CETA tritt in Kraft - ein Affront gegen die Demokratie - Von Jacques Sapir 05.11.2017 22:52
Der Freihandelsvertrag zwischen der Europäischen Union
und Kanada namens CETA, Comprehensive Economic and
Trade Agreement, ist am 21. September 2017 in Kraft getreten. Er legt beredtes
Zeugnis davon ab, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten ihre Souveränität aus der
Hand nehmen lassen haben. Es wird ihnen neues Recht aufgezwungen, das über
ihrer eigenen Gesetzgebung steht und keinerlei demokratischer Kontrolle
unterliegt.
Schutz für private Grossinvestoren CETA ist ein sogenannter ›Freihandelsvertrag‹. Aber in Wirklichkeit stellt er die nicht tarifären Massnahmen, die
verschiedene EU-Staaten ergreifen können, um ihre Bevölkerung unter anderem vor
ungesunden Nahrungsmitteln zu schützen, in Frage. Es ist zu befürchten, dass diese
Sicherheitsvorgaben mit CETA mehr und
mehr unter Druck geraten werden. Dieses Abkommen schreibt auch
Investitionsschutzregelungen fest, die grosse Risiken mit sich bringen. Es
beinhaltet nämlich eine Klausel zur Einführung eines Schiedsgerichts zum Schutz
von privaten Grossinvestoren [meist multilaterale Unternehmungen, die in einem
fremden Staat investieren; Red.]. Dieses ermöglicht es letzteren, gegen den
Entscheid eines einzelnen Staates (oder der EU) juristisch vorzugehen, wenn
dieser die ›berechtigten
Erwartungen auf Rentabilität der Investition‹
gefährdet. Es handelt sich somit um
einen Mechanismus, der als ›ISDS-Klausel‹ [›Investor-State
Dispute Settlement‹, Investor-Staat-Schiedsgerichte]
bezeichnet wird und in erster Linie dem Schutz künftiger Gewinne von Investoren
dient. Dieser Mechanismus ist eine Einbahnstrasse: Ein Staat kann in diesem
System nicht gegen ein privates Unternehmen vorgehen, sondern nur umgekehrt. Es
ist also festzuhalten, dass es CETA Investoren erlauben wird, politische
Entscheide anzufechten, falls sie der
Meinung sind, diese würden gegen ihre Interessen verstossen. Dieses Verfahren, das
sich für die Staaten als sehr teuer erweisen kann, wird schon im Falle der
blossen Androhung eines Prozesses eine abschreckende Wirkung haben. Erinnern
wir uns in diesem Zusammenhang daran, dass Quebec 2011 davon absah, einen
Bestandteil eines Herbizides auf Grund des Verdachts auf dessen krebsfördernde
Wirkung zu verbieten, weil Dow Chemical, welche das Herbizid vertrieb, sich
entschlossen zeigte, diese Sache vor Gericht zu bringen.
Ausserdem besteht das Problem eines
Ungleichgewichts; man kann zwar behaupten,
dieser Vertrag öffne den europäischen Unternehmungen den Zugang zum öffentlichen
Beschaffungswesen in Kanada, Tatsache ist jedoch, dass der EU-Markt für
kanadische Firmen über die WTO bereits geöffnet ist. Es genügt, die
unterschiedlichen Einwohnerzahlen in Betracht zu ziehen, um zu wissen, wer der
Gewinner ist (Kanada 37 Mio., EU 512 Mio.). Darüber hinaus stehen wir vor der
grundsätzlichen Bedeutung des Freihandels, oder - genauer gesagt - vor der in diesem Abkommen enthaltenen
Interpretation des Freihandels. Dieser bevorzugt nämlich die Interessen der
multinationalen Unternehmen, die keineswegs mit den Interessen der Konsumenten
und der Arbeitnehmer übereinstimmen.
CETA beinhaltet ein echtes demokratiepolitisches
Problem Die Gefahren, welche CETA mit sich bringt, betreffen
also die öffentliche Gesundheit, aber auch ganz offensichtlich die Souveränität. Es bedroht auch die Demokratie. Als im EU-Parlament
nach langem Hin und Her darüber abgestimmt wurde, haben von den französischen
Abgeordneten 4 politische Gruppen dagegen gestimmt: Front de Gauche, EELV [Die
Grünen], die Sozialistische Partei und der Front National. Eine vielleicht gar
nicht so sonderbare Allianz, wenn man die Probleme erkennt, welche dieser
Vertrag mit sich bringt. Eigentlich ist es bemerkenswert, dass CETA nicht nur von
den Delegationen aus drei der sechs Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
(EWG) abgelehnt wurde, sondern auch von der zweit- und drittgrössten
Wirtschaftsmacht der Euro-Länder. Dennoch wurde dieser Vertrag am 15. Februar 2017
vom EU-Parlament ratifiziert. Er muss jedoch noch von 38 nationalen und
regionalen Parlamenten innerhalb der EU ratifiziert werden. Trotzdem wird er
bereits als teilweise anwendbar betrachtet. Am 21. September 2017 wurde CETA
provisorisch in Kraft gesetzt. Dies gilt für die Bereiche, in denen einzig die
EU zuständig ist. Die Bereiche, in denen auch die Zustimmung der
Mitgliedsstaaten notwendig ist, werden vorläufig ausgesetzt, so zum Beispiel
die Frage der Schiedsgerichte oder des geistigen Eigentums. Rund 90 % der
Bestimmungen des Vertrags können jedoch bereits umgesetzt werden, was ein
echtes demokratiepolitisches Problem darstellt. Dazu kommt: Wenn ein Staat die Ratifizierung von CETA
jetzt noch ablehnen würde, müsste dieser trotzdem noch drei Jahre lang
umgesetzt werden. Hier wird deutlich, dass alles getan worden ist, um diesen
Vertrag ohne Berücksichtigung des Willens
der Völker ausarbeiten und anwenden zu können.
Das Abkommen entspricht in keiner Weise dem, was
üblicherweise als ›Freihandelsvertrag‹ bezeichnet wird. Es handelt
sich hier im wesentlichen um einen Vertrag, der den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten
die von den multinationalen Unternehmungen festgelegten Normen aufzwingt. Wenn
jemand die zutiefst antidemokratische Natur der EU aufzeigen wollen hätte, hätte
er genauso vorgehen müssen. Angesichts dieser Tatsachen stehen die Verfechter
dieses Vertrags vor einem beträchtlichen Problem, was Demokratie und
Rechtmässigkeit betrifft. In Frankreich ist bekannt, dass nur einer der
Präsidentschaftskandidaten, nämlich Emmanuel Macron, sich offen für CETA
ausgesprochen hat. Jean-Marie Cavada, einer seiner wichtigsten Unterstützer, hat
im EU-Parlament ebenfalls für die Annahme dieses Abkommens gestimmt. Es wird
also deutlich, dass während der Präsidentschaftswahlen, und dies nicht zum ersten
Mal in Frankreichs Geschichte, erneut der oft zitierte ›parti de l’étranger‹ in Erscheinung getreten ist, was Jacques
Chirac am 6. Dezember 1978 in seinem nach dem Pariser Spital, in dem er damals
weilte, benannten Appel de Cochin‹ angeprangert
hatte.
Sich der Gefahren von CETA bewusst werden
Nicolas Hulot hatte, bevor er unter Emmanuel Macron zum Umweltminister in der
Regierung von Edouard Philippe ernannt wurde, in aller Deutlichkeit gegen CETA
Stellung genommen. Angesichts dieser Situation bedeutet sein Verbleib in der
Regierung eine Verleugnung seiner Überzeugungen. Der ›Minister für ökologischen und
solidarischen Übergang‹ (sic)
hat zwar am 22. September in einer Radiosendung auf Europe 1 seine Enttäuschung
über das Inkrafttreten des Abkommens zum Ausdruck gebracht. Er hat auch
eingestanden, dass die von Premierminister Edouard Philippe im Juli nominierte
Evaluationskommission im CETA mehrere potentielle Risiken festgestellt habe, fügte
aber hinzu: »Der Prozess war bereits so
weit gediehen, dass es schwierig gewesen wäre, sein Inkrafttreten zu stoppen, ohne
einen diplomatischen Konflikt mit Kanada auszulösen, was wir ja nicht wollten.« Besser lässt sich der Unumkehrbarkeits-Mechanismus,
der bewusst in dieses Abkommen eingebaut wurde, nicht illustrieren. Erinnern
wir uns auch daran, dass der frühere TV-Moderator und Umweltschützer, bevor er
zum Minister für den ökologischen Übergang ernannt wurde, mehrmals geäussert
hatte, dass CETA nicht ›klimakompatibel‹ sei. Somit kann man gut
ermessen, wie gross die Kröte war, die er in dieser Angelegenheit schlucken
musste ……
Seit seiner Wahl hat sich Emmanuel Macron auch als
Verteidiger der Ökologie und unseres Planeten präsentiert, indem er Donald Trumps
Slogan übernommen und zu ›Make
the Planet Great Again‹
umgedeutet hat. Er hat diese Äusserung wiederholt, sei es bei den Vereinten
Nationen oder anlässlich seiner Reise auf die Antillen nach dem Orkan ›Irma‹. Man muss jedoch dazu
festhalten, dass sein Engagement für CETA und seine Bereitschaft, sich den Regeln
der Europäischen Union zu unterziehen - die
wegen der Frage der hormonaktiven Substanzen [oder ›endokrinen
Disruptoren‹] stark
verzögert wurde - deutlich zeigt, dass
er die Ökologie nur als Vorwand für eine wirkungsvolle Kommunikation der
übelsten Sorte benutzt. Entscheidend ist, sich der Tragweite der Umsetzung
von CETA bewusst zu sein – sowie dessen Gefahren für die nationale Souveränität,
die Demokratie und die Sicherheit des Landes.
Jacques Sapir ist ein französischer
Wirtschaftswissenschafter und Autor einer Vielzahl von Büchern und Artikeln. Er
hat an der Universität Paris-X Nanterre gelehrt, ist seit 1996 Studiendirektor
an der Ecole des hautes études en sciences sociales und leitet seither im
Rahmen dieser Hochschule die Abteilung CEMI [Centre d’études des modes
d’industrialisation]. Er ist Experte in russischer Wirtschaft und strategischen
Fragen. Seit 2016 ist er Mitglied der russischen Akademie für Wissenschaften.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2017/nr-26-24-oktober-2017/ceta-tritt-in-kraft-ein-affront-gegen-die-demokratie.html
CETA tritt in Kraft – ein Affront gegen die Demokratie Zeit-Fragen Nr. 26 vom 24. 10. 17
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