Ein Junge namens Bibi - Von Uri Avnery

Es gibt zwei verschiedene Meinungen über Binjamin Netanyahu. Es ist schwer, zu glauben, daß sie dieselbe Person betreffen.

Die eine ist, daß Netanyahu ein oberflächlicher Politiker, ohne Ideen und ohne Überzeugungen ist, der einzig und allein von seiner Obsession geleitet wird, an der Macht zu bleiben. Dieser Netanyahu hat eine gute Stimme und ein Talent, geschwollene Reden im Fernsehen zu halten, Reden, die jeglichen intellektuellen Inhalts entbehren – und das ist alles. Dieser Netanyahu ist äußerst erpressbar (ein hebräisches Wort, das fast nur für ihn erfunden wurde), ein Mann, der seine Ansichten ändert und je nach politischem Kalkül abends leugnet, was er morgens gesagt hat. Keinem seiner Worte sollte man vertrauen. Er wird jederzeit lügen und betrügen, um sein Überleben zu sichern. 

Der andere Netanyahu ist fast das genaue Gegenteil. Ein prinzipiengetreuer Patriot, ein seriöser Denker, ein Staatsmann, der die Gefahr hinter dem Horizont sieht. Dieser Netanyahu ist ein begabter Redner, der den US-Kongreß und das UN-Plenum bewegt, was von der größten Masse der Israelis bewundert wird. 

So, welche der Beschreibungen ist nun wahr? Keine von beiden. 

Wenn es wahr ist, daß der Charakter einer Person von seiner frühen Kindheit geprägt wird, müssen wir Netanyahus Herkunft untersuchen, um ihn zu verstehen. Er wuchs im Schatten eines strengen Vaters auf. Benzion Millikowsky, der seinen ausländischen Namen in den hebräischen Netanyahu geändert hat, war eine sehr dominante und sehr unglückliche Person. In Warschau geboren, damals eine Provinzstadt im russischen Reich, wanderte er als junger Mann nach Palästina aus, studierte Geschichte an der neuen hebräischen Universität in Jerusalem und erwartete, dort Professor zu werden. Er wurde nicht angenommen. 

Benzion war der Sohn eines früheren Anhängers von Vladimir (Ze'ev) Jabotinsky, dem extrem rechten zionistischen Führer. Er erbte von seinem Vater eine sehr extremistische Einstellung und gab diese an seine drei Söhne weiter. Binyamin war der zweite. Sein älterer Bruder, selbst noch ein Kind, nannte ihn Bibi und die kindische Bezeichnung blieb haften. Benzions Ablehnung durch die junge Prestige-Universität machte aus ihm einen verbitterten Menschen, eine Verbitterung, die bis zu seinem Tod im Jahr 2012, im Alter von 102, anhielt. Er war sicher, daß seine Ablehnung nichts mit seiner akademischen Qualifikation zu tun hatte, sondern alles mit seiner ultra-nationalistischen Einstellung. Sein extremer Zionismus hielt ihn nicht davon ab, Palästina zu verlassen und sein akademisches Glück in den Vereinigten Staaten zu suchen, wo eine zweitklassige Universität ihm eine Professur gab. Sein Lebenswerk als Historiker betraf das Schicksal der Juden im mittelalterlichen christlichen Spanien, die Vertreibung und die Inquisition. Das erzeugte in ihm ein sehr düsteres Weltbild: die Überzeugung, daß die Juden immer verfolgt werden, daß alle Goyim (Nicht-Juden) die Juden hassen und das Autodafé der spanischen Inquisition mit dem Nazi-Holocaust durch eine Gerade verbunden ist. 

Während der Jahre pendelte die Netanyahu-Familie zwischen der USA und Israel hin und her. Binyamin wuchs in Amerika auf, lernte perfektes amerikanisches Englisch, was für seine zukünftige Karriere wesentlich war, studierte und wurde Kaufmann. Sein offensichtliches Talent für diesen Beruf zog einen Likud-Außenminister an, der ihn als israelischen Sprecher in die UNO sandte. Benzion Netanyahu war nicht nur eine verbitterte Person, die das zionistische und israelische akademische Establishment beschuldigte, versagt zu haben, indem sie sein akademisches Format nicht anerkannten. Er war auch ein sehr autokratischer Familienmensch. Die drei Netanyahu-Jungen lebten in ständiger Furcht vor dem Vater. Sie durften zu Hause keinen Lärm machen, während der große Mann in seinem verschlossenen Arbeitszimmer arbeitete. Sie durften keine anderen Jungen mit nach Hause bringen. Ihre Mutter war ihrem Mann völlig treu ergeben und bediente ihn in jeder Weise, indem sie ihre eigene Persönlichkeit opferte. In jeder Familie ist das zweite von drei Kindern in einer schwierigen Position. Es wird nicht bewundert, so wie das älteste, noch verhätschelt, wie das jüngste. Für Binyamin war das besonders hart, wegen der Stellung seines älteren Bruders. Yonatan Netanyahu (beide Namen bedeuten: Gott hat gegeben) scheint ein besonders begnadeter Junge gewesen zu sein. Er sah gut aus, war begabt und sehr beliebt, wurde sogar bewundert. In der Armee wurde er Kommandeur der hochangesehenen Sayeret Matkal (Generalstabs-Kommandoeinheit)  - der Elite der Armee-Elite. Als solcher war er der Kommandeur vor Ort bei dem gewagten Entebbe-Kommando-Einsatz im Jahre 1976 in Uganda, der die gefangenen Passagiere eines Flugzeugs, das von Palästinensern und deutschen Guerillas auf dem Weg nach Israel entführt worden war, befreite. Yonatan wurde dabei getötet und zum Nationalhelden. Er wurde von seinem Vater, der die Qualitäten seines zweiten Sohnes nie wirklich akzeptiert hat, verehrt. 

Zwischen seinem Vater, dem verbitterten Denker, und seinem älteren Bruder, dem legendären Held, wuchs Binyamin als ruhiger, aber sehr ehrgeiziger Junge, teils Israeli, teils Amerikaner, auf. Er arbeitete einige Zeit als Möbelverkäufer, bis er von dem extrem rechten Likud-Außenminister, Moshe Arens, entdeckt wurde. Zwischen seinem obsessiven Bedürfnis, von seinem Vater anerkannt und als seinem glorreichen Bruder gleichwertig angesehen zu werden, wurde Netanyahus eigener Charakter geschmiedet. Sein Vater schätzte ihn nie. Einmal sagte er, er gäbe einen guten Außenminister, aber keinen Premierminister, ab. Als Sohn seines Vaters hetzte Netanyahu nach dem Oslo-Abkommen die Menschen gegen Yitzhak Rabin auf und wurde auf dem Balkon des Sprechers bei der Demonstration fotografiert, wo ein symbolischer Sarg mit Rabin herumgetragen wurde. Als Rabin bald darauf ermordet wurde, bestritt er jegliche Verantwortung. Rabins Nachfolger, Shimon Peres, versagte kläglich, und Netanyahu wurde Premierminister. Das war eine totale Katastrophe. Am Abend der Wahlen des Jahres 1998, als deutlich wurde, daß Netanyahu verloren hatte, strömten Menschenmassen in einer spontanen Demonstration der Freude, wie die bei der Befreiung von Paris, zu Tel Avivs zentralem Platz, der jetzt nach Rabin benannt ist.

Sein Nachfolger aus der Arbeiterpartei, Ehud Barak, hatte kaum mehr Glück. Als ehemaliger Stabschef, von vielen bewundert, vor allem von sich selbst, zwang er Präsident Bill Clinton, eine israelisch-palästinensische Friedenskonferenz in Camp David einzuberufen. Barak, der palästinensische Standpunkte völlig ignorierte, kam, um seine Konditionen zu diktieren und war schockiert, als sie diese zurückwiesen. Nach Hause zurückgekehrt, erklärte er, die Palästinenser wollten uns ins Meer werfen. Als die Öffentlichkeit das hörte, servierte sie ihn ab und wählte den taffen, extrem rechten General Ariel Sharon, den Gründer des Likud. Netanyahu wurde 2003 Finanzminister. Als solcher war er ziemlich erfolgreich. Indem er die neo-liberalen, ultra-kapitalistischen Lehren, die er in den USA absorbiert hatte, praktizierte, machte er die Armen ärmer und die Reichen reicher. Die Armen schienen es zu mögen. 

Sharon war der Vater der Siedlungen in der Westbank. Um diese zu stärken, beschloss er, den Gaza-Streifen mit den wenigen Siedlungen, die ein unverhältnismäßiger Klotz am Bein für die Armee waren, aufzugeben. Aber sein unilateraler Rückzug aus dem Gaza-Streifen schockierte das rechte Lager. Der ältere Netanyahu nannte diesen Schritt ein Verbrechen gegen die Menschheit.  Unduldsam Widerspruch gegenüber, spaltete Sharon den Likud und gründete seine eigene Kadima (Vorwärts) - Partei. Erneut wurde Netanyahu Vorsitzender des Likud. Wie üblich, hatte er Glück. Sharon erlitt einen Schlaganfall und fiel ins Koma, wovon er sich nicht mehr erholte. Sein Nachfolger, Ehud Olmert, wurde der Korruption angeklagt und mußte zurücktreten. Die nächste in der Reihe, Tzipi Livni, war inkompetent und unfähig, eine Regierung zu bilden, obwohl alle Ingredienzien vorhanden waren. Netanyahu, der Mann, dem die jubelnden Massen nur ein paar Jahre zuvor den Laufpaß gegeben hatten, kehrte als Imperator zurück. Wieder jubelten die Massen. Shakespeare hätte es geliebt. Seitdem wurde Netanyahu immer wieder gewählt und seither war es ein klarer persönlicher Sieg; er besiegte all seine Konkurrenten der Rechten.   

Also, wer ist dieser Netanyahu? Im Gegensatz zur populären Meinung ist er ein Mensch mit sehr starken Glaubensvorstellungen, den Glaubensvorstellungen seines extrem rechten Vaters. Die ganze Welt trachtet danach, uns zu töten; jederzeit. Wir brauchen einen mächtigen Staat, um uns selbst zu verteidigen. Das gesamte Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan wurde uns von Gott gegeben (ob er existiert oder nicht).   

Alle seine anderen Aussagen sind Lügen, Ausreden, Taktiken. Als Netanyahu in einer berühmten Rede an der Bar-Ilan-Universität bei Tel Aviv den Grundsatz der Zwei-Staaten-Lösung akzeptierte, konnten diejenigen, die ihn kannten, nur schmunzeln. Es war so, als hätte er das Essen von Schweinefleisch am Jom Kippur empfohlen. Er ließ diese Aussage vor den Augen der naiven Amerikaner baumeln und seine Justizministerin, Tzipi Livni, endlose Verhandlungen mit den Palästinensern führen, die er verachtet. Wenn immer es so aussah, als ob die Verhandlungen sich einem Ziel näherten, legte er schnell eine andere Kondition fest, wie zum Beispiel die lächerliche Forderung, daß die Palästinenser Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes anerkennen. Er dachte selbstverständlich nicht im Traum daran, die palästinensischen Gebiete als Nationalstaat des palästinensischen Volkes  - ein Volk, dessen Existenz er gänzlich leugnet -  anzuerkennen. Gerade erst kürzlich, am Abend der letzten Wahl, verkündete Netanyahu, daß es keinen palästinensischen Staat geben werde, solange er an der Macht sei. Als die Amerikaner protestierten, verleugnete er sich selbst. Warum nicht? Wie sein Likud-Vorgänger, Yitzhak Shamir, bekanntermaßen sagte: »Für das Vaterland zu lügen, ist erlaubt.« Netanyahu wird lügen, betrügen, sich selbst verleugnen, unter falscher Flagge agieren, all das, um das eine, sein einzig wahres Ziel zu erreichen, den Fels unserer Existenz (wie er es zu sagen beliebt), das Erbe seines Vaters – einen jüdischen Staat vom Meer bis zum Fluß.  

Der Ärger ist, daß die Araber in diesem Gebiet bereits eine kleine Mehrheit ausmachen, aber eine, die ständig wächst. Ein jüdischer und demokratischer Staat im ganzen Land ist unmöglich. Der populäre Witz sagt, dies sei sogar zu viel für Gott. Also ordnet er an, daß wir zwei von drei Attributen wählen müssen: einen jüdischen und demokratischen Staat in einem Teil des Landes, einen jüdischen Staat im ganzen Land, der nicht demokratisch ist, oder einen demokratischen Staat im ganzen Land, der nicht jüdisch ist. 

Netanyahus Lösung für dieses Problem ist, es zu ignorieren, einfach weiterzumachen, Siedlungen auszudehnen und sich auf das unmittelbare Problem zu konzentrieren: Seine vierte Regierung zu errichten und seine fünfte, in vier Jahren von heute an, zu planen.

Und natürlich auch, um seinem Vater, der aus dem Himmel auf ihn herabsieht, zu zeigen, daß der kleine Bibi, sein zweiter Sohn, letztlich doch seiner wert ist.


Uri Avnery, Gründer der israelischen Friedensbewegung »Gush Schalom«  
www.gush-shalom.orgß und Aachener Friedenspreisträgers, vertritt seit 1948 die Idee eines israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: Israel und Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Für sein Engagement erhielt der 1923 geborene Avnery viele Auszeichnungen; 2002 wurde er für seine friedensstiftenden Aktivitäten im Nahen Osten mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik der Stadt Oldenburg geehrt.

 

Siehe hierzu auch

http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2045  10. 12. 12 
Netanjahu in Berlin  

http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1215  9. 5. 2009 
Netanjahus »Plan« für Israel als »Staat des jüdischen Volkes« - Von Uri Avnery

http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=963   21. 6. 2008 
Nein, ich kann nicht! Von Uri Avnery 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die eine ist, daß Netanyahu ein oberflächlicher Politiker, ohne Ideen und ohne Überzeugungen ist, der einzig und allein von seiner Obsession geleitet wird, an der Macht zu bleiben. Dieser Netanyahu hat eine gute Stimme und ein Talent, geschwollene Reden im Fernsehen zu halten, Reden, die jeglichen intellektuellen Inhalts entbehren – und das ist alles. Dieser Netanyahu ist äußerst erpressbar (ein hebräisches Wort, das fast nur für ihn erfunden wurde), ein Mann, der seine Ansichten ändert und je nach politischem Kalkül abends leugnet, was er morgens gesagt hat. Keinem seiner Worte sollte man vertrauen. Er wird jederzeit lügen und betrügen, um sein Überleben zu sichern.

 

Der andere Netanyahu ist fast das genaue Gegenteil. Ein prinzipiengetreuer Patriot, ein seriöser Denker, ein Staatsmann, der die Gefahr hinter dem Horizont sieht. Dieser Netanyahu ist ein begabter Redner, der den US-Kongreß und das UN-Plenum bewegt, was von der größten Masse der Israelis bewundert wird.

 

So, welche der Beschreibungen ist nun wahr? Keine von beiden.

 

Wenn es wahr ist, daß der Charakter einer Person von seiner frühen Kindheit geprägt wird, müssen wir Netanyahus Herkunft untersuchen, um ihn zu verstehen. Er wuchs im Schatten eines strengen Vaters auf. Benzion Millikowsky, der seinen ausländischen Namen in den hebräischen Netanyahu geändert hat, war eine sehr dominante und sehr unglückliche Person. In Warschau geboren, damals eine Provinzstadt im russischen Reich, wanderte er als junger Mann nach Palästina aus, studierte Geschichte an der neuen hebräischen Universität in Jerusalem und erwartete, dort Professor zu werden. Er wurde nicht angenommen.

 

Benzion war der Sohn eines früheren Anhängers von Vladimir (Ze'ev) Jabotinsky, dem extrem rechten zionistischen Führer. Er erbte von seinem Vater eine sehr extremistische Einstellung und gab diese an seine drei Söhne weiter. Binyamin war der zweite. Sein älterer Bruder, selbst noch ein Kind, nannte ihn Bibi und die kindische Bezeichnung blieb haften. Benzions Ablehnung durch die junge Prestige-Universität machte aus ihm einen verbitterten Menschen, eine Verbitterung, die bis zu seinem Tod im Jahr 2012, im Alter von 102, anhielt. Er war sicher, daß seine Ablehnung nichts mit seiner akademischen Qualifikation zu tun hatte, sondern alles mit seiner ultra-nationalistischen Einstellung. Sein extremer Zionismus hielt ihn nicht davon ab, Palästina zu verlassen und sein akademisches Glück in den Vereinigten Staaten zu suchen, wo eine zweitklassige Universität ihm eine Professur gab. Sein Lebenswerk als Historiker betraf das Schicksal der Juden im mittelalterlichen christlichen Spanien, die Vertreibung und die Inquisition. Das erzeugte in ihm ein sehr düsteres Weltbild: die Überzeugung, daß die Juden immer verfolgt werden, daß alle Goyim (Nicht-Juden) die Juden hassen und das Autodafé der spanischen Inquisition mit dem Nazi-Holocaust durch eine Gerade verbunden ist.

 

Während der Jahre pendelte die Netanyahu-Familie zwischen der USA und Israel hin und her. Binyamin wuchs in Amerika auf, lernte perfektes amerikanisches Englisch, was für seine zukünftige Karriere wesentlich war, studierte und wurde Kaufmann. Sein offensichtliches Talent für diesen Beruf zog einen Likud-Außenminister an, der ihn als israelischen Sprecher in die UNO sandte. Benzion Netanyahu war nicht nur eine verbitterte Person, die das zionistische und israelische akademische Establishment beschuldigte, versagt zu haben, indem sie sein akademisches Format nicht anerkannten. Er war auch ein sehr autokratischer Familienmensch. Die drei Netanyahu-Jungen lebten in ständiger Furcht vor dem Vater. Sie durften zu Hause keinen Lärm machen, während der große Mann in seinem verschlossenen Arbeitszimmer arbeitete. Sie durften keine anderen Jungen mit nach Hause bringen. Ihre Mutter war ihrem Mann völlig treu ergeben und bediente ihn in jeder Weise, indem sie ihre eigene Persönlichkeit opferte. In jeder Familie ist das zweite von drei Kindern in einer schwierigen Position. Es wird nicht bewundert, so wie das älteste, noch verhätschelt, wie das jüngste. Für Binyamin war das besonders hart, wegen der Stellung seines älteren Bruders. Yonatan Netanyahu (beide Namen bedeuten: Gott hat gegeben) scheint ein besonders begnadeter Junge gewesen zu sein. Er sah gut aus, war begabt und sehr beliebt, wurde sogar bewundert. In der Armee wurde er Kommandeur der hochangesehenen Sayeret Matkal (Generalstabs-Kommandoeinheit)  - der Elite der Armee-Elite. Als solcher war er der Kommandeur vor Ort bei dem gewagten Entebbe-Kommando-Einsatz im Jahre 1976 in Uganda, der die gefangenen Passagiere eines Flugzeugs, das von Palästinensern und deutschen Guerillas auf dem Weg nach Israel entführt worden war, befreite. Yonatan wurde dabei getötet und zum Nationalhelden. Er wurde von seinem Vater, der die Qualitäten seines zweiten Sohnes nie wirklich akzeptiert hat, verehrt.

 

Zwischen seinem Vater, dem verbitterten Denker, und seinem älteren Bruder, dem legendären Held, wuchs Binyamin als ruhiger, aber sehr ehrgeiziger Junge, teils Israeli, teils Amerikaner, auf. Er arbeitete einige Zeit als Möbelverkäufer, bis er von dem extrem rechten Likud-Außenminister, Moshe Arens, entdeckt wurde. Zwischen seinem obsessiven Bedürfnis, von seinem Vater anerkannt und als seinem glorreichen Bruder gleichwertig angesehen zu werden, wurde Netanyahus eigener Charakter geschmiedet. Sein Vater schätzte ihn nie. Einmal sagte er, er gäbe einen guten Außenminister, aber keinen Premierminister, ab. Als Sohn seines Vaters hetzte Netanyahu nach dem Oslo-Abkommen die Menschen gegen Yitzhak Rabin auf und wurde auf dem Balkon des Sprechers bei der Demonstration fotografiert, wo ein symbolischer Sarg mit Rabin herumgetragen wurde. Als Rabin bald darauf ermordet wurde, bestritt er jegliche Verantwortung. Rabins Nachfolger, Shimon Peres, versagte kläglich, und Netanyahu wurde Premierminister. Das war eine totale Katastrophe. Am Abend der Wahlen des Jahres 1998, als deutlich wurde, daß Netanyahu verloren hatte, strömten Menschenmassen in einer spontanen Demonstration der Freude, wie die bei der Befreiung von Paris, zu Tel Avivs zentralem Platz, der jetzt nach Rabin benannt ist.

  

Sein Nachfolger aus der Arbeiterpartei, Ehud Barak, hatte kaum mehr Glück. Als ehemaliger Stabschef, von vielen bewundert, vor allem von sich selbst, zwang er Präsident Bill Clinton, eine israelisch-palästinensische Friedenskonferenz in Camp David einzuberufen. Barak, der palästinensische Standpunkte völlig ignorierte, kam, um seine Konditionen zu diktieren und war schockiert, als sie diese zurückwiesen. Nach Hause zurückgekehrt, erklärte er, die Palästinenser wollten uns ins Meer werfen. Als die Öffentlichkeit das hörte, servierte sie ihn ab und wählte den taffen, extrem rechten General Ariel Sharon, den Gründer des Likud. Netanyahu wurde 2003 Finanzminister. Als solcher war er ziemlich erfolgreich. Indem er die neo-liberalen, ultra-kapitalistischen Lehren, die er in den USA absorbiert hatte, praktizierte, machte er die Armen ärmer und die Reichen reicher. Die Armen schienen es zu mögen.

 

Sharon war der Vater der Siedlungen in der Westbank. Um diese zu stärken, beschloss er, den Gaza-Streifen mit den wenigen Siedlungen, die ein unverhältnismäßiger Klotz am Bein für die Armee waren, aufzugeben. Aber sein unilateraler Rückzug aus dem Gaza-Streifen schockierte das rechte Lager. Der ältere Netanyahu nannte diesen Schritt ein Verbrechen gegen die Menschheit.  Unduldsam Widerspruch gegenüber, spaltete Sharon den Likud und gründete seine eigene Kadima (Vorwärts) - Partei. Erneut wurde Netanyahu Vorsitzender des Likud. Wie üblich, hatte er Glück. Sharon erlitt einen Schlaganfall und fiel ins Koma, wovon er sich nicht mehr erholte. Sein Nachfolger, Ehud Olmert, wurde der Korruption angeklagt und mußte zurücktreten. Die nächste in der Reihe, Tzipi Livni, war inkompetent und unfähig, eine Regierung zu bilden, obwohl alle Ingredienzien vorhanden waren. Netanyahu, der Mann, dem die jubelnden Massen nur ein paar Jahre zuvor den Laufpaß gegeben hatten, kehrte als Imperator zurück. Wieder jubelten die Massen. Shakespeare hätte es geliebt. Seitdem wurde Netanyahu immer wieder gewählt und seither war es ein klarer persönlicher Sieg; er besiegte all seine Konkurrenten der Rechten.  

 

Also, wer ist dieser Netanyahu? Im Gegensatz zur populären Meinung ist er ein Mensch mit sehr starken Glaubensvorstellungen, den Glaubensvorstellungen seines extrem rechten Vaters. Die ganze Welt trachtet danach, uns zu töten; jederzeit. Wir brauchen einen mächtigen Staat, um uns selbst zu verteidigen. Das gesamte Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan wurde uns von Gott gegeben (ob er existiert oder nicht).  

 

Alle seine anderen Aussagen sind Lügen, Ausreden, Taktiken. Als Netanyahu in einer berühmten Rede an der Bar-Ilan-Universität bei Tel Aviv den Grundsatz der Zwei-Staaten-Lösung akzeptierte, konnten diejenigen, die ihn kannten, nur schmunzeln. Es war so, als hätte er das Essen von Schweinefleisch am Jom Kippur empfohlen. Er ließ diese Aussage vor den Augen der naiven Amerikaner baumeln und seine Justizministerin, Tzipi Livni, endlose Verhandlungen mit den Palästinensern führen, die er verachtet. Wenn immer es so aussah, als ob die Verhandlungen sich einem Ziel näherten, legte er schnell eine andere Kondition fest, wie zum Beispiel die lächerliche Forderung, daß die Palästinenser Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes anerkennen. Er dachte selbstverständlich nicht im Traum daran, die palästinensischen Gebiete als Nationalstaat des palästinensischen Volkes  - ein Volk, dessen Existenz er gänzlich leugnet -  anzuerkennen. Gerade erst kürzlich, am Abend der letzten Wahl, verkündete Netanyahu, daß es keinen palästinensischen Staat geben werde, solange er an der Macht sei. Als die Amerikaner protestierten, verleugnete er sich selbst. Warum nicht? Wie sein Likud-Vorgänger, Yitzhak Shamir, bekanntermaßen sagte: »Für das Vaterland zu lügen, ist erlaubt.« Netanyahu wird lügen, betrügen, sich selbst verleugnen, unter falscher Flagge agieren, all das, um das eine, sein einzig wahres Ziel zu erreichen, den Fels unserer Existenz (wie er es zu sagen beliebt), das Erbe seines Vaters – einen jüdischen Staat vom Meer bis zum Fluß. 

 

Der Ärger ist, daß die Araber in diesem Gebiet bereits eine kleine Mehrheit ausmachen, aber eine, die ständig wächst. Ein jüdischer und demokratischer Staat im ganzen Land ist unmöglich. Der populäre Witz sagt, dies sei sogar zu viel für Gott. Also ordnet er an, daß wir zwei von drei Attributen wählen müssen: einen jüdischen und demokratischen Staat in einem Teil des Landes, einen jüdischen Staat im ganzen Land, der nicht demokratisch ist, oder einen demokratischen Staat im ganzen Land, der nicht jüdisch ist.

 

Netanyahus Lösung für dieses Problem ist, es zu ignorieren, einfach weiterzumachen, Siedlungen auszudehnen und sich auf das unmittelbare Problem zu konzentrieren: Seine vierte Regierung zu errichten und seine fünfte, in vier Jahren von heute an, zu planen.

Und natürlich auch, um seinem Vater, der aus dem Himmel auf ihn herabsieht, zu zeigen, daß der kleine Bibi, sein zweiter Sohn, letztlich doch seiner wert ist.

 

 

 

Uri Avnery, Gründer der israelischen Friedensbewegung »Gush Schalom«  www.gush-shalom.orgß und Aachener Friedenspreisträgers, vertritt seit 1948 die Idee eines israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: Israel und Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Für sein Engagement erhielt der 1923 geborene Avnery viele Auszeichnungen; 2002 wurde er für seine friedensstiftenden Aktivitäten im Nahen Osten mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik der Stadt Oldenburg geehrt.

 

 

Siehe hierzu auch

http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2045  10. 12. 12

Netanjahu in Berlin  

http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1215  9. 5. 2009

Netanjahus »Plan« für Israel als »Staat des jüdischen Volkes« - Von Uri Avnery

http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=963   21. 6. 2008

Nein, ich kann nicht! Von Uri Avnery 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die eine ist, daß Netanyahu ein oberflächlicher Politiker, ohne Ideen und ohne Überzeugungen ist, der einzig und allein von seiner Obsession geleitet wird, an der Macht zu bleiben. Dieser Netanyahu hat eine gute Stimme und ein Talent, geschwollene Reden im Fernsehen zu halten, Reden, die jeglichen intellektuellen Inhalts entbehren – und das ist alles. Dieser Netanyahu ist äußerst erpressbar (ein hebräisches Wort, das fast nur für ihn erfunden wurde), ein Mann, der seine Ansichten ändert und je nach politischem Kalkül abends leugnet, was er morgens gesagt hat. Keinem seiner Worte sollte man vertrauen. Er wird jederzeit lügen und betrügen, um sein Überleben zu sichern.

 

Der andere Netanyahu ist fast das genaue Gegenteil. Ein prinzipiengetreuer Patriot, ein seriöser Denker, ein Staatsmann, der die Gefahr hinter dem Horizont sieht. Dieser Netanyahu ist ein begabter Redner, der den US-Kongreß und das UN-Plenum bewegt, was von der größten Masse der Israelis bewundert wird.

 

So, welche der Beschreibungen ist nun wahr? Keine von beiden.

 

Wenn es wahr ist, daß der Charakter einer Person von seiner frühen Kindheit geprägt wird, müssen wir Netanyahus Herkunft untersuchen, um ihn zu verstehen. Er wuchs im Schatten eines strengen Vaters auf. Benzion Millikowsky, der seinen ausländischen Namen in den hebräischen Netanyahu geändert hat, war eine sehr dominante und sehr unglückliche Person. In Warschau geboren, damals eine Provinzstadt im russischen Reich, wanderte er als junger Mann nach Palästina aus, studierte Geschichte an der neuen hebräischen Universität in Jerusalem und erwartete, dort Professor zu werden. Er wurde nicht angenommen.

 

Benzion war der Sohn eines früheren Anhängers von Vladimir (Ze'ev) Jabotinsky, dem extrem rechten zionistischen Führer. Er erbte von seinem Vater eine sehr extremistische Einstellung und gab diese an seine drei Söhne weiter. Binyamin war der zweite. Sein älterer Bruder, selbst noch ein Kind, nannte ihn Bibi und die kindische Bezeichnung blieb haften. Benzions Ablehnung durch die junge Prestige-Universität machte aus ihm einen verbitterten Menschen, eine Verbitterung, die bis zu seinem Tod im Jahr 2012, im Alter von 102, anhielt. Er war sicher, daß seine Ablehnung nichts mit seiner akademischen Qualifikation zu tun hatte, sondern alles mit seiner ultra-nationalistischen Einstellung. Sein extremer Zionismus hielt ihn nicht davon ab, Palästina zu verlassen und sein akademisches Glück in den Vereinigten Staaten zu suchen, wo eine zweitklassige Universität ihm eine Professur gab. Sein Lebenswerk als Historiker betraf das Schicksal der Juden im mittelalterlichen christlichen Spanien, die Vertreibung und die Inquisition. Das erzeugte in ihm ein sehr düsteres Weltbild: die Überzeugung, daß die Juden immer verfolgt werden, daß alle Goyim (Nicht-Juden) die Juden hassen und das Autodafé der spanischen Inquisition mit dem Nazi-Holocaust durch eine Gerade verbunden ist.

 

Während der Jahre pendelte die Netanyahu-Familie zwischen der USA und Israel hin und her. Binyamin wuchs in Amerika auf, lernte perfektes amerikanisches Englisch, was für seine zukünftige Karriere wesentlich war, studierte und wurde Kaufmann. Sein offensichtliches Talent für diesen Beruf zog einen Likud-Außenminister an, der ihn als israelischen Sprecher in die UNO sandte. Benzion Netanyahu war nicht nur eine verbitterte Person, die das zionistische und israelische akademische Establishment beschuldigte, versagt zu haben, indem sie sein akademisches Format nicht anerkannten. Er war auch ein sehr autokratischer Familienmensch. Die drei Netanyahu-Jungen lebten in ständiger Furcht vor dem Vater. Sie durften zu Hause keinen Lärm machen, während der große Mann in seinem verschlossenen Arbeitszimmer arbeitete. Sie durften keine anderen Jungen mit nach Hause bringen. Ihre Mutter war ihrem Mann völlig treu ergeben und bediente ihn in jeder Weise, indem sie ihre eigene Persönlichkeit opferte. In jeder Familie ist das zweite von drei Kindern in einer schwierigen Position. Es wird nicht bewundert, so wie das älteste, noch verhätschelt, wie das jüngste. Für Binyamin war das besonders hart, wegen der Stellung seines älteren Bruders. Yonatan Netanyahu (beide Namen bedeuten: Gott hat gegeben) scheint ein besonders begnadeter Junge gewesen zu sein. Er sah gut aus, war begabt und sehr beliebt, wurde sogar bewundert. In der Armee wurde er Kommandeur der hochangesehenen Sayeret Matkal (Generalstabs-Kommandoeinheit)  - der Elite der Armee-Elite. Als solcher war er der Kommandeur vor Ort bei dem gewagten Entebbe-Kommando-Einsatz im Jahre 1976 in Uganda, der die gefangenen Passagiere eines Flugzeugs, das von Palästinensern und deutschen Guerillas auf dem Weg nach Israel entführt worden war, befreite. Yonatan wurde dabei getötet und zum Nationalhelden. Er wurde von seinem Vater, der die Qualitäten seines zweiten Sohnes nie wirklich akzeptiert hat, verehrt.

 

Zwischen seinem Vater, dem verbitterten Denker, und seinem älteren Bruder, dem legendären Held, wuchs Binyamin als ruhiger, aber sehr ehrgeiziger Junge, teils Israeli, teils Amerikaner, auf. Er arbeitete einige Zeit als Möbelverkäufer, bis er von dem extrem rechten Likud-Außenminister, Moshe Arens, entdeckt wurde. Zwischen seinem obsessiven Bedürfnis, von seinem Vater anerkannt und als seinem glorreichen Bruder gleichwertig angesehen zu werden, wurde Netanyahus eigener Charakter geschmiedet. Sein Vater schätzte ihn nie. Einmal sagte er, er gäbe einen guten Außenminister, aber keinen Premierminister, ab. Als Sohn seines Vaters hetzte Netanyahu nach dem Oslo-Abkommen die Menschen gegen Yitzhak Rabin auf und wurde auf dem Balkon des Sprechers bei der Demonstration fotografiert, wo ein symbolischer Sarg mit Rabin herumgetragen wurde. Als Rabin bald darauf ermordet wurde, bestritt er jegliche Verantwortung. Rabins Nachfolger, Shimon Peres, versagte kläglich, und Netanyahu wurde Premierminister. Das war eine totale Katastrophe. Am Abend der Wahlen des Jahres 1998, als deutlich wurde, daß Netanyahu verloren hatte, strömten Menschenmassen in einer spontanen Demonstration der Freude, wie die bei der Befreiung von Paris, zu Tel Avivs zentralem Platz, der jetzt nach Rabin benannt ist.

  

Sein Nachfolger aus der Arbeiterpartei, Ehud Barak, hatte kaum mehr Glück. Als ehemaliger Stabschef, von vielen bewundert, vor allem von sich selbst, zwang er Präsident Bill Clinton, eine israelisch-palästinensische Friedenskonferenz in Camp David einzuberufen. Barak, der palästinensische Standpunkte völlig ignorierte, kam, um seine Konditionen zu diktieren und war schockiert, als sie diese zurückwiesen. Nach Hause zurückgekehrt, erklärte er, die Palästinenser wollten uns ins Meer werfen. Als die Öffentlichkeit das hörte, servierte sie ihn ab und wählte den taffen, extrem rechten General Ariel Sharon, den Gründer des Likud. Netanyahu wurde 2003 Finanzminister. Als solcher war er ziemlich erfolgreich. Indem er die neo-liberalen, ultra-kapitalistischen Lehren, die er in den USA absorbiert hatte, praktizierte, machte er die Armen ärmer und die Reichen reicher. Die Armen schienen es zu mögen.

 

Sharon war der Vater der Siedlungen in der Westbank. Um diese zu stärken, beschloss er, den Gaza-Streifen mit den wenigen Siedlungen, die ein unverhältnismäßiger Klotz am Bein für die Armee waren, aufzugeben. Aber sein unilateraler Rückzug aus dem Gaza-Streifen schockierte das rechte Lager. Der ältere Netanyahu nannte diesen Schritt ein Verbrechen gegen die Menschheit.  Unduldsam Widerspruch gegenüber, spaltete Sharon den Likud und gründete seine eigene Kadima (Vorwärts) - Partei. Erneut wurde Netanyahu Vorsitzender des Likud. Wie üblich, hatte er Glück. Sharon erlitt einen Schlaganfall und fiel ins Koma, wovon er sich nicht mehr erholte. Sein Nachfolger, Ehud Olmert, wurde der Korruption angeklagt und mußte zurücktreten. Die nächste in der Reihe, Tzipi Livni, war inkompetent und unfähig, eine Regierung zu bilden, obwohl alle Ingredienzien vorhanden waren. Netanyahu, der Mann, dem die jubelnden Massen nur ein paar Jahre zuvor den Laufpaß gegeben hatten, kehrte als Imperator zurück. Wieder jubelten die Massen. Shakespeare hätte es geliebt. Seitdem wurde Netanyahu immer wieder gewählt und seither war es ein klarer persönlicher Sieg; er besiegte all seine Konkurrenten der Rechten.  

 

Also, wer ist dieser Netanyahu? Im Gegensatz zur populären Meinung ist er ein Mensch mit sehr starken Glaubensvorstellungen, den Glaubensvorstellungen seines extrem rechten Vaters. Die ganze Welt trachtet danach, uns zu töten; jederzeit. Wir brauchen einen mächtigen Staat, um uns selbst zu verteidigen. Das gesamte Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan wurde uns von Gott gegeben (ob er existiert oder nicht).  

 

Alle seine anderen Aussagen sind Lügen, Ausreden, Taktiken. Als Netanyahu in einer berühmten Rede an der Bar-Ilan-Universität bei Tel Aviv den Grundsatz der Zwei-Staaten-Lösung akzeptierte, konnten diejenigen, die ihn kannten, nur schmunzeln. Es war so, als hätte er das Essen von Schweinefleisch am Jom Kippur empfohlen. Er ließ diese Aussage vor den Augen der naiven Amerikaner baumeln und seine Justizministerin, Tzipi Livni, endlose Verhandlungen mit den Palästinensern führen, die er verachtet. Wenn immer es so aussah, als ob die Verhandlungen sich einem Ziel näherten, legte er schnell eine andere Kondition fest, wie zum Beispiel die lächerliche Forderung, daß die Palästinenser Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes anerkennen. Er dachte selbstverständlich nicht im Traum daran, die palästinensischen Gebiete als Nationalstaat des palästinensischen Volkes  - ein Volk, dessen Existenz er gänzlich leugnet -  anzuerkennen. Gerade erst kürzlich, am Abend der letzten Wahl, verkündete Netanyahu, daß es keinen palästinensischen Staat geben werde, solange er an der Macht sei. Als die Amerikaner protestierten, verleugnete er sich selbst. Warum nicht? Wie sein Likud-Vorgänger, Yitzhak Shamir, bekanntermaßen sagte: »Für das Vaterland zu lügen, ist erlaubt.« Netanyahu wird lügen, betrügen, sich selbst verleugnen, unter falscher Flagge agieren, all das, um das eine, sein einzig wahres Ziel zu erreichen, den Fels unserer Existenz (wie er es zu sagen beliebt), das Erbe seines Vaters – einen jüdischen Staat vom Meer bis zum Fluß. 

 

Der Ärger ist, daß die Araber in diesem Gebiet bereits eine kleine Mehrheit ausmachen, aber eine, die ständig wächst. Ein jüdischer und demokratischer Staat im ganzen Land ist unmöglich. Der populäre Witz sagt, dies sei sogar zu viel für Gott. Also ordnet er an, daß wir zwei von drei Attributen wählen müssen: einen jüdischen und demokratischen Staat in einem Teil des Landes, einen jüdischen Staat im ganzen Land, der nicht demokratisch ist, oder einen demokratischen Staat im ganzen Land, der nicht jüdisch ist.

 

Netanyahus Lösung für dieses Problem ist, es zu ignorieren, einfach weiterzumachen, Siedlungen auszudehnen und sich auf das unmittelbare Problem zu konzentrieren: Seine vierte Regierung zu errichten und seine fünfte, in vier Jahren von heute an, zu planen.

Und natürlich auch, um seinem Vater, der aus dem Himmel auf ihn herabsieht, zu zeigen, daß der kleine Bibi, sein zweiter Sohn, letztlich doch seiner wert ist.

 

 

 

Uri Avnery, Gründer der israelischen Friedensbewegung »Gush Schalom«  www.gush-shalom.orgß und Aachener Friedenspreisträgers, vertritt seit 1948 die Idee eines israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: Israel und Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Für sein Engagement erhielt der 1923 geborene Avnery viele Auszeichnungen; 2002 wurde er für seine friedensstiftenden Aktivitäten im Nahen Osten mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik der Stadt Oldenburg geehrt.

 

 

Siehe hierzu auch

http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2045  10. 12. 12

Netanjahu in Berlin  

http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1215  9. 5. 2009

Netanjahus »Plan« für Israel als »Staat des jüdischen Volkes« - Von Uri Avnery

http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=963   21. 6. 2008

Nein, ich kann nicht! Von Uri Avnery