Syrien - Opposition uneins

d.a. In einem Interview mit dem russischen Rundfunksender »Golos Rossii«, die »Stimme Russlands«,

warf Haytham al-Manna von der syrischen Inlandsopposition und Koordinator des Nationalen Komitees für den Demokratischen WandelAnkara am 28. 11. vor, es den von Saudis finanzierten Söldnern zu ermöglichen, über die Türkei nach Syrien zu gelangen. Sowohl syrische Medien als auch das Komitee, erklärte er, haben eine Liste saudischer Söldner in Syrien veröffentlicht, »da wir   gegen jegliche Präsenz ausländischer Söldner in Syrien sind. Diese Menschen zerstören Syrien; sie wurden angeworben, um zu schiessen und nicht, damit sie herausfinden, wer da wer ist.« Wie al-Manna weiter ausführt, sei dabei nicht nur Syrien das Ziel. Syrien sei lediglich ein Glied der Kette, betonte er: »Die Führung der jetzt in Doha gegründeten Syrian National Coalition wartet auf einen Sturz des Regimes von Baschar al-Assad, um ihre saudischen Söldner aus Syrien dann in andere Länder zu entsenden.«  [1]   

Vor seinem Besuch in Paris hatte der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew bezüglich der Syrienpolitik Frankreichs kein Blatt vor den Mund genommen. Frankreich war bekanntlich das erste Land, das die neue Syrian National Coalition als einzige souveräne Vertretung Syriens anerkannte und auch Waffenlieferungen in Erwägung zog. Medwedew erinnerte an das 1970 von der UNO völkerrechtlich anerkannte Prinzip, dass  kein einzelnes Land, kein einziger Staat und keine einzelne Regierung Handlungen unternehmen sollte, die auf die gewaltsame Entfernung der Regierung irgendeines anderen Landes abzielen, was, im Gegensatz hierzu, jetzt in Syrien im Gange ist. Das Schicksal von Präsident Assad sowie die Frage, wer regieren soll, müsse durch die syrische Bevölkerung entschieden werden. »Es ist ratsam«, so Medwedew, »dass [eine Opposition] durch legale Prozeduren an die Macht kommt, und nicht als Folge der Waffenlieferungen eines anderen Landes.  ….. Deshalb erscheint mir der Wunsch, Einfluss auf die Regierung eines anderen Landes auszuüben, indem man irgendeine politische Kraft als einzigen souveränen Repräsentanten anerkennt, als nicht wirklich zivilisiert.«  [2]  

Das Zerbröckeln der syrischen bewaffneten Opposition 
schreibt Thierry Meyssan [3], widerspiegelt die Konflikte zwischen den Staaten, die versuchen, in Damaskus einen Regimewechsel herbeizuführen. Man wird vor allem den Syrischen Nationalrat, der auch als Rat von Istanbul bezeichnet wird, da er dort gegründet wurde, im  Auge behalten müssen. Er wird von der Direction Générale de la Sécurité Extérieure [DGSE], dem französischen Auslandsgeheimdienst, mit eiserner Hand geführt und von Katar finanziert. Seine Mitglieder, die in Frankreich das Aufenthaltsrecht erhalten haben – es wurden ihnen auch  verschiedene Erleichterungen gewährt -  stehen permanent unter dem Druck der Geheimdienste, die ihnen die geringste Äusserung diktieren. Die lokalen Koordinationskomitees repräsentieren die Zivilisten vor Ort, die den bewaffneten Kampf unterstützen. Die Freie Syrische Armee, die in erster Linie der Türkei unterstellt ist, fasst die Mehrheit der Kämpfer zusammen, einschliesslich der al-Kaida Brigaden. 80 % ihrer Einheiten erkennen den Takfiristen Scheich Adnan al-Arur, der in Saudi-Arabien stationiert ist, als ihren geistlichen Anführer an. Um die Führung wieder zu übernehmen und in diese Kakophonie Ordnung zu bringen, befahl dann Washington der Arabischen Liga die Einberufung der Konferenz in Doha. Bei diesem Versuch, so Meyssan, »versenkte« man den Syrischen Nationalrat und zwang die grösste Zahl der Splittergruppen dazu, sich in eine einheitliche Struktur einzuordnen: in die Nationale Koalition der Opposition und der Revolutionskräfte.    

Hinter den Kulissen hat Botschafter Robert S. Ford selbst die Posten und die Pfründe verteilt. Schliesslich etablierte er als Vorsitzenden der Koalition eine Persönlichkeit, die bisher noch nie von der Presse erwähnt wurde: Scheich Ahmad Moaz al-Khatib. Robert S. Ford gilt im US-Aussenministerium als der führende Spezialist für den Nahen Osten. Er war von 2004 bis 2006 Assistent von John Negroponte, als dieser als Meisterspion die Methode, die er in Honduras entwickelt hatte, im Irak anwendete: den intensiven Einsatz von Todesschwadronen und der Contras. Kurz vor Beginn der Ereignisse in Syrien wurde Ford von Präsident Obama zum Botschafter in Damaskus ernannt und übernahm seine Funktion trotz des Widerstands des Senats. Ford wandte Negropontes Methode in Syrien unverzüglich an, mit den bekannten Ergebnissen. Auch wenn die Schaffung der Nationalen Koalition der Opposition und der Revolutionskräfte das Wieder-in-die Hand-Nehmen der bewaffneten Opposition durch Washington bestätigt, so regelt sie dennoch nicht die Frage von deren Repräsentativität; verschiedene Elemente der Koalition sind schnell wieder abgesprungen. Vor allem schliesst die Koalition diejenige Opposition aus, die gegen den bewaffneten Kampf ist, so insbesondere das Nationale Komitee für den demokratischen Wandel von Haytham al-Manna.  

Die Wahl von Scheich Ahmad Moaz al-Khatib entspricht einer offensichtlichen Notwendigkeit: Um von den Kämpfern anerkannt zu werden, war als Präsident der Koalition ein Geistlicher notwendig; um jedoch auch vom Westen akzeptiert zu werden, musste dieser moderat erscheinen. Vor allem aber sollte sich dieser Präsident in Anbetracht der derzeitigen intensiven Verhandlungen als absolut kompetent ausweisen, vor allem wenn es darum gehen wird, über die Zukunft des syrischen Gases zu verhandeln -  worüber jedoch nicht öffentlich gesprochen werden soll. Die US Spin Doctors haben Scheich al-Khatib schnell ein neues Aussehen verpasst: einen Anzug ohne Krawatte. Gewisse Medien haben ihn schon zum Muster-Führer gemacht. So zeigt ihn eine grosse US-Tageszeitung als ein einzigartiges Produkt seiner Kultur, wie Aung San Suu Kyi in Myanmar. [4]  Die Agence France Presse (AFP) hat folgendes Portrait von ihm gezeichnet: »Scheich Ahmad Moaz al-Khatib, der Mann des Konsenses: 1960 geboren, ist er ein moderater Kleriker, der einige Zeit Imam der Moschee der Umayyaden von Damaskus war und keiner politischen Partei angehört. Es ist diese Unabhängigkeit und die Nähe zu dem am Anfang der Initiative einer erweiterten Koalition stehende Riad Seif, der aus ihm einen Konsens-Kandidaten für die Führung der Opposition gemacht haben. Aus dem Sufi-Islam stammend, ist dieser würdige Geistliche, der internationale Beziehungen und Diplomatie studiert hat, weder mit den Muslimbrüdern noch mit irgendeiner islamischen oppositionellen Kraft verbunden. 2012 war er wiederholt festgenommen worden, da er öffentlich zum Sturz des Regimes in Damaskus aufgerufen hatte; er bekam auf Anordnung der Behörden Redeverbot in den syrischen Moscheen und fand Zuflucht in Katar. Selbst aus Damaskus stammend, spielte er eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung der Vororte der Hauptstadt, insbesondere von Duma, das von Anfang an sehr aktiv bei der friedlichen Mobilisierung im März 2011 war. Scheich al-Khatib ist eine Persönlichkeit des Konsenses, die eine echte Unterstützung vor Ort geniesst, betonte Khaled al-Zeini, Mitglied des Syrischen Nationalrats.«  [5]  

Die Wahrheit ist eine ganz andere 
In Wirklichkeit gibt es keinen Hinweis darauf, dass Scheich Ahmad Moaz al-Khatib jemals internationale Beziehungen und Diplomatie studiert hat; hingegen besitzt er eine Ausbildung zum Ingenieur in Geophysik und hat 6 Jahre lang (1985–1991) für die al-Furat Petroleum Company gearbeitet. Dieses Unternehmen ist ein Joint Venture von inländischen und ausländischen Gesellschaften, unter anderem der englisch-holländischen Shell; die Verbindung zu dieser hat al-Khatib stets beibehalten. 1992 erbt er von seinem Vater Sheikh Mohammed Abu al-Faraj al-Khatib den renommierten Posten des Predigers der Umayyaden-Moschee. Sehr schnell jedoch wird er seines Amtes enthoben, und man untersagt ihm das Predigen in ganz Syrien. Allerdings ist diese Episode nicht aus dem Jahr 2012 und hat nichts mit dem aktuellen Protest zu tun, sondern ereignete sich vor 20 Jahren unter Hafiz al-Assad, dem Vater von Baschar al-Assad. Syrien unterstützte damals die internationale Intervention zur Befreiung von Kuwait, und zwar aus verschiedenen Gründen zugleich: aus Achtung des Völkerrechts, um den irakischen Rivalen auszuschalten und eine Annäherung an den Westen einzuleiten. Der Scheich selbst war aus religiösen Gründen gegen den Desert Storm und lehnte vor allem die westliche Präsenz auf arabischem Boden, die er als Sakrileg betrachtete, ab. Dies brachte ihn auch dazu, antisemitische und antiwestliche Reden zu halten. Danach setzte al-Khatib seine Tätigkeit im Bereich des religiösen Unterrichts fort, vor allem am Holländischen Institut in Damaskus. Er unternahm zahlreiche Reisen ins Ausland, insbesondere in die Niederlande, nach England und in die USA. Schliesslich etablierte er sich in Katar. Anlässlich der Vergabe von Öl- und Gas-Konzessionen in den Jahren 2003 und 2004 kehrte er als Lobbyist der Shell-Gruppe nach Syrien zurück. Anfang 2012 heizt er den Aufruhr in dem bereits erwähnten Duma-Quartier an, wird verhaftet, dann begnadigt; im Juli verlässt er Syrien und richtet sich danach in Kairo ein. Seine Familie entstammt tatsächlich der Sufi-Tradition, aber im Gegensatz zu den Behauptungen der AFP ist er Mitglied der Muslimbruderschaft und hat das auch am Ende seiner Antrittsrede in Doha gezeigt. Gemäss der üblichen Technik der Bruderschaft passt er nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt seiner Rede dem jeweiligen Publikum an, manchmal für eine multireligiöse Gesellschaft, manchmal für die Wiederherstellung der Scharia. In seinen Schriften charakterisiert er Menschen jüdischen Glaubens als Feinde Gottes und die schiitischen Muslime als ablehnende Ketzer, lauter Attribute, die einem Todesurteil gleichkommen. 

Botschafter Robert S. Ford hat gut gespielt. Einmal mehr hat Washington seine Verbündeten hereingelegt. Wie in Libyen wird Frankreich alle Risiken eingegangen sein, aber in dem grossen Kompromiss, der sich abzeichnet, wird das französische Mineralölunternehmen Total von keiner vorteilhaften Konzession profitieren. 

Am 19. 11. hat auch die EU die Nationale Koalition der Opposition und der Revolutionskräfte Syriens als legitimen Vertreter des syrischen Volkes anerkannt, auch wenn die sogenannte Opposition in Syrien von London, Saudi-Arabien und Katar gesteuert und finanziert wird und zu einem grossen Teil aus Al-Kaida-Netzwerken besteht. Der britische Premier David Cameron hatte direkt nach der Wiederwahl Präsident Obamas am 7. November bei seinem Besuch in Amman erklärt: »Es gibt für Grossbritannien, die USA, für Saudi-Arabien, Jordanien und ähnlich gesinnte Verbündete jetzt die Möglichkeit, die Opposition zusammen in Schwung zu bringen, ausserhalb und innerhalb Syrien, und ihr zu helfen, ihr Ziel, das auch unseres ist, zu erreichen: ein Syrien ohne Assad.« Bekanntlich hat der Westen in Syrien nur ein einziges Ziel: den Bau mehrerer geplanter wichtiger Öl- und Gaspipelines, die Saudi-Arabien und Katar mit dem östlichen Mittelmeerraum und der Türkei verbinden und deshalb partiell durch syrisches Gebiet führen sollen. Gemäss Boris Volkhonsky vom Russischen Institut für Strategische Studien sei Cameron das Schicksal der syrischen Christen, Schiiten und Drusen in einem Syrien ohne Assad, das angesichts der radikalen Agenda einiger Rebellengruppen bereits feststehe, wohl völlig egal.  [6]

In Jordanien, wo die Briten zusammen mit ihren saudischen und israelischen Verbündeten Konflikte schüren, kam es am 13. und 14. 11. im ganzen Land zu Unruhen und Demonstrationen, nachdem die Regierung eine Erhöhung der Benzin- und Erdgaspreise um bis zu 54 % angekündigt hatte. Die von der Muslimbruderschaft unterstützten Demonstranten riefen zum Sturz von König Abdullah II. auf. Am 16. 11. fanden Demonstrationen für und gegen die Regierung statt, wobei Sicherheitskräfte eingesetzt wurden, um Zusammenstösse zu verhindern. Die westlichen Medien berichten meist nicht, dass die Preiserhöhung dadurch verursacht wurde, dass Saudi-Arabien seine jährliche Unterstützungszahlung an Jordanien von 2 Mrd. $ aussetzte, und dass Ägypten kaum noch Gas liefert. Die Regierung musste daher Öl und Gas auf dem freien Markt kaufen und dazu einen Kredit beim IWF aufnehmen, der die Kürzung der Subventionen zur Bedingung machte. Die persönliche Botschaft von König Abdullah an den britischen Premier David Cameron bei dessen Besuch in Amman war daher die folgende: »Faktisch wird Jordanien dafür bestraft, dass es sein Territorium nicht als Ausgangsbasis für grosse Militäroperationen gegen Syrien zur Verfügung stellt.« Jordanien strebt eine strategische Partnerschaft mit der Regierung im Irak an, die gegen einen Sturz Assads ist. Beide Länder schlossen in diesem Jahr eine Vereinbarung über den Bau einer Öl- und Gaspipeline vom Irak durch Jordanien für Exporte über den jordanischen Hafen Akaba am Roten Meer, wofür Jordanien zu Sonderpreisen beliefert werden soll. Dies wäre eine Neuauflage der bis zum Golfkrieg von 1991 währenden strategischen Beziehungen Jordaniens zum Irak, als Akaba ein bedeutender Hafen für Warenlieferungen in den Irak war. Die Proteste haben Ähnlichkeiten mit denen in Libyen und Syrien: soziale Konflikte werden ausgenutzt und ausländische Elemente mischen sich ein. In Jordanien leben mehr als 200.000 syrische Flüchtlinge, wovon viele das Regime in Damaskus bekämpfen. 2 Millionen Menschen in Jordanien, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, stammen aus palästinensischen Familien, die während der israelisch-arabischen Kriege 1948 und 1967 flohen; unter diesen sind die Hamas und die Moslem-Bruderschaft die am besten organisierten politischen Kräfte. Die andere Hälfte der Bevölkerung stammt von örtlichen Stämmen ab, die die wichtigste Stütze des Regimes bilden.  [7]  

Wie human manche Syrien zugedachte Vorstellungen sind, liess der britische Generalstabschef David Richards dieser Tage verlauten, indem er eine bevorstehende westliche Intervention in Syrien ungewöhnlich konkret geschildert hat. Zunächst müsste sich die Lage der Bevölkerung im Land, die sich mit Einbruch des Winters verschlechtern kann, weiter zuspitzen. Dann werde es entsprechenden politischen Druck für einen humanitären Einsatz geben. Das Militär sei im übrigen zu einer Intervention bereit, sowohl in Syrien, als auch im Iran; die britischen Streitkräfte seien zu einem Einsatz in der Lage, so Richards in einer Sendung der BBC. Entsprechende Pläne würden ständig überarbeitet; es gäbe natürlich auch Notfallpläne mit Blick auf die Lage vor Ort. Allerdings, räumte Richards ein, sei eine Intervention mit Risiken verbunden, man müsse sehr vorsichtig vorgehen. Wichtigste Aufgabe sei zunächst, die Krise nicht auf die Nachbarländer wie den Libanon übergreifen zu lassen. Das Militär sei ebenfalls bereit, in den Iran geschickt zu werden. Allerdings wäre auch ein solcher Kriegseinsatz sehr risikoreich. Die Äusserungen Richards, schreibt Paul Müller in der Berliner Umschau, stellen die bislang offenste Kriegsdrohung eines westlichen Staates dar.  [8]

 

[1]  
http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=68349&title=Syrische+Inlandsopposition%3A+Saudische+S%F6ldner+gelangen+via+T%FCrkei+nach+Syrien&storyid=1001354123567  28. 11. 12  Syrische Inlandsopposition: Saudische Söldner gelangen via Türkei nach Syrien - RIA Nowosti, de.rian.ru 
[2]  http://www.bueso.de/node/6173   27. 11. 12 
[3]  http://www.voltairenet.org/article176614.html  19.
11. 12  
Un lobbyiste de Shell à la tête de la Coalition nationale syrienne - Les multiples visages de cheikh Ahmad Moaz Al-Khatib - par Thierry Meyssan resp. http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=121   Zeit-Fragen  Nr.50 vom 26.11.2012  
[4]  A model leader for Syria?, Editorial des Christian Science Monitor vom 14.11.2012
[5]  Un religieux, un ex-députeé et une femme à la tête de l’opposition syrienne, afp 12. 11. 12  [6] 
http://www.bueso.de/node/6142   9. 11. 12
[7] Strategic Alert, Jahrgang 25  Nr. 47/48 vom 21. 11. 12
Anglo-Saudis schüren Krieg in Südwestasien 
[8]  http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=67141&title=Britischer+General+droht+Syrien+mit+%22humanit%E4rem%22+Milit%E4reinsatz&storyid=1001352732627   12. 11. 12 
Britischer General droht Syrien mit humanitärem
Militäreinsatz  -  Von Paul Müller