Libanon - Zur Ermordung von Wissam al-Hassan 28.10.2012 23:39
Am Nachmittag des 19.10. gegen 15 Uhr wurde der Beiruter Stadtteil Ashrafieh von einer schweren Explosion verwüstet,
der
schwersten in der libanesischen Hauptstadt seit mehreren Jahren. Ein oder zwei
Sprengsätze, die nach ersten Ermittlungen in einem schon am Vortag in einer
Seitenstraße des belebten Sassine-Square geparkten Toyota-Allrad angebracht
waren, forderten 8 Todesopfer, an die Hundert wurden verletzt. Unter den Toten
war Brigadegeneral Wissam al-Hassan; er war das Ziel des Anschlags, der auch UN-Generalsekretär
Ban Ki-Moon als ›schändlicher Akt
des Terrorismus‹ verurteilt wurde.
Der Tatort lag unweit von Hassans Wohnung in dem überwiegend von Christen
bewohnten Viertel auf dessen üblichem Weg zur Arbeit.
Der 1965
geborene al-Hassan war eine Schlüsselfigur im libanesischen Sicherheitsapparat.
2001 war er - zuvor Mitarbeiter im
privaten Wachschutz des damaligen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri – von
diesem zum Sicherheitschef befördert worden. Zu jener Zeit war Hariri ein enger
Verbündeter Syriens. Nachdem Hariri am 14. Februar 2005 ebenfalls bei einem
verheerenden Anschlag ermordet worden war - vermutlich mittels einer Autobombe
- wurde al-Hassan zur rechten Hand von Hariris Sohn Saad, dem die
Führung der Mustaqbal-Partei und der Koalition des ›14. März‹ zugefallen
war. Saad Hariri schlug fortan als Verbündeter des Westens und Statthalter
Saudi-Arabiens einen gegen Syrien und die libanesische Hizbullah gerichteten
Kurs ein. 2006 wurde al-Hassan Chef des neu eingerichteten Geheimdienstes der ›Internal Security Forces‹ [ISF], d.h. der Polizei, die seit
April 2005 von dem Hariri-treuen General Ashraf Rifi geleitet wird. Rifi ist
Mitglied im Vorstand der ›Prinz-Nayif-Akademie
für Sicherheitsfragen‹ in
Saudi-Arabien. Mit Hilfe Rifis und al-Hassans versuchte die Saudi-Arabien
ergebene Sunni-Fraktion um Hariri in der Folge, sich innerhalb der verschiedenen libanesischen
Sicherheitsdienste und -Kräfte ein eigenes Standbein aufzubauen. Wissam
al-Hassan war für seine Professionalität und die Effektivität seiner Behörde vielfach
gelobt worden und wurde als Nachfolger Rifis an der Spitze der ISF gehandelt. Gleichwohl wird al-Hassans Polizeigeheimdienst
von der seit Anfang 2011 an der Regierung befindlichen Koalition des ›8. März‹ als illegal angesehen.
Al-Hassan
leitete auch die Untersuchungen im Mordfall Rafiq al-Hariri und war in dieser
Eigenschaft ein wichtiger Zuarbeiter für das in Den Haag ansässige
Hariri-Sondertribunal [STL] und dessen Vorläufer, die UN-Untersuchungskommission
UNIIIC. Der 2008 ermordete Hauptmann Wissam Eid war unter al-Hassans Leitung
maßgeblich am Entstehen der gegenwärtigen Anklage des STL gegen die Hizbullah
beteiligt. So soll Eid einer im Herbst 2010 ausgestrahlten Sendung des
kanadischen Senders CBC zufolge in mühevoller Kleinarbeit ungezählte
Mobiltelefon-Verbindungsnachweise analysiert haben und auf diese Weise auf die
Spur der mutmaßlichen Hizbullah-Attentäter gelangt sein. Gleichwohl behauptet
das STL, daß es unabhängig von Eid eigene Auswertungen der Protokolle
unternommen habe. Allerdings geriet al-Hassan in der fraglichen Sendung der CBC
selbst in den Verdacht, an der Ermordung seines früheren Chefs beteiligt
gewesen zu sein: Als Erklärung dafür, warum er Hariri zur Tatzeit nicht wie
üblich begleitet habe, hatte er damals angegeben, wegen eines Examens an der
Universität, das er ablegen mußte, verhindert gewesen zu sein.
Telefonprotokollen zufolge hatte er aber im fraglichen Zeitraum ganze 24
Telefongespräche geführt. Dennoch sprach Saad Hariri al-Hassan demonstrativ das
Vertrauen aus. Zur gleichen Zeit stand al-Hassans
Polizeigeheimdienst auf Grund der Aufdeckung zahlreicher israelischer Spione,
die die libanesischen Sicherheitskräfte und bezeichnenderweise die
Telefongesellschaften bis auf Führungsebene unterwandert hatten, im Rampenlicht.
Dabei ist unklar, ob al-Hassan bewußt gegen die Spione ermittelt hatte, oder nur
zufällig auf die Spur der Geheimagenten gekommen war, als er die Hizbullah ins
Visier seiner Behörde nahm und so auf die israelischen Agenten stieß, welche die
Hizbullah
ihrerseits beschatteten, oder ob er auch überwiegend von letzterer selbst seine
Informationen erhalten hatte.
Anfang
2011 wurde auf Grund eines vom libanesischen Fernsehsender ›Al-Jadeed TV‹ als
sogenanntes ›Haqiqa-Leak‹ ausgestrahlten Audiomitschnitts aus
dem Umkreis der UN-Ermittlungen im Mordfall Hariri bekannt, daß al-Hassan einer
der Drahtzieher im ›Skandal der
falschen Zeugen‹ war, bei dem Syrien
Ende 2005 mit Hilfe erpreßter und gekaufter Zeugenaussagen des Hariri-Mordes
beschuldigt werden sollte. Seit 2011 war al-Hassan engstens in die
Organisation des Aufstands in Syrien involviert, hatte doch anscheinend
auch die Bewaffnung eigener sunnitischer Milizen als Gegengewicht zur Hizbullah
von Anfang an zu seiner Untergrundtätigkeit gehört. Erst kurz vor seinem Tod bedauerte
al-Hassan in einem Interview seine Rolle im syrischen Aufstand. Kritische
Stimmen wenden daher ein, daß der unerfahrene
Saad Hariri al-Hassan mutwillig geopfert habe, indem er diesen mit Hilfe von
Extremisten in das saudische Spiel des nahöstlichen ›regime change‹
involvierte, das in der jüngsten Zeit zunehmend außer Kontrolle gerate. So soll
al-Hassan insbesondere versucht haben, die palästinensische Jihadisten-Gruppe ›Fatah al-Islam‹ für die syrische Revolution zu instrumentalisieren. Es ist nicht
auszuschließen, daß al-Hassan selbst in die Vorbereitung von Terroranschlägen
involviert war. Erst vor wenigen Monaten fiel der syrische Geheimdienstchef
Assef Shawkat einem Anschlag zum Opfer. Auch war al-Hassans Geheimdienst
maßgeblich für die Verhaftung des früheren Informationsministers Michel Samaha
im August verantwortlich. Dieser war bei dem Versuch gestellt worden, mit
seinem eigenen Auto, einem Geschenk Bashar al-Assads, Sprengsätze, mit deren
Hilfe angeblich Anschläge auf Gegner Syriens verübt werden sollten, aus Syrien
in den Libanon zu bringen. Anscheinend war Samaha seit längerer Zeit, angeblich
seit 2010, von al-Hassan überwacht worden. Wochenlang erhoben daher die Zeitung
›Ad-Diyar‹ und der Brigadegeneral a.D. Jamil as-Sayyed, der ebenfalls in die
Samaha-Affäre verwickelt ist, schwere Vorwürfe gegen al-Hassan, dem vorgeworfen
wurde, den Vorfall inszeniert zu haben, um der aus Iran, Syrien und der Hizbullah
bestehenden sogenannten ›Achse des
Widerstands‹ gegen Israel zu schaden.
Auch persönlich soll al-Hassan Morddrohungen erhalten haben. Erste
Schuldzuweisungen für den Mord an al-Hassan gingen denn auch in Richtung
Syrien, das den Anschlag jedoch ebenso wie die Hizbullah sofort verurteilt
hatte. Feinde hatte al-Hassan aber auch unter den rechten christlichen
Parteien, genau wie schon Rafiq al-Hariri.
Seit dem
Mord an al-Hassan protestieren im Libanon Hariri-treue Kräfte, die vielfach
Al-Qaida-Fahnen oder Fahnen der syrischen Aufständischen tragen, und fordern
den Rücktritt der regierenden Allianz des ›8.
März‹. Als Premierminister Najib
al-Miqati am 13. 10. 12 diesen tatsächlich
anbot, forderte Präsident Suleiman ihn jedoch auf, vorerst im Amt zu bleiben. al-Hassans
Beerdigung fand am 21.10. statt, von dem Versuch militanter Hariri-Anhänger überschattet,
das Palais des Premierministers zu stürmen. Bis jetzt dauern die gewaltsamen
Auseinandersetzungen und die Furcht vor einem Übergreifen des syrischen
Bürgerkriegs auf den Libanon an. Es gab bereits mehrere Todesopfer, darunter
ein neunjähriges Mädchen, das in Tripoli von Hariri-Anhängern erschossen wurde,
die es fälschlich für eine Alawitin hielten. Unklar ist auch, welche
Konsequenzen die Ermordung al-Hassans für den Fortgang des Hariri-Prozesses in
Den Haag haben wird. [1]
Der
sunnitische al-Hassan, schreibt Emran Feroz, hatte beste Kontakte
nach Saudi-Arabien. Ein Großteil seiner Familie besitzt neben der libanesischen
Staatsbürgerschaft auch die saudiarabische. Es ist bekannt, daß er kein Freund
des Assad-Regimes war, und auch bei der schiitischen Hisbollah war er ein
verhaßter Mann. Zu dem Attentat hat sich bisher niemand bekannt. Es ist deshalb
keine Überraschung, wenn all jene, denen das syrische Regime ein Dorn im Auge
ist, Damaskus als Drahtzieher verdächtigen. Es stellt sich jedoch die Frage,
welche Kräfte aus dem Attentat politischen Nutzen ziehen können. Syrien und die
schiitische
prosyrische Hisbollah sind es sicherlich nicht. Die Ermordung
Al-Hassans nutzt dagegen jenen, die auf eine Destabilisierung des Libanons und
des gesamten Nahen Ostens aus sind. Durch das Attentat auf den sunnitischen
General werden die alten Feindschaften zwischen libanesischen Schiiten und
Sunniten wiederbelebt. In der Vergangenheit war der Libanon oft Schauplatz
solcher blutigen Auseinandersetzungen. Nun hat ein weiterer Konflikt, der
Syrien-Krieg, den Libanon erreicht. Eine Krise der Hisbollah spielte vor allem
den wahhabitischen Saudis, die seit Beginn des Krieges die Drecksarbeit
für den Westen leisten, und anderen anti-syrischen Kräften in die
Karten.
Nutznießer
der entstandenen Lage sind so auch der Westen und Israel. Um zwecks Isolierung
des Irans die ›schiitische Achse‹ zu brechen, müssen zuerst das
Assad-Regime in Syrien und die Hisbollah im Libanon aus dem Weg geräumt werden.
Wobei die israelische Regierung um Benjamin Netanjahu auch in anderer Weise von
der chaotischen Lage in Syrien und im Libanon profitiert. Während sich die Muslime in den arabischen
Staaten gegenseitig massakrieren, kann man weiterhin ungestraft Menschenrechte
verletzen und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Luftangriffe
in Gaza, den illegalen Siedlungsausbau im Westjordanland und andere Maßnahmen
weiter verschärfen. [2]
[1] http://www.inamo.de/index.php/libanon-beitrag-lesen/items/libanon-wissam-al-hassan.html 21. 10.
12 Libanon: Wissam al-Hassan - JT,
Redaktion inamo [2] http://www.jungewelt.de/2012/10-26/032.php
Machtspiele im Libanon - Von
Emran Feroz
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