein der Aha-Effekt kommt und man dann sagt: Ja, das ist uns im Vorfeld nicht gesagt worden, nicht unnötig einschränken lassen. Die Bevölkerung wird im Vorfeld zu wenig über die tatsächlichen Auswirkungen einzelner Vertragspunkte und über die Folgen dieser Bestimmungen informiert.

 

Mit der Agrarpolitik 2014 verspricht man den Bauern mehr Geld für Landschaftspflege, und wenn man seine Weiden in einem Naturpark hat, bekäme man grössere Ausschüttungen, aber bisher ist alles nur ein Versprechen – und vorher kommt noch die internationale Wirtschaftskrise …..

Ja, die Landwirte wollen Unternehmer sein, sie wollen «produzierende Landwirtschaft» sein. Als die Biolandwirtschaft eingeführt wurde – ich bin nicht vom Fach, aber ich erinnere mich noch sehr genau – da hat man in Graubünden gesagt, das kann eine Nische sein. Wenn 10% Bioprodukte produzieren, kann das interessant sein. Aber wenn plötzlich 90% Bioprodukte sind, ist man wieder am Ausgangspunkt, an dem man angefangen hat. Auch bei den Pärken ist es so: Wenn Sie einen Schweizerischen Nationalpark haben, dann ist das eine Attraktion. Aber wenn Sie dann, wie Sie sagen, sogar über die Landesgrenzen hinaus nur noch Pärke haben, dann nützen alle Labels nichts, dann ist alles wieder Eintopf. Aber mit grossen vertraglichen Einschränkung und Auflagen, bei denen wir uns nicht bewusst sind, was das für künftige Generationen heisst.

 

Ja, und da wären wir wieder bei der Frage der direkten Demokratie. Die Parkstrategie höhlt die Gemeinden aus.

Es führt zu einer Entvölkerung der Berggebiete. Der Schutz steht über dem Nutzen, über jene Menschen, die dort leben und arbeiten wollen. Das darf nicht sein. Es ist viel zu einseitig und kommt einer Enteignung und Bevormundung gleich.

 

Herr Lemm, vielen Dank für das Gespräch.

 

Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=500

Zeit-Fragen  >  2011  >  Nr. 46 vom 14.11.2011  >  Verkaufen wir uns und unsere Landschaft für ein Linsengericht?  ab/thk. Interview mit Jon Peider Lemm, Präsident der SVP Graubünden