In den USA findet gerade ein Militärputsch in Zeitlupe statt - Von Stephen Kinzer

Nach Meinung des US-Autors werden die USA eigentlich

von einer Militärjunta regiert. Und in einer Demokratie sollte es niemand hinnehmen, wenn das gewählte Staatsoberhaupt schrittweise von Generälen entmachtet wird. Bisher hat man geglaubt, in den USA könnte das niemals geschehen. Aber genau das vollzieht sich gerade. Zu den prägendsten politischen Gruppierungen des 20. Jahrhunderts gehören Militärjunten. Sie bestehen meistens aus drei grimmig blickenden Offizieren, die putschen, um die Kontrolle über einen Staat zu übernehmen. Junten dulden auch zivile Einrichtungen, aber nur solange sie sich ihnen unterwerfen, denn am Ende setzten sie immer ihren eigenen Willen durch. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden wichtige Länder wie Chile, Argentinien, die Türkei und Griechenland von Junten regiert. 

In unseren Tagen herrschen vielerorts wieder Junten, neuerdings auch in Washington. Drei Generäle haben sich die Macht angeeignet, um die Außen- und   Sicherheitspolitik der USA zu bestimmen: General James Mattis, der US-Verteidigungsminister; General John Kelly, der Stabschef des Präsidenten; und   General H. R. McMaster, Trumps Nationaler Sicherheitsberater. Sie legen weder ihre Ordensspangen an, um Militärparaden abzunehmen, und sie schicken auch keine Todesschwadronen aus, um Gegner umbringen zu lassen, was Junten normalerweise tun. Aber mit ihrer Art der Machtergreifung haben sie klammheimlich eine ganz neue Stufe der Erosion der politischen Normen der USA und der Militarisierung der US-Außenpolitik erklommen. Und jetzt fallen die Schleier.

In Anbetracht der Unerfahrenheit des Präsidenten in politischen Angelegenheiten halten manche eine Militärjunta in Washington für eine Verbesserung. Immerhin sind die drei Generäle gestandene Männer, die weltweit Erfahrungen gesammelt haben. Ganz anders als Trump und die seltsamen politischen Ratgeber, mit denen er ins Weiße Haus eingezogen ist. Sie haben auch schon stabilisierend gewirkt. Mattis hat sich geweigert, Nordkorea zu bombardieren, Kelly hat unter dem Personal das Weißen Hauses aufgeräumt und McMaster hat sich scharf von Trumps Lob für die gewalttätigen weißen Nationalisten von Charlottesville distanziert. 

Die Herrschaft der Generäle scheint besser als die Trumps zu sein, sie ist es aber nicht. Militärs sind wie wir alle von ihrer Vergangenheit und ihrem bisherigen Umfeld geprägt. Die drei Junta-Offiziere, die Trump kontrollieren, haben insgesamt 119 Jahre Militärdienst geleistet. Sie sehen die Welt natürlich aus der militärischen Perspektive und neigen deshalb auch zu militärischen  Problemlösungen. Weil sie andere Prioritäten setzen, haben militärische Bedürfnisse immer Vorrang vor eigentlich wichtigeren zivilen Erfordernissen. Trump hat bereits erklärt, daß er außenpolitische Entscheidungen seinen Generälen überlassen wolle. James Mattis, der starke Mann der Junta, war vorher Kommandeur des CENTCOM, des United States Central Command[1], und damit für die US-Kriege im Mittleren Osten und in Zentralasien zuständig. Auch Kelly ist Irak-Veteran und McMaster war, seit er im Golfkrieg 1991 eine Panzerkompanie geführt hat, fast ohne Unterbrechung Truppenkommandeur im Irak und in Afghanistan.

Nun haben Militärkommandeure zwar gelernt, wie Kriege geführt werden; sie können aber nicht darüber entscheiden, ob Kämpfe aus strategischen Gründen sinnvoll sind. Sie können Trump sagen, wie viele Truppen notwendig sind, um die in Afghanistan erreichten Positionen zu halten, sie können aber nicht darüber befinden, was der längerfristigen Durchsetzung der US-Interessen in Afghanistan am besten dient. Das ist eigentlich der Job von Diplomaten. Anders als Soldaten, die gelernt haben, wie man Menschen umbringt und Sachen zerstört, werden Diplomaten dafür ausgebildet, Konflikte auf dem Verhandlungsweg zu lösen und US-Interessen mit kühlem Kopf politisch durchzusetzen. Mattis ist zwar vor der Bombardierung Nordkoreas zurückgeschreckt, aber alle drei Mitglieder der Junta bevorzugen genau diese Art von Konfrontation, die zu den Kriegen in Afghanistan, im Irak und anderswo geführt hat, und die Spannungen in Europa und Ostasien wachsen läßt.   

Die Junta in den USA unterscheidet sich deutlich von klassischen Junten wie dem National Council for Peace and Order, der über Thailand herrscht; sie verfolgt in erster Linie außenpolitische und kaum innenpolitischen Ziele. Zweitens hat sie die Macht nicht mit einem Putsch an sich gerissen, sie hat sich die Macht von einem gewählten Präsidenten übertragen lassen. Am wichtigsten ist aber, daß ihr Hauptziel nicht die Errichtung einer neuen Ordnung, sondern die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung ist. 

Als Präsident Trump letzten Monat entscheiden mußte, ob der US-Krieg in Afghanistan fortgesetzt werden soll, vollzog er eine Kehrtwende. Vor vier Jahren hatte er noch getwittert: »Laßt uns aus Afghanistan abziehen«.  [2]  Hätte er das wahrgemacht und die US-Truppen nach Hause geholt, wäre die politische und militärische Elite in Washington fassungslos gewesen; deshalb trat die Junta in Aktion. Sie überzeugte Trump vom Gegenteil. Statt eines schnellen Rückzugs aus Afghanistan kündigte er eine Truppenverstärkung an, damit mehr Terroristen getötet werden können. Es ist keine große Überraschung, daß Trump in den Mainstream der US-Außenpolitik eingeschwenkt ist; das hat auch schon Präsident Obama zu Beginn seiner Präsidentschaft getan. Bedrohlich ist nur, daß Trump den Generälen einen Großteil seiner Macht übertragen hat. 

Am schlimmsten ist, daß viele US-Bürger das auch noch beruhigend finden. Sie sind von der Korruptheit und Kurzsichtigkeit unserer politischen Klasse so angewidert, daß sie Soldaten als Alternative ansehen. Und das ist eine gefährliche Versuchung.

Der Autor lehrt am Watson Institut für International and Public Affairs der Brown University.   


[1]  Siehe 
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1427  
7. 2. 2010  Auf dem Weg in eine unipolare Welt? - Von Wolfgang Effenberger

resp. http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1557    
27. 6. 10  Bush-Krieger Petraeus soll es richten 
   

[2]  https://twitter.com/realDonaldTrump/status/28980779017895936

http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP16217_061017.pdf

Friedenspolitische  Mitteilungen  aus  der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein - LP 16217 vom 6. 10.17

Original auf http://www.informationclearinghouse.info/47836.htm  
vom 18. 9. 17 merica’s Slow-motion Military Coup - By Stephen Kinzer