Sommarugas Deal - Von Roger Köppel 01.03.2020 19:19
Die Bundespräsidentin verbündet sich mit der EU gegen die Begrenzungsinitiative
und für den institutionellen Rahmenvertrag. Das belegen Dokumente, die brisante Vorgänge offenlegen.
»Die Weltwoche« vom 19. Februar hat die vertraulichen EU-Protokolle des Zusammentreffens dreier Bundesräte mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am World Economic Forum in Davos erstmals veröffentlicht. Diese zeigen auf, wie sich der Bundesrat und die EU mit Blick auf die Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit abgesprochen haben. Es gibt eine informelle Übereinkunft. Bundespräsidentin
Sommaruga bat Ursula von der Leyen, sich bis zur Zuwanderungsabstimmung
vollkommen still zu verhalten. Im Gegenzug soll der Bundesrat gleich danach das
institutionelle Rahmenabkommen vorantreiben.
Bereits in der vorhergehenden Ausgabe haben wir
über diese pikanten Ereignisse berichtet. Grundlage war die Berichterstattung
des Schweizer Radios SRF, das die Aufzeichnungen enthüllte, allerdings ohne
wörtlich daraus zu zitieren. Auf Nachfrage wurde die Echtheit versichert, aber
die Kollegen wollten uns das Dokument weder zu lesen geben, noch aushändigen.
Auch hat der Schweizer Gebührensender interessanterweise die heiklen Absprachen
nicht mehr weiter thematisiert. Die Sache ging angesichts der ›Crypto-Leaks‹-Geschichte, die mit viel mehr
Dampf angerichtet wurde, unter. Ausser der ›Weltwoche‹ griff keine Zeitung die Kumpanei mit Brüssel auf.
So haben wir das Protokoll auf anderen Kanälen
direkt aus der EU-Zentrale beschaffen müssen. Es handelt sich um eine
authentische Zusammenfassung des Debriefings zum Treffen der Kommissionspräsidentin
mit den Bundesräten Sommaruga, Cassis und Keller-Sutter sowie mit Chefunterhändler
Balzaretti in Davos. Adressat sind die EU-Botschafter. Sie wurden von der
Kommission vertraulich unterrichtet.
Der Wortlaut, den die ›Weltwoche‹ erstmals der Öffentlichkeit zugänglich macht, hat es in sich. Aus den
Aufzeichnungen geht hervor, dass Bundespräsidentin Sommaruga Ursula von der
Leyen ausdrücklich darum gebeten hat, sich nicht in die Abstimmung über die Zuwanderungsinitiative
einzumischen. Von der Leyen wiederum erwartet vom Bundesrat als Gegenleistung
mehr Einsatz beim institutionellen Abkommen.
Sommarugas Geheimdeal wird noch zu reden geben. Die
Bundespräsidentin ist eine Gegnerin der Begrenzungsinitiative. Sie weiss, dass
EU-Einmischungen im Abstimmungskampf den Befürwortern nützen würden. Nur
deshalb bat sie Brüssel, bis dahin von jeglichen Interventionen abzusehen. Von
der Leyen willigte ein, verlangte aber ihrerseits eine Gegenleistung nach dem
bewährten ökonomischen Grundsatz ›Quid pro quo‹. Dies für das. Eine Hand wäscht die andere. Das Protokoll hält das
Übereinkommen unzweideutig fest.
In den USA haben weniger weitgehende Absprachen
zwischen dem Präsidenten und einer auswärtigen Macht (Ukraine) zu einem
Amtsenthebungsverfahren geführt. Und in der Schweiz? Die Bundesverfassung
verlangt von allen Staatsorganen den Schutz der Rechte des Volkes und der
Unabhängigkeit. Die ehernen Prinzipien sind mit heimlichen Absprachen zwischen
Bundesräten und fremden Mächten schwer in Einklang zu bringen. Artikel 267 des
Strafgesetzbuchs verbietet »Bevollmächtigten der Eidgenossenschaft« bei
Freiheitsentzug von »nicht unter einem Jahr« sogar
ausdrücklich, mit »auswärtigen
Regierungen« in Verhandlungen zum Nachteil der Schweiz einzusteigen. Fraglos
gereicht es der Schweiz zum Nachteil, wenn die Bundespräsidentin mit der EU
konspiriert, um das von ihr gewünschte Abstimmungsresultat
herbeizuführen.
Auf Anfragen der ›Weltwoche‹ reagierte der Bundesrat unwirsch. Das EU-Protokoll entspreche nicht der
Wahrheit, wird behauptet. Das ist theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich.
Auf jeden Fall sollte sich die Landesregierung zum Davoser Geheimpakt erklären.
Derzeit skandalisiert die politische Schweiz mögliche Geheimabsprachen zwischen
dem Bundesrat und ausländischen Geheimdiensten vor dreissig Jahren. Mindestens
so relevant erscheint da der heutige Geheimpakt zwischen der Bundespräsidentin
und der EU-Chefkommissarin. Die Europapolitik ist von wegweisender Bedeutung.
Wird der Fall der früheren schwedischen Firma Crypto
in Zug zu hoch gehängt? Gut möglich. Wir haben dazu den deutschen
Ex-Geheimdienstmann und Staatsminister Bernd Schmidbauer befragt. Der ehemalige
CDU-Politiker trat in der einschlägigen ›Rundschau‹-Sendung des Schweizer Fernsehens als Kronzeuge auf. Er bestätigte vor
laufender Kamera, dass die Crypto AG manipulierte Verschlüsselungsmaschinen verkauft
habe und jahrelang von der CIA und dem deutschen Nachrichtendienst (BND)
heimlich kontrolliert worden sei.
Am Telefon wiederholt Schmidbauer seine Aussagen,
aber er relativiert die Aufgeregtheit der Berichte. Die Vorwürfe gegen Crypto
seien uralt, und »die Schweiz ist hintergangen worden«. Kritisch sehen
müsse man das in den Medien zustimmend zitierte Dossier ›Minerva‹. Dieser angebliche BND- und
CIA-Bericht – Grundlage der Enthüllungen – dürfe nicht für »bare Münze« genommen werden.
Da sei »viel Wunschdenken« drin. Ob die CIA das in holprigem Englisch formulierte
Papier tatsächlich geschrieben habe, sei zweifelhaft. »Es trägt nicht die
nachrichtendienstliche Handschrift«.
Diese Feststellung ist brisant. Denn Schweizer
Journalisten, die sonst der CIA kein Wort glauben, behandeln das Dokument wie
eine offenbarte Wahrheit. Nur wenige eingebettete Reporter freilich haben es
gesehen. Was die Medien wiederum nicht daran hindert, gegen die darin genannten
Schweizer FDP-Politiker Kaspar Villiger und Georg Stucky ein journalistisches
Tribunal zu errichten. Es zieht Fäden bis in die Politik. Vielleicht wäre es
ratsam, zuerst in aller Ruhe den Wahrheitsgehalt des ›Minerva‹ Dokuments zu entschlüsseln, ehe
man den Staatsapparat für teures Geld in helle Aufregung versetzt.
Schmidbauer widerspricht weiter: Aus der Schweiz
heraus seien nicht über hundert Staaten flächendeckend überwacht worden. Die
Abhöraktion sei begrenzt und zielgerichtet gewesen. Auch die Behauptung, die
Geheimdienste hätten dank Crypto Millionen verdient, weist er zurück. Er findet
nicht, sagt der Geheimdienstexperte, dass die Glaubwürdigkeit der Schweiz und
ihrer Regierung gelitten habe: »So drastisch kommt das nicht«.
Quelle: https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2020-8/kommentare-analysen/sommarugas-deal-die-weltwoche-ausgabe-8-2020.html 19. 2. 20 Editorial
- Sommarugas Deal - Von
Roger Köppel
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