CETA - Ein Nachtrag

d.a. Norbert Häring veröffentlichte am 26. Oktober einen bislang völlig

unerwähnt gebliebenen Fakt, dem zufolge Kanada »auf Investorengerichte verzichten würde, die EU Kommission jedoch nicht.« [1]   

»Es gehört hierzulande nicht zum guten Ton«, schreibt Häring, »zu berichten, was die CETA-blockierenden Wallonen sagen und wollen. Deshalb will ich wiedergeben, was der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette am 24. Oktober im Interview mit der französischen Tageszeitung Libération über die Verhandlungsposition der Kanadier und der EU hinsichtlich des CETA-Abkommens gesagt hat. Die wichtigste und  – wenn sie stimmt –  bisher nicht bekannte Aussage von Magnette gegenüber Jean Quatremer von Libération betraf die in CETA vorgesehenen Spezialgerichte für Investoren: »Les Canadiens sont-ils prêts à revoir ce mécanisme? Le Canada est extrêmement vigilant sur cet aspect, car ils ont été les premières victimes de l’Alena [Accord de libre-échange nord-américain,NAFTA] qui instaurait un tel mécanisme. Il est donc d’accord avec nous. En réalité, c’est un débat purement interne à l’Union.« 

Die Frage ist: Sind die Kanadier bereit, diese Einrichtung nochmals einer Prüfung zu unterziehen? Kanada betrachtet diesen Aspekt mit grösster Aufmerksamkeit, da sie die ersten Opfer des nordatlantischen Freihandelsabkommens NAFTA, das eine derartige Einrichtung einführte, waren. Kanada stimmt daher mit uns überein. In Wirklichkeit ist dies eine rein interne Debatte der EU

Hieraus lässt sich folgern, dass hinter der Forderung, Investorengerichte einzusetzen, nach wie vor die geschlossene Konzernwelt steht.

»Die Kanadier, mit denen Magnette sehr zum Missfallen der EU-Kommission und der hiesigen Medien die Frechheit hatte, direkt zu reden«, so Häring im Weiteren, »hängen überhaupt nicht an den Spezialgerichten für Investoren, die den Wallonen  - und vermutlich einer Mehrheit der europäischen Bürger -  ein Dorn im Auge sind. Es sind die EU-Kommission und ihre Alliierten unter den europäischen Regierungen, die hierauf beharren.«

Bezüglich der Klage der Kanadier, die ersten Opfer von NAFTA gewesen zu sein, vermerkt Werner Rügemer, dessen Ausführungen wir bereits in  CETA - Noch nicht entschieden  festgehalten haben, folgendes: »Die USA hatte ja den neuen Typ von Freihandelsabkommen zunächst mit Hilfe von Kanada entwickelt. Kanada, erklärt Rügemer, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts die privilegierte US-Kolonie. Wenn nicht diese elenden Yankees wären, hätte unser Land eine große Zukunft, klagte bereits Kanadas erster Premierminister John McDonald. Wirtschaftliche Entscheidungen fallen weniger in Ottawa als in Washington, New York oder Detroit bilanzierte schon 1968 Der Spiegel. NAFTA hat das noch weiter vertieft. Aus Anlaß des 20. Jahresjubiläums von NAFTA im Jahr 2014 zogen Gewerkschaften, Wissenschaftler und Bürgerinitiativen der drei NAFTA-Staaten Bilanz. Grob zusammengefaßt lautete das Ergebnis: In keinem der wichtigen westlichen und der G8-Staaten ist die Wirtschaft so weitgehend in der Hand ausländischer Investoren wie in Kanada. Der Handel hat sich zwar verdreifacht, es gingen aber vor allem industrielle Arbeitsplätze verloren. Die Ausdehnung des Handels hat auch damit zu tun, daß viele Vor- und Halbprodukte hin- und hergeschickt werden, bevor sie in einem der drei Staaten zur Endmontage kommen. Die wichtigste Industrie Kanadas besteht aus Zuliefer- und Montagebetrieben für US-amerikanische und japanische Autokonzerne. In allen NAFTA-Staaten wurde dagegen der Rohstoffexport ausgedehnt, bei Kanada sind es Öl und Gas, Mineralien und Holz. Kanada hat deshalb ein ständiges Handelsdefizit und muß Maschinen und Elektronik importieren. Die privaten Schiedsgerichte haben dazu geführt, daß Kanada zum meistverklagten Staat wurde und vor allem an US-Ölkonzerne, die sich gegen Umweltauflagen beim Fracking wehrten, schon erheblichen Schadenersatz zahlen mußte; mehrere Verfahren mit Milliardenforderungen sind noch anhängig.

Auch für die abhängig Beschäftigten brachte NAFTA Nachteile. Die konservative Zentralregierung unter Ministerpräsident Stephen Harper und einzelne Provinzregierungen haben im Interesse der Investoren während des letzten Jahrzehnts so viele Anti-Streik-Gesetze und Anti-Lohnerhöhungs-Gesetze durchgesetzt wie in keinem anderen Staat. Kanada hat den ausgedehntesten Niedriglohnsektor im Westen und behandelt migrantische Arbeiter am rechtlosesten. Die 7 der 10 größten Unternehmen sind Banken und Finanzinvestoren, die Kapital nach Europa und Asien und in alle wichtigen Finanzoasen exportieren. Ein großer Teil des Unternehmenseigentums am Standort Kanada ist in Briefkastenfirmen Luxemburgs, der Niederlande und der Cayman Islands versteckt. Außerdem ist Kanada nicht nur weiter in das NAFTA-Abkommen eingebunden, sondern ist mit der USA auch Vertragspartner des transpazifischen Abkommens TPP. Alle diese Interessen, Praktiken und vertraglichen Bindungen würden neben und mit Hilfe von CETA auf die EU einwirken.

Die USA mit Kanada und die EU sind die am intensivsten durch Privatkapital verflochtenen Regionen der Erde, wobei Investoren aus der USA und Kanada etwa 50 % mehr in der EU investiert haben als andersherum. Das begann nach dem 1. Weltkrieg. Aber ganz massiv hat die USA nach dem 2. Weltkrieg in Westeuropa und vor allem in den NATO-Staaten investiert, übrigens auch in der Schweiz. Seit den 1980er Jahren betreiben alle großen deutschen Banken, Pharma- und Autokonzerne Niederlassungen in der USA, inzwischen auch jeder gutgehende deutsche Mittelständler. Seit Beginn der 2000er Jahre und verstärkt nach der Finanzkrise kaufen sich Private Equity-Investoren wie Blackstone, KKR, Permira, CVC in mittelständische Weltmarktführer in der EU ein. Große Finanzinvestoren wie Blackrock, Vanguard, Fidelity, Templeton, J.P Morgan und Goldman Sachs kaufen sich in die großen Aktiengesellschaften ein und haben beispielsweise in den meisten der 30 deutschen DAX-Konzerne die Mehrheit. Die jahrzehntelang bestehende Deutschland AG  - also die enge Eigentums- und Kredit-Verflechtung zwischen deutschen Großbanken und Versicherungen und den Konzernen wie Siemens, Daimler und Mannesmann -  besteht nicht mehr. So ähnlich sieht es in den anderen EU-Mitgliedsstaaten aus.«  [2] 

»Daß die Kanadier unter den Industrieländern das Hauptziel von Investorenklagen waren«, schreibt Häring, »ßt sich in den jährlichen Berichten der Unctad nachlesen. Hauptkläger waren US-Konzerne. Als die Europäer Ende letzten Jahres mit dem Ansinnen kamen, von den privaten Schiedsstellen auf ein gerichtsähnlich organisiertes Investorengerichtssystem (ICS) überzugehen, weil Sigmar Gabriel sich das im Rahmen der TTIP-Verhandlungen zur Beruhigung der Öffentlichkeit so ausgedacht hatte, machte der kanadische Unterhändler durchaus Reserven geltend. Kanada habe keine Lust so etwas verbindlich und dauerhaft zu vereinbaren, wenn unklar – und unwahrscheinlich – ist, ob die USA dem Gleichen später auch zustimmt. Man wolle nicht gegenüber US-Unternehmen in Nachteil kommen. Vermutlich übt die US-Regierung nicht unbeträchtlichen Druck auf die EU-Kommission und die Wallonie aus, die spezielle Investorengerichtsbarkeit im Vertrag mit Kanada auf jeden Fall umzusetzen.«

»Magnette«, so Häring ferner, »ließ auch wissen, daß er der EU-Kommission schon vor gut einem Jahr von den sehr ernsten Bedenken der Wallonie und einem entsprechenden Beschluß des dortigen Parlaments berichtet habe. Leider habe diese erst vor wenigen Tagen die Zeit gefunden, mit der Wallonie hierüber zu reden. Anfang Mai schrieb ich in meinem Artikel Europa tappt in die TTIP-Falle‹  [3] darüber, daß die Wallonie und die Region Brüssel die nötige Zustimmung zu CETA verweigern und daß die Kommission aus solchen Gründen CETA als Abkommen in alleiniger EU-Zuständigkeit erklären will. Offenbar hatte man bei der Änderung des Plans entweder die Wallonie schon wieder vergessen, oder man hatte sich darauf verlassen, daß sie am Ende schon umfiele, wenn alles an ihr hängt. Aber auf jeden Fall ist die derzeit hauptsächlich in den Medien kursierende Darstellung, da habe sich eine kleine Region im letzten Moment quergestellt, um seine Vetomacht auszunutzen und Vorteile herauszuschlagen, Geschichtsklitterung und eine üble Unterstellung.« Aus dem Interview, erklärt Häring, geht auch hervor, »daß es dem wallonischen Parlament eben nicht vor allem um ein paar Euro mehr für die wallonische Landwirtschaft geht, sondern um die Verteidigung des Rechts des Staates, die Umwelt zu schützen und regulierend in die Wirtschaft einzugreifen.«  

Stellungnahmen  
Der in der EU immerhin ungewohnte Widerstand, der sich endlich einmal Bahn brach, erbrachte neben grosser Begeisterung der Gegner des Abkommens eine ganze Reihe von Kommentaren, von denen die einen zugunsten der EU ausfielen, während andere die Wallonen mit gänzlich ungerechtfertigten Vorwürfen bedachten. 

So erklärte Manfred Weber, der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament: »Entscheidungen zur Handelspolitik durch 38 Parlamente inklusive einigen Regionalparlamenten haben nichts mit mehr Demokratie oder Transparenz zu tun.« »Ja«, meint hierzu der Herausgeber des Politblogs Rationalgalerie, Ulrich Gellermann, sarkastisch, »wo kommen wir denn da hin, wenn jedes dahergelaufene Parlament in Europa mitreden wollte! Das kann man nur noch Demokratur nennen.« Auf die Aussage des Spiegels: »CETA-Veto der Wallonie: Ein Schritt zur Zerstörung der EU«, hat Gellermann wie folgt geantwortet: »Bald wird es sie nicht mehr geben, die Europäische Union. Nicht, weil sie den Flüchtlingen, die sie durch ihre Handelspolitik gegenüber Entwicklungsländern selbst erzeugt hat, unbarmherzig die Tür weist. Nicht, weil  sie vom Irak bis Syrien jeden Dreckskrieg der USA im NATO-Gewand mitgemacht hat. Nein, weil sie in der schrecklichen Gestalt der Wallonie die arme Chrystia Freeland und mit ihr das ganze Kanada schwer beleidigt hat.« Im Spiegelhiess es ferner: »Die Wallonen sind derzeit die Helden der Globalisierungsgegner. Doch der Widerstand der belgischen Regionalregierung gegen CETA ist nicht heldenhaft; er ist egoistisch, anmaßend und schädlich für die Demokratie.«  »Was braucht einer Sachverstand oder Argumente«, stellt Gellermann hierzu die Frage, »wenn er nur von der guten Sache der Wirtschafts-Oligarchen überzeugt ist?!«  [4]  Auch Daniel Caspary (CDU), handelspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, sieht durch die Anti-CETA-Bewegung die Demokratie in Gefahr: »Die öffentliche Stimmung ist durch die Anti-CETA-Kampagne massiv vergiftet. Das gefährdet nicht nur CETA oder andere Abkommen, sondern die Demokratie selbst.«

In der Wochenzeitung Der Freitag las man: »Rund um die Nichtzustimmung der belgischen Region Wallonie zum sogenannten Freihandelsabkommen Kanadas mit der EU wurde einmal mehr ein fragwürdiges Demokratieverständnis von bestimmten Politikern und Medienvertretern offenbar. Hand in Hand entfachten die ein Wallonen-Bashing, das sich gewaschen hatte. Wie konnte es sich auch die demokratisch gewählte Regierung einer Region mit 3,5 Millionen Einwohnern erlauben, wider den Stachel, also gegen den Rest der EU-Bevölkerung  - die Rede ist von 500 Millionen Menschen -  zu löcken? Schon setzte man der Wallonie ein Votum. Versuchte man den Ministerpräsidenten gar so zu einem Ja zu erpressen? Wir wissen mindestens seit dem Fall Griechenland, daß derlei längst zu den schmutzigen Gepflogenheiten der EU und bestimmten Institutionen gehören kann. ….. Der deutsche Bundestagsabgeordnete Marco Bülow (SPD) sagte dieses Jahr auf einer Anti-CETA-Kundgebung in Dortmund, er stimme im Bundestag gegen dieses völlig intransparente, die Demokratie und den Rechtsstaat letztlich beeinträchtigende Abkommen. Und er täte dies auch, wenn CETA etwas Gutes wäre, weil es geheim, sprich: undemokratisch verhandelt wurde. Das Wallonen-Bashing bestimmter Politiker und Journalisten ist bedenklich. Denn es zeigt auf erschreckende Art und Weise, wie tief der neoliberale Sumpf hierzulande mittlerweile ist. Mehr oder weniger tuten alle ins Pro-CETA-Horn. Und wenn auch manches Mal nur quasi im Subtext. Als wenn morgen die Welt unterginge, wenn CETA nicht kommt. Begreifen die nicht, daß sie eines Tages solchen Abkommen wie CETA, TTIP oder TISA selbst zum Opfer fallen könnten? Ist eine von Demokraten gefällte Entscheidung nur dann gut, wenn sie pro EU- oder einem bestimmten Regierungsvorhaben ausfällt? Schon werden innerhalb der EU Forderungen laut, bestimmte Länder  - vielleicht so kleine Regionen wie die Wallonie -  künftig gar von bestimmten Abstimmungen auszunehmen. Merken Politiker, die derlei fordern, gar nicht, wie sie die Verdrossenheit der EU-Bürger dadurch immer mehr fördern? Und das in einer EU, die  - sinngemäß mit Nietzsche gesprochen -  bereits seit längerer Zeit am Abgrund steht und dieser längst in die EU zurückblickt? Unverständlich. Die neoliberale Idiotie hat bereits weit um sich gegriffen. Wann wacht man auf?

Wir brauchen dringend einen Neuanfang der EU. Ein demokratisches Europa der Menschen. Zunächst sollten wir den Wallonen dankbar sein, in ihrer CETA-Ablehnung festgeblieben zu sein. Eine Schande, dass ein starker Staat wie Deutschland, der doch sonst immer so vieles in der EU (er-)zwingt, nicht den Mut des kleinen Walloniens aufgebracht hat.«  [5]   

Peter Nowak vermerkt am 26. Oktober in seinem Artikel Die Hegemoniekrise der EU als ideeller Gesamtkapitalistganz klar: »Wie in der bürgerlichen Presse üblich, ist das kapitalistische Interesse gemeint, wenn hier von der Europäischen Union gesprochen wird. Aber die dahinter stehende Sorge ist echt. Mit der CETA-Krise stellt sich für sie die Frage, ob die EU für die bessere Durchsetzung der kapitalistischen Interessen in der weltweiten Konkurrenz tauglich ist. Genau das aber ist der Zweck der EU. Bisher war deshalb auch ein Großteil der Kapitalkreise in den europäischen Ländern überwiegend proeuropäisch. Das könnte sich ändern, wenn die EU für sie nicht effektiv ist. So könnte die CETA-Krise zum Sargnagel für die EU werden. Das ist auch der Grund, warum die Verantwortlichen der EU so erbittert für CETA kämpfen, weil es sich nämlich bei der CETA-Krise nicht um eine Angelegenheit zwischen einer störrischen belgischen Provinz und dem Rest Europas handelt. Es handelt sich vielmehr um einen Konflikt zwischen denen, die alles der Wirtschaft unterordnen wollen und denen, die diesem Gesellschaftsmodell kritisch gegenüber stehen. Bereits nach dem Wahlsieg von Syriza in Griechenland stand dieser Konflikt auf der Agenda und er wird auch nach der CETA-Krise weitergehen.«  [6]     

Wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. 10. zu entnehmen ist, »muß die EU nun darüber debattieren, ob sie Freihandelsverträge weiter von der Zustimmung von Regionalparlamenten wie dem Walloniens abhängig machen will oder sich auf das Javon Ministerrat und Europaparlament beschränkt. Es geht darum, die Entscheidung auf die Ebene zurückzuholen, auf die sie gehört. Handelspolitik ist EU-Kompetenz, das kann in einem Binnenmarkt gar nicht anders sein.« »Das bedeutet nicht, Bedenken der Menschen in Wallonien oder Biberach nicht ernst zu nehmen. Genau das haben die EU-Kommission und die Bundesregierung in der Handelspolitik viel zu lange versäumt und damit den Gegnern von CETA und dem ungleich wichtigeren TTIP-Abkommen mit der USA in die Hände gespielt. Es wird eine Herkulesaufgabe sein, das Mißtrauen vieler Menschen gegenüber der EU und ihrer Handelspolitik zu überwinden. Es ist ein Irrglaube, daß das nur gelingen kann, wenn jedes Land, jede Region, jede Gemeinde mitentscheiden kann.« Letzterer Satz widerspricht genau der Vorstellung, dieses Mißtrauen überwinden zu können; denn entweder ermöglicht man es den Mitgliedsländern resp. ihren Parlamenten endlich, über Anträge eine entscheidende Einflussnahme auszuüben, oder man verweigert die Demokratie weiterhin, indem man die Position Junckers verteidigt, der die Kommission hier als alleinberechtigt betrachtet und CETA von Anfang an als reines EU-Abkommen einstufte.  [7]

Was die von der FAZ angesprochene, angeblich allein in die Kompetenz der EU fallende Handelspolitik betrifft, so hat sich in diesem Sinn jetzt auch der stellvertretende Präsident des EP, Graf Lambsdorff, geäussert und »nach den gescheiterten CETA-Verhandlungen wieder klare Zuständigkeiten in der europäischen Handelspolitik gefordert. Politiker dürften Parteiinteressen nicht über die Interessen Europas stellen.« Er irrt; es geht hier nicht um Parteiinteressen, sondern einzig und allein um die Interessen der Bürger und ihrer Länder. »In der Vergangenheit«, erklärt er uns gar, »war die Handelspolitik so etwas wie das Juwel der europäischen Politik. Weil wir wirklich mit einer Stimme sprachen und unser ganzes Gewicht als Europa global zur Geltung bringen konnten. Und das Ganze wurde dann im Ministerrat von den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament demokratisch abgestimmt. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Wenn man dieses Juwel in 42 einzelne Teile zerschlägt, in nationale, regionale Parlamente, die alle ein Veto-Recht haben, dann wird es nicht weitergehen. Ich glaube, wir brauchen ganz klar eine Rückkehr zum Erfolgsmodell der Handelspolitik. Das heißt, eine klare Zuordnung zu der Ebene, die dafür zuständig ist, und das ist die europäische.« Eine selten geschönte Darstellung der zahllosen Nachteile, die uns dieses angebliche Juwel längst beschert hat, einmal ganz abgesehen von dem Fakt, dass das in Brüssel grassierende Lobbytum der Konzerne wohl kaum dazu berechtigt, von demokratisch erfolgten Abstimmungen zu sprechen …..  [8] 

In einem mit dem Soziologen Peter Mertens, dem Vorsitzenden von Belgiens Arbeiterpartei PTB, diesen Oktober geführten Gespräch erklärte dieser:
»Einige politische Kommentatoren zeichnen gern ein Bild von Wallonien als große Ausnahme in Europa. Aber noch einmal: Halten Sie ein europäisches Referendum ab, lassen Sie die Leute entscheiden. Im September demonstrierten in Deutschland 320.000 Menschen gegen TTIP und CETA, in Brüssel waren es am 20. September 10.000. Die Mehrheit der Franzosen ist der Meinung, daß die TTIP-Verhandlungen gestoppt werden sollten. Der irische Senat empfahl der Regierung ebenfalls, gegen CETA zu stimmen. …. Für eine EU-weite Petition dazu wurden mehr als 3 Millionen Unterschriften gesammelt, ein Rekord!«  [9]

Gleich, was
Graf Lambsdorff vorzutragen beliebt, es dürfte nach wie vor beabsichtigt sein, die Kapitalinteressen der westlichen Welt mit Hilfe von TTIP, CETA und TISA noch stärker untereinander zu vernetzen, was nicht unbedingt zugunsten der Arbeitnehmer verläuft. So geht es im Zuge der Abkommen auch um den Zugang zu bisher öffentlichen Dienstleistungen wie z.B. Bildung und Renten, beides rein staatliche Einrichtungen. Und damit dem Konzerneinfluss auch weiterhin Rechnung getragen werden kann, muss auch die Entsouveränisierung der Staaten ein feststehendes Ziel bleiben, was allein schon aus der Häme erkenntlich ist, mit der jegliches der eigenen Nation gewidmetes Gedankengut verfolgt wird.

So schrieben denn auch die Deutschen Wirtschafts Nachrichten schon Mitte November des Jahres 2014: »Während um das Thema Schiedsgerichte gestritten wird, ist eine andere Folge der Freihandelsabkommen TTIP und CETA viel gravierenden und im Grunde unumkehrbar: Die Zentralisierung der Bürokratie in Europa und die Aushebelung der nationalen Parlamente. Die 512 Seiten des Vertragsentwurfs haben eine beispiellose bürokratische Zentralisierung nach Brüssel eingeläutet. In der Folge kann diese Entwicklung dazu führen, daß die nationalen Parlamente keinen Einfluß mehr auf wichtige Entscheidungen ausüben können. Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags 2009 wurde der EU die alleinige Kompetenz für den Beschluß von Freihandelsabkommen übertragen, insbesondere mit Bezug auf Dienstleistungen, geistiges Eigentum und  Auslandsdirektinvestitionen. CETA ist der erste wirkliche Ausdruck einer neuen Wirtschaftsordnung. Obwohl die Kommission angeblich versteht, daß ein für alle gleicher Universalstaatsvertrag weder machbar noch wünschenswert sei, ist CETA genau das: Eine simplifizierte Einheitslösung, die auf nationaler Ebene verhandelte Abkommen mit einem Schlag komplett überflüssig macht.«  [10]  

Zu den Vereinbarungen 
die Walloniens Regionalregierungschef erzielt hat, gehört, dass Belgien durch den Europäischen Gerichtshof überprüfen lassen wird, ob die geplanten Schiedsgerichte, die fürs erste nicht eingesetzt werden können, legal sind, zumal diese nicht durch EU-Recht gedeckt sind. Einer Meldung der Tagesschau vom 26. 10. zufolge gibt es diesbezüglich nach Aussage von Belgiens Aussenminister Didier Reynders bereits einen von allen Seiten akzeptierten Text, der besagt, dass diese vorläufig nicht zur Anwendung kommen. Sollten die Sonderklagerechte für Konzerne in der jetzigen Form weiterhin Teil des CETA-Abkommens bleiben, werden die belgische Regionen erneut ihr Veto einlegen. Das Wichtigste dürfte sein, dass die Wallonen für die Regionen Belgiens eine Ausstiegsklausel erreicht haben. Wie es heisst, konnten auch ihre Befürchtungen hinsichtlich bestimmter Nachteile für ihre Landwirte entkräftet werden.

Das Abkommen ist nun am heutigen Sonntag, 30. 10. 16, von der EU und Kanada unterschrieben worden und soll so schnell wie möglich in Kraft treten. Lediglich diejenigen Teile, bei denen nationale Parlamente ein Mitspracherecht haben, können erst nach deren Zustimmung angewendet werden. Betrachtet man die am Rande des EU-Kanada-Gipfels in Brüssel demonstrierenden rund 250 CETA-Gegner, von denen  - weil die EU doch so demokratisch ist -  vorläufig 16 festgenommen wurden, und die abschreckenden Sicherheitsabsperrungen, so stellt sich die Frage, wie ein Donald Tusk, ein Justin Trudeau und ein Claude Juncker so siegessicher in die Kamera blicken können, zumal die zahlreichen noch nicht verhandelten Klagen zweifelsohne weitere langdauernde Auseinandersetzungen bringen werden.

Nicht überlesen
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach von einem guten Tag für die Europäische Union und für Kanada und sagte, CETA werde Standard für alle künftigen Abkommen sein. Wie es heisst, soll es durch den Wegfall von Zöllen und anderen Handelshemmnissen auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wachstum geben, was es genau zu verfolgen gilt

Wie die EU betont, werden die europäischen Standards in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit und Arbeitnehmerrechte uneingeschränkt gewahrt. Das Abkommen stellt aus ihrer Sicht auch sicher, dass die wirtschaftlichen Vorteile nicht auf Kosten der Demokratie gehen, was zu kontrollieren sein wird.  

Siehe auch  CETA - TTIP - Eine geharnischte Rede

[1]  http://norberthaering.de/de/27-german/news/699-magnette#weiterlesen 
26. 10. 16 Kanada würde auf Investorengerichte verzichten, aber die EU-Kommission nicht  -  Von Norbert Häring  
[2]  http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2016/09/85358/ 
20. 9. 16  CETA ist genauso gefährlich wie TTIP – Von Werner Rügemer
Dr. Werner Rügemer ist Publizist und Mitbegründer von Gemeingut in BürgerInnenhand und Aktion gegen Arbeitsunrecht. Letzte Buchveröffentlichung: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet: Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur (Neue Kleine Bibliothek)

[3]  http://norberthaering.de/de/27-german/news/611-ttip-falle#weiterlesen 
9. 5. 16
Europa tappt in die TTIP-Falle  - Von Norbert Häring
[4]  http://www.rationalgalerie.de/home/wallonen-vergewaltigen-kanada.html
27. 10. 16   Autor: U. Gellermann  -  Wallonen vergewaltigen Kanada

[5] 
https://www.freitag.de/autoren/asansoerpress35/fragwuerdiges-demokratieverstaendnis  25. 10. 16   Fragwürdiges Demokratieverständnis
[6]  http://www.heise.de/tp/artikel/49/49814/1.html   26. 10. 16 
Die Hegemoniekrise der EU als ideeller Gesamtkapitalist – Das Gezeter um CETA sorgt in der internationalen Presse für Spott - Von Peter Nowak  
[7]  http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/scheitern-von-ceta-koennte-nur-aufgeschoben-sein-14500546.html   27. 10. 16  Hendrik Kafsack 
[8]  http://www.swr.de/landesschau-aktuell/lambsdorff-kritik-wegen-ceta-gabriel-hat-europa-massiv-geschadet/-/id=396/did=18374842/nid=396/1ho2k4j/index.html  25. 10. 16
[9]  https://www.jungewelt.de/2016/10-22/005.php
   22. 10. 16
Interviewer: Bert De Belder 
Original auf
http://www.legrandsoir.info/organisez-un-referendum-europeen-et-vous-verrez-que-les-wallons-ne-sont-pas-seuls.html  21. 10. 16 
Peter Mertens - »Organisez un référendum européen et vous verrez que les Wallons ne sont pas seuls« 
[10]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/10/06/ttip-und-ceta-degradieren-den-bundestag-zu-einer-folklore-veranstaltung/   14.
11. 2014