Doris Auerbach - Wie wir hintergangen werden

Die geheimen Gefängnisse sowie die damit in Zusammenhang stehenden geheimen CIA-Flüge, welche die sich stets als Wertegemeinschaft zelebrierende EU schwer belasten, sind noch immer Gegenstand breiter Diskussionen in der Tagespresse. Was dort jedoch bislang nicht veröffentlicht wurde, ist eine Mitteilung von Réseau Voltaire vom 13. Dezember, deren Inhalt gewissermassen einem Schuldeingeständnis der EU-Kommission in Brüssel gleichkommt 1. Aus dieser geht hervor, dass die EU die Einrichtung der geheimen Gefängnisse der CIA schon von Januar 2003 an schriftlich autorisiert hat. Nach deren "Entdeckung" hatten die europäischen Regierungen vermehrte Forderungen nach Erklärungen dafür gestellt, dass solche auf ihren eigenen Territorien errichtet worden waren. Sie gaben sich aber dann seltsamerweise mit den ausweichenden Erklärungen von Condoleezza Rice zufrieden. Die Aussenministerin hat ihnen nämlich ein kompromittierendes Dokument vorgelegt: Die Originalurkunde zu der von der Abteilung Justiz und innere Angelegenheiten des europäischen Ministerrats und Vertretern des US-Justizministeriums am 22. Januar 2003 gemeinsam in Athen abgehaltenen Sitzung.

Dieses Geheimdokument, das den Titel ‚New Transatlantic Agenda’ [Neue transatlantische Agenda] trägt, umfasst verschiedene Verpflichtungen, die darauf abzielen, die europäischen Gesetzgebungen auf den US-Patriot Act auszurichten. Man kann hier lesen, dass die Europäer ihre Ermächtigung zu einer <erhöhten Benutzung europäischer Transporteinrichtungen> erteilen, um bei der Rückkehr von Kriminellen resp. unerwünschten Fremden Hilfe zu leisten. Knapp formuliert: Die „Folterflüge“ sowie die geheimen Gefängnisse der CIA in Europa sind in voller Kenntnis des Sachverhalts und schriftlich genehmigt worden.
 
Über das Vorgehen von Nicolas Sarkozy und Dominique Perben  bei der Anpassung der französischen Gesetzgebung an US-Erfordernisse  -  «La Loi Ashcroft-Perben II   sowie « La France autorise l’action des services US sur son territoire  [der Erlass, der die Aktivität aller US-Geheimdienste auf französischem Territorium erlaubt]  -  hat Réseau Voltaire bereits berichtet. Damals wurde unseren Aufdeckungen keinerlei Gehör geschenkt, sie wurden sogar von einem Verband von Justizbeamten als masslos eingestuft.  -  Soweit die Ausführungen von Réseau Voltaire.
 
Man muss sich einmal Äusserungen des vormaligen US-Justizministers Ashcroft vergegenwärtigen, um zu erahnen, mit welchem Irrgarten an Vorstellungen resp. menschenverachtender Überheblichkeit man hier konfrontiert ist. So liess sich Ashcroft im Januar 2003, also eigenartigerweise zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die genannte Konferenz in Athen stattfand, mit den Worten vernehmen, <der 11.9. habe die Welt auf verschiedene Arten verändert. So sei es beispielsweise dem Terrorismus zu verdanken, dass Afghanistan heute ein Rechtsstaat sei. Insofern habe der Kampf gegen den Terrorismus zu einer Ausdehnung der freien Welt geführt [NZZ 20  25. 1. 03], eine Aussage, die meiner Meinung nach an Absurdität nicht zu überbieten ist. Der an Ashcroft ergangene Vorwurf, die Freiheit der Bürger durch eine allzu starke Konzentration auf Sicherheit einzuschränken, konnte von diesem nicht nachvollzogen werden.  Die ganze Diskussion  um die Verletzung der Menschenrechte bei der Verfolgung der Terroristen bezeichnete er als blosses Geschwätz. Erschreckend ist, dass ein solcher Mann, ohne dass dagegen eingeschritten wurde, offenbar auch auf die Gesetzgebung in Frankreich Einfluss hatte. Die Bestrebungen, die Terrorgesetze fortlaufend zu verschärfen, sind fast nicht mehr einzudämmen und gleichen mittlerweile einer ausgeprägten Hysterie. Die Beweggründe fallen jedoch allein schon dann in sich zusammen, wenn man die weltweit erfolgten Terrorattacken einer Sichtung unterzieht und feststellt, dass zahlreiche Anschläge nicht etwa von irregeleiteten Tätern, sondern ganz einfach im staatlichen Auftrag von Geheimdiensten ausgeführt wurden, um politische Ziele zu erreichen. Unter diesem Aspekt gesehen ist die damit einhergehende, nicht zu leugnende Absicht, uns der totalen Überwachung zu unterwerfen, doppelt bedrohlich.
 
Obwohl Beweise für die offizielle deutsche Mittäterschaft in Fällen von Entführung und Folter vorliegen, weigern sich die Behörden, die sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Betroffen hiervon sind die vormaligen Minister Josef Fischer and Otto Schily sowie  Mitglieder der jetzigen Regierung wie Frank-Walter Steinmeier and Brigitte Zypries. Während ihrer Amtszeit wurden deutsche Bürger entführt und ins Ausland gebracht, wo sie gefoltert wurden; sie werden als vermisst oder ermordet betrachtet. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass man im FAZ.NET vom 14. 12, auf folgende Überschrift stösst: < CIA-Affäre im Bundestag - Infam, maßlos, verblendet und verantwortungslos”. Steinmeier sprach von „verantwortungslosen Spekulationen und Verdächtigungen”, die im Fall Masri gegen ihn oder andere Verantwortliche der früheren Bundesregierung erhoben worden seien. Ihm werde „speiübel” bei manchen Veröffentlichungen der letzten Tage, die unterstellten, daß die Deutschen verdächtige Islamisten zwar nicht foltern dürften, aber anderen die passenden Informationen gäben, daß sie den Mann ergreifen könnten und die erwünschte Wahrheit aus ihm herausprügelten. Man müsse infam, maßlos, verblendet und verantwortungslos sein, um solche Vorwürfe gegen diejenigen zu erheben, „die dieses Land auch in schwierigen Zeiten auf einem Kurs von Zivilität und Rechtsstaatlichkeit gehalten haben”.>
 
Und uns wird speiübel, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass sich ein Mann wie Steinmeier trotz aller vorliegenden Indizien zu solchen Behauptungen aufschwingen kann und nicht einmal davor zurückschreckt, die Rechtsstaatlichkeit zu bemühen. Letztere entwertet sich allein schon im Zusammenhang mit der Beteiligung an der Besatzung Afghanistans, bei der sich auf Regierungsebene kaum einer scheut, uns diese als Befriedung zu verkaufen. Am 14. 12.,  also nach dem Besuch von US-Aussenministerin Rice in Brüssel, äusserte sich Steinmeier zu den CIA-Flügen und vermeintlichen Geheimgefängnissen des amerikanischen Geheimdienstes in Europa [obwohl deren Existenz nicht länger zu verbergen war]  wie folgt: Auch hier seien „viele Fragen offen”. Er verwies auf die Bemühungen des Europarates, an der sich die Bundesregierung aktiv beteilige. Bei seinen Gesprächen mit amerikanischen Vertretern habe dies „breiten Raum” eingenommen. Er habe dabei den Eindruck gewonnen, dass die Regierung der Vereinigten Staaten die Besorgnisse der europäischen Partner nicht auf die leichte Schulter nehme. Hierzu gibt es nur zwei Interpretationen: Entweder hat Brüssel das von Rice vorgelegte Dokument New Transatlantic Agenda ganz einfach verschwiegen, oder Steinmeier hat davon erfahren und verschweigt es seinerseits.
 
Was Innenminister Wolfgang Schäuble betrifft, so zeugt auch seine Einstellung in nicht zu übersehender Weise davon, dass er für die Opfer dieser Machenschaften kaum etwas empfinden kann. Er warnte davor, die fruchtbare (!) Beziehung zwischen dem deutschen  Bundesnachrichtendienst und der CIA zu schädigen. Weder Schäuble noch der stellvertretende Kanzler Franz Müntefering forderten die sofortige Freilassung deportierter Deutscher, noch drückten sie den Familien der Opfer ihr Bedauern aus. Es sind ferner keinerlei Krisenstäbe einberufen worden, um der verfassungsmässig gegebenen absoluten Erfordernis, den Schutz des Lebens von Folteropfern zu gewährleisten, nachzukommen.
 
Um aufzuzeigen, mit welcher Hemmungslosigkeit hier Tatsachen in Abrede gestellt werden, seien die Worte Steinmeiers: »Wie infam, wie maßlos muß man sein, um solche Vorwürfe …. zu erheben….. «, einem einzigen Beispiel gegenübergestellt:
 
Der Fall Steinmeier / Schily 2
Bei dem Besuch in Damaskus zwecks Befragung des Folteropfers Haydar Zammar waren auch Beamte des Verfassungsschutzes sowie des Bundesnachrichtendiensts zugegen. Beide Behörden unterstanden der politischen Aufsicht von Frank-Walter Steinmeier, zu jenem Zeitpunkt Kanzleramtschef. Eine der genannten Behörden hat ständige Vertreter in Damaskus, die Kontakte zu den dortigen Beamten, die für das Foltersystem zuständig sind, unterhalten. Daher wusste der BND noch bevor der Besuch bei dem Folteropfer stattfand, unter welchen Umständen Zammar nach Damaskus gebracht und welchen Foltern er dort ausgesetzt worden war. Die Aktivitäten der deutschen Beamten dauerten 3 Tage und erreichten daher ein Ausmass, das eine zentralisierte Leitung und politische Überwachung erforderlich machte. Die operative Aufsicht lag in den Händen des Koordinators des Geheimdienstes, Ernst Uhrlau, was bedeutet, dass Steinmeier die höchste Autorität darstellte. Steinmeier ist die Person, dem die politische Verantwortung dafür zuzuschreiben ist, dass ein deutscher Bürger Folterspezialisten überantwortet wurde, dies ungeachtet möglicher tödlicher Konsequenzen.
 
In der genannten Funktion oblag Steinmeier auch die Überwachung der geheimdienstlichen Aktivitäten gegen den deutschen Bürger Khaled el-Masri. Erwartungsgemäss wies Steinmeier auch hier alle Vorwürfe, die alte Bundesregierung habe im Fall des angeblich von der CIA entführten Deutsch-Libanesen Khaled al Masri zu zögerlich gehandelt oder gar Beihilfe geleistet, zurück.
 
Der SPD- Innenpolitikers Dieter Wiefelspütz versprach am 13. 12. gar Folgendes:
<So total transparent soll es ab Mittwoch im Bundestag zugehen, daß danach ein  Untersuchungsausschuß »völlig überflüssig« sei.> Und dieses Versprechen wird er vermutlich halten,  denn genau das steht zu befürchten: dass sich Steinmeier & Co. ohne weiteres aus der Affäre ziehen werden und die Öffentlichkeit hinsichtlich des wahren Sachverhalts über deren Mitverantwortung nichts Wesentliches erfährt. Es ist derselbe Dieter Wiefelspütz, der die Philosophie seiner Partei vor kurzem noch so formulierte: »Was die Amerikaner auf ihren Air Bases machen, ist ganz weitgehend ihre Sache.« Deutschland übe keinerlei Kontrolle aus, »wer da an Bord ist und was die Ladung ist. »Das ist von uns auch so gewollt.« (Spiegel Online, 25.11.)
 
Unter diesen Umständen sollte es langsam klar werden, warum offengelegtes belastendes Material resp. genaue Analysen politischer Misstände in der Regel auf die Regierenden keinerlei Wirkung haben: diese werden von einer Scheindemokratie gestützt, in der von uns niemand das Sagen hat oder Masstäbe setzten könnte. Zu was sich darüber hinaus manche Politiker hergeben, wird immer abartiger.
 
 
1 http://www.voltairenet.org/article132438.html 
2 http://www.german-foreign-policy.com/en/fulltext/55961  15.12.05