Einseitiges Gefälligkeitsgutachten zum Schengen-Abkommen

Der heute vom Bundesrat präsentierte Bericht über die volkwirtschaftlichen

Auswirkungen eines Wegfalls der Schengen-Assoziierung der Schweiz bis ins Jahr 2030 gleicht einem Blick in die Glaskugel und verschweigt wichtige Fakten. Die Kosten der Einführung und der inzwischen über 200 Weiterentwicklungen des Schengen/Dublin-Besitzstands werden verschwiegen. Dazu kommt die Tatsache, dass die Schweiz die Hoheit der Rechtsetzung und der Rechtsdurchsetzung in diesen Bereichen abgetreten hat, zum Beispiel keine eigenständige Visumspolitik und Grenzkontrolle. Die Schweiz hat mit Schengen die Stellung eines Befehlsempfängers der EU-Schengen/Dublin-Staaten erhalten: Automatische Rechtsübernahme. Die Studie war vom Forschungsinstitut Ecoplan erstellt worden, das sich 2015 bereits im Bereich der Bilateralen I mit einer Studie von zweifelhafter Qualität hervorgetan hat.

In der neuen Studie wird die gleiche Methode angewendet wie bereits in der Studie über die Bilateralen I: Der Nutzen aus dem Schengen-Abkommen wird stark übertrieben, die Kosten daraus werden im über 160 Seiten langen Bericht dagegen auf gerade einmal 2 Seiten abgehandelt. Dabei wird nur auf die direkten Kosten aus den Beitragszahlungen eingegangen. Die indirekten negativen Auswirkungen, etwa infolge des angestiegenen Kriminaltourismus aufgrund der fehlenden Grenzkontrollen oder auch die Kosten der zusätzlichen Administration und Bürokratie beim Bund oder die Kosten und Auswirkungen auf die Kantone werden überhaupt nicht berücksichtigt. Insgesamt entsteht durch die einseitige Darstellung der Eindruck, dass die Schweiz ohne das Abkommen an den Rand des Ruins getrieben würde: »……bei einer für die Schweiz ungünstigen Umsetzung ein hohes Schädigungspotential bis zu einem Pro-Kopf-Konsumverlust von -3.2 %, einem (jährlichen) Einkommensverlust von durchschnittlich 1'600 CHF pro Kopf der Schweizer Bevölkerung oder ein um bis zu -3.7 % tieferes Bruttoinlandsprodukt.«

Der kostensparende Effekt aus den Dublin-Überstellungen wird auf jährlich 353 bis 1.332 Millionen Franken geschätzt. Da die Rücküberführungen der Asylsuchenden 2016 aber nur in knapp 14 % der Fälle wirklich funktionierten,  würde das bedeuten, dass die übrigen in der Schweiz verbleibenden Fälle im Asylbereich jährliche Kosten von bis zu über 9 Milliarden Franken verursachen würden. Die Absurdität der Ecoplan-Schätzung liegt daher auf der Hand.

Die Anzahl zusätzlicher Zweitgesuche  - Gesuche, die parallel zum Antrag im Dublinraum in der Schweiz gestellt werden -  wird im Bericht bei einem Wegfall des Abkommens als die grosse Unbekannte heraufbeschworen. Ignoriert wird, dass die Schweiz ohne Schengen/Dublin wieder systematische Grenzkontrollen einführen könnte und daher nicht länger auf die Sicherung der EU-Aussengrenzen angewiesen wäre, die sich in der Migrationskrise als äusserst mangelhaft herausgestellt hat. Ebenfalls könnte die Schweiz auch gewisse Schengen-Visa eigenständig akzeptieren. Sie müsste in diesem Bereich aber nicht mehr automatisch und zwingend alle EU-Bestimmungen übernehmen.

Generell gilt: Wenn wir die Grenzsicherung wieder in die eigene Hand nehmen könnten, läge es auch an uns, zu bestimmen, wer in die Schweiz kommen darf und wer nicht. Um das Versäumnis von Ecoplan und der am Bericht beteiligten Bundesbehörden nachzuholen, wird die SVP-Fraktion in der Frühlingssession vom Bundesrat erneut eine Vollkostenrechnung für das Schengen/Dublin-Abkommen verlangen. Von den im Vorfeld zur Schengen-Abstimmung prophezeiten 8 Millionen Franken ist man heute auf jeden Fall meilenweit entfernt. Schon im Jahr 2010 hat die SVP Bilanz gezogen und konnte Kosten von 185 Millionen nachweisen. 2010 waren es erst 112 Weiterentwicklungen, heute über 200 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes. Aufgrund dieser Weiterentwicklungen sowie der praktisch fehlenden Umsetzung der Dublin-Vereinbarungen dürften sich diese Kosten mittlerweile vervielfacht haben.  [1]  

Wenn jemand die Schweiz isoliert, dann das Bundesgericht   
schreibt Nationalrat Claudio Zanetti im Zusammenhang mit dem kürzlich vom britischen Unterhaus beschlossenen Brexit-Gesetz.
Newsnet, das zahlreiche Online-Plattformen von Medienhäusern mit Newsoder dem, was sie dafür halten, versorgt, posaunte in die Welt hinaus: »EU-Recht nicht mehr vor nationalem Recht«. Nur, was das Herz eines jeden auf Freiheit und Unabhängigkeit bedachten Schweizers höher schlagen lässt, stimmt so nicht: Auf die Idee, EU-Recht, oder ganz generell: sogenanntes Völkerrecht, über das nationale Recht zu stellen, ist eine so stolze Nation wie die britische gar nie gekommen.    

Richter mit Untertanengesinnung, die das eigene Land der Willkür Dritter unterwerfen wollen  [was nach unserem Zivilrecht als sittenwidrig und damit als nichtig betrachtet würde]  hätten in jedem normalen Land der Welt einen schweren Stand. Nicht einmal die EU selbst, vor der sich einige Bundesrichter in den Staub werfen, akzeptiert blind, was das Etikett Völkerrecht trägt. So untersagte der EU-Gerichtshof den Beitritt zur Menschenrechtskonvention (EMRK), weil er nicht daran denkt, Kompetenzen abzugeben. Der EuGH akzeptiert also keine fremden Richter.

Die Schweiz wird als treuer Vertragspartner weltweit geschätzt. Ihre Vertragstreue steht ausser Zweifel. Als souveräner Staat müssen wir jedoch auf unserem Recht beharren, weiterhin eigene Wege beschreiten zu können. Im sogenannten Schubert-Urteil vom 2. März 1973 sprach sich das Bundesgericht zwar für einen grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts aus, stellte dabei aber folgenden Grundsatz auf: Besteht zwischen einem (älteren) Staatsvertrag und einem (jüngeren) Bundesgesetz ein Widerspruch, so ist das Bundesgericht ausnahmsweise an das Bundesgesetz gebunden, wenn der Gesetzgeber beim Erlass des Bundesgesetzes bewusst in Kauf genommen hat, dass das von ihm erlassene Landesrecht dem Völkerrecht widerspricht. Das muss natürlich erst recht für Volksinitiativen gelten. Leider brach das Bundesgericht 2012 mit der Schubert-Praxis und ist nun der Auffassung, dass die Schweizerische Bundesverfassung im Besonderen und unser Landesrecht im Allgemeinen dem sogenannten Völkerrecht generell untergeordnet sei.

Deutschland bekräftigt Schweizer Schubert-Praxis  
Mit dieser Haltung steht die Schweiz aber allein auf weiter Flur. Auch Deutschland übernimmt nicht einfach automatisch alles, was aus Brüssel kommt. Es ist sogar eine der wichtigsten Aufgaben des Verfassungsgerichts, die Wahrung der Souveränität zu garantieren. Gerade kürzlich hat es in Leitsätzen zum Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 klargestellt, »dass völkerrechtlichen Verträgen, […] innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt«. Und weiter führt das Gericht aus: »Spätere  Gesetzgeber müssen - entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes - innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können.« Ein Staat, der mit einem anderen Staat oder mit mehreren Staaten einen Vertrag eingeht, verzichtet damit nicht auf seine Souveränität. Die Karlsruher Richter widersprechen damit klar dem Rechtsverständnis unseres Bundesgerichts.

Gewiss: Verträge sind einzuhalten. Wer einen Vertrag eingeht, schränkt sich in gewisser Weise  - freiwillig und in vollem Bewusstsein der Konsequenzen -  in seinen eigenen Rechten ein. Das ist das Normalste auf der Welt. Ebenso selbstverständlich ist, dass die Verletzung vertraglicher Vereinbarungen Folgen hat. Vertragstreue ist eine Frage der Ehre. Doch es gibt auch Fälle, in denen es ehrlos wäre, einen Vertrag nicht zu ändern oder zu kündigen.  

 

[1]  Medienmitteilung der SVP Schweiz vom  22. Februar 2018   
[2]  Medienmitteilung SVP Schweiz 13. 2. 18
Claudio Zanetti ist Nationalrat von Gossau (ZH)