Ordnung ins Verhältnis EU-Schweiz bringen - Von Felix W. Zulauf 21.05.2018 19:08
»Die Schweiz braucht keinen Rahmenvertrag mit der Europäischen Union«
Mit der nur auf ein Jahr befristeten Anerkennung des Regelwerks
der Schweizer Börse hat die EU der Schweiz eine Ohrfeige verpasst.
Weshalb dies so ist, liegt primär am falschen Verhalten der
Schweizer Behörden in den letzten 25 Jahren. Im Frühjahr 1992, kurz vor der
EWR-Abstimmung, reichte der Bundesrat bei der EU ein Beitrittsgesuch der
Schweiz ein. Damit gab er der EU die Hoffnung, die Schweiz werde ihr
mittelfristig beitreten. Mit Ausnahme der SVP führten alle Bundesratsparteien
den Beitritt der Schweiz zur EU in ihrem Programm.
Inzwischen haben FDP und CVP diesen gestrichen, weil das Volk ihn
nicht will, aber es gibt noch immer eine grosse Zahl versteckter Befürworter in
diesen Parteien.
Alle Aussenminister der Schweiz seit 1992 - Felber, Cotti, Deiss, Calmy-Rey, Burkhalter
- wollten in die EU und hielten sich
einen Stab an hohen Verwaltungsbeamten, die das ebenfalls anstrebten. Dementsprechend
wurden von der Schweiz bei der EU entsprechende Hoffnungen laufend belebt,
selbst als die Mehrheit des Volkes dies schon lange ablehnte. Aus diesem
Blickwinkel wurden auch alle bilateralen Verträge abgeschlossen. Die Schweizer
Unterhändler und verantwortlichen Bundesräte machten laufend Schritte, die dem
Schweizer Volk Sand in die Augen streuen, um den Weg in die EU vorzubereiten
und den Rückweg zu verbauen.
Brüssel erhöht den Druck Mit der Einführung des Euro hat sich die EU von ihren
ursprünglichen Entwicklungszielen nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich der
Kooperation souveräner Staaten, verabschiedet. Die Einheitswährung für
strukturell völlig unterschiedlich aufgestellte Volkswirtschaften bewirkt
wachsende wirtschaftliche Ungleichgewichte: Sie müssen über Umverteilung
ausgeglichen werden, was den Zentralismus fördert. Die EU-Elite und auch
diejenige in diversen Hauptstädten haben das Ziel der Vereinigten Staaten von
Europa vor Augen. Gegen aussen tritt die EU sehr protektionistisch auf. Es ist
verständlich, wenn ihr der kleine weisse Fleck mitten in Europa ein Dorn im
Auge ist. Da heute die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung gegen den
Beitritt ist, macht sich in der EU Ärger und Enttäuschung breit. Deshalb erhöht
sie den Druck auf die Schweiz, sich anzupassen und zu integrieren.
Da die Schweiz zwar von der EU im Handel mehr kauft als umgekehrt,
doch die EU für die Schweiz der mit Abstand wichtigste Handelspartner ist [was umgekehrt nicht zutrifft] kommt bei manchen hiesigen Exportunternehmen
wegen möglicher Diskriminierung Angst auf.
»Boni für mich« statt Bonum commune Einst schweizerische Grosskonzerne sind heute mehrheitlich in
ausländischer Hand und werden meist von ausländischen Verwaltungsräten und
Managern geführt. Diese haben mit den Werten der direktdemokratischen
politischen Ordnung, den Werten, der Geschichte und der Kultur des Landes wenig
am Hut.
Sie wollen einfach innerhalb der Haltefrist von Topmanagern [vier bis sieben Jahre] für ihre Gesellschaft soviel Geld wie möglich
verdienen, um möglichst hohe Boni zu kassieren. Der Rest kümmert sie wenig.
Diese Manager beeinflussen heute massgeblich die Meinungsbildung der
economiesuisse. Diese ist in Wirtschaftsfragen eine wichtige Meinungsmacherin
für die Mitteparteien. Die Schweiz will keine Abschottung, denn sie hat eine
der offensten Volkswirtschaften und ist auf Aussenhandel angewiesen. Vielfach
werden von Befürwortern einer Annäherung an die EU Horrorszenarien gezeichnet,
dass der Marktzugang ohne ein Rahmenabkommen nicht mehr möglich sei.
Doch weder Chinesen noch Amerikaner übernehmen automatisch
EU-Gesetze und können trotzdem einen grossen Handel mit der EU betreiben; dies
dank der Welthandelsorganisation (WTO), zu deren Mitgliedern auch die Schweiz
zählt.
»In der politischen Ordnung der Schweiz
ist das Volk die oberste Instanz; die Schweiz ist das einzige Land, wo das Volk die
Regierung und ihre Beschlüsse korrigieren kann. Die Mitgliedsstaaten der EU und
die EU selbst sind politisch völlig anders organisiert.«
Die direkte Demokratie ist inkompatibel mit der EU Dort wird die Regierung alle paar Jahre gewählt, in der
Zwischenzeit hat der Bürger nichts zu sagen. Diese beiden Systeme sind nicht
kompatibel. Der Beitritt zur EU oder nur schon ein Vertrag mit automatischer
Gesetzesanpassung an EU-Recht würde die politische Ordnung der Schweiz auf den
Kopf stellen und die direkte Demokratie auflösen.
Den Menschen in der Schweiz geht es wirtschaftlich und in puncto
Freiheit besser als denjenigen in den EU-Staaten. Nicht weil die Schweizer
bessere Menschen sind, sondern wegen des besseren Systems, das mehr Prosperität
und Freiheit für die Bürger schafft. Föderalismus und direkte Demokratie haben
Nachteile, aber unter dem Strich überwiegen die Vorteile der Subsidiarität bei
weitem. Wer also das schweizerische System demontiert, der demontiert auch den
hohen Wohlstand.
Denkfehler der politischen Eliten Die hohe Politik in der Schweiz macht noch einen anderen
gravierenden Fehler, denn sie denkt linear. Die EU wird auf ihrem Weg in den
Zentralismus viele Hürden zu überwinden haben und vermutlich sogar daran
scheitern, denn die Meinungen der einzelnen Staaten zu Themen wie
Zentralismus/Föderalismus, Geldpolitik, Sozial-, Fiskal- oder Bankenunion, Flüchtlingswesen
und sogar Verteidigung gehen zum Teil weit auseinander. Die dadurch
entstandenen Gräben werden grösser, die Zentrifugalkräfte nehmen zu. Dazu
kommt, dass sich auch der Graben zwischen diesen Zentralisten und ihren eigenen
Völkern immer mehr ausweitet.
Durch ihre Engstirnigkeit haben die EU-Technokraten bereits den
Austritt Grossbritanniens provoziert, denn sie haben in dogmatischer Art und
Weise den Briten nicht gestattet, in der Personenfreizügigkeit gewisse Grenzen
zu setzen. Damit hat die EU den zweitgrössten Beitragszahler sowie eine
Wirtschaftsleistung verloren, die immerhin so gross ist wie diejenige der 20
kleinsten Mitgliedsstaaten addiert [von insgesamt 27]. Auch tritt mit dem
Vereinigten Königreich diejenige Nation aus, die marktwirtschaftliche und
freiheitliche Prinzipien am höchsten von allen gewichtet hat.
Wenn die EU dafür jetzt Serbien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo,
Albanien und Bosnien-Herzegowina aufnehmen will, dann schwächt sie sich weiter.
Erstens sind das alles arme Nationen, die grosse Nettobezüger von Geldern sein
werden, und zweitens gehören sie mehrheitlich einem anderen Kulturkreis an. Die
inneren Konflikte der EU werden nur schon mit der Diskussion über die Aufnahme
grösser werden. Cassis muss Remedur schaffen Bundesrat Ignazio Cassis sollte zuerst einmal sämtliche
EU-beitrittswilligen Verwaltungsbeamten im Aussendepartement durch Mitarbeiter
ersetzen, die die Bewahrung der Unabhängigkeit der Schweiz als oberstes Ziel
verstehen. Bern kann nie gute Verträge mit der EU aushandeln, wenn die eigenen
Vertreter lieber auf der anderen Seite des Tisches sässen.
Dort liegt der Hund begraben. Das falsche Verhalten der
politischen Elite in Bern hat über die Jahre eine unangenehme Situation zum
Nachteil der Schweiz provoziert, die Aussenminister Cassis nun bereinigen muss.
Er muss Brüssel also klarmachen, dass die Schweiz der EU nicht beitreten will,
jedoch eine gute nachbarschaftliche Beziehung wünscht, mit einem für beide
Seiten möglichst einfachen, hürdenfreien Marktzugang.
Die Schweiz braucht keinen Rahmenvertrag, aber es liessen sich
diverse Themen von gemeinsamem Interesse regeln, und zwar ohne
Guillotineklausel. Wichtig ist, dass die Schweiz nicht automatisch EU-Gesetze
übernehmen muss und auch in puncto Zuwanderung die Souveränität zurückgewinnt. Wenn
der neue Aussenminister dies versteht und so handelt, dann wird es für die
Schweiz zukünftig wirtschaftlich und rechtlich weniger Unsicherheit und mehr
Klarheit geben.
Anmerkung
politonline d.a. Kurz
vor seinem Staatsbesuch in Bern vom 25. bis 26. 4. hatte Bundespräsident
Steinmeier betont: »Ich komme mit der Versicherung, dass Deutschland
kein gefahrvolles Gelände für die Schweiz ist. Im Gegenteil, es ist
Freundesland und wir werden nicht nur gute Nachbarn sein, sondern wir haben
gemeinsame Interessen, an denen wir gemeinsam weiterarbeiten werden und deshalb
ist es ein guter Zeitpunkt für diesen Staatsbesuch.« Ferner: »Von der Schweiz
würde ich mir wünschen, dass man die Europäische Union nicht als Feindesland
ansieht.«
In
seiner Ansprache vor dem Gesamtbundesrat im Bundeshaus hat Steinmeier die
Schweiz zwar als starke Demokratie gewürdigt und unsere direkt-demokratische
Beteiligung gelobt, aber gleichzeitig erklärt, dass das Schweizer Modell von
Volksabstimmungen so nicht exportierbar sei, weil es in Deutschland eine ›unterschiedliche politische DNA‹ gebe. Nun liegt dies natürlich keineswegs
an einer solchen, sondern ganz einfach daran, dass die Bundesregierung keine
Referenden zulässt.
So hatte sich Steinmeier im Vorfeld seines Besuches auch als ›Fan der Schweiz‹ bezeichnet. Wie
er sagte, will er sich für das Zustandekommen eines Rahmenvertrags mit der EU
einsetzen, stellte aber auch klar, dass sich die Schweiz bewegen müsse: Das
grosse Misstrauen gegenüber der EU hält er für fehl am Platz.
Insofern gilt es, zunächst einmal den Verlauf weiterer
Verhandlungen abzuwarten.
Felix W. Zulauf ist Präsident der ›Zulauf Asset
Management AG‹, ein Hedge Fund in
Zug. Er ist langjähriges Mitglied des Barron’s Roundtable Club und schreibt
regelmässig in Finanz und Wirtschaft
felixzulaufblog.blogspot.ch
https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-10-8-mai-2018/ordnung-ins-verhaeltnis-eu-schweiz-bringen.html Zeit-Fragen
2018
Nr.
10, 8. Mai 2018
Qelle: Finanz und Wirtschaft vom 29. 3. 2018
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