Afghanistan ohne Ende

d.a. Man sollte nicht glauben, dass irgendwo noch die Vernunft waltet. Die neuerliche Afghanistan-Konferenz in Bonn, die für den 5. 12. festgesetzt ist,

 

wird die Deutschen trotz leerer Kassen und einer sich in einem bedenklich schlechten Zustand befindende Infrastruktur zahlloser Gemeinden erneut Millionen kosten. Es haben sich effektiv einhundert Delegationen angemeldet, darunter 63 Außenminister. Angesichts des Fakts, dass über das Schicksal dieses Landes gerade einmal eine Handvoll entscheidet, die sich in der Hauptsache aus der USA, Grossbritannien, Pakistan und sicherlich auch Saudi-Arabien rekrutiert und die in Tat und Wahrheit die Fäden in der Hand hält, ist es unbegreiflich, dass die Berliner Regierung angesichts der horrenden Verschuldung ihres Landes hier nicht einschreitet und ausschliesslich die wirklichen Entscheidungsträger kommen lässt. Natürlich ist so ein kostenloser bequemer Aufenthalt auf Kosten der verschuldeten Bürger für die einrückende Truppe eine angenehme Abwechslung. Man muss das unter diesem Aspekt sehen, da unsere Steuern in immer grösserem Ausmass  zweckentfremdet werden, zu Lasten der nachfolgenden Generation. Dazu gehören auch die Milliarden an Entwicklungshilfe, die bislang ohne jegliche Wirkung versickert sind. Schon sind die Think Tanks der BRD dabei, zwecks Einflussnahme auf Burma [inzwischen Myanmar] eine solche auf breiter Ebene zu propagieren, wobei das strategisch bedeutende Land reich genug an Bodenschätzen ist, um sich eigenständig zu erhalten. Hingegen dürfen die Deutschen jetzt einen beträchtlich erhöhten Selbstbehalt bei Medikamenten bezahlen. So ein Zusatzsparen am eigenen Bürger ist doch widerstandslos durchzusetzen.  

 

Einen Dämpfer wird der Verlauf der Konferenz unweigerlich dadurch erfahren, dass Pakistan aus Protest gegen den NATO-Angriff auf pakistanische Militärposten seine Teilnahme abgesagt hat, was die latente Bedeutungslosigkeit der Konferenz noch erhöht. Hierzu legt Werner Pirker folgendes dar: »Hatte die USA mit dem Afghanistan-Krieg nicht zuletzt auch die Absicht verfolgt, Pakistan fester an die Kandare zu nehmen, so hat der nun bereits seit zehn Jahren andauernde Konflikt genau das Gegenteil bewirkt. Von der USA als Verbündeter im Krieg gegen den Terrorzwangsverpflichtet, ist Pakistan inzwischen zum eigentlichen Problemstaat geworden. Das Militär hat nicht das geringste Interesse daran, sich am Krieg gegen die Taliban zu beteiligen [das letztere ursprünglich von der USA, der CIA, Pakistan und Saudi-Arabien unter Mithilfe des englischen MI6 aufgebaut wurden, wird praktisch nie mehr erwähnt, es ist mittlerweile offenbar politically incorrect; Anmerk. politonline]. Es sieht in den afghanischen Aufständischen, die sich aus Paschtunen dies- und jenseits der Grenze rekrutieren, vielmehr ein Instrument pakistanischer Interessenspolitik im Nachbarland. Es geht vor allem darum, die Taliban gegen ein Bündnis zwischen Afghanistan und Indien in Stellung zu bringen. War die Verbundenheit des islamischen Staates mit der USA in der feindseligen Haltung Washingtons gegenüber dem blockfreien Indien begründet, so hat sich längst eine neue Konstellation ergeben. Da ist es nur zu logisch, daß Pakistan versucht, aus seiner Rolle als Zwangsverbündeter des Westens auszubrechen.« [1]

 

Nun bekundet die deutsche Bevölkerung seit Jahren fast geschlossen die Ablehnung des Afghanistankriegs. Erwartungsgemäss ohne die geringste Wirkung. Im Gegenteil: Die Botschaft in Bonn müsse lauten, dass sich die Afghanen »auf uns verlassen können«: so die Durchhalteparole des Sonderbeauftragten der Bundesregierung Michael Steiner bei einer CDU-Konferenz, wobei offenbar kein Wort zu den immensen Kosten fiel, die dieser Krieg seinen Landsleuten aufbürdet. Gleiches erklärte auch Guido Westerwelle bei der Ankunft von Karsai am 2. 12.: »Sie können sich auf uns verlassen. …… Auch nach dem Abzug der Isaf müssen wir weiter gemeinsam daran arbeiten, die zusammen erreichten Fortschritte zu bewahren und auszubauen. Deshalb braucht Afghanistan eine klare und verläßliche Verpflichtung zu einem langfristigen Engagement über 2014 hinaus.« Letzteres die gemeinsame eine Erklärung von Westerwelle und dessen afghanischem Amtskollegen Zalmai Rassoul in der Welt vom 2. 12. Dass dieses unbeschränkte Engagement sozusagen zementiert ist, dafür dürfte allein schon die UNO sorgen, mit oder ohne Geberkonferenz, es sei denn, der Westen bräche zuvor finanziell zusammen. »Damit Afghanistan ein stabiles Gemeinwesen werde«, hielt die Berliner Umschau vom 2. 12. fest, »von dem keine Gefahr mehr für den Frieden ausgeht, seien die Afghanen auch künftig auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft  [im Klartext: die Steuerzahler vorzugsweise des Westens]  angewiesen. Für dieses vor allem zivile Engagement soll die Konferenz in Bonn einen Grundstein legen.«

 

Wie der Sprecher der afghanischen Solidaritätspartei, Said Mahmoud Pahiz, darlegt, ignoriert die Konferenz in Bonn die Interessen des Volkes, da zwischen den Taliban und den Kriegsherren ein Pakt für die NATO-Basen geplant sei: »Das afghanische Volk ist daran nicht beteiligt. Nur eine Ansammlung von Kriegsherren und Verbrechern wird dort erscheinen. Es sind die gleichen Warlords, die der Westen im Zuge der ersten Afghanistan-Konferenz in Petersberg 2001 an die Macht brachte. Die heutige Regierung ist die zweitkorrupteste der Welt und zugleich der größte Opiumlieferant der Erde. Das Leben der einfachen Menschen hat sich unter der fremden Besatzung nicht verbessert. Deshalb haben wir mit 3000 Menschen in Kabul gegen die Bonner Konferenz protestiert. Wir knüpfen ein Netz für diejenigen, die vom Krieg genug haben und sich für den Frieden einsetzen.« Was die Einstellung zu den deutschen Truppen betrifft, so erklärt Pahiz, dass sich diese seit dem Massaker von Kundus  - bei dem Bombardement starben mehr als 180 Menschen – verändert hat; sie werden nicht mehr als Helfer, sondern als Besatzer mit der Aufgabe zum Töten gesehen. [2] Der tödliche Hintergrund verstärkt sich, wenn man bedenkt, dass es bezüglich der von Thomas de Maizière (CDU) und Aussenminister Guido Westerwelle (FDP) vorgetragenen neuen Strategie in erster Linie um Militärisches geht. So soll die BRD z. B. »an den Todeslisten mitarbeiten, auf deren Basis die US-Streitkräfte Menschen durch Drohnen oder spezielle Kampftruppen umlegen lassen« [3], eine Bedrohung, die sowohl zivile Opfer wie Kinderleben kostet.  

 

Nun ist über die offensichtlich unausrottbare Korruption in Afghanistan bereits unendlich viel geschrieben worden, so auch auf politonline. Ein Anfang November erschienener Abriss zu diesem Thema sei hier auszugsweise wiedergegeben; man kann sich ausrechnen, was an Milliarden unserer Steuern auch in diesem Land versickert ist, was der Mehrheit der Politiker keinerlei Kopfzerbrechen beschert.

 

Die Räuberbank von Kabul  -  Von Louis Imbert

Am 28. Juni 2011 gab Abdel Kadir Fitrat, der Leiter der afghanischen Zentralbank, in einem Hotel am Stadtrand von Washington seinen Rücktritt bekannt. In die USA sei er geflüchtet, weil er »um sein Leben fürchte« [4]. Wenige Wochen zuvor hatte Fitrat vor dem afghanischen Parlament einen ungeheuerlichen Finanzskandal enthüllt, samt Namen und präzisen Zahlen. Dabei ging es um die Kabul Bank, die größte Privatbank des Landes, die im August 2010 beinahe in Konkurs gegangen wäre. Die neuesten Zahlen der afghanischen Zentralbank belegen, daß der Kabul Bank von der Spitze innerhalb von sechs Jahren Kredite in Höhe von 579 Millionen US-Dollar gewährt wurden,  die sich als uneinbringlich erwiesen. Inklusive Zinsen und weiterer Kredite, die als Werbungskosten und Verwaltungsaufwand getarnt waren, stieg der Verlust auf 914 Millionen $. Das afghanische Bruttoinlandsprodukt wird 2011 laut IWF bei höchstens 7 Milliarden $ liegen. Daran gemessen wäre der Verlust der Kabul Bank einer der höchsten in der internationalen Finanzgeschichte.

 

Der Fall macht deutlich, daß die Regierung unter Präsident Hamid Karsai kein Mittel gegen die grassierende Korruption findet. Drei Jahre vor dem endgültigen Abzug der US-Streitkräfte hat die afghanische Geschäftswelt offenbar nur eines im Sinn: sich an den internationalen Hilfsgeldern zu bereichern, solange sie noch fließen. Aus der Sicht von William Byrd, dem früheren Afghanistan-Beauftragten der Weltbank, ist die Geschichte der Kabul Bank »besonders düster, weil gerade der Bankensektor bis vor kurzem als einer der wenigen Erfolge beim Wiederaufbau des Landes galt.« Zu den Nutznießern der großzügigen Geschäftspraktiken der Kabul Bank gehörten auch Mahmud Karsai und Mohammed Qasim Fahim, ersterer ist der Bruder des Präsidenten, der andere des Vizepräsidenten. Einem vertraulichen Bericht eines Mitarbeiters der Kabul Bank zufolge hat die afghanische Zentralbank eine Liste von 207 Empfängern der dubiosen Kredite ermittelt: unter ihnen sind Parlamentsabgeordnete, Minister, Provinzgouverneure, Wahlkampfleiter, Künstler und ein Fußballklub. [5] Eine halbe Stunde nach der Erklärung von Abdel Kadir Fitrat qualifizierte das Büro von Staatspräsident Karsai dessen Rücktritt als Verrat. Interpol sowie der US-Botschaft in Kabul wurde ein Haftbefehl für Fitrat übermittelt, mit der Begründung, daß dessen Name an der Spitze einer Liste von Verdächtigen stehe, deren Veröffentlichung das Büro des afghanischen Generalstaatsanwalts über ein Jahr lang verschleppt hätte. Einer Festnahme entgingen auch Sherkhan Farnud, der Gründer der Bank, und deren Präsident Khalilullah Ferosi; beide lebten zu diesem Zeitpunkt unbehelligt in Kabul. Ein Gerichtsverfahren wurde bislang noch nicht eröffnet.

Aus unterschiedlichen Quellen verlautet, der im Mai 2011 gegründete afghanische Ausschuß für Korruptionsbekämpfung MEC (Monitoring and Evaluation Committee) habe Mahmud Karsai und Mohammed Qasim Fahim angeboten, daß sie unbehelligt bleiben würden, falls die beiden Anteilseigner der Bank ihre offiziell als betrügerisch bewerteten Kredite zurückzahlten. Mahmud Karsai hatte 22 Millionen $ erhalten, Qasim Fahim für drei Aktiengesellschaften, an denen er beteiligt war, insgesamt 182 Millionen $. Seitdem ergeht sich Mahmud Karsai in Beschimpfungen gegen Sherkhan Farnud. In unserem Interview bezeichnete er seinen früheren Mitgesellschafter als »Verbrecher, dem schon längst der Prozess gemacht werden müsste«. Aber er sei auch »von der Lethargie der Regierung genervt und angewidert«.

 

Inzwischen hat der Fall zu einem Machtkampf zwischen dem IWF und der afghanischen Regierung geführt. [6]  Der IWF blockiert seit März 2011 einen Teil der internationalen Finanzhilfe für Afghanistan und fordert die Regierung Karsai auf, für die Verluste der Kabul Bank aufzukommen [bis Juli 2011 wurden nur 70 Millionen $ zurückgezahlt]. Kabul müsse außerdem das Bankensystems reformieren und einen Prozeß gegen die Verantwortlichen einleiten, der diesen Namen auch verdient. Der Gründer der Bank, Sherkhan Farnud, der Mann, der den Mächtigen des Landes die Möglichkeit verschafft hat, sich aus den Bankguthaben von 1,3 Millionen Afghanen zu bedienen, ist ein Glücksritter von ganz unten. Er stammt aus einer armen Familie im Norden und machte zunächst eine Karriere als Pokerspieler: Das Internetportal World Series of Poker Tour führt ihn als Gewinner von fast 400000 $ an Preisgeldern bei internationalen Turnieren der Jahre 2005 bis 2008 auf. Den größten Teil seines Lebens verbrachte Farnud im Ausland. Schon als Student in Moskau hatte er in den 1980er Jahren eine Firma gegründet, die Geldtransfers für den Import afghanischer Textilien nach Russland abwickelte. Innerhalb von 15 Jahren, berichtet ein ehemaliger Nato-Vertreter in Afghanistan, habe Farnud sein Finanznetzwerk über Zentralasien nach Pakistan, Iran und China bis nach Europa und Kalifornien ausgeweitet. Er bewegte sich dabei auf dem Boden des traditionellen muslimischen Hawala-System. Das ist ein von Banken unabhängiger, auf Vertrauen beruhender Transfermechanismus für Kredite und Überweisungen, der den unschätzbaren Vorteil hat, daß er kaum schriftliche Spuren hinterläßt. Nach Aussage eines ehemaligen Ermittlers der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA hat Farnud in den 1990er Jahren Geldtransfers für alle möglichen legalen Kunden abgewickelt, aber auch Geldwäsche für die Taliban, für Drogenhändler und für die al-Qaida praktiziert.

 

Nach der Vertreibung der Taliban Ende 2001 war Sherkhan Farnud der erste, der eine Lizenz zur Gründung einer Bank beantragte und 2004 bewilligt bekam. Er demonstrierte rasch ein Gespür für werbewirksame PR-Gags, was unter Bankern selten ist. Um an die Ersparnisse der Afghanen heranzukommen, ließ er zwei weibliche indische Filmstars in Fernsehspots für seine neuen Kreditkarten werben. Unter dem Motto Bakht, was Glück und Reichtum bedeutet, veranstaltete er Lotterien in großen Hochzeitssälen, wobei die Teilnahme auf die beschränkt war, die 100 Dollars auf ein neues Konto bei der Kabul Bank einzahlten, wobei er Autos, Wohnungen und Bargeld verloste. Dabei habe er nur Methoden kopiert, die schon anderswo im Mittleren Ostens eingeführt waren. Innerhalb von zwei Jahren hatte Farnud sein System etabliert. Er heuerte neue Verbündete aus dem Dunstkreis der afghanischen Machthaber an. Mahmud Karsai gewährte er ein Darlehen von 6 Millionen $, mit dem der Präsidentenbruder einen 7 %igen Aktienanteil an der Kabul Bank erwarb, ohne einen eigenen Cent mitzubringen. Der damalige Zentralbankchef Noorullah Delawari erklärt diese Gefälligkeit so: »Farnud gehörte nicht zu einem der Stammesverbände, er hatte keine politische Rückendeckung. Darum ließ er Mahmud Karsai einsteigen, das sollte ihm als eine Art Versicherungspolice dienen.« Der stellvertretende Generalstaatsanwalt in Afghanistan hat 413 Darlehen ermittelt, die von der Kabul Bank in betrügerischer Absicht vergeben wurden [Stand Juli 2011], und zwar häufig zinslos und ohne Rückzahlungsfristen. Fast alle Kredite gingen an Aktionäre der Bank, allerdings zumeist über Strohmänner wie Leibwächter, Gärtner oder Hausdiener. Zugleich eröffnete die Bank eine Kette von Zweigstellen, auch im paschtunischen Süden des Landes, wo seit 2005 wieder die Taliban präsent waren. Über Filialen zahlte die Regierung in Kabul auch die Gehälter ihrer Beamten, Soldaten und Polizisten.

 

Höchst kreativer Umgang mit öffentlichen Geldern

Nach der umstrittenen Wiederwahl Hamid Karsais im Sommer 2009 kamen noch mehr solcher Auszahlungsvereinbarungen zwischen den Ministerien und der Kabul Bank zustande. Das bot den Bankern phantastische Möglichkeiten, erläutert der Afghanistanexperte Andrew Wilder vom US Institute of Peace: »Sie haben es verstanden, mit den Geldern, die durch ihre Kassen gingen, höchst kreativ umzugehen.« Zum Beispiel, indem die Auszahlung der Beamtengehälter verzögert wurde, um zusätzliche Zinsgewinne zu erzielen, die man dann in alle möglichen Geschäfte investierte. Die so reichlich fließenden Einnahmen blieben nie lange im Tresor liegen. Schließlich wollte sich Sherkhan Farnud ein Wirtschaftsimperium aufbauen. Gemeinsam mit Mahmud Karsai kaufte er Zementfabriken, einen Fernsehsender (1,8 Millionen $), ein Tankstellennetz (21 Millionen) und Immobilien in Kabul [7].  Schief ging allerdings das Geschäft mit der 2008 erworbenen Pamir Airways, in die Farnud mit einem Kredit der Kabul Bank 98 Millionen $ investierte, die schon nach drei Jahren abschmierte. Zuvor hatte Farnud versucht, die Konkurrenz mit Kampfpreisen auszustechen, wobei die Pamir Airways das Ticket Kabul–Dubai zeitweilig für ganze 50 $ verkaufte. Das Abenteuer endete im Mai 2010, als beim Absturz einer Antonow An-24 im Hindukusch 44 Menschen den Tod fanden. Die Betriebserlaubnis der Maschine war offenbar gefälscht. Im November verhängte die EU-Kommission gegen Pamir Airways ein Einflugverbot, im März 2011 wurde der Firma die Lizenz entzogen. Kurz nach dem Unglück präsentierte Khalilullah Ferosi, der seit 2008 der Kabul Bank vorstand, den Medien am Tag nach dem Flugzeugunglück mehrere Witwen von Absturzopfern, die versicherten, sie seien angemessen entschädigt worden. Zudem behauptete Ferosi, für das Unglück sei nicht die Pamir Airways verantwortlich, sondern die Nachlässigkeit der NATO-Fluglotsen. Wie Farnud hatte auch Ferosi einige Jahre in Russland verbracht und eine Ausbildung an der Polizeischule in Ufa (Baschkirien) absolviert. Später hatte er sich als Smaragdschmuggler für die Nordallianz des Ahmed Massud betätigt. Bei der Kabul Bank hatte er zunächst als Sicherheitschef angeheuert. Wie sich dieser Sprössling eines Dichters den Job eines Bankdirektors vorstellt, erklärte er im Mai 2010 in einem Gespräch in Kabul: »In Afghanistan sind alle Geschäfte gefährlich. Uns bleibt wenig Zeit; die Machtverhältnisse ändern sich ständig. Und wenn die Amerikaner erst abgezogen sind, wird für Geschäfte viel weniger Geld zur Verfügung stehen.« Seit Ferosi an der Spitze der Kabul Bank stand, ließ sich Farnud nur noch selten in Kabul blicken; er zog es vor, von Dubai aus zu operieren. Ein US-Offizier der NATO-Vertretung meint dazu, dass Farnud in der Folge die Kontrolle über die Bank verlor: »Die Kabul Bank war immer ein Pyramidensystem [8], aber Farnud konnte sie über Wasser halten, weil er saubere Unternehmen ins Geschäft einbrachte. Ferosi hingegen hat sich dann mit Mahmud Karsai und Qasim Fahim zusammengetan und pausenlos Kredite vergeben, also das Geld so schnell wie möglich verteilt.«

 

Im Jahr 2010 beschleunigte sich diese Plünderungsstrategie erneut: Ferosi und Farnud wußten, dass es nicht mehr lange gutgehen würde, und wollten das Letzte herausholen. Ende August 2010 verfügte die Zentralbank die Absetzung der beiden; inzwischen hatten sich bereits 300 Millionen $ Verluste angehäuft, vor allem durch Immobiliengeschäfte in Dubai. Als bekannt wurde, dass die Bank fast pleite war, setzte der Sturm auf die Kassenschalter ein. Alle Einleger wollten ihr Geld abheben. Im September 2010 sah sich die Zentralbank gezwungen, die Kabul Bank mit 825 Millionen $ rezufinanzieren. Nach Auskunft des stellvertretenden Generalstaatsanwalts versucht die Zentralbank jetzt in Dubai Vermögenswerte in Höhe von 300 Millionen $ loszuschlagen, die der Kabul Bank gehören. Ferosi hatte zum Beispiel 35 Luxusvillen im Wert von 160 Millionen $ auf der künstlichen Immobilieninsel Palm Jumeirah erstanden. Die beiden für den Zusammenbruch der Kabul Bank Hauptverantwortlichen Farud und Ferosi verbrachten nur 2 Monate im Gefängnis. Im September 2011 gewährte ihnen Präsident Karsai Haftverschonung. Begründung: Sie sollen beim Aufspüren noch veräußerbarer Vermögenswerte behilflich sein. Hamid Karsai will sich um den Fall nicht weiter kümmern. Er schiebt die Schuld auf die internationalen Aufsichtsgremien, die in der Affäre tatsächlich keine gute Figur machten. [9]  Während der Krise autorisierte Karsai zunächst eine Prüfung durch die Zentralbank und das afghanische Monitoring and Evaluation Committee zur Korruptionsbekämpfung. Dann aber machte er eine Kehrtwende und wollte Aktionäre der Kabul Bank in persönlichen Gesprächen zur Rückzahlung der empfangenen Kredite bewegen, damit diese nicht vor der Untersuchungskommission der Zentralbank aussagen mußten. Laut einem Bericht des US-Generalinspektors für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar) duldete Karsai auch keine westlichen Berater in der Zentralbank.

 

Um das afghanische Bankensystem zu sanieren, will die Weltbank eine Durchleuchtung (audit) der 10 größten Privatbanken des Landes finanzieren. Aber die betroffenen Geldinstitute wollen sich nicht in die Karten schauen lassen. Die Azizi Bank, die zweitgrößte Privatbank des Landes, soll seit 2008 bei Geschäften in Dubai große Summen verloren haben. Einen der Hauptaktionäre dieser Bank hatte Präsident Karsai schon Anfang 2009 zusammen mit dem Chef der Kabul Bank einbestellt, um sie über die Verluste ihrer Finanzinstitute zu befragen. Beide Banker zerstreuten offenbar alle Bedenken, verließen frohgemut den Präsidentenpalast und gingen weiter ihren Geschäften nach.

 

 

[1]  http://www.jungewelt.de/2011/11-30/029.php   Mißerfolgsgeschichte - Pakistan boykottiert Bonner Konferenz Von Werner Pirker

[2]  http://www.jungewelt.de/2011/12-03/057.ph  »Das Massaker von Kundus hat alles verändert« Interview mit Said Mahmoud Pahiz, dem Sprecher der afghanischen Solidaritätspartei – auszugsweise

[3]  http://www.jungewelt.de/2011/11-29/047.php »Eine reine Propagandashow für die Regierung« Interview von Peter Wolter mit Wolfgang Gehrcke

[4]  Le Monde diplomatique Nr. 9647 vom 11. 11. 2011, Dokumentation Louis Imbert; die Übersetzung aus dem Französischen erfolgte durch Edgar Peinelt

[5]  Alissa J. Rubin und Rod Nordland »Kabul Bank Is Portrayed as a Private A.T.M. for Afghanistan’s Elite«, New York Times vom 29. März 2011

[6]  Siehe Martine van Biljert »The IMF, Kabul Bank, government salaries and transition«, Afghan Analyst Network vom Juni 2011  

[7]  Über das Schicksal der Zementfabrik siehe Mir Sediq Saliq »A loss-making cash cow«, Afghanistan Today vom 7. Juli 2011, bit.ly/r7235O

[8]  Das bekannteste Beispiel für ein System, bei dem die ersten Investoren aus den Einlagen der letzten ausbezahlt werden, ist die Pyramide des New Yorker Investmentberaters Bernie Madoff

[9]  Ein Bericht des vom US-Kongreß eingesetzten Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (Sigar) monierte »unzureichende Kontrollen« und mangelnde Kooperation der US-Aufsichtsbehörden. Nachzulesen unter: www.sigar.mil/pdf/audits/SIGAR%20Audit-11-13.pdf