Syrien - Der Umbau im Visier?

d.a. Zieht man die Darlegungen von Thierry Meyssan zum Eintritt Frankreichs in den

Syrienkrieg in Betracht, ist es durchaus zweckmässig, noch einmal auf das sogenannte Greater Middle East Projectzurückzukommen. Was wir seit 4 Jahren in Syrien vor Augen haben, ist der von Obama in seiner Rede vom 10. September 2014 als festes Ziel angekündigte, mit militärischen Mitteln durchzusetzende Umbau des Nahen und Mittleren Ostens; dieser war bereits in der Ausgabe des Armee-Magazins Parameters 2001/2002 von US-Oberst Ralph Peters unter Erstellung einer in diesem Sinn veränderten Landkarte aufgezeichnet worden und von der damaligen US-Aussenministerin Condoleezza Rice mit dem katastrophal entmenschten Begriff Geburtswehen belegt worden. Die Umgestaltung Syriens sollte bekanntlich in ein Shiitestan, ein Sunnistan, ein Kurdistan sowie in ein Alawitestan münden. Teil des Plans bildete ferner die Vertreibung der Bevölkerung von Gaza. So hatte es auch zur Zerschlagung der Region im August letzten Jahres geheissen, man könne ja Assads syrisches Herrschaftsgebiet auf ein kleines Alawitestan reduzieren und die übrigen Teile des Landes mit Teilen des Iraks zu einem Kurdistan und einem Sunnistan  zusammenschliessen. Die Kleinstaaten, die dabei entstünden, wären machtlos, hätten kein Widerstandspotential mehr und wären prinzipiell leichter beherrschbar als die jetzige arabische Staatenwelt. 

Der eigentliche Vorläufer für dieses Vorhaben bildet indessen die Rede von George W. Bush vom 6. 11. 2003 bei der Stiftung National Endowment for Democracy. Der Kern der Rede drehte sich um das Vorhaben, die Einführung der Demokratie in den islamischen Ländern mittels einer von aussen kommenden Initiative zu erzielen; wobei schon damals abzuschätzen war, dass dabei mitnichten an die Etablierung einer wirklichen Demokratie gedacht war, so dass, wie Bernhard Schmid am 4. 2. 2005 in Telepolis schrieb, »das damals gleichzeitig ausgesprochene Lob für eine Reihe autokratisch regierter Länder  - wie etwa mehrere Golfmonarchien, Saudi-Arabien und das marokkanische Königreich -  für ihren angeblichen Fortschritt in dieser Richtung in eklatantem Widerspruch zu diesem offiziell gesteckten Ziel stand.« Auf internationaler Ebene war das Greater Middle East Project offiziell auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom Februar 2004 debattiert worden. Wie Schmid des weiteren festhielt, warben die US-Vertreter dort um Zustimmung der europäischen Regierungen zu ihrem Konzept. Dass die NATO die erste transnationale Instanz war, bei der über das Projekt diskutiert wurde, ist keineswegs Zufall: Denn das nordatlantische Militärbündnis sollte bei der, wie es hiess, Stabilisierung des Grossraums eine wesentliche Rolle einnehmen.

Zum  Greater Middle East Project gehört in jedem Fall der Sturz von Baschar al-Assad mit allen Mitteln. Westlichen Diplomaten zufolge übte der US-Diplomat und stellvertretende UN-Staatssekretär Jeffrey D. Feltman 2011 auch Druck auf die Vereinigten Arabischen Emirate und auf Kuwait aus, damit sich diese von Syrien fernhalten sollten; Syrien bezeichnete er im Mai 2011 als das ›potentielle Nordkorea im Mittleren Osten‹. 

Nähere Überlegungen, aus den kurdischsprachigen Gebieten Syriens und des Iraks ein Kurdistan zu formen, hatte Ende September 2013 auch die US-Publizistin Robin Wright in der New York Times veröffentlicht. Wright, die unter anderem am United States Institute of Peace [USIP] tätig ist, übte an den seinerzeit von den Kolonialmächten festgelegten Grenzen, die seitdem von arabischen Autokraten verteidigt werden, Kritik. Aus ihrer Sicht könnten sich Länder durchaus auflösen und somit neue Grenzen gezogen werden, was sie für grosse Teile der arabischen Welt gedanklich durchexerziert.  [1]  Im eigentlichen absolut unfriedliche Gedankengänge für ein Friedensinstitut….. 

Was das USIP betrifft, so ist durchaus wissenswert, dass sich die deutsche, vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik [SWP] unter der Leitung ihres Direktors Volker Perthes in den vergangenen Jahren immer wieder mit Syrien befasst hat. Eine herausragende Rolle spielte dabei das ProjektThe Day After, das die SWP im ersten Halbjahr 2012 gemeinsam mit dem United States Institute of Peace betrieb. Es zielte offen darauf ab, Grundlagen für eine staatliche Neuordnung Syriens nach Assads Sturz zu schaffen, und führte zu diesem Zweck mehr als 40 Aktivisten der syrischen Exilopposition in Berlin zusammen. Neben Liberalen waren auch Muslimbrüder beteiligt; nicht vertreten war dagegen die im Land verbliebene linke Opposition, die bis heute den gewaltsamen Sturz der Regierung ablehnt und auf eine friedliche Konfliktlösung setzt. Während SWP und USIP mit den Neuordnungsplänen für Syrien befasst waren, wiesen die westlichen Mächte Anfang 2012 einen Vorschlag Moskaus zurück, der einen Interessenabgleich herstellen können hätte, wodurch der Syrienkrieg bereits 2012 zu beenden gewesen wäre.

Man muss sich einmal vorstellen, wie vermessen die Stiftungsmitglieder sein müssen, damit, wie dies German Foreign Policy Ende September festhielt, aktuell ein Projekt betrieben werden kann, das die Fragmentierung Syriens untersucht und die Entwicklung von Politikoptionen für das zerstörte Land ins Zentrum stellt. Wie es hiess, sollte es bis Dezember laufen und wird aus Sondermitteln des Auswärtigen Amts finanziert.  [2]  

Über das The Day After-Projekt hatte auch die Junge Welt im August 2012 berichtet: Regierungsnahe Think Tanks in Washington und in Berlin arbeiteten mit Hochdruck an Plänen für die Zeit nach dem Sturz Assads: »In Deutschland sind an der regierungsfinanzierten Umsturzarbeit offensichtlich auch Aktivisten beteiligt, die von Teilen der Friedensbewegung unterstützt werden. In der Reportage Deutscher Marshallplan für Syrien nach Assad bekennt Ferhad Ahma, Mitglied im Syrischen Nationalrat und im Beirat der Kampagne Adopt a Revolution, freimütig, seit Jahresbeginn an entsprechenden Geheimtreffen des Projekts The Day After teilgenommen zu haben. An seiner Seite sind die Kampagnenaktivisten Elias Perabo und Aktham Abazid zu sehen. Gleichwohl teilte Adopt a Revolution auf jW-Nachfrage per e-mail mit, daß Mitglieder an dem Projekt nicht beteiligt seien. Nachfragen wurden abgelehnt. Adopt a Revolution sucht nach eigenen Angaben vornehmlich Revolutionspaten für syrische Oppositionelle; die unabhängige Initiative aus der Zivilgesellschaft schreibt auf ihrer Webseite: Um sich die Unabhängigkeit zu bewahren, wird Adopt a Revolution keine staatlichen Gelder annehmen. Unterstützung kommt statt dessen von medico international, der Bewegungsstiftung, dem Netzwerk Friedenskooperative und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie.«  [3]  Wie die Junge Welt im Oktober vermerkte, »hatte US-Vizepräsident Joseph Biden vor kurzem vor Studierenden an der Harvard-Universität ungewohnt freimütig eingeräumt, daß Saudi-Arabien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate derart versessen darauf gewesen seien, den  syrischen Präsidenten zu stürzen, daß sie Millionen an US-Dollars und Tausende Tonnen an Waffen an jeden in Syrien, der gegen Assad kämpfen wollte  - wobei auch die al-Nusra-Front und der IS unterstützt wurden -  geliefert hätten.« Nicht, dass diese Fakten in der EU nicht bekannt wären, erstaunlich ist hier nur, dass ein Mann wie Biden sie öffentlich vorträgt. »Nach monatelangen Gesprächen und personellen Veränderungen bei den Regierungen von Katar und Saudi-Arabien«, so die jW ferner, »war es US-Außenminister John Kerry auf der Dschidda-Konferenz am 12. September gelungen, die Sponsoren des Terrors in Syrien und im Irak auf den Kampf gegen die von ihnen seit 2011 aufgebauten Gruppen zu verpflichten.«  [4] 

Nachdem der IS  - dem offenbar zunächst die Rolle eines leicht instrumentalisierbaren destabilisierenden Akteurs zugedacht war, wie z.B. zuvor den Taliban in Afghanistan -  jetzt für jedermann sichtbar aus dem Ruder gelaufen ist, kontrolliert das Kalifat, das von der syrischen Stadt Raqqa aus herrscht, die Hälfte Syriens und ein Drittel des Iraks. Das Vorrücken der IS-Terror-Miliz in Syrien löste die grösste Flüchtlingswelle in die Türkei seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs aus. UNO-Schätzungen vom September 2014 zufolge suchten innerhalb von zwei Tagen mehr als 100'000 Menschen aus den Kurdengebieten im Norden Syriens Schutz im Nachbarland. Die Türkei hatte am 19. 9. angesichts der Flüchtlingswelle ihre Grenzen geöffnet, nachdem das Land tagelang Schutzsuchende zurückgeschickt hatte. Nach offiziellen Zählungen strömten daraufhin 70'000 Menschen über die Grenze. 

Hinsichtlich der durch das Eingreifen Russlands in Syrien entstandenen neuen Lage ist dem Bericht von Thierry Meyssan Frankreich und Israel starten einen neuen Krieg im Irak und in Syrienunter anderem folgendes zu entnehmen: 

Mit der einen Hand mobilisiert die französische Regierung ihre gesamten Medien, um das Bewusstsein der Bevölkerung auf die Anschläge vom 13. November zu lenken. Mit der anderen startet sie zusammen mit Israel einen neuen Krieg im Irak und in Syrien. Ihr Ziel besteht jetzt nicht mehr darin, das säkulare syrische Regime zu stürzen, oder Assads Armee zu zerstören, sondern beiderseits der Grenze zwischen dem Irak und Syrien einen von den Kurden zu verwaltenden Kolonialstaat zu schaffen, »um die arabischen Staaten in den Griff zu kriegen. Der Traum einer israelischen Macht vom Nil bis zum Euphrat ist wieder da.«   

Der Krieg, der im Juli 2012 in Syrien einsetzte, und den Meyssan als den zweiten Krieg in Syrien bezeichnet [vom Juli 2012 bis Oktober 2015] war von Frankreich, den liberalen US-Falken, Hillary Clinton, dem bereits genannten Jeffrey Feltman, David Petraeus, usw., und von Israel begonnen worden, und ist durch eine Gruppe von Staaten wie die Türkei, Katar, Saudi Arabien, usw., sowie den multinationalen Unternehmen Exxon-Mobil, KKR, Academi, usw., finanziert worden. Es ging nicht mehr so sehr darum, das Regime zu ändern, als das Land auszubluten und seine Armee zu zerstören, was mehr als 100 000 syrischen Soldaten das Leben gekostet hat. Dieser Krieg, so Meyssan, endete diesen Oktober mit der militärischen Intervention Russlands. 

Der seit dem 20. November geführte Krieg, den Meyssan als den dritten bezeichnet, ist von einigen Mitgliedern der gleichen Gruppe eingefädelt worden; dieses Mal jedoch, um einen neuen Staat im Norden Syriens und des Iraks zu schaffen; das hierzu gehörende Ziel ist, wie bereits vermerkt, die arabischen Staaten, die Israel widerstehen, in die Zange zu nehmen. Die Organisatoren des Syrienkriegs haben erkannt, dass sie jetzt nicht mehr gegen Syrien handeln können werden und haben sich daher darauf geeinigt, das Programm, das bereits zur Schaffung des Südsudans im Jahr 2012 geführt hat, wieder aufzunehmen und weiterzuführen. Dieses Projekt entspricht dem Plan von Alain Juppé vom März 2011 und demjenigen von Robin Wright vom September 2013; vorgesehen war, nach der Unterstützung des IS/Daesh, das zu einem Sunnistan führen sollte, in der Folge im syrischen Norden ein Kurdistan zu schaffen. Es geht auch nicht mehr um einen angeblich ideologischen Krieg, wie etwa der arabische Frühling, noch um den angeblich religiösen Krieg, der 2012 einsetzte, sondern um einen ethnischen Krieg. Fakt ist, dass es gelungen ist, die syrische, kurdisch-marxistisch-leninistische Partei YPG, die jetzt als demokratische Kräfte von Syrien bezeichnet wird, umzudrehen und sie mit dem  Barzani-Clan im Irak zu verbünden. Zwar sind beide Gruppen Kurden, aber sie sprechen nicht die gleiche Sprache; sie töteten sich gegenseitig während des Kalten Krieges und folgen diametral entgegengesetzten Ideologien. Wie Meyssan hier einfügt, ist die jetzige regionale kurdische Regierung im Irak eine Diktatur. Ihr Präsident Massoud Barzani, ein Agent des Mossad, der von Grossbritannien und der USA installiert wurde, klammert sich seit Ende seines Mandats im Juni 2013 an die Macht. 

Diese sogenannten demokratischen Kräfte (sic) sind im Oktober dazu aufgestachelt worden, die nicht-kurdische Bevölkerung im Norden Syriens zu kurdisieren, was die Erhebung der Araber und der assyrischen Christen sowie den Zorn von Damaskus hervorrief, jedoch keine internationale Reaktion verursachte. Eine solche gab es auch nicht von Seiten der Regierung des Iraks, als die kurdische Annexion der Ölfelder von Kirkuk im Sommer 2014 erfolgte, da die internationale  öffentliche Meinung nur Augen für die vom IS praktizierten ethnischen Säuberungen hatte. Zu jenem Zeitpunkt haben die Grossmächte den Eroberungskrieg der regionalen kurdischen Regierung des Iraks nicht nur nicht verurteilt, sondern vorgeschlagen, ihr Waffen direkt zur Verfügung zu stellen, ohne die Zentralregierung von Bagdad einzubeziehen; dies angeblich zur Bekämpfung des IS. Die Konfliktparteien werden natürlich nicht zugeben, einen Krieg zu führen, um einen israelischen kolonialen Staat zu schaffen und widerspenstige arabische Staaten in die Knie zu zwingen, sondern sie werden  - sobald dies nötig sein wird -  erklären, für ein unabhängiges Kurdistan zu kämpfen; dies stellt insofern eine groteske Situation dar, da das betroffene Gebiet nie zum historischen Kurdistan gehörte und die Kurden dort weitgehend in der Minderheit sind und weniger als 30 % der Bevölkerung bilden. 

Am 5. November hatte Paris angekündigt, den Flugzeugträger Charles De Gaulle nach Syrien zu senden. Wie verlautete: zur Bekämpfung des IS, in Wirklichkeit jedoch, um sich für diesen 3. Krieg in Syrien zu positionieren. Der Flugzeugträger verliess Toulon am 18. 11. 

Wie es hiess, vertrieb die regionale irakische Regierung des Kurdistans den IS mit Unterstützung der demokratischen Kräfte von Syrien zwischen dem 13. und 15. November vom Berg Sindschar im Irak. In Wahrheit, so Meyssan, hatten sich die IS-Soldaten zurückgezogen und nur 300 Mann gegen eine Koalition von mehreren zehntausend Soldaten zurückgelassen. Das befreite Gebiet wurde nicht etwa an die irakische Regierung zurückgegeben, sondern von der regionalen kurdischen Regierung des Iraks annektiert.  Obwohl die Türkei so tut, als unterstütze sie die jetzige Operation nicht, so hat sie diese dennoch 2011 im Rahmen des Geheimvertrags Juppé-Davutoglu genehmigt. Würde ein Pseudo-Kurdistan in nicht-kurdischen Gebieten erstellt   - was keinerlei Legitimität im internationalen Völkerrecht  besässe -  wäre es sicher, dass die Türkei die PKK-Kämpfer dorthin treiben würde.   

Wie Meyssan abschliessend darlegt, handelt es sich somit nicht darum, den Norden Syriens vom IS zu befreien, um ihn an Syrien zurückzugeben, sondern darum, dort einen unabhängigen Staat unter kurdischer Verwaltung zu verkünden.  [5]

 

[1]  Robin Wright: Imagining a Remapped Middle East. www.nytimes.com  28. 9. 2013

[2]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59212    29. 9. 15 
Deutschlands ordnungspolitischer Radius

[3]  http://www.jungewelt.de/2012/08-10/029.php  Dem Frieden keine Chance von Rüdiger Göbel

[4]  https://www.jungewelt.de/ausland/libysches-vorbild  12. 10. 14 

[5]  http://www.voltairenet.org/article189387.html   23. 11. 15 
Frankreich und Israel starten einen neuen Krieg in Irak und Syrien - Von Thierry Meyssan