Neue Dynamik in der Schweizer Aussenpolitik - Einbindung nach Brüsseler Art - Von Ulrich Schlüer

Bundesrat Didier Burkhalter, neuer Aussenminister der Schweiz, seit jeher europhil, will den Beziehungen zwischen

Bern und Brüssel neue Dynamik verleihen. Den Tarif hat Brüssel vorgegeben: Sie werde, droht die EU, mit der Schweiz nur noch dann bilaterale Verhandlungen führen, wenn die Schweiz generell bereit sei, sich in die EU-Gesetzesmaschinerie «institutionell einbinden» zu lassen.

So lautet die Vorgabe, die EU-Kommissionspräsident Barroso – mit äusserst mässigem Erfolg die Überschuldungskrise in der EU bekämpfend – einigermassen herrisch nach Bern übermittelte. Aussenministerin Calmy-Rey liess sich davon beeindrucken. Sie wusste aber auch, dass eine einseitige Unterstellung der Schweiz unter die Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit der EU dieser einen Untertanen-Status verleihen würde – wozu die Regierung eines souveränen Landes nie Ja sagen kann. So gerieten alle Gespräche ins Stocken. Calmy-Reys EU-Öffnungskurs endete im Frust.

Nein und Ja
Bundesrat Burkhalter geht die Angelegenheit raffinierter an. Einerseits lehnt er die generelle «institutionelle Einbindung» der Schweiz in den EU-Apparat ab. Andererseits bietet er der EU gleichzeitig an, die Schweiz würde sich im Rahmen eines geplanten bilateralen Energie-Abkommens der EU-Gesetzgebung und der EU-Rechtsprechung durchaus unterziehen. Dem plakativen Nein zur generellen institutionellen Einbindung folgt also das Ja gegenüber der gleichen Forderung im Rahmen eines Energie-Abkommens.

Wichtig zu wissen ist dabei, worüber in den laufenden Energie-Gesprächen überhaupt gestritten wird: Vor Jahren lud die EU die Schweiz zu Vorverhandlungen ein, aus denen schliesslich ein bilaterales Strom-Abkommen resultieren sollen hätte. Die Schweiz ging auf das Angebot ein, weil sich die Stromdrehscheibe für ganz Europa bekanntlich im aargauischen Laufenburg befindet. Laufenburg ist die Schaltzentrale der europaweit miteinander verbundenen Stromnetze. Dort erfolgen die Schaltungen, wer wohin exportiert, wer von wem bezieht, von dort stammen die Grundlagen für die Fakturierung der Strom-Exporte.

Vom Strom-Abkommen zum Energie-Abkommen
Diese Zentrale möchte die Schweiz in unserem Land behalten. So begründete sie ihr Interesse an einem bilateralen Strom-Abkommen mit der EU. Doch kaum hatten erste Gespräche dazu stattgefunden, änderte die EU ihre Absicht: Nicht mehr über Strom allein, vielmehr über alle Aspekte der Energieversorgung sollte ein bilaterales Abkommen vereinbart werden. Die Schweiz ging, wenn auch zögernd, auf diese Inhaltserweiterung durch Brüssel ein, was Praktiker aus der Energieversorgungs-Branche relativ rasch zu bereuen begannen. Denn es verfestigte sich der Eindruck, die EU suche bloss den «Zahlonkel» für alle von ihr geplanten Versuche und Förderungsprojekte alternativer Energieversorgung. Die Tatsache, dass Deutschland eben erst Fehlinvestitionen von rund 100 Millionen Euro in Solarprojekte, die überhaupt nichts brachten, klagend einzugestehen hatte, zeigt die finanziellen Folgen, welche aus euphorischen Träumen von alternativer Energiegewinnung resultieren.

Schweizer Interessen stark betroffen
Für die Schweiz als Produktionsstandort sind solche Fragen äusserst brisant – weil ohne kostengünstige und in genügendem Mass verfügbare Energie ein leistungsfähiger und blühender Produktionsstandort im Hochlohnland Schweiz nicht am Leben erhalten werden kann. Wenn die Schweiz ihr Selbstbestimmungsrecht zu dessen Ausgestaltung an die EU abtreten würde, würde sie zweifellos wichtige Produktionsmöglichkeiten im eigenen Land mehr als nur gefährden.

Ihren Finanzplatz liess sich die Schweiz durch nicht selten mit ungeschminkter Erpressung unterlegten Forderungen aus der USA und der EU weitgehend zerstören. Abertausende Entlassungen sind die Folge. Im Interesse einer Land und Leute ernährenden Volkswirtschaft wäre es verantwortungslos, nach dem Finanzplatz auch noch den Produktionsstandort Schweiz via eine unser Land benachteiligende, allein von Brüssel dirigierte Energie-Regulierung unterminieren und zerstören zu lassen.

Gegenstrategie
Angesichts der seit über 20 Jahren europhilen Haltung von Bundesrat und Parlamentsmehrheit ist der Wirtschaftsstandort Schweiz damit an einem weiteren wichtigen Nerv ernsthaft bedroht. Ob es zuviel verlangt ist, vom Parlament endlich eine wirksame Gegenstrategie zu der vom Bundesrat völlig eigenmächtig verfolgten Politik des Ausverkaufs elementarer schweizerischer Interessen zu erwarten? Die Grundlage dafür ist längst vorhanden. Bereits in den Neunzigerjahren hat sich das Parlament in aussenpolitischen Angelegenheiten ein gesetzlich verankertes Mitgestaltungsrecht gesichert. Dieses verhindert, dass der Bund Verträge und Abkommen weitgehend selbständig abschliessen kann und nur deren Ergebnisse dem Parlament zur Genehmigung oder Ablehnung vorlegen muss. Das Parlament – genauer: die aussenpolitischen Kommissionen beider Räte – sind vielmehr bereits in die Entscheidfindung, in die Suche nach Lösungen mit einzubeziehen. Das ist nicht Wunsch, das ist nicht Forderung. Das ist geltendes Gesetz. Die Bundesräte Cotti und Deiss haben als Aussenminister dieses Gesetz respektiert. Calmy-Rey foutierte sich darum – die Linke deckte ihr dabei den Rücken.

Es wäre jetzt an den aussenpolitischen Kommissionen beider Räte, vom neuen Aussenminister Didier Burkhalter ganz einfach zu verlangen, er habe darzulegen, wie er das gesetzlich verankerte Mitgestaltungsrecht des Parlaments in aussenpolitischen Belangen zu respektieren gedenke. Das Gesetz, diese Forderung zu stellen, ist vorhanden. Es fehlt nur noch am politischen Willen.



http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/News/Einbindung_nach_Bruesseler_Art-460
Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 20. Januar 2012