Brisantes Positionspapier der EU-Kommission - Die Schweiz müsste ihre Selbstbestimmung preisgeben 30.10.2017 00:02
Die sich in die Länge ziehenden Auseinandersetzungen zwischen Bern und Brüssel
bezüglich des der Schweiz von der EU zugemuteten »Rahmenvertrags« erhalten im Blick auf die laufenden Brexit-Verhandlungen neue Brisanz. Die britische BBC verfolgt das Brexit-Seilziehen zwischen London und Brüssel mit Argusaugen. Als der EU-Chefunterhändler, der Franzose Michel Barnier, am Montag, 16. Oktober 2017, vor dem belgischen Parlament über den Stand der Auseinandersetzung referierte, war BBC London mit einem Korrespondenten vor Ort. Diesem fiel ein vom EU-Chefunterhändler benutztes Papier auf, in welchem die EU-Kommission ihre >Option Schweiz< festgelegt hat. Diesem Papier mit der ›Option
Schweiz‹ widmete die BBC-Berichterstattung
grosse Beachtung, weil es in den Brexit-Verhandlungen offenbar eine nicht
unwichtige Rolle spielt. In der Schweiz scheint bis heute allerdings lediglich
die ›Basler Zeitung‹ auf
diese für unser Land brisante BBC-Berichterstattung aufmerksam geworden zu sein.
In besagtem Papier hält die EU fest, welches Ziel sie gegenüber der Schweiz mit
dem Rahmenvertrag anvisiert. Für die EU geht es vorrangig darum, dass die
Schweiz im Rahmenvertrag den EU-Gerichtshof als höchste, von der Schweiz nicht
mehr anfechtbare Gerichtsinstanz für alle Fragen, die Brüssel als ›binnenmarktrelevant‹
einstuft, anerkennt.
Die Vorgeschichte Blenden wir zurück: Die Verhandlungen über einen
Rahmenvertrag zwischen der Schweiz und der EU wurden durch einen Brief des
damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso an die damalige Schweizer
Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf ausgelöst. Dieser Brief trägt das
Datum vom 21. Dezember 2012. Darin verlangt die EU die ›institutionelle Anbindung‹ der Schweiz an die Gesetzgebung, wie sie der
Brüsseler Apparat für die EU festlegt, weiterentwickelt und überwacht. Der
Bundesrat erklärte sich damals rasch bereit, auf die Forderung Brüssels
einzugehen. Bereits am 13. Mai 2013 einigten sich die leitenden Diplomaten auf
einen Vorvertrag (›Non
Paper‹), der von den Chefunterhändlern beider
Vertragsparteien auf Weisung ihrer Regierungen unterzeichnet worden ist. In
diesem wurde der Bundesrat namens der Schweiz im Blick auf die von Brüssel
aufgestellten Forderungen zu drei Zugeständnissen verpflichtet, die auf
Vorschlag der Schweiz in einem Rahmenvertrag verbindlich verankert werden
sollen:
Erstens muss die Schweiz sämtliche von der EU als ›binnenmarktrelevant‹ bezeichneten EU-Beschlüsse, EU-Verordnungen
und EU-Gesetze fortan automatisch übernehmen, dies ohne Mitspracherecht und ohne
eigene Beschlussfassung. Ergeben sich aus der Auslegung von Vereinbarungen
Meinungsverschiedenheiten, dann muss sich die Schweiz zweitens dem dazu
ergangenen, nicht anfechtbaren, also letztinstanzlichen Urteil des
EU-Gerichtshofs vorbehaltslos unterziehen. Genau auf diese Festlegung nahm
EU-Chefunterhändler Michel Barnier Bezug, als er vor dem belgischen Parlament
bemerkte, der Rahmenvertrag mit der Schweiz sichere
der EU die Gerichtshoheit auch in der Schweiz zu allen die EU betreffenden
Fragen. Drittens hatte der Bundesrat der EU namens der Schweiz ausdrücklich ein
Recht auf Sanktionen, also auf Strafmassnahmen, die neuerdings beschönigend als
›Ausgleichsmassnahmen‹ tituliert werden, zuzugestehen; dies für den Fall,
dass Bern ein Urteil des EU-Gerichtshofs einmal nicht übernehmen könne, weil
beispielsweise eine Volksabstimmung etwas anderes als das von Brüssel
Vorgegebene beschliessen würde. Anlässlich der Absage des Schweizer Souveräns
an die Masseneinwanderung nach EU-Vorgabe hätte die EU dieses Sanktionsrecht
also in Anspruch nehmen können.
Diese drei Zugeständnisse hat der Bundesrat im
erwähnten Vorvertrag vom 13. Mai 2013 bereits akzeptiert.
Beschönigungsversuche
Die in den Zugeständnissen zum Ausdruck kommende Unterwerfungsbereitschaft
versucht Bundesbern freilich laufend abzuschwächen und zu beschönigen. Eine gewisse
Verwirrung entstand daraus, dass sich nicht wenige Befürworter einer stärkeren
Einbindung der Schweiz in die EU-Strukturen laufend auf diese bundesrätlichen
Abschwächungen und Ausreden berufen. Genau zu diesem Sachverhalt schafft das
von der EU-Kommission formulierte Papier ›Option
Schweiz‹ jetzt Klarheit: Was immer der
EU-Gerichtshof beschliesst, gilt als Urteil; und diese sind für die davon
Betroffenen verbindlich. Wenn jemand das, was vom EU-Gerichtshof als Beschluss
ausgeht, anders bezeichnen wolle, so stehe ihm das durchaus frei. Das ändere
aber nichts an der Verbindlichkeit der Urteile des EU-Gerichtshofs: Diese seien
endgültig und für jede Partei verbindlich und unanfechtbar. Wenn solche Urteile
in irgendwelchen nationalen oder internationalen Gremien diskutiert würden, so
ändere sich am Gehalt und an der Verbindlichkeit ergangener Urteile dennoch nie
etwas.
Wörtlich kommentiert die ›Basler Zeitung‹ den
von BBC London verfolgten Barnier-Auftritt
in Belgien wie folgt: »Es sei mit der Schweiz
ein Rahmenabkommen in Verhandlung, ›das zu
einer Rechtsprechung des EU-Gerichtshofes in Bezug auf EU-Recht führen würde‹. Aus Sicht der EU legen also EU-Richter aus, was
zwischen der Schweiz und der EU gilt. Das entspricht dem Mandat, das die EU vor
vier Jahren für die Verhandlungen verabschiedet hat. Es ist aber etwas anderes
als das, was der scheidende Bundesrat Didier Burkhalter und sein Direktor für
europäische Angelegenheiten, Botschafter Henri Gétaz, zum Rahmenabkommen sagen.
Diese behaupten jeweils, dass das EU-Gericht gar nicht endgültig entscheide.
Nach einem Urteil könne sich die Schweiz immer noch anders entscheiden und dies
beim gemischten Ausschuss der EU und der Schweiz vorbringen. Allenfalls könne
die EU dann Massnahmen gegen die Schweiz beschliessen, die allerdings von einem
Schiedsgericht mit Schweizer Beteiligung beurteilt würden.«
Von Schiedsgericht, von nachheriger Debatte, von
Empfehlungen des gemischten Ausschusses steht im EU-Papier ›Option Schweiz‹ gleich
wie im ›Non Paper‹ vom 13. Mai 2013 und im Verhandlungsmandat der
EU-Kommission kein Wort. Entsprechende
Ausführungen aus dem Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern
entpuppen sich als einseitige, vom Departement Burkhalter erfundene Beschönigungen zur Beschwichtigung möglichen
politischen Widerstands gegen den Rahmenvertrag.
Der von Michel Barnier in Belgien vorgetragene
EU-Standpunkt unter dem Titel ›Option
Schweiz‹ hat ganz andere Folgen. Dazu
wiederum die ›Basler
Zeitung‹ wörtlich: »Das würde bedeuten, dass die Schweiz in Zukunft
EU-Recht übernehmen müsste, das sie bisher im Rahmen von sektoriellen Abkommen
nicht übernommen hat. Beispielsweise die Unionsbürgerrichtlinie.« Die EU erhielte mit dem Rahmenvertrag eine
Überwachungsfunktion gegenüber der
Schweiz. Damit wird bestätigt: Das angestrebte Rahmenabkommen zwischen Bern und
Brüssel ist weder ein Koordinations- noch ein Konsolidierungsabkommen, mit
welchen Bezeichnungen es neuerdings von Bundesbern versehen wird. Das
Rahmenabkommen bringt auch keine Erneuerung des bilateralen Wegs. Es zerstört diesen bilateralen Weg. Denn die Schweiz wäre
mit diesem Vertrag nicht länger eine bilaterale, mit Brüssel auf gleicher
Augenhöhe über gemeinsam interessierende Fragen verhandelnde Partnerin. Sie
würde zur Befehlsempfängerin degradiert;
Brüssel hätte das alleinige Sagen. Das Rahmenabkommen ist in Wahrheit ein
Unterwerfungsvertrag. Es unterstellt die Schweiz Brüssels gerichtlicher
Oberhoheit. Mit dem Rahmenvertrag wird die Schweiz zu nichts anderem als zur
Zwangsheirat mit der EU verurteilt.
Was unternimmt Bundesrat Cassis? Vor seiner Wahl in den Bundesrat hat sich der neu
für die Schweizer Aussenpolitik zuständige Bundesrat Ignazio Cassis von einem
Rahmenvertrag, welcher der Schweiz erheblichen Souveränitätsverlust und fremde
Richter zumuten würde, deutlich distanziert. Er war dabei über den Stand des
mit Brüssel bereits Ausgehandelten wohl nicht genau im Bild. Die Brüssel
gegenüber bereits eingegangenen Bindungen Bundesberns wird er wohl erst als
gewählter Bundesrat – nach der Orientierung durch die Unterhändler –
vollumfänglich erkannt haben. Dennoch: Bundesrat Iganzio Cassis hat vor seiner
Wahl öffentlich versprochen, die ›Reset-Taste‹ zum Thema Rahmenvertrag zu drücken, wenn der
Schweiz mit diesem Vertrag Inakzeptables drohe, wie das jetzt ganz
offensichtlich der Fall ist.
Wird Bundesrat Cassis jetzt einknicken? Oder wird
er die ›Reset-Taste‹ tatsächlich betätigen? Dann müsste er demnächst
nach Brüssel reisen und dort erklären, dass das, was mit dem Rahmenvertrag
angestrebt werde, für die Schweiz nicht zumutbar sei. Die Fortführung von
Verhandlungen sei damit sinnlos. Die Schweiz bleibe gleichberechtigte,
bilateral mit der EU verhandelnde, gute und zuverlässige Partnerin der EU.
Einem Untertanenverhältnis à la Rahmenvertrag verschliesse sie sich indessen
klar.
Solcher Klartext würde Brüssel zwar kaum
begeistern. Doch Brüssel würde die Position der Schweiz respektieren. Zu
wichtig für die Wirtschaft in den EU-Ländern ist die Schweiz als Kundin der EU.
Gegenseitige wirtschaftliche Interessen würden stärker ins Gewicht fallen als
das Imponiergehabe einzelner EU-Granden.
Komitee ›Nein zum schleichenden EU-Beitritt‹
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