47 Hinrichtungen und kein Aufschrei

d.a. Die Anfang Januar in Saudi-Arabien erfolgte Enthauptung resp. Erschiessung

von 47 Häftlingen hat keinerlei tiefgreifende Erschütterungen ausgelöst. Nicht einmal der Fakt, dass dieses Land seit dem 21. 9. 2015 den Vorsitz des UNO-Menschenrechtsrats innehat und somit über die Einhaltung der Menschenrechte wachen müsste, hat zu Anklagen geführt. Zu dieser Ernennung hatte der britische Premier Cameron in einem Fernsehinterview folgendes erklärt: »Wir sind von den Saudis in Bezug auf wesentliche Geheimdienst- und Sicherheitsinformationen abhängig. Deshalb habe sich Grossbritannien dafür eingesetzt, dass Saudi-Arabien den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat erhielt.« Letztlich sitzen ja auch 15 Staaten, in denen die Christen verfolgt werden, ebenfalls in dieser Organisation ein. Die Urteile des königlichen Gerichts waren, wie es hiess, in Riad und in zwölf weiteren Städten vollstreckt worden, nachdem alle Berufungsmöglichkeiten ausgeschöpft gewesen seien. Im vergangenen Jahr waren in dem Königreich, in dem eine besonders strenge Auslegung des islamischen Rechts der Scharia herrscht, mindestens 153 Exekutionen ausgeführt worden, die höchste Anzahl in zwei Jahrzehnten. 

Als im Osten Saudi-Arabiens und in Bahrain Proteste ausbrachen und die saudische Botschaft in Teheran brannte, sagte der Sprecher des US-Aussenministeriums John Kirby lediglich, die Massenhinrichtungen würden »die Spannungen eher verstärken, wenn sie denn abgebaut werden sollten« und ermahnte die Saudis, sie sollten »die Menschenrechte achten und schützen und in allen Fällen für faire und transparente Gerichtsverfahren sorgen.« Nicht mehr; wobei er sich sicherlich gewiss war, dass diese Worte in den Wind gesprochen waren.  

Amnesty international zufolge stammten fast die Hälfte der in den vergangenen 30 Jahren Hingerichteten aus dem Ausland. Viele von ihnen hätten kein Arabisch gesprochen und deshalb Probleme dabei gehabt, Gerichtsprozesse und Strafen zu verstehen. Fast ein Drittel aller Todgeweihten wurden für Drogendelikte verurteilt. »Saudi-Arabiens fehlerhaftes Rechtssystem ermöglicht gerichtliche Exekutionen auf einer Massenskala«, erklärte der Direktor des Nahost- und Nordafrikaprogramms von ai, Said Boumedouha, im August letzten Jahres. Thierry Meyssan von Réseau Voltaire hat es sehr richtig ausgedrückt, als er sagte, dass Saudi-Arabien in Form seiner absoluten Monarchie die Tyrannei einer Familie und einer Sekte über ein ganzes Volk darstelle. Man kann sich darüber hinaus unschwer vorstellen, dass die Mehrheit der saudischen Bevölkerung bei den generell wöchentlich und öffentlich durchgeführten Enthauptungen in einem Zustand des Schreckens verharren muss.  

Bereits Mitte 2011 war laut ai zwecks Erstickung jeglichen friedlichen Protests ein geheimes Anti-Terror-Gesetz ausgearbeitet worden, wobei einzelne Massnahmen darauf angelegt waren, die Menschenrechte schwerstens einzuschränken. Eine Kopie des Entwurfs war BBC zugeleitet worden  [1]. Zu diesen Schritten gehörten eine lange Haft ohne Prozess, die Beschränkung der Möglichkeit, Zugang zu legalen Mitteln zu ergreifen, sowie die erhöhte Verhängung der Todesstrafe. Wie ein saudischer Beamter erklärt hatte, richtete sich das Gesetz gegen Terroristen, jedoch nicht gegen Dissidenten. Nun ist es in einer Diktatur wie Saudi-Arabien ein Kinderspiel, jedwede Person, die im Wege ist, mit der Bezeichnung Terrorist zu belegen. Wie die Deutsch-türkischen Nachrichten am 2. April 2014 mitteilten, ist dieses Anti-Terror-Gesetz, dem zufolge Atheisten jetzt als Terroristen gelten, effektiv eingeführt worden: »Die neuen Vorschriften sind ein Rückschlag für all jene, die sich dort um die Freiheit bemühen. Mit einer Reihe von königlichen Dekreten und einem vor kurzem in Kraft getretenen neuen Anti-Terror-Gesetz hat sich der saudische König Abdullah gegen alle Formen des politischen Dissens und Protestes, die durch direkte oder indirekte Handlungen die öffentliche Ordnung schädigen könnten, gestellt.«  [3] 

Nicht, dass einer der zitierten Vorgänge dazu geführt hätte, dass sich Verbündete der Saudis von diesen abwenden würden. Wie Katar, so gehört auch Saudi-Arabien zu den Unterstützern radikaler Gruppierungen in Syrien und ist wesentlich an der Destabilisierung des Nahen Ostens beteiligt. Dennoch ist das Land im Juni 2014 als einer der wichtigsten Kooperationspartner Berlins im Syrien-Krieg bezeichnet worden und Bundeskanzlerin Merkel hat Saudi-Arabien im August 2014 einen wichtigen Partner im Kampf gegen den Terrorismus genannt. Bereits zuvor hatte de Maizière im Juli 2011 erklärt, dass das Land für die BRD ein Stabilitätsanker in der Region bedeute; es sei ein wichtiger Partner, dies trotz seines politischen Systems, das er ablehne. Wie letzten Dezember bekannt geworden war, distanzierte sich die Regierung in Berlin von einer Warnung des Bundesnachrichtendiensts vor der destabilisierenden Rolle Saudi-Arabiens in der arabischen Welt und reagierte verstimmt auf die Veröffentlichung einer entsprechenden kritischen Analyse des BND: »Die in diesem Fall öffentlich gemachte Bewertung spiegelt nicht die Haltung der Bundesregierung wider. Die Bundesregierung betrachtet Saudi-Arabien als wichtigen Partner in einer von Krisen geschüttelten Weltregion«, so ein Regierungssprecher am 3. 12. 15. »Der BND spricht sicher nicht für die deutsche Aussenpolitik, schon gar nicht über Dritte«, hiess es auch im Auswärtigen Amt.

Dass Saudi-Arabien am US-Aufbau der Taliban beteiligt war, was Afghanistan  einem irreversiblen Inferno überantwortete hat, spielt keine Rolle. Denn mit Milliarden an Dollars der saudischen Ölfeudalisten wurde in den 80er Jahren der Heilige Krieg entfacht und der Söldnerführer Osama bin-Laden aufgebaut. Es stört auch nicht, dass der saudische Prinz Turki, der einen beachtlichen Einfluss in Riad besitzt, Mitglied im Advisory Council‹ der Münchner Sicherheitskonferenz ist. Hinzu kommt, dass durch die letztes Jahr erfolgte Säuberung in der Führung Saudi-Arabiens diejenige Fraktion im Köngishaus, die mit den radikalen Wahhabiten, dem Umfeld von Salafisten und al-Kaida, verbunden ist, gestärkt wurde. 

Zwar erging nach der Massenexekution zumindest in der BRD die Forderung, einen sofortigen Stopp aller deutscher Rüstungsexporte in das Königreich zu veranlassen, deren Umsetzung erfolgen müsste, wenn, wie Linksparteichef Riexinger sagte, die Menschenrechte für die Bundesregierung mehr als nur eine hohle Phrase seien. Es gilt zu verfolgen, inwieweit Berlin dieser Forderung nachkommt.

Das Haus Saud, eine Schachfigur des Empire 

Um die Bedeutung der barbarischen Hinrichtungen in Saudi-Arabien, die einen Religionskrieg schüren sollen, ganz zu verstehen, so Strategic Alert in seiner Ausgabe vom 13. 1. [2], »muß man einige weniger offensichtliche Fakten berücksichtigen, allen voran, daß die saudische Monarchie schon immer ein Werkzeug des Britischen Empires war. Es waren britische Agenten, die das  Bündnis des Hauses Saud mit der wahhabitischen Geistlichkeit Saudi-Arabiens in Mekka und Medina schmiedeten. Die Britische Ostindiengesellschaft stärkte dieses Bündnis in der Zeit um 1860 - 1880, indem sie eine enge Beziehung zum Haus Saud aufbaute, dieses unter ihren Schutz stellte und mit Waffen und Geheimdienstberichten versorgte. Seitdem ist Saudi-Arabien weitgehend britisch gesteuert. Es wurde auf Land gegründet, das es mit Hilfe der britischen Armee und Beratern wie William Shakespear und Sir Percy Cox von anderen Stämmen erobert hatte; nach der Gründung des Staates steuerte Sir Harry John Philby das Land als persönlicher Berater von König Abdualaziz. 1985 wurde das Verhältnis weiter zementiert, als das Al Jamamahgenannte geheime Tauschgeschäft Waffen gegen Öl begann, durch das die größte schwarze Kasse der Welt für die Förderung von Dschihad-Terrorismus angehäuft wurde. Dies fing mit den arabischen Legionen der afghanischen Mudschaheddin an, aus denen sich bald al-Kaida entwickelte, und führte bis zur heutigen enormen Ausbreitung islamistischer Terrornetzwerke. Häufig überschneiden sich diese mit dem weltweiten Netzwerk des Drogenschmuggels, dessen Geldwäsche über Großbanken der Londoner City und der Steueroasen läuft. EIR hat dokumentiert, daß zu jener Zeit saudische Geistliche auch entscheidend daran beteiligt waren, radikale Islamisten in Europa anzuwerben und auszubilden, während die europäischen Regierungen praktisch nichts gegen diese Geldflüsse taten. London  wurde unter der schützenden Hand der britischen Dienste zur Welthauptstadt islamistischer Terrorgruppen, was ihm den Spitznamen Londonistan einbrachte.

Heute hat sich unter König Salmans Herrschaft die extremste Form des wahhabitischen Fundamentalismus durchgesetzt, ganz im Sinne der Absicht des Empires, permanente Entvölkerungskriege zu schüren. Das Ziel ist nicht, daß eine Seite  - Schiiten oder Sunniten -  gewinnt, sondern daß soviel Chaos wie möglich herrscht. Das ist jedoch eine äußerst gefährliche Taktik, weil das Chaos sehr schnell außer Kontrolle geraten kann und dann nicht mehr handhabbar ist. Das haben die russische und die chinesische Staatsführung sehr gut verstanden. In Saudi-Arabien selbst ist die Lage instabil, was sie nicht weniger gefährlich macht. In einem Artikel im Londoner Economist vom 9. 1. wird dargestellt, daß das Königreich unter der faktischen Herrschaft von König Salmans Sohn, dem Vizekronprinzen Muhammad Bin Salman, in ernsten Schwierigkeiten steckt. Die bösartige Militärintervention in Jemen, ein teurer Morast, ist stark umstritten, während jeder Widerstand im Inland gnadenlos unterdrückt wird. Dazu droht schon kurzfristig ein Bankenkollaps, der das Land in den Grundfesten erschüttern könnte.«

»Am 3. März 1938, vor knapp 75 Jahren«, schrieb Arnold Schölzel in der Jungen Welt, » begann in der Wüste der arabischen Halbinsel eine wunderbare Freundschaft. An jenem Tag stieß die Standard Oil of California, derzeit Chevron, auf die erste kommerziell wichtige Ölquelle in dem 1932 gegründeten wahhabitischen Gottesstaat. Der Segen, auf dem die islamische Monarchie beruht, läßt sich  - theologisch gesehen eine Einmaligkeit -  quantitativ erfassen: Die auf etwa zehntausend Mitglieder geschätzte herrschende Prinzengarde von Riad verfügt über ein Viertel der weltweit bekannten Ölvorräte und über sechs Billionen Kubikmeter Erdgasreserven. Zwischen dem »House of Saud« und dem »House of Bush«, das mit George senior und George W. junior zwei US-Präsidenten stellte, entstanden so herzliche Bande, wie sie zwischen Dschihadisten möglich sind. So sollen innerhalb von 20 Jahren 1,4 Milliarden US-Dollar aus saudischen Kassen in Unternehmen geflossen sein, an denen die Bushs Aktien hatten.« 

 

[1]  http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-14239259   23. 7. 11 

[2]  Strategic Alert Jahrgang 29, Nr. 2 vom 13. Januar 2016

[3]  http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2014/04/500233/neues-gesetz-in-saudi-arabien-atheisten-sind-jetzt-terroristen/  2. 4. 14

[4]  http://www.jungewelt.de/2012/12-04/036.php 
God bless Arabia - Deutsche Waffen für die Saudis - Von Arnold Schölzel