Angestrebter Abbau der Volksrechte?

Zur künftigen Ausgestaltung der politischen Rechte

Hält man sich vor Augen, dass Brüssel sich tatsächlich anzumassen gedenkt, die Schweiz bei einem Volksentscheid, der aus ihrer Sicht EU-Interessen entgegenstünde, mit Strafaktionen zu belegen  - was schlechthin einer Verhöhnung jeglichen demokratischen Rechts gleichkäme -  so sind die folgenden, einem Artikel der SonntagsZeitungvom 22. 6. entnommenen Fakten absolut wissenswert: Hinter den Kulissen, halten die Autoren Reza Rafi und Denis von Burg fest, wird eine Änderung des politischen Systems vorbereitet: Die Gruppe Democrazia Vivaintahat ein Thesenpapier entwickelt, das dem Bund als Grundlage für gewichtige Reformen dient. Es geht um höhere Hürden für Initiativen, um eine Vorprüfung von Volksbegehren durch das Parlament, aber auch um ein neues Ausländerstimmrecht, die Regelung von Meinungsumfragen und die Transparenz bei der Politikfinanzierung. 

Die Bundeskanzlei wollte die Gruppe geheimhaltenEin formeller politischer Auftrag fehlt. In Sitzungsprotokollen, die der SonntagsZeitung vorliegen,  ist die Rede von der Schweiz, die eine Rolle als avantgardistische Demokratie spielen soll, von Handlungsbedarf angesichts der Instrumentalisierung von Volksinitiativen und vom problematischen Auftauchen von Durchsetzungsinitiativen. Es sei in dem Bereich langfristig von einem weitergehenden Reformbedarfauszugehen, begründet ein Sprecher der Bundeskanzlei das Vorgehen seiner Behörde. Die Namen der Mitglieder der Gruppe will er nicht preisgeben. Diese Geheimgruppe des Bundes war SPK-Präsidentin Verena Diener [Grünliberale] nicht bekannt.    

Vorschläge aus der Dunkelkammer 
Als Antwort auf die Abstimmung zur Masseneinwanderung will die Democrazia Vivaintaaus dem Umfeld der Bundeskanzlei das politische System ändern. Das erste Treffen, bei dem die Teilnehmer, allesamt Mitglieder der wissenschaftlichen und politischen Intelligentia, noch vom Schock des 9. Februars geprägt waren, fand am 7. März in Bern statt. Ziel des Treffens: Ideen und Inputs zu möglichen Reformen im Bereich der politischen Rechte zu vermitteln, heisst es in den internen Unterlagen. Die Namen der rund 15 Mitglieder, bleiben, wie gesagt, geheim: Eine aktive Kommunikation gegen aussen ist nicht geplant. Der Anstoss zur Gründung der diskreten Runde kommt aus der von der CVP-Frau Corina Casanova geleiteten Bundeskanzlei. Genauer: Von der Sektion Politische Rechte und ihrer Chefin Barbara Perriard. Dass über politisch derart aufgeladene Themen wie Volksrechte, Politikfinanzierung oder Ausländerstimmrecht in Bundesbern hinter den Kulissen beraten wird, ist problematisch. Noch brisanter wird das Ganze, da der Bundesrat kurz zuvor ein Reformprojekt in eine ähnliche Richtung beerdigt hatte: Die vorgeschlagene Vorprüfung von Initiativen und die Pflicht, Völkerrechtsverletzungen auf dem Initiativbogen zu vermerken, hatten im Parlament keine Mehrheiten gefunden. Nach vier Treffen erstellten die Mitglieder der Democrazia Vivainta ein Ideenprotokoll. Die Resultate werden derzeit ausgearbeitet und sollen dem Bund als Basis für einen Umbau der demokratischen Spielregeln dienen. Das bestätigt Thomas Abegglen, Sprecher der Bundeskanzlei: »Die Erkenntnisse aus den Diskussionen dieser Gruppe werden derzeit aufgearbeitet und fliessen in die Grundlagen für eine Entwicklung einer langfristigen Strategie zur künftigen Ausgestaltung der politischen Rechte ein«.

Im übrigen ist von der Staatspolitische Kommission des Ständerats [SPK] bekanntlich eine Diskussion über das Initiativrecht als solches ist vorgesehen. 

Die Thesen und die Überlegungen der Gruppe zuhanden der Bundesbehörden bleiben unter Verschluss. Der SonntagsZeitungliegen jedoch Sitzungsprotokolle vor, die Aufschluss über die Stossrichtung der Diskussion geben. So wird am 7. März von Teilnehmern der Sitzung zunächst beklagt, dass die Anwendung der Volksinitiative dem ihr ursprünglich zugedachten Zweck nicht mehr entspricht und sich von einem Sach- zu einem Machtinstrument wandle. Das aktuelle politische System habe sich zwar bewährt – »nichtsdestotrotz sind gewisse kleinere Reformen, beispielsweise in Bezug auf die Erscheinung der Durchsetzungsinitiativen oder auf die Behandlungsfristen bei Volksinitiativen unter Umständen angebracht.«   

Ausserdem sei die Häufung von politischen Vorstössen in manchen Bereichen problematisch. Gemäss Protokoll zur dritten Sitzung vom am 2. April, fordert die Gruppe eine verbindliche Vorprüfung von Volksinitiativen durch das Parlament und eine Ausweitung der Ungültigkeitsgründe. Damit geht die klandestine Gruppe über den Reformvorschlag, den der Bundesrat wenige Monate zuvor als nicht realisierbar verworfen hatte, hinaus. Die Landesregierung hatte die Idee, eine Anmerkung auf Unterschriftsbögen anzubringen, wenn eine Initiative im Gegensatz zum Völkerrecht oder zu übergeordneten Staatsverträgen stehe. Gemäss den Wünschen der Democrazia Vivaintasollen allerdings derartige Vorlagen gar nicht erst lanciert werden dürfen. Ein Teil der Gruppe plädiert sogar für noch höhere Anforderungen bei Volksbegehren und sorgt damit offenbar für Meinungsverschiedenheiten: »Die Frage höherer Hürden, sei es durch eine Erhöhung des Unterschriftenquorums und/oder durch die Verkürzung der Sammelfrist, wird diskutiert, ohne dass sich dabei eine Mehrheitsmeinung herauskristallisiert.« Einig ist man sich dagegen beim Ausländerstimmrecht. So weisen in der vertrauten Runde einige Teilnehmer darauf hin, »dass die Zahl der engagierten Bürger, die sich systematisch informieren und abstimmen und sich für die Politik insgesamt interessieren, sinkt.« Hierzu vermerkt das Sitzungsprotokoll: Ein Grund hierfür sei die Nichteinbürgerung von Ausländern, die seit langem in der Schweiz leben und sehr gut integriert sind. Diese Zunahme der langfristig niedergelassenen Ausländer stelle im Bereich der Grundrechte ein erhebliches Problem dar: »Die Schweizer Demokratie ist je länger desto weniger repräsentativ, denn die Diskrepanz zwischen dem Stimmvolk und der Bevölkerung vergrössert sich.« Ein Redner sieht das Ausländerstimmrecht gar »als wichtiges Element, um die Schweiz als avantgardistische Demokratie betrachten zu können.«  

Kampagnenmittel sollen transparent werden 
Auch bei der Politikfinanzierung geht die Gruppe weiter, als die realpolitischen Verhältnisse es derzeit zulassen: »Die Schweiz wird nicht darum herumkommen, Instrumente zur Schaffung von Transparenz im Bereich der Politikfinanzierung einzuführen«, lautet ein Befund. Als Instrument wird die Einrichtung einer staatlichen Plattform zur freiwilligen Veröffentlichung von Spenden- und Kampagnenmitteln vorgeschlagen. Es herrscht ein breiter Konsens darüber, dass die Diskussion solcher Fragen richtig und wichtig ist. Doch wer das im Geheimen macht, setzt sich dem Vorwurf der Hinterzimmerpolitik aus. Bundeskanzlei-Sprecher Abegglen verrät lediglich, dass sich die Runde aus Vertreterinnen und Vertretern der Bundesverwaltung, der Wissenschaft, der Justiz, der Privatwirtschaft und der gesetzgeberischen Behörden» zusammensetze. Die Sektion Politische Rechte definierte laut Abegglen als eine der Spielregeln, dass die Teilnehmenden die ausgetauschten Ideen und Informationen frei verwenden können, um eine Diskussion zu ermöglichen, ohne aber deren Ursprung zu nennen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement [EJPD] von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga ist durch einen Vertreter des Bundesamtes für Justiz beteiligt. Zudem sind gemäss Recherchen auch Angehörige der Finanzbehörde und der Parlamentsdienste sowie der politischen Wissenschaften involviert. Für die Thematik, mit der sich die Denkgruppe beschäftigt, wäre das EJPD zuständig. Damit stellt sich die Frage nach der Legitimität des Vorgehens der Bundeskanzlei. Abegglen sagt, man habe in der Sektion Politische Rechte befunden, dass über eine allfällige Gesetzesrevision hinaus von einem weitergehenden Reformbedarf auszugehen sei.   

SVP-Präsident Toni Brunner hat mit harscher Kritik reagiert. Gerade Initiativen seiner Partei stehen im Fokus der Diskussion. »Mich verwundert gar nichts mehr«, sagt er. »Die Existenz einer solchen geheimen Gruppe bestätigt, dass in Bern kontinuierlich daran gearbeitet wird, die direkte Demokratie auszuhebeln und die Volksrechte abzubauen.« Er habe genügend Hinweise, dass der Bundesrat trotz seiner Beteuerungen die Masseneinwanderungsinitiative hintertreibe. Brunner vermutet eine koordinierte Aktion. »Der Ständerat prüft die Ungültigkeit der Erbschaftssteuer-Initiative, und auch die Ecopop-Initiative wollten gewisse Politiker für ungültig erklären. Das Bundesgericht setzt internationales Recht über Landesrecht. Und jetzt erfahren wir, dass auch die Bundeskanzlei im Geheimen den Demokratieabbau vorantreibt. Unsere geplante Volksinitiative Landesrecht vor Völkerrecht wird aktueller denn je.« »Bundesbern ist extrem intransparent geworden«, sagt er. 
 

Quelle auszugsweise:
http://webapp.sonntagszeitung.ch/read/sz_22_06_2014/nachrichten/  22. 6. 14 
Geheimgruppe des Bundes will Volksrechte abbauen - Bundeskanzlei plant
weitergehende Reformen – Politiker wissen von nichts  - Reza Rafi und Denis Von Burg