»Swiss Respect«

Es ist nicht das erste Mal, dass die amerikanischen Behörden ihre Macht einsetzen, um ihre eigenen Geschäfte zu fördern.

Die neue Vereinigung »Swiss Respect« leistet Widerstand gegen völkerrechtswidrige Angriffe auf die Schweiz und verteidigt das Rechtssystem unseres Landes. Sie verlangt, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Gegenseitigkeit in den internationalen Verträgen angewendet werden und setzt sich sehr couragiert für die Wahrung schweizerischer Interessen ein. Die junge Vereinigung wurde kürzlich in Genf durch Jean Daniel Balet, Flavien de Muralt, Antoine Spillmann und Jean Paul Tissières gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, die Schweiz gegen die Angriffe auf ihre rechtliche und wirtschaftliche Ordnung zu verteidigen. Diese Angriffe werden von Partnern in Szene gesetzt, um die Ordnung der Schweiz zu destabilisieren. »Swiss Respect« wehrt sich gegen eine Unterwerfungspolitik, die in unserem Land dazu führt, sich dem ausländischen Druck anzupassen, anstatt eine echte geo-ökonomische Strategie vorauszuplanen.

Die Schweiz unterzeichnet und genehmigt Abkommen, die ihre Konkurrenten selbst nicht anwenden und in ihrem eigenen Land niemals akzeptieren würden. Rand Paul, Senator aus Kentucky, hat die Ratifizierung des Doppelbesteuerungsabkommens, das in der Schweiz, aber nicht in den Vereinigten Staaten ratifiziert worden war, im Kongress blockiert, weil dieses Abkommen seines Erachtens die Vertraulichkeit der amerikanischen Bankkonten bedroht. Er erklärte: »Wir brauchen einen verfassungsmässigen Schutz unserer Bankdaten.« Die Schweizer Banken hingegen liefern die von der IRS verlangten Auskünfte. Das älteste Schweizer Bankhaus, die Bank Wegelin, ist im Januar 2012 untergegangen. Aber nicht genug damit – im April haben elf Schweizer Banken eine riesige Menge von Daten über ihre eigenen Mitarbeiter an amerikanische Behörden geliefert und damit für mehrere tausend Personen schwere Risiken geschaffen, bestraft zu werden.  

Verrat  
So qualifizierte die Presse das Verhalten des Bundesrats, der vier Monate nach den ersten Lieferungen im April die HSBC [eines der grössten Finanzunternehmen der Welt] dazu autorisierte, im August 250 zusätzliche Namen zu übermitteln. Mehr als 10
000 Personen sind heute betroffen. Das geht so weit, dass es einige nicht mehr wagen, die Schweiz zu verlassen, denn ein Schweizer, der in Deutschland auf der Durchreise war, wurde festgenommen, weil er den gleichen Namen wie ein von Nachforschungen betroffenen Bankier hatte; er wurde solange in Haft gehalten, bis die umfangreichen Begleitunterlagen zum US-Haftbefehl übersetzt waren. Die Verteidiger der Steuermoral wären gut beraten, die Motive zur Kenntnis zu nehmen, die den amerikanischen Angriffen zugrunde liegen: Etwa zu Steuereinnahmen zu kommen, um die Staatsschuld zu entlasten, die sie derart schlecht unter Kontrolle haben, dass dadurch das Weltwirtschaftssystem zugrunde gehen könnte? Offensichtlich nicht. In der USA, wo die Steuerbefreiungen eher die Regel als die Ausnahme sind, und wo die multinationalen Unternehmungen und die grossen Privatvermögen so niedrige Steuern entrichten, dass sogar manche anbieten, auch mehr zu bezahlen, scheint die Eintreibung von Steuern keine Priorität zu haben. Ganz zu schweigen von Delaware, wo die Vermögen weit besser geschützt sind, als sie jemals es in der Schweiz waren.

Was also irritiert die Amerikaner? Die Schweiz ist in der Verwaltung privater Vermögen weltweit führend. Obwohl sie ein kleines Land ist und keinerlei Rohstoffe hat, spielt sie in der Liga der Grossen und gewinnt seit Jahrzehnten. Ohne überdimensionierte Bilanzen oder die Übernahme unsinniger Risiken. Einfach auf Grund ihres Know-how. Die Vereinigten Staaten weisen mehr als 3 Millionen grosse Vermögen auf, das sind beinahe 28,6 % der Dollarmillionäre auf der Welt. Aber zwei Schweizer Banken zählen zu den fünf grössten privaten Vermögensverwaltungsinstituten der Welt, und fünf Schweizer Banken gehören zu den zwanzig grössten. Die amerikanischen Banken versuchen seit Jahren, diesen Markt zu übernehmen, indem sie beträchtliche Kredite vergeben. Der Erfolg steht aber in keinem Verhältnis zum Aufwand. Warum also nicht die Konkurrenz schwächen, indem man sie in Misskredit bringt? Zuerst der Skandal der jüdischen Konten, dann der Geldwäscherei-Skandal und jetzt der Steuerflucht-Skandal. Es ist nicht das erste Mal, dass die amerikanischen Behörden ihre Macht einsetzen, um ihre Geschäfte zu fördern. Nicht nur in der Schweiz, und nicht nur im Bankensektor.

Wenden wir uns nun unseren europäischen Freunden zu. Grossbritannien nimmt rund 300?000 Ansässige ohne Wohnsitz auf, deren Steuerregelung bemerkenswert günstig ist, während die Schweiz nur 5600 Pauschalsteuerpflichtige beherbergt. Ebenso Belgien, wo Bernard Arnaud, Verwaltungsratspräsident von LVMH (Louis Vuitton SA) und einer der reichsten Männer der Welt, die Staatsbürgerschaft beantragt hat. Die EU wirft der Schweiz – insbesondere einigen ihrer Kantone – Vorzugssteuervorschriften vor, welche die Niederlassung ausländischer Unternehmungen begünstigen. Da die Schweizer Unternehmen nicht dieselben Konditionen geniessen, ist die Rede von ungleicher Behandlung und vor allem von schädlichem  Steuerwettbewerb. Wir stellen jedoch fest, dass die EU-Mitgliedsstaaten ihren eigenen Verhaltenskodex auf dem Gebiet der Steuerdiskriminierung 15 Jahre nach dessen Unterzeichung kaum respektieren. Der EU ist es noch immer nicht gelungen, die früheren, ausländische Gesellschaften begünstigenden Satzungen zu bereinigen, die sie von vorhergehenden Regierungen übernommen hat, vor allem (aber nicht nur) was Frankreich und Grossbritannien betrifft. Die Archive des Europäischen Gerichtshofs sind voll von Fällen aus Korsika, Neu-Kaledonien, den Jungferninseln, den Kanalinseln oder aus Gibraltar.  Ganz zu schweigen von den nicht zu vernachlässigenden Vorteilen, welche die Transportsteuer den Reedern ausserhalb der EU bietet.

Das jüngste Beispiel ist das französisch-schweizerische Abkommen über die Erbschaften. Der Text wurde auf die Forderung Frankreichs hin im Juli vom Bundesrat paraphiert und steht in völligem Widerspruch zu sämtlichen Normen des internationalen Rechts. Nachdem die Zeitung Le Temps‹  den ganzen Vertragstext einem Gremium von Juristen und Steuerfachleuten unterbreitet hatte, bestätigten diese, dass die Reform bei weitem nicht nur diejenigen Franzosen betrifft, welche mit einer Pauschalsteuer in der Schweiz leben, sondern auch alle Erben von in der Schweiz Niedergelassenen, die in Frankreich wohnen, sowie alle Eigentümer von in Frankreich liegenden Liegenschaften. Dies sind Hunderttausende von Steuerpflichtigen. Entgegen einem weitverbreiteten Klischee handelt es sich bei den betroffenen Personen nicht um eine Handvoll Steuerflüchtlinge, sondern um 150.?000 Franzosen, die in der Schweiz leben, und 170?.000 Schweizer, die in Frankreich leben. Wenn ein schweizerischer Elternteil von zwei Schweizer Kindern stirbt, während eines der Kinder in Frankreich wohnt, wird das in Frankreich lebende Kind gegenüber seinem Bruder oder seiner Schwester, die an irgendeinem anderen Ort auf der Welt leben, benachteiligt.

»Swiss Respect« ist der Meinung, dass die Schweiz seit mehr als 15 Jahren einem eigentlichen  Wirtschafts- und Finanzkrieg ausgesetzt ist. Die Schweizer Behörden passen sich eifrig und ohne sich zu sträuben dem ausländischen Druck an, anstatt die Waffen der Souveränität und des Rechts zu nutzen. Noch schlimmer: Sie verletzen das Gesetz wiederholt und systematisch und bringen damit die Schweizer Bürger und die Wirtschaft als Ganzes in Gefahr. Keinerlei Gegenseitigkeit und keinerlei Gleichbehandlung werden verlangt oder erreicht. Es ist reiner Selbstmord, dass die Schweiz dort, wo es die internationalen Normen nicht verlangen, als einzige in den Bereichen Steuer-Selbstdeklaration und Verhaltenskodex aktiv ist. Der Ruf der Schweiz in bezug auf die Rechtssicherheit und den Schutz der Privatsphäre sowie des Privateigentums wird schwer geschädigt.

Die neue Vereinigung fordert, dass sich die Schweiz weigert, ihre Rechtsordnung zu ändern, um ihre Konkurrenten zufriedenzustellen, und dass sie keine Änderung akzeptiert, wenn nicht alle Finanzzentren sie gleichermassen anwenden. Die Schweiz muss ihre Rahmenbedingungen verteidigen und eine Haltung einnehmen, die vergleichbar ist mit derjenigen der EU-Mitglieder Luxemburg und Österreich, die ihre Vorzugsstellung so lange schützen, als es der EU nicht gelingt, die Gleichbehandlung und die Gegenseitigkeit durch Drittstaaten zu erreichen. Die Schweiz darf nichts aufgeben, solange sich Hongkong, Singapur, die Kanalinseln, die Bahamas, die USA und England, neben anderen, nicht an dieselben Regeln halten. 

 

Quelle: L’Agefi, Quotidien de l’agence économique et financière à Genève vom 16. Oktober 2012 http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1159  Zeit-Fragen  Nr. 46 vom 29.10.2012