Wer profitiert eigentlich vom Konflikt in Katalonien?

Da schon jetzt feststeht, legt Ernst Wolff dar, daß keiner

der Kontrahenten als Sieger aus diesem Konflikt hervorgehen wird, stellt sich die Frage: Wem nützt er? Die Antwort ist schwer zu glauben: Der größte Nutznießer der gegenwärtigen Entwicklung ist niemand anderes als der Schuldige an der Misere – die Finanzindustrie. 

Die separatistische katalanische Bewegung konnte nur deshalb so stark werden, weil die sozialen Gegensätze in Spanien in den vergangenen Jahren explodiert sind. Das wiederum ist vor allem auf die hemmungslosen Aktivitäten des immer mächtiger gewordenen und vor Kriminalität strotzenden spanischen Bankensektors zurückzuführen. Kein anderes Land in Europa hat eine derartige Plünderungsorgie durch die Finanzelite erlebt wie Spanien. Ab 2001 ließen Spekulanten nach der Liberalisierung des Bodenrechtes innerhalb von nur 7 Jahren 4 Millionen Wohnungen hochziehen. Die Folge: 2008 platzte die bis dahin größte Immobilienblase in Europa und stürzte Spanien in seine schwerste Krise der Nachkriegszeit.

Kurz darauf geriet das Land dann auch noch in den Strudel der Eurokrise und wurde unter die Zwangsverwaltung der Troika aus EZB, EU und IWF gestellt. Zusammen mit der Zentralregierung in Madrid erlegte die Troika der arbeitenden Bevölkerung ein Sparprogramm auf, das den Lebensstandard breiter Einkommensschichten drastisch senkte. Das Ergebnis war eine gewaltige Volksbewegung gegen die Austerität, die vom Staat mit aller Härte unterdrückt wurde.

Die Banken wurden mit Samthandschuhen angefasst  
Anders wurde mit den Banken umgegangen: 2011 wurden 6 praktisch bankrotte regionale Sparkassen von der Regierung verstaatlicht und zur Gruppe Bankia zusammengeschlossen. Zu ihrem Chef wurde mit Rodrigo Rato  [ehemaliger Chef des IWF und von 1996 bis 2004 spanischer Superminister für Wirtschaft und Finanzen] genau der Mann ernannt, der die Immobilienblase als zuständiger Minister juristisch ermöglicht hatte. Die Rettung der Bankia-Gruppe kostete die spanischen Steuerzahler 22,4 Milliarden Euro. Da der anschließende Börsengang enttäuschend verlief, muß ein großer Teil des Geldes als verloren gelten. Rato erlebte den Verlust nicht mehr als Bankia-Chef mit: Er trat nach einem Jahr von seinem Posten zurück, kassierte eine Millionenabfindung und wurde 2017 wegen Untreue zu einer Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Eine weitere Fusion  - die der Bankia mit der Banco Mare Nostrum -  wird die spanischen Steuerzahler mit zusätzlichen 1,1 Milliarden Euro belasten. Erst vor kurzem hatte die Großbank Santander 51 % ihres Immobilien-Portfolios zu einem Drittel des Buchwertes an die  US-amerikanische Investmentgesellschaft Blackstone verkauft und den amerikanischen Finanzgiganten damit zum größten privaten Immobilienbesitzer Spaniens gemacht, dies zu einer Zeit, da Zehntausende durch die Krise verarmte Spanier mit Zwangsräumungen zu kämpfen haben. Im Juni dieses Jahres übernahm Santander die Banco Popolar Espanol für den symbolischen Preis von 1 €, nachdem es zum ersten Mal in Spanien zur Anwendung des seit 2016 in der EU gesetzlich vorgeschriebenen Bail-in gekommen war: Das heisst, die Aktionäre der Banco Popolar wurden um 1,3 Milliarden € und die Halter bestimmter [nachrangiger] Anleihen um 2 Milliarden Euro erleichtert.

Händeringend gesucht 
Eine Ablenkung von den wahren Schuldigen. Diese
Bail-in-Regelung ist in doppelter Hinsicht ein politischer Sprengsatz: Zum einen bringt sie zahlreiche Kleinaktionäre um ihr Geld und sorgt damit für zusätzlichen Unmut innerhalb der arbeitenden Bevölkerung, zum anderen wird sie ein juristisches Nachspiel haben, da einige Hedgefonds bereits angekündigt haben, gegen den Verlust ihrer Gelder zu klagen. Ein solcher Prozeß ist für die Banken natürlich sehr gefährlich, da er ein Schlaglicht auf ihre kriminellen Aktivitäten werfen und der Öffentlichkeit vor Augen führen würde, daß kein anderes Land der Eurozone in den vergangenen zehn Jahren eine derartige Konzentration im Finanzsektor erlebt hat wie Spanien: Von den 55 Banken, die während des Baubooms Kredite vergaben, sind nur noch 13 als selbständige Einheiten erhalten. 60 % aller Spareinlagen entfallen auf die drei größten Bankengruppen des Landes; die fünf größten Banken, die 1998 noch über einen Marktanteil von 34 % verfügten, haben diesen inzwischen auf 62 % ausgeweitet: Alles mit voller Unterstützung der EU und der Zentralregierung in Madrid.

Was kann der Finanzelite in dieser Situation Besseres passieren, als daß eine regionale politische Gruppierung sie aus der Schußlinie nimmt, indem sie die Wut und die Aufmerksamkeit der gesamten spanischen Bevölkerung  [und der europäischen Öffentlichkeit]  auf einen langsam eskalierenden und möglicherweise auf einen Bürgerkrieg hinauslaufenden Konflikt zwischen Separatisten und Nationalisten lenkt?   [1]

Schon im Januar 2015 schrieb Leo Wieland in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel Spaniens Elite trifft sich im Gefängnis: Etliche spanische Politiker sitzen wegen dubioser Geschäfte in Haft. Die Toleranzschwelle vor allem für Personen mit öffentlichen Ämtern, die ihre Stellung für eigene Zwecke mißbrauchten, ist in der Gesellschaft merklich gesunken. Bis vor kurzem war es aber auch nicht nötig, weil korrupte Politiker, Lobbyisten, Baulöwen, Notare und ihre Komplizen nur selten in Haft kamen. Die spanische Krise hat dies nun geändert. In einer Umfrage des Zentrums für Soziologische Studien nannten die Befragten als ihre Hauptsorgen: Die Arbeitslosigkeit, die Korruption, die allgemeine Wirtschaftslage – und die Politiker. Die Krise hat seit ihrem Beginn im Jahr 2008 maßgeblich dazu beigetragen, daß Korruptionsfälle, die früher eher als Kavaliersdelikte eingestuft worden wären, an die Oberfläche kamen und zum Gegenstand öffentlicher Empörung wurden. Kaum eine Partei blieb hier ungeschoren, und allmählich füllten sich die Gefängnisse mit einer neuen Art von Insassen. Weil die Gerichtsverfahren im Durchschnitt bis zu fünf Jahre in Anspruch nehmen, sitzen manche sehr lange in Untersuchungshaft.

Da ist Francisco Correa, die Schlüsselfigur in der Affäre Gürtel um Millionenkommissionen für Aufträge der konservativen Volkspartei. Da ist Luis Bárcenas, der ehemalige Schatzmeister der gegenwärtigen Regierungspartei und mutmaßliche Hüter schwarzer Kassen. Da ist der ehemalige Ministerpräsident der Balearen Jaume Matas, der als einer der wenigen Beschuldigten schon wegen Korruption verurteilt wurde. Da ist die frühere Nummer 2 des Partido Popular in Madrid, Francisco Granados, dem dunkle Geschäfte vorgeworfen werfen. Und schließlich mußte vor Jahresschluß sogar die bekannteste Volkssängerin Spaniens, Isabel Pantoja, die mit einem ehemaligen Bürgermeister von Marbella allerlei Gelder gewaschen haben soll, ihre Haftstrafe antreten…..  [2]

Ein Rückblick auf 2012
Dort hiess es im August: Der Steuerbetrug nimmt drastisch zu. Spaniens Regierung hat zwar erneut vollmundige Sparkürzungen angekündigt, jedoch dürfte ein nicht unbedeutender Teil der erhofften Mehreinnahmen des Staates im Sumpf der Korruption versiegen. Ähnlich wie Griechenland oder Italien kämpft der Staat gegen eine skrupellose Korruption in der Privatwirtschaft, die die prognostizierten Steuereinnahmen zu unterlaufen droht. Schon heute hat der Schwarzmarkt einen Anteil von etwa 23 % an der nationalen Wirtschaftsleistung. Spaniens Regierung schießt sich durch die stetige Erhöhung der Steuern selbst ins Knie, denn der Steuerbetrug nimmt horrende Ausmaße an.

Das im Juli angekündigte Sparpaket in einem Volumen von 65 Milliarden Euro basiert in erster Linie auf prognostizierten Mehreinnahmen der Regierung durch eine drastisch erhöhte Mehrwertsteuer. Allein diese Anhebung soll Madrid pro Jahr rund 22 Milliarden Euro mehr in die Staatskasse spülen. Auf diese Weise soll das horrende Budget-Defizit des Staates spätestens ab dem Jahr 2014 in Einklang mit den Vorgaben der EU-Kommission gebracht werden. Doch sehr wahrscheinlich hat das Kabinett des konservativen Premiers Rajoy seine Rechnung ohne den im ganzen Lande grassierenden Korruptionsteufel gemacht. Wie die spanische Tageszeitung El Mercado berichtete, werden dem Staat durch Korruption und das Unterlassen der Erstellung von Rechnungen sehr wahrscheinlich rund 18 Milliarden Euro der veranschlagten Mehreinnahmen von 22 Milliarden Euro verlustig gehen. Der Mehrwertsteuerbetrug dürfte sich also nach Verabschiedung des jüngsten Sparpakets noch deutlich erhöhen.

In Spanien ist Steuerbetrug zu einer Art Volkssport geworden. Die Protagonisten klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, wenn es darum geht, der Staatskrake ihren Steueranteil vorenthalten zu haben. Auf Basis aktueller Schätzungen des Steuerverbands Gestha gehen dem Staat pro Jahr 25 % seiner Einnahmen durch Steuerbetrug durch die Lappen. Es ist nicht auszuschließen, daß sich dieser Anteil nach der drastischen Erhöhung der Mehrwertsteuer noch weiter ausweiten wird. Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise und dem Platzen der Blase an den heimischen Immobilienmärkten im Jahr 2007 sind die Steuereinnahmen der spanischen Regierung von 200 Milliarden € auf nur noch 160 Milliarden € um 20 % gesunken.  [3]

 

[1]  https://de.sputniknews.com/kommentare/20171030318088637-wer-profitiert-eigentlich-vom-konflikt-in-katalonien/   30. 10. 17  Ernst Wolff
[2]  http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftskriminalitaet-spaniens-elite-trifft-sich-im-gefaengnis-13361809.html   9. 1. 15
[3] 
http://www.wirtschaftsfacts.de/?p=23020   7. 8. 12