Naturpärke - alles nur Propaganda für ein neoliberales EU-Projekt - Von Erika Vögeli 27.11.2011 23:02
Naturpärke sind kein Schweizer Produkt, sondern ein EU-Importartikel. Sie reihen sich nahtlos in alle Strategien
der
neoliberalen Globalisierer zur Auflösung der Nationalstaaten ein.
Privatisierung ist hier ein Stichwort, unter dem Ressourcen und Land der
öffentlich-rechtlichen Kontrolle von Staaten bzw. Gemeinden entzogen werden.
Entbürgerlichung der Bürger müsste ein zweites lauten, denn Privatisierung einerseits
und supranationale Strukturen andererseits schaffen neue privatwirtschaftliche
Einfluss- und Entscheidungsgremien jenseits der staatlich garantierten
politischen Rechte, welche dadurch auf immer kleinere Einflussbereiche
zusammengestutzt werden sollen. Die EU selbst ist dafür ein Paradebeispiel:
Immer weniger Gesetze werden von den gewählten Parlamenten der Nationalstaaten
erlassen, statt dessen werden diese von 27 nicht vom Volk gewählten Kommissaren
kreiert, dies unter dem Einfluss von 15 000 gutbezahlten Lobbyisten der
Wirtschafts- und Finanzkonzerne, die dafür in Brüssel ihre Büros unterhalten.
Angesiedelt
ist die Naturpark-Strategie unter anderem in einem Programm der EU zur
«Entwicklung des ländlichen Raums», denn auch die Länder der EU sind mit
derartigen Projekten weitflächig überzogen. Und genau wie bei den Naturpärken
in der Schweiz werden auch sie mit Umweltschutz, wirtschaftlicher Entwicklung,
Förderung von Labels zur besseren Vermarktung lokaler Produkte,
Tourismusförderung, Schaffung von Arbeitsplätzen, usw., PR-mässig angepriesen.
Wenn «von unten nach
oben» von oben gesteuert wird
Tatsache
ist, dass die Naturpärke auf einer Website der Europäischen Kommission als
Beispiele sogenannter Local Action Groups, lokaler Aktionsgruppen, figurieren.
Diese bilden, man lese genau, «die Hauptstützen zur Implementierung des Leader
Konzepts» [1]. Diese ganz und gar nicht lokale, sondern von der EU-Zentrale
entwickelte Herangehensweise werde von den Aktionsgruppen genutzt, «um ihre
Entwicklungsstrategie zu implementieren und zu finanzieren. Diese Strategien sind
auf die Förderung von ›Public
Private Sector Partnerships‹ angelegt
und setzen eine multisektorielle, von unten nach oben angesetzte
Herangehensweise ein, welche lokale Kooperation und lokale Netzwerke fördert.»
[2] Die Aktionsgruppen wiederum sind Teil nationaler Netzwerke, die alles
einbinden, was an dieser Entwicklung beteiligt ist. Zusammengeführt wird das
Ganze im Europäischen Netzwerk für die Entwicklung des ländlichen Raums (European
Network for Rural Development ENRD), dessen Aufgabe die effiziente Umsetzung
der EU-Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum ist.
Appetit auf Nutzung
ländlicher Ressourcen
Das
Interesse der EU ist nicht unbegründet, schliesslich entsprechen ländliche
Gebiete in der EU «90 % des Territoriums, und die ländliche Entwicklung ist ein
lebenswichtiger Bereich der Politik. Land- und Forstwirtschaft bleiben für die
Landnutzung und das Management von natürlichen Ressourcen in den ländlichen
Gebieten der EU entscheidend.» [3] Allein die Tatsache, dass die sogenannten
lokalen Aktionsgruppen über verschiedene Strukturen (Leader, Nationale
Netzwerke, Europäisches Netzwerk) schliesslich an die Politik der EU-Kommission
gekoppelt sind, straft die ganze Darstellung Lügen. Was auf der Ebene der
Gemeinden als lokale Aktionsgruppe daherkommt, die sich als Strategie von unten
nach oben ausgibt, erweist sich als letztes Glied einer von Brüssel
inszenierten Strategie, die sich als Förderung lokaler Anliegen präsentiert, um
Bürgernähe zu suggerieren, in Wirklichkeit aber an Brüsseler Vorgaben
und Vorschriften hängt, welche sich zu einem Netz von Fallstricken und
teuren Gerichtsverfahren für die lokale Wirtschaft erweisen können.
«Harmonisierung» -
Der Deckbegriff für die Ausschaltung der Bürger und Zentralisierung
Wie die Auflösung
nationalstaatlicher Grenzen vorangetrieben wird, präsentiert sich etwas
konkreter auf der Seite «Regionalpolitik Europäische Union» unter «Naturparks
ohne Hindernisse». Weil die Landschaft eine «geographische Einheit» bildet,
müsse diese «Trennung» durch Auflösung der Grenzen – und damit
nationalstaatlicher Strukturen, die «harmonisiert» werden müssten – rückgängig
gemacht werden. [4] Harmonisierung, ein typischer Spin, bedeutet konkret: Was bisher
der Gesetzgebung von Gemeinden, Bezirken, Kantonen und Staaten unterstellt war,
soll da herausgelöst und am Beispiel der Naturpärke den Entscheiden solcher
überstaatlicher privater Aktionsgruppen und Vereine zugeordnet werden, die über
die entsprechenden Netzwerke bzw. finanzielle Abhängigkeit an die EU-Vorgaben
angebunden werden.
Demokratieabbau –
kein Schweizer Weg
Betrachtet
man die Entstehung der Naturpärke in der Schweiz, stellt man fest, dass das
Vorgehen praktisch analog erfolgt. Der ›leere‹ Brüsseler Tropf fehlt zwar, ersetzt
wird er jedoch durch Mittel aus der Bundeskasse. Und genau analog der
Leader-Strategie werden öffentlich-rechtliche Gemeinden in einen privaten
Verein eingebunden, der dann eine neue Ebene bildet, die sich – und das ist für
die Schweiz entscheidend – der direktdemokratischen Einflussnahme entzieht;
man schafft Strukturen, die letztlich der politischen Kontrolle der Bevölkerung
entzogen sind. Wohl können die Stimmberechtigten der jeweils betroffenen
Gemeinden im Fall der Naturpärke über den Beitritt zum Parkvertrag abstimmen: das
war dann allerdings das letzte Mal. Der Vorgang verläuft ansonsten
analog zu demjenigen in den demokratisch nicht legitimierten Metropolitan-Konferenzen
und -vereinen in den städtischen Gebieten des Mittellandes: Dort beschliessen Exekutivmitglieder
der beteiligten Städte und Gemeinden über die Programme für diese Region, obwohl
dies die verfassungsmässig festgelegte Kompetenz der Bund- und Kanton-konstituierenden
politischen Körperschaften ist, die als solche den politischen Rechten,
Referendum und Initiative, unterliegen. Man schafft mit solchen Gremien eine
weitere verfassungsmässig nicht definierte, staatsrechtlich nicht erfasste
Ebene, die sich Entscheidungsbefugnisse zuschreibt, welche von Bund-
und Kantonsverfassungen klar zugeordnet und nicht verfügbar sind. Diese
demokratisch nicht kontrollierte Zwischenebene produziert oder kopiert dann –
im Verbund mit anderen solchen Gremien und manchmal mit einzelnen Abteilungen
in den Bundesämtern, die solche Initiativen fördern, im Falle der Naturpärke im
zuständigen Bundesamt für Umwelt Bafu – Richtlinien, Bestimmungen, Verordnungen
usw., ganz analog dem Vorgang in der EU. Das Konzept, dass private
«parastaatliche Organisationen» staatliche Aufgaben übernehmen, drängt den
Staat zurück und leitet seine schleichende Privatisierung ein. Hier wird – ohne
formelle EU-Mitgliedschaft – auf verschiedenen Ebenen an Strukturen gebastelt,
die sich genauso wie andernorts in neoliberale Konzepte einpassen liessen. Etwa
dann, wenn der Appetit auf «Landnutzung und Management der natürlichen
Ressourcen» sich auf die finanziellen Möglichkeiten privatisierter Verkehrswege
oder Wasserressourcen richtet.
Finanzielle
Verlockungen aus euphorischen Zeiten
Die
Schweiz jedenfalls braucht solche Konzepte nicht. Schon gar nicht in Zeiten
wirtschaftlicher Anspannung, denn bei der Entwicklung solcher Strukturen soll
auch Geld fliessen, manchmal viel Geld, etwa für Machbarkeitsstudien oder ähnliches.
Dabei wurden diese Projekte in einer Zeit entwickelt, als noch reichlich Geld
in die Bundeskasse floss. Mittlerweile zeigen die Erschütterungen der Finanz-
und Wirtschaftskrise ihre Folgen: Die aktuellen Bundeseinnahmen werden
wesentlich geringer ausfallen. Und vermutlich sind die Kapazitäten für diese
Parkprojekte nach Finanzierung teurer Konzeptions- und Machbarkeitsstudien auch
schon erschöpft, so dass weitere Kosten von den Gemeinden und Kantonen zu
übernehmen wären.
Zurück zur Vernunft
Natur und
Landschaft sind bei uns seit Jahrzehnten gepflegt und geschützt. Wenn es
wirklich um die Förderung der ländlichen Gebiete geht: Wie wäre es da stattdessen
mit einer Erinnerung zum Beispiel an den Investitionshilfefonds für die Berggebiete?
Dieser Fonds hatte zuletzt rund 1,5 Milliarden Franken geäufnet. Daraus wurden
unzählige zinslose Darlehen für Infrastrukturbauten finanziert und von den
Gemeinden immer wieder zuverlässig zurückgezahlt. Dieser Fonds ist nun im Zuge der
neuen Regionalpolitik aufgelöst worden – werden die Zahlungen des Bundes
für die Naturpark-Projekte nun daraus finanziert? Dieses Mal allerdings
ohne
Rückzahlung. Bis die Kasse leer ist? Und dann? Werden die Gemeinden in
die Pflicht genommen? Oder verscherbeln wir dann unseren Lebensraum an private
Investoren? Besinnen wir uns wieder auf uns selber, auf die eigenen Werte und
Erfahrungen. Lösen wir uns von dem Irrglauben, alles Neue sei per se auch
besser. Die Schweiz hat mit dem Investitionshilfefonds beste Erfahrungen
gemacht. Wie wäre es anstelle demokratiezerstörender EU-Projekte mit einer
Wiederbelebung dieser echt schweizerischen und wirklich nachhaltigen Lösung? Und
übrigens: Uri zum Beispiel hätte mit seinen Volkstheatern, an denen vom
Schulkind bis zum Landammann das ganze Tal mitwirkte und die bei den Besuchern
auf begeisterten Beifall stiessen, etwas Eigenständigeres und Sinnvolleres zu
bieten als EU-kopierte Parkverordnungen und weitere Ergänzungen für den
unüberschaubaren Label-Salat. Nebenbei bieten solche Initiativen auch
Gelegenheit, die Jugend mit sinnvolleren Aktivitäten vertraut zu machen, ihnen
neben Geschichte und Allgemeinwissen auch ihre Bedeutung für die Gemeinde und
das Gemeinwohl zu vermitteln, anstatt sie dem hirnlosen Kulturabbau des
American way of life zu überlassen.
[1] Leader steht dabei für «Liaison Entre Actions
de Développement de l’Economie Rurale», was soviel heisst wie «Bindeglieder
zwischen ländlicher Wirtschaft und Entwicklungsaktionen.»
[2]
http://enrd.ec.europa.eu/rural-development-policy/leader/en/leader_home_en.cfm
[3] http://enrd.ec.europa.eu/rural-development-policy/introduction/en/introduction_home_en.cfm
[4] Europäische Kommission. Regionalpolitik
Europäische Union. Naturparks ohne Hindernisse (pdf.)
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=501
Zeit-Fragen
> 2011 > Nr.
46 vom 14.11.2011 > Naturpärke
– alles nur Propaganda für ein neoliberales EU-Projekt
Verkaufen
wir uns und unsere Landschaft für ein Linsengericht? – Naturpark: Verlust an
Mitsprache und Demokratie
Im direktdemokratischen
System der Schweiz sind alle für die Öffentlichkeit relevanten Bereiche in
einem filigranen Zusammenspiel auf Bundes-,
Kantons-
und Gemeindeebene geregelt: Der Gewässerschutz, damit wir sauberes Wasser
haben; die Waldwirtschaft - so, dass manche der Meinung sind, es müssten einige
Vorschriften gelockert werden: aber nur auf dem vollen Wege des direktdemokratischen
Verfahrens; Umweltfragen – so perfekt, dass manche an Korrekturen denken, aber
nur auf regulärem Wege.
Die
Landwirtschaft ist mehr als perfekt geregelt. Direktvermarktung ist kein
Problem mehr: die landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentren haben
exzellente Weiterbildungsmodule angeboten. Einige Kantone haben kleine, aber
hocheffiziente «Agro-Marketing»-Firmen gegründet, die beste Arbeit leisten.
«Schlaf-im-Stroh», «Ferien auf dem Bauernhof», «Schule auf dem Bauernhof», «Bed
and Breakfast»: alles ist in vernetzten Organisationen mit bester Beratung und
Unterstützung geregelt. Der Tourismus hat seine eigenen Organisationen und das
sind die Letzten, die behaupten wollen, sie seien nicht zu einem effizientem
Marketing fähig. So viele Touristen, wie derzeit allen Ländern versprochen
werden, gibt es auf der ganzen Welt gar nicht. Was also soll das, dass einzelne
kantonale Departemente wie Umwelt und Raumplanung immer noch getrieben werden,
mit EU-Naturpark-Ideologie Illusionen zu predigen und unnötige Zweitstrukturen
wie ein Spinnennetz über unser Staatswesen zu legen? Jetzt, da die Kantone ihre
Budgets nach unten korrigieren müssen und endlich das Überflüssige gestrichen
werden sollte, immer noch? Müssen Umwelt- und Raumplanungsämter die
Immobilienblase für den Tourismus in unsere
Berg- und Randgebiete wie Seerücken und Jura-Plateau holen, damit sie nachher
«in die Pfanne gehauen» werden können? Was läuft da ab? In wessen Auftrag
und zu wessen Gunsten? Gerade der Kanton Graubünden hat mit den zwei
ausserordentlich sympathischen Verkaufsstationen einheimischer Spezialitäten
und einheimischen Kunsthandwerks im «Heidiland» und im «Viamala» beste
Verkaufsmöglichkeiten geschaffen. Dass sie von Frauen aus der Umgebung eher
reiferen Alters betreut werden, macht sie noch liebenswerter. Man trifft auf
all die lieben Sachen, mit denen sich Erinnerungen verbinden, und hat das
Gefühl, innerlich nach Hause zu kommen. Darum nimmt man noch so gern einen Sack
Apfelringe oder ein paar Nidelzeltli oder ein kleines Geschenklein für ein
Enkelkind mit nach Hause. Für solche Verkaufsstationen braucht es keine
Naturpärke, die die schönsten Murmeltierwiesen in Öko-Bürokratie verwandeln, in
denen jedes natürliche menschliche Mitleben abgewürgt wird. Wer
hat diese EU-Naturpark-Planung ins Land geholt? Im Rahmen welchen
Deals?
Die
Redaktion von «Zeit-Fragen» hat Jon Peider Lemm, den Präsidenten der SVP Graubünden,
nach Sinn und Zweck dieses Spinnennetzes befragt.
Z.-F.: Sind die Naturpärke ein Bedürfnis von der
Basis her, oder kommt der Impuls von woanders her?
Jon Peider
Lemm: Die Praxis zeigt uns ganz klar, dass Naturpärke von oben diktiert
werden. Am besten hat sich das gezeigt, als es um die Erweiterung des
Schweizerischen Nationalparks mit einer Umgebungszone gegangen ist. Hier haben
die Gemeinden zusammen mit den interessierten Kreisen beraten und die Sache an
die Hand genommen. Eine Gemeinde hat dann nein gesagt, eine andere hat in
dieser Frage ein Moratorium beschlossen. Spätestens dann hat man gemerkt, dass
das Projekt scheitern wird.
Was geschah dann?
Unter dem
Vorwand der Regionalförderung hat man im Natur- und Heimatschutzgesetz drei
verschiedene Kategorien von Pärken von nationaler Bedeutung aufgenommen: zuerst
den Naturerlebnispark, dann den regionalen Naturpark, und die dritte Kategorie
bildet der Nationalpark. Im Gesetz steht, dass der heutige Nationalpark der
einzige in der Schweiz sei, der das Label «Schweizerischer Nationalpark» trägt,
obwohl er im Moment über keine – wie im Gesetz neu vorgesehen – Umgebungszone
verfügt. Weiter hat man im Gesetz festgehalten, dass der Bund eine allfällige
Erweiterung mit finanziellen Mitteln fördert. Den Gemeinden im Münstertal und im
Unterengadin hat man damals gesagt, wenn ihr aus dem Münstertal ein
Biosphärenreservat macht, dann gilt dieses gleichzeitig als Umgebungszone des
Schweizerischen Nationalparks. Mit viel Geld hat man die Münstertaler gelockt,
und die Bevölkerung hat dieses Reservat angenommen. Als die Verantwortlichen
für die Anerkennung nach Paris gereist sind, um Unesco-Biosphärenreservat zu
werden, hat man ihnen in Paris gesagt, ihr dürft euch Unesco-Biosphärenreservat
nennen, aber ihr müsst in den nächsten Jahren trotzdem auch noch eine
Umgebungszone um den Schweizerischen Nationalpark errichten, und zwar einen
geschlossenen Gürtel und nicht ein Anhängsel wie das Biosphärenreservat
Münstertal. Jetzt ist genau das passiert, was Sie gesagt haben: Man hat die
Gemeinden von oben in die Sackgasse getrieben. Jetzt heisst es natürlich im
Engadin: «Wir können doch jetzt nicht mehr nein zu dieser Umgebungszone sagen.»
Das Münstertal würde ansonsten viel Geld und das Label Biosphärenreservat verlieren.
Die Gemeinden werden nun wohl alle ja sagen müssen. Der ganze Ablauf zeigt
nichts anderes, als dass die Gemeindeautonomie ausgehebelt, der Druck von oben
per Gesetz verordnet wird und dass unser bewährtes demokratisches System
ausgeschaltet wird. Das ist ein Vorgehen und eine Art und Weise, die
einem sehr zu denken geben. Deshalb gibt es nur eins: Die Menschen in den
betroffenen Gemeinden müssen von ihren demokratischen Rechten Gebrauch machen
und bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass
man nachher nichts mehr zu sagen hat, enorm gross ist.
Ein Vertrag muss kündbar sein,
sonst ist er unethisch
…..
Bei den
Strukturen des Nationalparks und bei den Naturpärken sieht man, dass die
Gemeinden praktisch nichts mehr zu sagen haben. Die Gemeinden können den
Vertrag nicht mehr kündigen. Bei den Naturpärken ist es ähnlich. Hier kann man
den Vertrag 10 Jahre lang nicht kündigen. In einer Radiosendung erzählte Frau
Semadeni, die Präsidentin von Pro Natura Schweiz, dass sie eine Million für den
Park Adula zur Verfügung stellen können. Die Million werden sie aber erst
auslösen, wenn bereits gewisse Schutzbestimmungen im Sinne der Pro Natura
eingeführt sind. Es wird mit Geld Druck aufgebaut, damit die Menschen am
Schluss sagen, wir können doch nicht auf eine Million Franken verzichten. Und
so laufen sie blindlings in eine Sackgasse. Wenn man im Natur- und
Heimatschutzgesetz schaut, heisst es bei der Definition der Nationalpärke, dass
in der Umgebungszone eine «naturnahe Bewirtschaftung» vorgesehen ist. Wenn ich
ein Papier verlange, aus welchem hervorgeht, was «naturnahe
Bewirtschaftung» bedeutet, bekomme ich keine konkrete Antwort. Das ist bis
heute nicht definiert. Das ist auch damals der Erweiterung des Schweizerischen
Nationalparks zum Verhängnis geworden, weil das alles erst nachher festzulegen
war. Die Vertreter der Schutzorganisationen verlangten plötzlich ein Verbot,
Pilze und Beeren zu sammeln, ein Verbot, Hunde frei laufen zu lassen usw. usw.
Auch der Wald- und der Landwirtschaft sowie der Jagd und Fischerei hat man
immer grössere Einschränkungen und Auflagen gemacht, bis eine Organisation nach
der anderen abgesprungen ist.
Sieht es nicht so aus, als ob der
Bundesrat immer noch mit Vorgaben aus der globalen Wirtschaft arbeitet? Die Schweiz mit Salamitaktik EU-reif zu schiessen und die fünfte
Kolonne ins Wasserschloss zu holen? Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund
die beabsichtigte Errichtung des Naturparks Beverin? Wozu sollen wir diese
Naturpärke einrichten? Und Park Adula?
In unseren
Gemeinden können wir am besten selbst bestimmen, was wir wollen, und was in
Zukunft sein soll. Wir haben auch genügend eigene Gesetze, die dafür sorgen,
dass keine Überbordung stattfinden wird. Sich vom Geld blenden lassen, um
nachher von fremden Leuten bestimmt zu werden, nein: Der Preis ist zu hoch! Die
demokratischen Einschränkungen, der Verlust an Mitsprache und Einfluss ist sehr
gross. Ich bin es gewöhnt, dass man beim Aushandeln von Verträgen ausgewogen
vorgeht. Das ist ein Geben und Nehmen. Und im Fall von Naturpärken sind die
Gemeinden nur auf der Geberseite. Mit dem Geld zahlen wir diejenigen, welche
teure Berichte, Studien, Konzepte, Leitbilder usw. ausarbeiten. Das
Geld ist schnell verbraucht. Geld ist nicht nachhaltig. Das Geben und Nehmen
ist hier in einem völligen Ungleichgewicht …
… und die demokratischen Rechte sind weg.
Bei den
Naturpärken bestimmen der Bund und die Schutzorganisationen nach
den Vorgaben – man höre und staune – aus Brüssel. Ist der Park
einmal da, ist es ein Leichtes zu sagen, das lässt sich mit einem Naturpark
nicht vereinbaren. Das kommt einer Enteignung gleich. Nehmen wir noch einmal das
Beispiel Biosphärenreservat Münstertal. Die Idee, auf einer Alp in der Val Mora
eine SAC-Hütte aufzubauen, stammt vom Schweizerische Alpenclub, und jetzt
kommen bereits alle Schützer wie Pro Natura und ähnliche und machen ein
Geschrei, dieses Projekt lasse sich nicht mit einem Biosphärenreservat
vereinbaren. Beim Haus meiner Grosseltern in Tschierv hat ein Bauer auf seinem
Land etwas den Boden ausgeglichen und geebnet. Da sind sofort alle Schutzorganisationen
und natürlich auch die Medien gesprungen. Es war ein
riesiger Rummel. Er musste eine Busse bezahlen, und als Auflage hat er ein
Biotop-Seeli als Ausgleich bauen müssen, nur weil er seine eigene Wiese ein bisschen
begradigt hat.
Sie haben den Tourismus erwähnt.
Ob man es
wahrhaben will oder nicht, Tourismus ist ein Massengeschäft. Und wenn man die
Massen anzieht, dann ist es auch nicht mehr im Einklang mit dem Schutzgedanken
dieser Pärke oder des Reservats. Das Argument vom sanften Tourismus ist
Augenwischerei. Schutzorganisationen verlangen immer mehr Einschränkungen,
und je mehr Einschränkungen es gibt, desto weniger Tourismus entwickelt sich.
Die Leute wollen skifahren, sie wollen Skilifte, Bergbahnen, sie wollen
künstlichen Schnee, damit gute Pisten garantiert sind, sie wollen ausgebaute
Wege für Mountainbikes und andere Aktivitäten entwickeln, zum Teil auch
verrückte Sachen, über die ich nur den Kopf schüttle – aber das ist die
Realität. Sie wollen Action, Fun … Wir im Engadin, in ganz Graubünden haben
kein Problem, die tollsten und schönsten Landschaften anzubieten, wir haben
beides, aber man kann sich mit derartigen Verträgen, bei denen dann erst im Nachhinein
der Aha-Effekt kommt und man dann sagt: Ja, das ist uns im Vorfeld nicht gesagt
worden, nicht unnötig einschränken lassen. Die Bevölkerung wird im Vorfeld zu
wenig über die tatsächlichen Auswirkungen einzelner Vertragspunkte und über die
Folgen dieser Bestimmungen informiert.
Mit der Agrarpolitik 2014
verspricht man den Bauern mehr Geld für Landschaftspflege, und wenn man seine
Weiden in einem Naturpark hat, bekäme man grössere Ausschüttungen, aber bisher
ist alles nur ein Versprechen – und
vorher kommt noch die internationale Wirtschaftskrise …..
Ja, die
Landwirte wollen Unternehmer sein, sie wollen «produzierende Landwirtschaft»
sein. Als die Biolandwirtschaft eingeführt wurde – ich bin nicht vom Fach, aber
ich erinnere mich noch sehr genau – da hat man in Graubünden gesagt, das kann
eine Nische sein. Wenn 10 % Bioprodukte produzieren, kann das
interessant sein. Aber wenn plötzlich 90 % Bioprodukte sind, ist man wieder
am Ausgangspunkt, an dem man angefangen hat. Auch bei den Pärken ist es so:
Wenn Sie einen Schweizerischen Nationalpark haben, dann ist das eine
Attraktion. Aber wenn Sie dann, wie Sie sagen, sogar über die Landesgrenzen
hinaus nur noch Pärke haben, dann nützen alle Labels nichts, dann ist alles
wieder Eintopf. Aber mit grossen vertraglichen Einschränkung und Auflagen, bei
denen wir uns nicht bewusst sind, was das für künftige Generationen heisst.
Ja, und da wären wir wieder bei der
Frage der direkten Demokratie. Die Parkstrategie höhlt die Gemeinden aus.
Es führt zu einer
Entvölkerung der Berggebiete. Der Schutz steht über dem Nutzen, über jene Menschen,
die dort leben und arbeiten wollen. Das darf nicht sein. Es ist viel zu
einseitig und kommt einer Enteignung und Bevormundung gleich.
Herr Lemm,
vielen Dank für das Gespräch.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=500
Zeit-Fragen
> 2011 > Nr.
46 vom 14.11.2011 > Verkaufen
wir uns und unsere Landschaft für ein Linsengericht? ab/thk. Interview mit Jon Peider Lemm,
Präsident der SVP Graubünden
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