Libanon - Zur Ermordung von Wissam al-Hassan

Am Nachmittag des 19.10. gegen 15 Uhr wurde der Beiruter Stadtteil Ashrafieh von einer schweren Explosion verwüstet,

der schwersten in der libanesischen Hauptstadt seit mehreren Jahren. Ein oder zwei Sprengsätze, die nach ersten Ermittlungen in einem schon am Vortag in einer Seitenstraße des belebten Sassine-Square geparkten Toyota-Allrad angebracht waren, forderten 8 Todesopfer, an die Hundert wurden verletzt. Unter den Toten war Brigadegeneral Wissam al-Hassan; er war das Ziel des Anschlags, der auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon als schändlicher Akt des Terrorismus verurteilt wurde. Der Tatort lag unweit von Hassans Wohnung in dem überwiegend von Christen bewohnten Viertel auf dessen üblichem Weg zur Arbeit. 

Der 1965 geborene al-Hassan war eine Schlüsselfigur im libanesischen Sicherheitsapparat. 2001 war er  - zuvor Mitarbeiter im privaten Wachschutz des damaligen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri – von diesem zum Sicherheitschef befördert worden. Zu jener Zeit war Hariri ein enger Verbündeter Syriens. Nachdem Hariri am 14. Februar 2005 ebenfalls bei einem verheerenden Anschlag ermordet worden war - vermutlich mittels einer Autobombe -  wurde al-Hassan zur  rechten Hand von Hariris Sohn Saad, dem die Führung der Mustaqbal-Partei und der Koalition des 14. März zugefallen war. Saad Hariri schlug fortan als Verbündeter des Westens und Statthalter Saudi-Arabiens einen gegen Syrien und die libanesische Hizbullah gerichteten Kurs ein. 2006 wurde al-Hassan Chef des neu eingerichteten Geheimdienstes der Internal Security Forces [ISF], d.h. der Polizei, die seit April 2005 von dem Hariri-treuen General Ashraf Rifi geleitet wird. Rifi ist Mitglied im Vorstand der Prinz-Nayif-Akademie für Sicherheitsfragen in Saudi-Arabien. Mit Hilfe Rifis und al-Hassans versuchte die Saudi-Arabien ergebene Sunni-Fraktion um Hariri in der Folge, sich  innerhalb der verschiedenen libanesischen Sicherheitsdienste und -Kräfte ein eigenes Standbein aufzubauen. Wissam al-Hassan war für seine Professionalität und die Effektivität seiner Behörde vielfach gelobt worden und wurde als Nachfolger Rifis an der Spitze der ISF gehandelt.  Gleichwohl wird al-Hassans Polizeigeheimdienst von der seit Anfang 2011 an der Regierung befindlichen Koalition des 8. März als illegal angesehen. 

Al-Hassan leitete auch die Untersuchungen im Mordfall Rafiq al-Hariri und war in dieser Eigenschaft ein wichtiger Zuarbeiter für das in Den Haag ansässige Hariri-Sondertribunal [STL] und dessen Vorläufer, die UN-Untersuchungskommission UNIIIC. Der 2008 ermordete Hauptmann Wissam Eid war unter al-Hassans Leitung maßgeblich am Entstehen der gegenwärtigen Anklage des STL gegen die Hizbullah beteiligt. So soll Eid einer im Herbst 2010 ausgestrahlten Sendung des kanadischen Senders CBC zufolge in mühevoller Kleinarbeit ungezählte Mobiltelefon-Verbindungsnachweise analysiert haben und auf diese Weise auf die Spur der mutmaßlichen Hizbullah-Attentäter gelangt sein. Gleichwohl behauptet das STL, daß es unabhängig von Eid eigene Auswertungen der Protokolle unternommen habe. Allerdings geriet al-Hassan in der fraglichen Sendung der CBC selbst in den Verdacht, an der Ermordung seines früheren Chefs beteiligt gewesen zu sein: Als Erklärung dafür, warum er Hariri zur Tatzeit nicht wie üblich begleitet habe, hatte er damals angegeben, wegen eines Examens an der Universität, das er ablegen mußte, verhindert gewesen zu sein. Telefonprotokollen zufolge hatte er aber im fraglichen Zeitraum ganze 24 Telefongespräche geführt. Dennoch sprach Saad Hariri al-Hassan demonstrativ das Vertrauen aus. Zur gleichen Zeit stand al-Hassans Polizeigeheimdienst auf Grund der Aufdeckung zahlreicher israelischer Spione, die die libanesischen Sicherheitskräfte und bezeichnenderweise die Telefongesellschaften bis auf Führungsebene unterwandert hatten, im Rampenlicht. Dabei ist unklar, ob al-Hassan bewußt gegen die Spione ermittelt hatte, oder nur zufällig auf die Spur der Geheimagenten gekommen war, als er die Hizbullah ins Visier seiner Behörde nahm und so auf die israelischen Agenten stieß, welche die  Hizbullah ihrerseits beschatteten, oder ob er auch überwiegend von letzterer selbst seine Informationen erhalten hatte. 

Anfang 2011 wurde auf Grund eines vom libanesischen Fernsehsender Al-Jadeed TV als sogenanntes Haqiqa-Leak ausgestrahlten Audiomitschnitts aus dem Umkreis der UN-Ermittlungen im Mordfall Hariri bekannt, daß al-Hassan einer der Drahtzieher im Skandal der falschen Zeugen war, bei dem Syrien Ende 2005 mit Hilfe erpreßter und gekaufter Zeugenaussagen des Hariri-Mordes beschuldigt werden sollte. Seit 2011 war al-Hassan engstens in die Organisation des Aufstands in Syrien involviert, hatte doch anscheinend auch die Bewaffnung eigener sunnitischer Milizen als Gegengewicht zur Hizbullah von Anfang an zu seiner Untergrundtätigkeit gehört. Erst kurz vor seinem Tod bedauerte al-Hassan in einem Interview seine Rolle im syrischen Aufstand. Kritische Stimmen wenden daher ein, daß der unerfahrene Saad Hariri al-Hassan mutwillig geopfert habe, indem er diesen mit Hilfe von Extremisten in das saudische Spiel des nahöstlichen regime change involvierte, das in der jüngsten Zeit zunehmend außer Kontrolle gerate. So soll al-Hassan insbesondere versucht haben, die  palästinensische Jihadisten-Gruppe Fatah al-Islam für die syrische Revolution zu instrumentalisieren. Es ist nicht auszuschließen, daß al-Hassan selbst in die Vorbereitung von Terroranschlägen involviert war. Erst vor wenigen Monaten fiel der syrische Geheimdienstchef Assef Shawkat einem Anschlag zum Opfer. Auch war al-Hassans Geheimdienst maßgeblich für die Verhaftung des früheren Informationsministers Michel Samaha im August verantwortlich. Dieser war bei dem Versuch gestellt worden, mit seinem eigenen Auto, einem Geschenk Bashar al-Assads, Sprengsätze, mit deren Hilfe angeblich Anschläge auf Gegner Syriens verübt werden sollten, aus Syrien in den Libanon zu bringen. Anscheinend war Samaha seit längerer Zeit, angeblich seit 2010, von al-Hassan überwacht worden. Wochenlang erhoben daher die Zeitung Ad-Diyar und der Brigadegeneral a.D. Jamil as-Sayyed, der ebenfalls in die Samaha-Affäre verwickelt ist, schwere Vorwürfe gegen al-Hassan, dem vorgeworfen wurde, den Vorfall inszeniert zu haben, um der aus Iran, Syrien und der Hizbullah bestehenden sogenannten Achse des Widerstands gegen Israel zu schaden. Auch persönlich soll al-Hassan Morddrohungen erhalten haben. Erste Schuldzuweisungen für den Mord an al-Hassan gingen denn auch in Richtung Syrien, das den Anschlag jedoch ebenso wie die Hizbullah sofort verurteilt hatte. Feinde hatte al-Hassan aber auch unter den rechten christlichen Parteien, genau wie schon Rafiq al-Hariri. 

Seit dem Mord an al-Hassan protestieren im Libanon Hariri-treue Kräfte, die vielfach Al-Qaida-Fahnen oder Fahnen der syrischen Aufständischen tragen, und fordern den Rücktritt der regierenden Allianz des 8. März. Als Premierminister Najib al-Miqati am 13. 10. 12 diesen tatsächlich anbot, forderte Präsident Suleiman ihn jedoch auf, vorerst im Amt zu bleiben. al-Hassans Beerdigung fand am 21.10. statt, von dem Versuch militanter Hariri-Anhänger überschattet, das Palais des Premierministers zu stürmen. Bis jetzt dauern die gewaltsamen Auseinandersetzungen und die Furcht vor einem Übergreifen des syrischen Bürgerkriegs auf den Libanon an. Es gab bereits mehrere Todesopfer, darunter ein neunjähriges Mädchen, das in Tripoli von Hariri-Anhängern erschossen wurde, die es fälschlich für eine Alawitin hielten. Unklar ist auch, welche Konsequenzen die Ermordung al-Hassans für den Fortgang des Hariri-Prozesses in Den Haag haben wird.  [1] 

Der sunnitische al-Hassan, schreibt Emran Feroz, hatte beste Kontakte nach Saudi-Arabien. Ein Großteil seiner Familie besitzt neben der libanesischen Staatsbürgerschaft auch die saudiarabische. Es ist bekannt, daß er kein Freund des Assad-Regimes war, und auch bei der schiitischen Hisbollah war er ein verhaßter Mann. Zu dem Attentat hat sich bisher niemand bekannt. Es ist deshalb keine Überraschung, wenn all jene, denen das syrische Regime ein Dorn im Auge ist, Damaskus als Drahtzieher verdächtigen. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Kräfte aus dem Attentat politischen Nutzen ziehen können. Syrien und die schiitische prosyrische Hisbollah sind es sicherlich nicht. Die Ermordung Al-Hassans nutzt dagegen jenen, die auf eine Destabilisierung des Libanons und des gesamten Nahen Ostens aus sind. Durch das Attentat auf den sunnitischen General werden die alten Feindschaften zwischen libanesischen Schiiten und Sunniten wiederbelebt. In der Vergangenheit war der Libanon oft Schauplatz solcher blutigen Auseinandersetzungen. Nun hat ein weiterer Konflikt, der Syrien-Krieg, den Libanon erreicht. Eine Krise der Hisbollah spielte vor allem den wahhabitischen Saudis, die seit Beginn des Krieges die Drecksarbeit für den Westen leisten, und anderen anti-syrischen Kräften in die Karten.

Nutznießer der entstandenen Lage sind so auch der Westen und Israel. Um zwecks Isolierung des Irans die schiitische Achse zu brechen, müssen zuerst das Assad-Regime in Syrien und die Hisbollah im Libanon aus dem Weg geräumt werden. Wobei die israelische Regierung um Benjamin Netanjahu auch in anderer Weise von der chaotischen Lage in Syrien und im Libanon profitiert.  Während sich die Muslime in den arabischen Staaten gegenseitig massakrieren, kann man weiterhin ungestraft Menschenrechte verletzen und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Luftangriffe in Gaza, den illegalen Siedlungsausbau im Westjordanland und andere Maßnahmen weiter verschärfen.  [2]

 

[1]  http://www.inamo.de/index.php/libanon-beitrag-lesen/items/libanon-wissam-al-hassan.html 21. 10. 12  Libanon: Wissam al-Hassan - JT, Redaktion inamo 
[2]  http://www.jungewelt.de/2012/10-26/032.php  Machtspiele im Libanon  -  Von Emran Feroz