3000 Syrer

Roger Köppel - Eine restriktive Asylpolitik ist nicht unmenschlich. Sie ist eine Forderung der Ethik

Laut NZZ hat der Bundesrat letzten Freitag entschieden, 3000 Syrer im Schnellverfahren als Flüchtlinge in der Schweiz aufzunehmen. Das heisst: Die Syrer dürfen für immer hierbleiben. Sie können ihre Familien nachziehen. Was die Massnahme für die derzeit hängigen 7065 weiteren syrischen Asylgesuche bedeutet, verschweigt die Regierung. Man will sich alle Möglichkeiten offenhalten. 

Letzte Woche kam ausserdem heraus, dass die Schweiz gemäss einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bei Syrern Wehrdienstverweigerung als Asylgrund anerkennt. Es ist mit einer steil steigenden Nachfragekurve zu rechnen. Die Schweiz hat mit den Eritreern bereits einschlägige Erfahrung gesammelt. Sie liess auch hier Dienstverweigerung als Asylgrund gelten. Die Zahl eritreischer Asylsuchender schwoll daraufhin so massiv an, dass der entsprechende Gesetzesparagraph wieder abgemildert werden musste. Die Misere lässt sich an den Zahlen ablesen: Rund 90 % Prozent der eritreischen Flüchtlinge leben heute in der Schweiz ausschliesslich von der Sozialhilfe. Bei den Syrern bahnt sich jetzt mit bundesrätlichem Segen das gleiche Debakel an. 

Die Schweiz hat eine humanitäre Flüchtlingstradition. Darauf ist sie stolz. Zu Recht. Als Gralshüter dieser Tradition hat der Bundesrat dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingspraxis sorgfältig und korrekt gehandhabt wird. Er muss schauen, dass die richtigen Personen Asyl gewährt bekommen. Er muss die Rechtsordnung durchsetzen. Er muss die Bevölkerung ernst nehmen, wenn Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Asylwesens aufkommen. Eine falsche Politik produziert Misstrauen, Unmut, Fremdenhass und in letzter, schlimmer Konsequenz, brennende Asylantenheime wie in Frankreich oder Deutschland. Das Schweizer Asylwesen ist ein Problemsumpf. Die Verfahren dauern zu lange. Abgelehnte Asylbewerber bleiben trotzdem. Viele verweigern die Rückschaffung. Die Bleibequote liegt bei 60 %. In den Gemeinden explodieren die Sozialkosten, weil die Kontingente zentralistisch zugewiesen werden, ohne Rücksicht auf Verkraftbarkeit. Den brodelnden Groll verschärfen Asylsuchende selber, wenn sie ihr Gastrecht für Straftaten und Randale missbrauchen. Das freilich ist nicht ihre Schuld. Verantwortlich sind die Behörden, die an der Wurzel nichts dagegen unternehmen. 

Die Obrigkeit, die Linke und die ihr gewogenen Medien knüppeln Kritik mit der Rassismuskeule weg. Sie diffamieren die Leute, die unter den Lasten der falschen Asylpolitik leiden, als Fremdenfeinde. Die Politiker wollen die Probleme nicht lösen, die sie selber verursachen.  Justizministerin Simonetta Sommaruga gibt sich gerne als Schulmeisterin dieser Hochmoral. Die Züchtigungen zielen darauf ab, die Kritiker einzuschüchtern, damit niemand von den Misständen redet.

Jedoch: Die Leute schlucken es nicht mehr. Die Schweizer sind nicht gegen Flüchtlinge, aber immer mehr Leute sind empört, weil der Bund sich weigert, das eigene Asylrecht ähnlich mitleidlos durchzusetzen wie das Steuerrecht oder das Bussenregime im Strassenverkehr. Trotz unbewältigter Asylmisere sollen jetzt Tausende von neuen Flüchtlingen kommen. Die Leute spüren es längst: Das ist keine Massnahme zur Minderung des Elends, sondern eine PR-Aktion auf dem Jahrmarkt der politischen Eitelkeiten. 

Eine Ethik formuliert taugliche Regeln für den Alltagsgebrauch. Ethisches Verhalten muss sich somit immer an der konkreten Gemeinschaft ausrichten, die sich die ethischen Verhaltensregeln gegeben hat. Der ethische Anspruch der Asylpolitik hat sich in der Lebenswirklichkeit der hier lebenden Menschen, die sich dem ethischen Anspruch unserer Flüchtlingspolitik verpflichtet fühlen, zu bewähren. Die Schweiz darf keine Flüchtlingspolitik betreiben, die von den Leuten nicht mehr mitgetragen wird. Lässt der Bundesrat dies zu, gefährdet er die humanitären Errungenschaften, die er zu pflegen vorgibt.

Der Bundesrat handelt unethisch, wenn er willkürlich 3000 Syrer samt Anhang aufnimmt. Er handelt unethisch, weil er die humanitäre Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung, die unter den Risiken und Nebenwirkungen seiner Politik leidet, strapaziert. Er handelt auch unethisch in Bezug auf die Herkunftsländer, die beim Wiederaufbau die dauerhaft in der Schweiz lebenden Flüchtlinge benötigen würden. Und er handelt unethisch in Bezug auf die Flüchtlinge selber, von denen die meisten, da kulturell fremd, als Dauer-«Klienten» in unserem Sozialstaat enden werden. Was wiederum den Unmut unter den Schweizern verschärft.

Wäre es dem Bundesrat wirklich um die Sache und nicht um die schein-ethische Bewirtschaftung seines Images gegangen, hätte er die Syrer nur vorläufig aufgenommen. Oder seine Hilfe weniger medienwirksam vor Ort intensiviert. Ein Flüchtling ist eine Person, die daheim an Leib und Leben bedroht ist. Da der Syrienkrieg nicht ewig dauern wird, ist es zumutbar, vernünftig und ethisch, Flüchtlingen aus dieser Gegend regional zu helfen oder sie so lange aufzunehmen, bis sie wieder nach Hause zurückkehren können. Tatsache ist allerdings, dass in der Schweiz auch die vorläufig Aufgenommenen meistens für immer bleiben. Die Behörden setzen die Gesetze nicht mehr durch. Die angeblich grosszügige Geste gegenüber den Syrern entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Schwächesymptom einer Funktionsstörung des Rechtsstaats. 

Eine massvolle und damit restriktive Flüchtlingspolitik ist nicht unmenschlich. Sie ist im Gegenteil eine Forderung der Ethik und der Vernunft. Humanitäres, karitatives Handeln darf sich nicht überdehnen und überfordern. Sonst zerstört es seine Grundlagen. 

 

Quelle: 
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2015-11/editorial-3000-syrer-die-weltwoche-ausgabe-112015.html  
Editorial: 3000 Syrer | Die Weltwoche, Ausgabe 11/2015 | Montag, 16. März 2015