Falsche Debatte: Trotz Bondo: Klimawandel führt nicht zu mehr Felsstürzen - Im Gegenteil - Von Andreas Maurer

Die Katastrophe von Bondo hat eine Debatte über die Folgen

des Klimawandels ausgelöst. Bundespräsidentin Doris Leuthard sagte, der Felssturz sei Folge des Klimawandels. Ueli Gruner, Geologe und Lehrbeauftragter für Naturgefahren der Universität Bern, kontert. Eine Häufung in den letzten 150 Jahren könne nicht beobachtet werden. 

Wenige Stunden nach dem Bergsturz bei Bondo GR lieferte Bundespräsidentin Leuthard (CVP) eine Erklärung für die Katastrophe. Schuld sei der Klimawandel. Sie sprach eine Warnung in die Fernsehkameras: »Auch wenn einige das immer noch nicht glauben. Es wird mit solchen Zwischenfällen weitergehen.« Und: »Wir werden uns auf diese Extremereignisse einstellen müssen.«

Leuthards Aussage wird von Geologen bestritten. Der Klimawandel erhöht die Gefahr nur in Bergregionen, die höher als 2500 Meter über Meer liegen. Dort sorgt die Erwärmung dafür, dass das normalerweise dauerhaft gefrorene Gestein, der Permafrost, auftaut. Untersuchungen des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) zeigen, dass sich als direkte Folge davon kleinere Felsstürze lösen können. Davon sind Bergsteiger und Kletterer betroffen, aber keine Dörfer, da es in Permafrostgebieten keine Siedlungen gibt.

Von Bergstürzen wie der am 3369 m hohen Piz Cengalo oberhalb von Bondo am 23. August spricht man, wenn Gesteinsmassen von mehr als einer Million Kubikmetern abbrechen. Bei derartigen Grossereignissen kann auftauender Permafrost gemäss SLF-Studien einer von mehreren Faktoren sein, aber nicht die direkte Ursache. Ueli Gruner, Geologe und Lehrbeauftragter für Naturgefahren der Universität Bern, hat Daten des SLF ausgewertet. Im gesamten Alpenraum  - also nicht nur in der Schweiz -  ereigne sich demnach im Durchschnitt alle fünf Jahre ein Bergsturz. Eine Häufung infolge der seit 150 Jahren anhaltenden Erwärmung könne man nicht feststellen, sagt er.

Entscheidend ist der Regen 
Auch wenn man noch weiter zurückblickt, lässt sich der Zusammenhang nicht erhärten. Im Gegenteil. Die letzte Warmzeit war vor 6000 bis 8000 Jahren. Ueli Gruner: »In diesem Zeitraum sind, anders als in den dazwischen liegenden kälteren Jahrtausenden, keine Bergstürze datiert worden.« Die Hälfte der historisch dokumentierten Bergstürze hat eine Ursache, die nichts mit dem Klimawandel zu tun hat. Sie sind auf intensive tagelange Regenfälle zurückzuführen. Zum Beispiel der Bergsturz von Goldau SZ im Jahr 1806. Der Klimawandel führt tendenziell zu mehr intensiven Gewittern, aber nicht zu tagelangem Regen. Wissenschaftlich erwiesen ist also: Der Klimawandel führt in ganz hohen Lagen, weit ab von Dörfern, zu mehr Felsstürzen. Ein Zusammenhang mit Bergstürzen lässt sich statistisch nicht nachweisen.

Warme Winter machen den Berg stabil 
Wenn Leuthard nun aber sagt, dass wir uns auf mehr Zwischenfälle einzustellen hätten, müsste das heissen, dass im Siedlungsgebiet mit mehr Felsstürzen zu rechnen sei. Das Gegenteil ist richtig. Die meisten Felsstürze ereignen sich im Frühling, besonders nach überdurchschnittlich kalten Wintern. Bei Kälte zieht sich das Gestein zusammen und es entstehen Risse. Sie sind umso tiefer, je kälter es ist. Wenn dann im Frühling der Schnee schmilzt und starke Wechsel von Frost und Tau stattfinden, wird der Fels instabil. Werden die Winter nun durch den Klimawandel aber wärmer, wird der Fels stabiler. Gruner sagt: »In den Siedlungsräumen wird es dank des Klimawandels tendenziell eher weniger Felsstürze geben.«

Die Bergkantone geben immer mehr Geld für die Überwachung von Felsen aus, die ins Tal stürzen könnten. Der Ausbau ist nötig, weil die Infrastruktur in gefährdete Gebiete vordringt. Es gibt mehr Strassen und Bahnen in von Felsstürzen bedrohten Gegenden. Die Gesteinsbewegungen werden deshalb mit Sensoren, Lasern und Radargeräten kontrolliert. Der Kanton Wallis investiert in den Jahren 2017 und 2018 gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt 1,5 Millionen Franken für zusätzliche Überwachungsmassnahmen. Heute stehen knapp 50 Orte im Wallis unter Beobachtung. Nun sollen zehn bis zwanzig neue dazukommen.

Der Walliser Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz sagt, dass 5 bis 10 % der heute überwachten Gebiete wegen des Klimawandels gefährdet seien. Die Ursache ist meistens ein schmelzender Gletscher. Das bekannteste Beispiel ist die Moosfluh oberhalb der Riederalp. Weil sich der Aletschgletscher zurückzieht, wurde der Fels instabil. Vor einem Jahr mussten deshalb Wanderwege gesperrt werden. Inzwischen haben sich die Felsbewegungen stark verlangsamt. Nächstes Jahr könnte ein Teil der Wege wieder geöffnet werden, sagt Mayoraz.

Und nun zu den 90 bis 95 % der Fälle, die nicht mit dem Klimawandel zusammenhängen. Raphaël Mayoraz: »Es handelt sich um normale Erosion der Alpen.« Also um ganz gewöhnliche Verwitterung.  [1]

 

Die dreiste Frau Leuthard - Die Sache mit dem Klimawandel ist einiges erfreulicher, als es die Apokalyptiker darstellen  -  Von Andreas Kunz

Bergsturz in Bondo, Hurrikan in Texas, Monsun in Südasien: Erneut dominieren schreckliche Bilder von Naturkatastrophen die Nachrichten. Einmal mehr ist der Schuldige mit dem Klimawandel schnell ausgemacht. Tatsächlich ist die Sache einiges komplizierter. Und vor allem: Weit erfreulicher als es die Apokalyptiker darstellen.

Wie die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft der ETH 2016 festhielt, hat sich in der Schweiz die Zahl der Naturereignisse, die zu Todesfällen führten, in den letzten 70 Jahren mehr als halbiert und liegt aktuell bei rund 5 pro Jahr. »Stark rückläufig« sind auch die durch Hochwasser, Erdrutsche, Steinschläge, Blitz, Sturm und Lawinen verursachten Opferzahlen. Zwar kamen seit 1946 bei insgesamt 635 Ereignissen 1023 Menschen ums Leben, doch dank besserer Vorhersagen, Schutzbauten und Gefahrenkarten hat sich diese Zahl laufend verringert. Zugenommen hat einzig die Menge der verunglückten Freizeitsportler, die abseits der Skipisten oder gesicherten Wanderwege unterwegs waren. Ursache für diese tragischen Unglücksfälle ist aber weniger der Klimawandel als menschlicher Leichtsinn.

Diese Daten haben Bundesrätin Doris Leuthard nicht daran gehindert, nach dem Bergsturz von Bondo immer mehr solcher Ereignisse zu beklagen und eindringlich vor dem Klimawandel zu warnen. Für Leuthard, die ihre Energiepolitik propagieren will, war Bondo die perfekte Bühne. Zum eigenen Vorteil noch am Unglücksort falsche Tatsachen zu verbreiten  - während acht Tote unter dem Schutt liegen und ein ganzes Dorf um seine Existenz bangt -  zeugt allerdings von einer Dreistigkeit, die auch von künftigen Bundesräten schwer zu überbieten sein wird. Zumal der Geologe des Kantons Graubünden, Andreas Huwiler, einen Zusammenhang mit dem Klimawandel ebenfalls ausdrücklich bezweifelte. Die Prozesse, die zu einem Bergsturz führten, dauerten Tausende von Jahren, sagte Huwiler. Und der Eindruck, solche Ereignisse würden sich häufen, hänge schlicht mit unserer Wahrnehmung zusammen.

Tatsächlich ist auch in den USA die Zahl der Hurrikane, die auf amerikanischen Boden treffen, in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen.  Weltweit sind die durch Stürme, Erdrutsche oder andere Naturkatastrophen verursachten Opferzahlen per Anteil der Weltbevölkerung erheblich gesunken. Und auch die damit verbundenen Kosten sind  - trotz anderslautender Behauptungen -  nicht gestiegen. Zwar hat sich die Summe seit 1990 fast verdoppelt, aber genauso stark ist die Weltwirtschaft gewachsen, so dass der Anteil am weltweiten BIP mit 0,3 % stabil geblieben ist, wie die New York Times diese Woche schrieb.

Was in den letzten Jahren stärker zugenommen hat als die Temperatur der Erdatmosphäre, ist die Propaganda der Behörden. Verantwortlich für diese positiven Nachrichten ist ausgerechnet das Wirtschaftswachstum, das als Hauptursache für den Klimawandel gilt. Dank immer neuer finanzieller Mittel konnten Sicherheitsstandards entwickelt, wissenschaftliche Forschung und Naturschutz unterstützt sowie Abwasserwerke oder Schutzbauten installiert werden. Umso paradoxer ist es, dass sich der reichste Teil der Welt am meisten vor der Natur fürchtet, wo er doch am besten vor ihr geschützt ist.

Es geht hier nicht darum, den Klimawandel anzuzweifeln oder dessen reale Folgen zu verharmlosen. Was in den letzten Jahren allerdings merklich stärker zugenommen hat als die Temperatur der Erdatmosphäre, ist die Propaganda der Behörden und der ihr angehängten Öko-Industrie. Die Verbreitung selektiver oder gar falscher Fakten füllt zwar ihre Kassen – sorgt aber für unnötige Angst und untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten Klimaforschung.   [2]

 

Quellen: 

[1]  Schweiz am Wochenende vom 2. 9. 2017 

https://www.schweizamwochenende.ch/schweiz/trotz-bondo-klimawandel-fuehrt-nicht-zu-mehr-felsstuerzen-im-gegenteil-131671464?utm_source=Schweiz+am+Wochenende+Newsletter&utm_campaign=9c88bb3a71-EMAIL_CAMPAIGN_2017_09_03&utm_medium=email&utm_term=0_3f1df4fb10-9c88bb3a71-392837245 

[2]  https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/die-dreiste-frau-leuthard/story/30852422 

Die Sache mit dem Klimawandel ist einiges erfreulicher, als es die Apokalyptiker darstellen  -   Von Andreas Kunz 
Redaktionsleiter  @sonntagszeitung 02.09.2017