Weltweite Reaktion auf die Pariser Anschläge zwingt Präsident Obama zum Kurswechsel - Von Alexander Hartmann

Was immer die Hintermänner der Pariser Anschläge vom 13. November bezweckt haben mögen,

eines haben die Anschläge jedenfalls bewirkt: Daß der weltweite Einfluß der amerikanischen Regierung unter Präsident Barack Obama schlagartig zurückgegangen ist. Nicht mehr die USA geben den Ton an, sondern Rußland unter Präsident Wladimir Putin. Putin erklärte auf der Grundlage der Syrien-Gespräche, die am 14. November in Wien stattgefunden hatten, und der laufenden Gespräche zwischen US-Außenminister John Kerry und Rußlands Außenminister Sergej Lawrow, daß ein Teil der syrischen Opposition »es für möglich hält, mit Unterstützung der russischen Luftwaffe militärische Aktionen gegen den IS zu beginnen, und wir sind bereit, diese Unterstützung zu gewähren.« Dann würden Baschar al-Assads »Armee auf der einen und die Opposition auf der anderen Seite gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen.« Rußland brauche die Unterstützung der Vereinigten Staaten, Saudi-Arabiens und des Irans im Kampf gegen den Terrorismus. »Jetzt ist nicht die Zeit für eine Debatte darüber, wer im Kampf gegen den IS effektiver ist; wir müssen unsere Bemühungen konsolidieren.« Augenzeugenberichte vom Treffen des G-20-Gipfels im türkischen Antalya am 15./16. November, also unmittelbar nach den Pariser Anschlägen, lassen darauf schließen, daß Obama äußerst ungehalten darüber war, daß dort nicht er, sondern Putin im Mittelpunkt stand, weil es Rußlands bahnbrechende Intervention in Syrien möglich macht, den IS zu zerschlagen und den inzwischen schon 5 Jahre währenden Krieg in Syrien zu einem friedlichen Ende zu führen. Obama flog dann weiter zum APEC-Treffen nach Manila auf den Philippinen, in der Hoffnung, dort den quasikolonialen Status des Landes wieder herzustellen. Statt dessen stieß er auf eine Revolte philippinischer Patrioten. Der Senat des Landes wies seine Truppenstationierungspläne zurück, und die APEC weigerte sich, über seine Aggressionsvorwürfe gegen China  - weil dieses auf Inseln, die es sowieso schon beherrscht, Gebäude errichtet -  überhaupt zu diskutieren. 

Vielleicht hoffte Obama, daß er beim anschließenden ASEAN-Treffen in Malaysia und beim Ostasien-Gipfel mehr Erfolg haben würde. Jedoch haben sich die Verteidigungsminister der ASEAN-Staaten bereits Anfang des Monats geweigert, China als Aggressor zu bezeichnen, und die ASEAN-Verkehrsminister haben sogar enthusiastisch ihre Bereitschaft verkündet, sich an Chinas Programm der Neuen Seidenstraße  - Ein Gürtel, eine Straße -  zu beteiligen.   

Obama zum Nachgeben gezwungen  
Tatsächlich ist der US-Präsident gezwungen, zum Spiel der anderen gute Miene zu machen. Wie aus gutinformierter Quelle verlautete, haben Berater Obama klargemacht, daß sein ganzer Nachruhm zunichte gemacht würde, wenn der IS nicht besiegt wird oder vielleicht sogar einen ähnlich verheerenden Anschlag in den Vereinigten Staaten wie am 11. September 2001 verüben sollte. Der IS hat solche Anschläge in Washington oder anderen amerikanischen Städten in einem Video angekündigt. So mußte der US-Präsident Kreide fressen. In einem Interview mit ABC News, das Obama noch vor den Pariser Anschlägen gegeben hatte und das am 20. November gesendet wurde, hatte er noch angetönt, Rußland habe in Syrien gar nicht interveniert, um den IS zu bekämpfen, sondern um al-Assad zu stützen, und die USA hätte den IS erfolgreich eingedämmt. Ganz anders war der Tonfall dann in der Erklärung des Weißen Hauses nach Obamas Treffen mit Putin am Rande des G-20-Gipfels in Antalya. Darin begrüßte der US-Präsident »die Bemühungen aller Länder im Vorgehen gegen den Islamischen Staat«, und es wurde ausdrücklich auf die Bedeutung der militärischen Aktionen Rußlands in Syrien gegen den IS hingewiesen. Obama mußte bestätigen, was zuvor bereits bei den Wiener Syrien-Gesprächen vereinbart worden war, nämlich daß die USA ihre Zusammenarbeit mit Rußland verstärken wird; dies gibt Außenminister Kerry in seinen Verhandlungen mit Lawrow größeren Spielraum. 

Beim APEC-Gipfel in Manila machte Obama dann Andeutungen, die Aussicht auf eine militärische Koordinierung mit Rußland bieten, wie Associated Press berichtete. AP zitiert Obama: »Wenn wir ein besseres Verständnis mit Rußland über den Prozeß erreichen, wie man dem syrischen Bürgerkrieg ein Ende setzen kann, dann eröffnet dies offensichtlich mehr Gelegenheiten zur Koordination bezüglich IS.« Obama fügte sogar hinzu, Rußland habe seit Wochen eine hilfreiche Rolle bei den Wiener Gesprächen gespielt. Die neue Position, die der US-Regierung aufgezwungen wurde, brachte am 15. November auch Michael Morell, bis vor kurzem Vizechef der CIA, zum Ausdruck: »Ich denke, die Frage, ob Präsident Assad gehen muß oder ob er hier Teil der Lösung  sein wird, müssen wir uns noch einmal anschauen. Offensichtlich ist er Teil des Problems, aber er könnte auch Teil der Lösung sein.« Das beste Resultat erziele man möglicherweise durch eine Vereinbarung, wonach Assad noch ein weiteres Jahr an der Macht bleibt und den IS zusammen mit der syrischen Armee sowie mit Unterstützung der von der USA geführten Koalition und Rußland bekämpft. 

Aber nicht nur Obama ist unter Druck, sondern auch die britische Regierung. In London sagte der ehemalige Chef des britischen Verteidigungsstabs, Sir David Richards, gegenüber BBC, Premierminister David Cameron müsse seine widersprüchlichen Kriegsziele fallenlassen. Man müsse den erzwungenen Regimewechsel zugunsten des Kampfes gegen den IS aufgeben. »Jeder General wird Ihnen erklären, daß man in einem Krieg eine gemeinsame Absicht und eine klare Zielsetzung haben muß.« Außerdem müsse Cameron akzeptieren, daß die syrische Armee, der Iran und die Hisbollah realistisch betrachtet die einzigen kompetenten Bodentruppen darstellten, um den IS zu bekämpfen. Man müsse Syrien das Schicksal des Iraks ersparen. »Rußland spielt in dieser Hinsicht, ob wir es mögen oder nicht, eine führende Rolle. Neben den traurigen Ereignissen in Frankreich, könnte man sagen, hat die russische Intervention [in Syrien] diesen Sinneswandel hervorgebracht. Wir müssen uns damit abfinden, daß sie [die Russen] dort sind.«  

Die Terroristen finanziell aushungern‹ 
Ein weiterer Aspekt, der durch die internationale Debatte nach den Pariser Anschlägen eine neue Wendung bekommen hat, ist die Frage der Finanzierung des internationalen Terrors. Beim G-20-Gipfel in Antalya forderten sowohl Präsident Putin als auch Indiens Premierminister Narendra Modi Maßnahmen gegen die Finanzierung des Terrorismus. In einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der BRICS-Staaten vor dem G-20-Gipfel forderte Modi eine »umfassende Strategie, um die Finanzierungs-, Nachschub- und Kommunikationskanäle der Terroristen« abzuschneiden. Der IS müsse finanziell ausgehungert werden, betonte Modi. Putin äußerte sich in seiner Pressekonferenz sehr deutlich: »Ich habe Beispiele unserer Daten über die Finanzierung von Einheiten des Islamischen Staats durch natürliche Personen in verschiedenen Ländern   vorgelegt. Die Finanzierung kommt, wie wir festgestellt haben, aus 40 Ländern; unter diesen befinden sich auch einige Mitglieder der G-20.« Er habe seinen Kollegen Satellitenfotos zur Verfügung gestellt, »die den illegalen Handel [des IS] mit Öl und Ölprodukten deutlich zeigen: Fahrzeugkolonnen, die sich über Dutzende von Kilometern erstrecken, bis über den Horizont hinaus, wenn man sie aus einer Höhe von 4-5000 Metern betrachtet.« Auch der Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, forderte Maßnahmen gegen Länder, die den Islamischen Staat unterstützen. In einer Fragestunde des Parlaments fragte er Cameron: »Ein sicherlich entscheidender Weg, den IS zu schlagen, besteht darin, ihm die Finanzierung abzuschneiden, seinen Nachschub an Waffen und seinen Handel. Kann ich den Premierminister dazu drängen, sicherzustellen, daß unsere Verbündeten in der Region  - tatsächlich alle Länder in der Region -  alles tun, was sie tun können, um gegen Individuen und Institutionen in ihren Ländern vorzugehen, die dem IS eine wichtige Infrastruktur bieten? Werden wir über die Europäische Union und andere Foren wenn nötig auch Sanktionen gegen Banken und Unternehmen, und, wenn nötig, auch gegen Länder in Betracht ziehen, die ihre Augen vor denen verschließen, die Geschäfte mit dem IS betreiben und ihn in seinem Werk unterstützen?« Schon unmittelbar nach den Pariser Anschlägen hatte Corbyn eine Erklärung abgegeben, worin er namentlich Saudi-Arabien als ein Land nannte, das an der Unterstützung des IS beteiligt sei: »Saudi-Arabien hat, vielleicht nicht auf Regierungsebene, aber sicher auf der Ebene der Unterstützer, dem IS Unterstützung gewährt.« In seiner Antwort auf Corbyns Frage mußte Cameron diesem zustimmen, auch wenn er versuchte, dem Thema auszuweichen und statt dessen um Unterstützung für Militäraktionen in Syrien zu werben: »Wir können der Frage, wie wir den IS im Irak und in Syrien zurückdrängen und zerstören, nicht für allezeit aus dem Weg gehen….. Ja: Gehen wir gegen das Geld vor, gehen wir gegen die Banken vor, schneiden wir ihren Nachschub ab. Aber das darf kein Ersatz für die Aktionen sein, die notwendig sind, um diese Leute dort zu treffen, wo sie sind«, so Cameron.  

Das Thema Terrorismusfinanzierung ist auch für Präsident Obama ein heikles Thema, denn damit kommen die berühmt-berüchtigten 28 Seiten aus dem Untersuchungsbericht des US-Kongresses über die Anschläge des 11. September 2001, die sich mit der Finanzierung der Anschläge insbesondere durch Saudi-Arabien befassen, erneut auf die Tagesordnung. Wie wir wiederholt berichteten, hat Präsident George W. Bush diese 28 Seiten unter Geheimhaltung gestellt, und Obama hat dies in seinen sieben Amtsjahren nicht geändert, obwohl er den Angehörigen der Opfer der Anschläge im Präsidentschaftswahlkampf 2008 versprochen hatte, diese 28 Seiten freizugeben. Würden diese veröffentlicht, käme die Verwicklung der saudischen Regierung in den 11. September ans Tageslicht, und damit natürlich auch die Tatsache, daß die US-Regierung das seit 14 Jahren systematisch vertuscht hat. Angesichts dieser neuerlichen Debatte stellt sich nun die Frage, wie lange sie an dieser Politik noch festhalten kann. Obama hat nicht mehr die Macht, der Welt seine Politik aufzuzwingen. Das ist eine einzigartige Gelegenheit, eine grundlegende politische Wende in der transatlantischen Welt durchzusetzen, die schon längst überfällig ist, und den Weg für eine Zusammenarbeit der Nationen für die gemeinsamen Ziele der Menschheit freizumachen; nicht nur in Syrien, sondern weltweit.  [1]   

Belgischer Parlamentarier: Brüssel muß seine Beziehungen zu Riad überdenken  
Nach den Anschlägen von Paris werden endlich die Stimmen lauter, die ein Vorgehen gegen die finanziellen und logistischen Unterstützer des IS fordern. Das bezieht sich einerseits auf die illegalen Ölverkäufe des IS, von denen man annimmt, daß sie pro Tag etwa 1 Mio. $ in die Kassen der Terroristen spült. In diesem Zusammenhang ist der Sohn des türkischen Präsidenten, Bilal Erdogan, als Mittelsmann für den IS ins Gerede gekommen. Andererseits ist bekannt, daß Saudi- Arabien und auch Katar die Sache des IS mit Waffen, Geld und ideologischer Unterstützung betreiben. Dirk Van der Maelen, derzeit Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Abgeordnetenkammer, hat in Gesprächen mit Pressevertretern die belgische Regierung mehrmals dazu aufgefordert, ihre diplomatische Beziehungen mit Saudi-Arabien gründlich zu überprüfen. »Nach den Angriffen in Paris werden mehr und mehr Fragen über die Finanzierung des Terrorismus durch die Golfstaaten  - wie Saudi-Arabien -  gestellt, schreibt die flämische Tageszeitung De Standaard und zitiert dann Van der Maelen: »Die Tatsache, daß Belgien freundschaftliche Beziehungen zu Ländern unterhält, die die weltweite Verbreitung des Wahhabismus, eine Sparte des radikalen Islams, betreiben und finanzieren, ist unverantwortlich. Man kann keine glaubwürdige Politik der Entradikalisierung [von Jugendlichen] betreiben und gleichzeitig Wirtschaftsverträge mit Regierungen abschließen, die extremistische Gruppen unterstützen. Vor allem wissen wir seit langem, daß Saudi-Arabien Menschen- und Arbeitsrechte verletzt. Es ist deshalb an der Zeit, diese wirtschaftliche Beziehungen zu überdenken.« 

Brüssel und der Wahhabismus  
Hierzu ist anzumerken, daß Saudi-Arabien seit 1967, nur wenige Schritte von der Europäischen Kommission entfernt, im Herzen Brüssels das Islamische und kulturelle Zentrum Belgiens, ein Zentrum zur Verbreitung des Wahhabismus, leitet und finanziert. Zwar hat das Zentrum noch am 14. November mit einer Pressemitteilung, in der die Angriffe in Paris, die im völligen Gegensatz zu islamischen und menschlichen Werten stünden, als ein abscheuliches Verbrechen entschieden verurteilt wurden, eindeutig Stellung bezogen. Dennoch deckte der französischsprachige belgische Fernsehsender Rtbf laut von Wikileaks enthüllten diplomatischen Kommunikationen auf, daß der saudische Botschafter 2012 in Brüssel berichtet hatte, er sei von Belgiens Außenminister sowie von der Staatssicherheit, Belgiens zivilem Nachrichtendienst, darum gebeten worden, Khalid Alibri, den Rektor einer Moschee, dessen extremistische und radikale Predigten als potentiell gefährlich eingeschätzt wurden, nach Saudi-Arabien zurückzuschicken. Da die belgischen Regierung in dieser Frage hartnäckig blieb, wurde Alibri am 14. April 2012 schließlich tatsächlich nach Riad zurückgesandt. »Darüber hinaus«, betont Felice Dassetto, Soziologe an der Katholischen Universität Löwen, »hat die Islamische Weltliga das von den Saudis seit 1960 entwickelte strategische Ziel, hegemonisches Zentrum der moslemischen Welt zu werden.« 

Daß aus Belgien ein neues Londonistan geworden ist, ist auch der relativ einfachen Zugänglichkeit von Waffen zu verdanken. Heute wird fast die Hälfte aller in den Nahen Osten exportierten Schußwaffen und Munition in Belgien produziert, wie die flämische Wochenzeitung Knack am 13. Oktober unterstrich. Die exportierten belgischen Waffen tauchen sehr oft in Syrien und Libyen auf, und viele der Schußwaffen, die beim Überfall auf die Charlie Hebdo-Journalisten am 7. Januar zum Einsatz kamen, stammten aus dem berüchtigten belgischen Unternehmen Fabrique Nationale.  [2]

 

[1]  http://www.bueso.de/node/8328    23. 11. 15
[2]  http://www.bueso.de/node/8337   27. 11. 15