Ein strategisches Gegengewicht 26.04.2013 21:23
Zahlreiche Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen warnen vor der Verabschiedung des Freihandelsabkommens der EU
mit
Kolumbien und Peru nächste Woche [1]. Es bestehe die Gefahr, daß die Handelsliberalisierung zu neuen
Menschenrechtsverletzungen und zu schwersten ökologischen Schädigungen führe,
heißt es in einem aktuellen Protestschreiben. Der Bundesrat der BRD wird in der
kommenden Woche als letztes deutsches Gremium über das Abkommen abschließend beraten.
Seine Zustimmung gilt als sicher.
Hintergrund ist die hohe außenpolitische und wirtschaftliche Bedeutung, die dem
Vertrag in Berlin beigemessen wird. Das Abkommen sichert deutschen Unternehmen
einen günstigen Zugriff auf die Rohstoffe der beiden
ressourcenreichen Länder und intensiviert zudem die Zusammenarbeit mit der ›Pazifik-Allianz‹, einem noch jungen Bündnis von vier lateinamerikanischen Staaten -
darunter Kolumbien und Peru - das als strategisches Gegengewicht zu dem
Staatenbund ›ALBA‹ um Kuba und Venezuela eingestuft
wird. ›ALBA‹ sucht sich der Hegemonie der USA und der EU zu entziehen. Die
Bundesregierung hat jüngst auch den Berlin-Besuch des ecuadorianischen
Präsidenten Rafael Correa zu nutzen versucht, um ›ALBA‹ zu schwächen. Die
Umbrüche in Venezuela nach dem Tod des populären Präsidenten Hugo Chávez gelten
ihr als Chance, den westlichen Einfluß in
Südamerika zu konsolidieren.
Eine Gefahr für die
Menschenrechte Mehrere
Dutzend Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen sowie kirchliche
Hilfswerke protestieren gegen die bevorstehende Verabschiedung des
EU-Freihandelsabkommens mit Peru und Kolumbien durch den Bundesrat. Wie es in
dem Protestschreiben heißt, das unter anderem von Brot für die Welt, von Attac,
von der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und von Misereor
unterzeichnet worden ist, besteht die begründete Gefahr, daß »die Umsetzung des EU-Abkommens (...) zur Verletzung
von Menschenrechten beitragen wird.« [2] Ursache
sei, daß diejenigen Sektoren der
kolumbianischen und peruanischen Wirtschaft, in denen es häufig zu
Menschenrechtsverletzungen oder zu schweren ökologischen Schädigungen komme,
liberalisiert werden sollen. Gefährdet seien zudem kolumbianische und
peruanische Produzenten von Nahrungsmittel: Ihre Produkte seien nach der
Beseitigung der Zölle auf hoch subventionierte Produkte aus der EU
wie Milchpulver nicht mehr konkurrenzfähig.
Insgesamt
müsse berücksichtigt werden, daß das Abkommen
zwischen ungleich starken Partnern geschlossen werde und die schwächere Seite,
nämlich Kolumbien und Peru, bedeutender Schutzmaßnahmen zugunsten ihrer eigenen
entwicklungsbedürftigen Wirtschaft beraubt werde. Die Kritik an dem Abkommen wird
seit Jahren mit Entschlossenheit vorgebracht. Der zuständige
Wirtschaftsausschuß hat dem Abkommen bereits
zugestimmt. Hintergrund ist die hohe Bedeutung, die dem Vertrag in Berlin
beigemessen wird. Aus Sicht Berlins ist das Freihandelsabkommen nicht nur
deswegen wichtig, weil es dazu beitragen soll, die Wirtschaftsbeziehungen zu
den beiden lateinamerikanischen Staaten zu intensivieren. Ganz konkret soll es
deutschen Unternehmen einen günstigeren Zugang zu den Rohstoffvorkommen des
Subkontinents sichern. Eine ganze Reihe lateinamerikanischer Länder besitzt
Bodenschätze, auf die die deutsche Industrie dringend angewiesen ist. Um die
Versorgung deutscher Unternehmen in der globalen Konkurrenz zu sichern, hat die
Bundesregierung inzwischen z.B. mit Chile eine sogenannte Rohstoffpartnerschaft
vereinbart, wobei es besonders günstig ist, daß
die EU mit Chile bereits ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat; damit
steht einem möglichst billigen Bezug der Ressourcen nichts mehr im Weg.
In ähnlicher Weise zieht Berlin auch eine Rohstoffpartnerschaft mit Peru in
Betracht; das Land besitzt sehr umfangreiche Vorräte, u.a. an Kupfer und
weiteren Metallen. Wie im Falle Chiles begünstigt das im Bundesrat abschließend
zu bestätigende Freihandelsabkommen ebenfalls einen möglichst billigen
Rohstoffbezug.
Die Pazifik-Allianz Über
unmittelbar ökonomische Belange hinausgehend, stärkt das Freihandelsabkommen
zudem die Beziehungen zwischen der EU und der neuen lateinamerikanischen ›Pazifik-Allianz‹ [Alianza del Pacífico]. Diese ist am 6. Juni 2012 von den
Pazifik-Anrainern Kolumbien und Peru, Chile und Mexiko, gegründet worden. Die
vier Länder weisen spezifische Eigenheiten auf, die ihrem Bündnis einige
Bedeutung verleihen. Zum einen unterhalten sie besonders enge
Wirtschaftsbeziehungen nach China: Während etwa die Länder des südamerikanischen
Bündnisses ›Mercosur‹ ein Viertel ihrer Ausfuhren nach China liefern, geht
inzwischen mehr als die Hälfte der Ausfuhren der ›Pazifik-Allianz‹ in die
Volksrepublik. Letztere, die für rund ein Drittel des lateinamerikanischen BIP
steht, soll die transpazifischen Wirtschaftsbeziehungen weiter intensivieren,
will dabei allerdings auch dezidiert prowestliche Staaten, etwa Australien und
Japan, einbeziehen - als Gegengewicht zu China. Hinzu kommt, daß die ›Pazifik-Allianz‹ klar neoliberal orientiert ist
und damit in deutlichem Gegensatz zum ›ALBA‹-Bündnis um Venezuela und Kuba steht. »Hinter vorgehaltener Hand« werde
tatsächlich eingeräumt, daß die ›Pazifik-Allianz‹ »auch als strategisches Gegengewicht zu (...) den
linkspopulistischen Strömungen« auf dem Subkontinent gelte, heißt es in der
chilenischen Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU).
Beitritt
im Nachhinein Tatsächlich
sind die Bemühungen Berlins um eine engere Zusammenarbeit mit den Ländern der ›Pazifik-Allianz‹ Teil der Bestrebungen, den Einfluß
von ›ALBA‹ und insbesondere von Venezuela zurückzudrängen. Dies zeigen auch
die Auseinandersetzungen um das Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru.
Dieses war zunächst als Freihandelsabkommen zwischen der EU sowie der
Andengemeinschaft Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru geplant, scheiterte als
solches jedoch am Widerstand der ›ALBA‹-Staaten Bolivien und Ecuador, die,
ganz wie Venezuela, auf einer stärkeren Eigenständigkeit gegenüber Europa
bestanden. Nach dem Abschluß des Vertrages,
kurz vor seiner endgültigen Verabschiedung in Deutschland durch den Bundesrat,
sieht sich Ecuador jetzt dazu veranlaßt, ihm
beizutreten, um im Außenhandel mit der EU gegenüber Kolumbien und Peru nicht
neue Nachteile zu erleiden. Wie der ecuadorianische Präsident Rafael Correa
unlängst bei seinem Berlin-Besuch erklärte, strebe seine Regierung die
Übernahme der vor einigen Jahren abgelehnten Regularien an. Die deutsche
Kanzlerin teilte mit, sie unterstütze die Absicht und werde in Brüssel dafür
werben. Die Gefahren, die das Freihandelsabkommen laut Kritikern beinhaltet,
drohten dann nicht mehr nur Kolumbien und Peru, sondern zumindest teilweise
auch Ecuador.
Venezuela nach Chávez Die
Bemühungen, die Bindungen Ecuadors an Bolivien, Venezuela und die übrigen ›ALBA‹-Staaten vorsichtig zu lockern, und der Ausbau der Kooperation mit
den Staaten der ›Pazifik-Allianz‹ erfolgen zu einer Zeit, in der
Venezuela als treibende Kraft des ›ALBA‹ - Bündnisses zumindest im Ausland eine
Schwächung zu erleiden droht. Wie deutsche Beobachter urteilen, kann der neue Präsident
des Landes, Nicolás Maduro, wohl »mangels Charisma (.....) nicht wie
Chávez auf der internationalen Bühne punkten.« Zudem werde er dringende
wirtschaftliche Reformen durchführen müssen und, weil Venezuela mittlerweile
Staatsschulden in Höhe von 100 Milliarden US-$ habe, die Hilfe an seine
Partnerländer nicht länger aufrechterhalten können. Der kürzlich bei den Wahlen
unterlegene venezolanische Oppositionskandidat Henrique Capriles Radonski hatte
Proteste angezettelt, um die Legitimität von Präsident Maduro zu untergraben; seine
Partei kooperiert mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und ist
von ihr in ›politischer Kommunikation‹ beraten worden. Die verschiedenen
Bemühungen, Venezuela und das ›ALBA‹-Bündnis auf die eine oder andere
Weise vom Streben nach größerer politischer Eigenständigkeit gegenüber dem
Westen abzubringen, gewinnen an Fahrt.
Anmerkung politonline
d.a.: Es dürfte dem Leser auffallen, dass, wie
dies gewöhnlich auch auf den Handel mit afrikanischen Rohstoffen zutrifft, die
Betonung auf billig liegt, vom Wohl der Bevölkerung oder von einer dieser in
grösserem Ausmass zugute kommenden Beteiligung an den Gewinnen nicht ein
einziges Mal die Rede ist, und die Stiftungen offensichtlich nicht von ihrem
gewohnten Verhalten abweichen. Was nun den ›Kooperationspartner‹ der Konrad-Adenauer-Stiftung, Henrique
Capriles Radonski betrifft, so hat Wolf Gauer schon vor den Wahlen ein ganz
ausgeichnetes, überaus lesenswertes Portrait dieses Mannes verfasst, das einmal mehr aufzeigt, welche Einflüsse
unter Umgehung des Volkes möglich sind.
Siehe http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2017 Wer ist Radonski,
der Gegenkandidat in den venezolanischen Wahlen, wirklich?
[1] Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58586 25. 4. 13 Eigener
Bericht :Lima/Bogotá|Caracas/Berlin
- Ein strategisches Gegengewicht [2] Offener
Brief an den deutschen Bundesrat: »Stimmen Sie dem Freihandelsabkommen
mit Peru und Kolumbien nicht zu!« info@brot-fuer-die-welt.de
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