Roman Tschupp - Onyx - Auf der Suche nach Edelsteinen

Meine erste Begegnung mit dem Satellitenabhörsystem Onyx hatte ich am 10. März 2005. Die Weltwoche [i] veröffentlichte einen Vorabdruck aus Peter Röthlisbergers Skandale.[ii] Etwas mehr als ein halbes Jahr lang genügte mir dieser etwas reisserisch geschriebene Artikel. Dann wollte ich es genauer wissen. Ich beginne einmal ganz vorne:

Ein kurzer Überblick
Zur Zeit unterhält die Schweiz vier Geheimdienste. Dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) unterstehen drei davon:
Der SND (Strategischer Nachrichtendienst) ist der grösste davon; als Auslandsgeheimdienst beschäftigt er sich mit sämtlichen Fragen, die sich auf das Ausland beziehen, wie zum Beispiel Massenvernichtungswaffen, Technologietransfers, Terrorismus und bewaffnete Konflikte. Der Militärische Nachrichtendienst, kurz MND, ist für Informationen zuständig, welche benötigt werden, wenn die Armee zum Einsatz kommen soll. Der MND war zum Beispiel von Beginn des SWISSCOY-Mandates an mit einigen Offizieren im Kosovo
vertreten. Der dritte im Bunde ist der Luftwaffennachrichtendienst LWND; seine Hauptbereiche sind die Auswertung von Rohinformationen und die Einsatzunterstützung. Da er über keine eigene Beschaffungsorganisation verfügt, arbeitet er in diesem Bereich mit dem SND zusammen. Dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement untersteht der DAP, der Dienst für Analyse und Prävention. Er beschäftigt sich ausschliesslich mit Problemen im Inland: Extremismus, Spionage, Handel mit radioaktiven Materialien und Ähnlichem.
 
Um sich interessantes Material zu beschaffen, wenden die Nachrichtendienste hauptsächlich die folgenden vier Methoden an:
 
HUMINT: Als ‚Human Intelligence’ bezeichnet man die Beschaffung von Informationen durch menschliche Quellen, welche Zugang zu sensitiven, für die Schweiz besonders relevanten Informationen haben. Diese Quellen werden gezielt ausgewählt und rekrutiert.
COMINT: Unter ‚Communications Intelligence’ versteht man die Beschaffung von Informationen durch elektronische Mittel, vor allem durch Erfassung von internationaler Kommunikation  -  wie im Falle von Onyx.
OSINT: ‚Open Source Intelligence’ bildet die Basis der Analyse und steht meistens am Anfang der Auswertungsarbeit. Durch das Konsultieren von öffentlich zugänglichen Quellen wie Zeitung, Radio und Fernsehen, kann sich der Einsatz von anderen nachrichtendienstlichen Mitteln erübrigen.
Partnerdienste: Der Austausch von Informationen mit Partnerdiensten ist aufgrund der hohen Qualität der Informationen eine besonders wertvolle Quelle der Beschaffung; ein derartiger Informationsaustausch gründet meist auf langjährige gegenseitige Beziehungen. 
Globale Abhörnetze:
Will man die Abhörkapazitäten eines kleinen Landes wie der Schweiz beurteilen, sollte man sich auch die Möglichkeiten der anderen Länder ansehen.
 
Das Echelon System der NSA[iii] erfasst laut FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte „alle Satelliten-, Mobil- und Richtfunkstrecken sowie Festnetzleitungen“.[iv] Nutzniesser des Systems mit Abhörstationen in Ländern wie Belize, Gibraltar, Zypern, Oman oder der Türkei, sind neben der USA auch die Länder mit Zweitzugriff: Grossbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Der Drittzugriff für „Third Parties“ steht Nato-Partnern wie Deutschland, Dänemark und Norwegen, aber auch Malaysia, Singapur, Südkorea, Taiwan, Israel und Südafrika offen. Das Echelon-System dient laut Ulfkotte nicht nur der militärischen Spionage, sondern vorwiegend auch der politischen und wirtschaftlichen Spionage.
 
Gemäss einem Bericht des Europäischen Parlaments unterhalten neben der NSA auch der französische Geheimdienst DGSE [v] und der russische Geheimdienst GRU ein globales Abhörnetzwerk. Unter den übrigen Ländern der Welt besässen auch China, Indien, Israel und Pakistan COMINT-Kapazitäten von einer gewissen Bedeutung. 

Onyx
Die Anlagen des Projektes Onyx, ehemals SATOS genannt, stehen in 3 kleinen Schweizer Ortschaften: Zimmerwald, Heimenschwand und Leuk. Betrieben werden sie von der Abteilung Elektronische Kriegsführung (EKF), einer Abteilung der Untergruppe Führungsunterstützung des Generalstabs. Laut Paul Günter, SP-Nationalrat und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, hat Onyx etwa 100 Millionen Franken gekostet und beschäftigt zur Zeit etwa 40 Leute.[vi] 

Betrieb
Die zahlreichen dort stationierten Antennen und Satellitenschüsseln erlauben das Erfassen der Downlinks von Satellitenkommunikationen. Als Downlink bezeichnet man das Wellenbündel, welches der Satellit zum Empfänger sendet. Was vom Sender zum Satellit geht, wird als Uplink bezeichnet. Im Allgemeinen sind diese zur Erde gesendeten Downlinks nicht auf eine genau begrenzte geographische Zone fokussiert. Nicht konzentrierte Signale können sich auf bis zu 50% der Erdoberfläche verteilen. Dies nennt man „Footprint“. In Europa erstrecken sich zum Beispiel die Footprints der Satelliten Inmarsat und Intelsat, welche die Satellitenkommunikation zwischen einem terrestrischen Telefonnetz und einem mobilen Kommunikationsteilnehmer  - wie z. B. Flugzeugen oder Schiffen -  oder die  Satellitenkommunikation zwischen zwei terrestrischen Fixnetzen herstellen, über ganz Europa. Demnach genügt zum Erfassen der Satellitenkommunikation von ganz Europa eine einzige Empfangsstation. In einem Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation über Onyx [vii] heisst es hierzu: „Allgemein gilt die Regel, dass pro Satellit, der erfasst werden soll, eine Antenne notwendig ist.“ 

Aufträge
Zur Zeit haben nur der SND (Strategischer Nachrichtendienst) und der DAP (Dienst für Analyse und Prävention) die Kompetenz Aufträge zu erteilen. Dies tun sie in völlig verschiedenem Ausmasse, so stammen allein etwa 92% der Aufträge vom SND und nur 8% vom DAP. Sie übermitteln der EKF die gesuchten Aufklärungsobjekte, meistens Organisationen oder Personen, und eine Liste von sogenannten Key Words. Die abgehörte Kommunikation wird vom System nach diesen Key Words durchsucht, und, wenn brauchbar, weitergeleitet. Laut SP-Nationalrat  Paul Günter, welcher in der Wochenzeitung WOZ  [viii] zitiert wurde, bestand die Liste der Key Words damals (April 2002) aus etwa 5000 Wörtern. Zum Vergleich: Ein Durchschnittsbürger benötigt im Alltag ungefähr 1000 Wörter. All diese Aufklärungsaufträge werden von der UKI (Unabhängige Kontrollinstanz) überwacht. Nur sind die Berichte dieser UKI nicht öffentlich zugänglich; aber damit nicht genug. Die Mitglieder dieser angeblichunabhängigen“ Kontrollinstanz werden laut dem Jahresbericht 2004 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte [ix] durch den Sicherheitsausschuss des Bundesrats ernannt; zur Zeit des Berichtes, also 2004, waren dies ein Vizedirektor des Bundesamtes für Justiz, der stellvertretende Direktor der Direktion für Sicherheitspolitik des VBS und der stellvertretende Direktor des Bundesamtes für Kommunikation. Wie man sieht, sind dies alles Leute der Exekutive und es befindet sich kein Vertreter des Parlaments darunter.
 
Die durch die Liste der Key Words erhaltenen Rohinformationen werden danach von einem Operateur des EFK manuell sortiert, mit einem Kommentar des Operateurs oder mit einer kurzen Übersetzung versehen und danach an den jeweiligen Auftraggeber (SND oder DAP) weitergeleitet. Dort werden die Rohinformationen dann zwecks Erstellung von Berichten oder Synthesen analysiert, übersetzt und ausgelegt. Diese Berichte werden dann an Bund oder Kantone, aber auch an andere Nachrichten- oder Sicherheitsdienste im Ausland weitergeleitet. Die Rohinformationen werden nur in Ausnahmefällen weitergegeben. 

Bedingungen der Informationsbeschaffung
Die Ermächtigung zur Informationsbeschaffung erfolgt einzig und allein über einen schriftlichen Auftrag. Ohne Auftrag keine Suche. Des weiteren ist Onyx nicht zur Überwachung von wirtschaftlichen, technologischen oder wissenschaftlichen Tätigkeiten ermächtigt, es sei denn, dies diene der Sicherheit der Schweiz; doch der aufmerksame Leser weiss, dass der Begriff Sicherheit nach dem 11. September 2001 sehr weit ausgelegt werden kann. Auch dürfen sich die Aufklärungsaufträge nur auf Aufklärungsobjekte im Ausland beziehen und keine schweizerischen Kommunikationsteilnehmer zum Ziel haben. Es wird allerdings zwischen dem Aufklärungsobjekt  und dem anderen Kommunikationsteilnehmer unterschieden, da sich die Überwachungsaufträge immer auf ein Objekt und seine Kommunikation beziehen. So ist es also erlaubt, die Kommunikation einer in der Schweiz befindlichen Person zu überwachen, wenn sie mit einem Aufklärungsobjekt kommuniziert. Die EFK ist jedoch nicht berechtigt, dem SND Informationen über Schweizer Kommunikationsteilnehmer zuzuleiten, auch dann nicht, wenn diese unabsichtlich erfasst worden sind. Sind solche „Zufallsfunde“ zur Erfüllung des Auftrages des SND unbedingt notwendig, müssen die Daten bezüglich des Kommunikationsteilnehmers in der Schweiz ganz oder teilweise gelöscht werden. Solche Nebenprodukte oder Zufallsfunde können jedoch,    und das ist problematisch, direkt und vollständig an den DAP weitergeleitet werden. 

Nutzen und Grenzen von Onyx
Laut dem oben erwähnten Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation über Onyx vom Herbst 2003 [x] bilden die Dank Onyx empfangenen Informationen, insbesondere im Bereich Proliferation, eine wichtige Informationsquelle des SND. Aber auch als Tauschmittel haben sich die Erkenntnisse aus Onyx laut Geschäftsprüfungsdelegation als nützlich erwiesen. Eine der wesentlichsten Grenzen leitet sich jedoch aus der Tatsache ab, „dass die grosse Mehrheit der Kommunikation zwischen Industrieländern nicht über Satelliten, sondern über leitungsgebundene terrestrische Infrastrukturen abgewickelt wird, die mit Onyx nicht abgehört werden kann.“ Der Meinung gewisser Ingenieure zufolge, wie im selben Bericht geschrieben wird, werde lediglich 1% des internationalen Telefonverkehrs über Satelliten abgewickelt und zwar hauptsächlich zur Sicherstellung der Verbindung mit Ländern, die keine guten leitungsgebundenen terrestrischen Infrastrukturen besitzen. Auf diese Zahl angesprochen, sagte mir auch jemand im Umfeld der Big Brother Awards [xi], er habe zwar keine genauen Zahlen, doch scheine der Prozentsatz gefühlsmässig zu stimmen. Die  Vorstellung, Onyx würde bei sämtlichen Telefongesprächen, welche aus der Schweiz ins Ausland führen, mitlauschen, wie sie durch den oben erwähnten Artikel der WOZ entsteht, ist demnach ziemlich überrissen. 

Beteiligung des Systems Onyx an einem internationalen Abhörnetz
Im Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen über Onyx [xii] ist auch von einem Bericht der Französischen Nationalversammlung die Rede. „In diesem Dokument wird darauf hingewiesen, dass das Echelon-Netz in seinem System die Schweiz einschliesse, die auf ihrem Hoheitsgebiet Empfangsstationen einzurichten gedenke.
Und in einem belgischen Bericht wird geschrieben: „Der belgische Bericht vom 25. Februar 2002 seinerseits weist mit Bezugnahme auf gewisse Quellen darauf hin, dass die Schweiz beim Aufbau eines Abhörsystems mit den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich zusammenarbeite.“ Weiter unten dann: „Tatsächlich hat die Geschäftsprüfungsdelegation GPDel während ihrer ganzen Arbeit keinen Hinweis gefunden, der auf eine mögliche Integration des Systems Onyx in irgendein internationales Abhörnetz schliessen liesse.“
 
Dem wiederum widerspricht eine Aussage des schon oben erwähnten Nationalrates Paul Günter im Parlament am 06.06.05 [xiii]: „Ihr Departement hat unserer Kommission vor einiger Zeit, es sind etwa zweieinhalb Jahre her, ein Papier zu Satos/Onyx zugestellt. Darin stand auf Seite 1, dass das System so konfiguriert sei, dass es an ausländische Dienste andockbar ist, auch an Echelon. Auf der letzten Seite stand allerdings auch, dass das in diesem Moment nicht gemacht werde. Unterschrieben war der Bericht von Generalstabschef Scherrer und vom Projektleiter Satos/Onyx.“ Die Antwort von Bundespräsident Schmid war: „No Comment. Was nicht heisst, dass Ihre Behauptung richtig war.“ 

Gegenwärtige Entwicklung
Zur Zeit wird in Zusammenhang mit Onyx oftmals auch Malachit erwähnt. Ob es bloss eine Umtaufung von Onyx, ein Zusatz zu Onyx oder ein komplett neues System im Bereich der Kommunikationsüberwachung ist, ist jedoch noch nicht klar. Klarer hingegen ist, was Bundesrat Christoph Blocher am 15. 06. 05 in einer Diskussion über die effizientere Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen im Ständerat sagte [xiv]: „Wir meinen auch, dass man im Bereich der elektronischen Kriegsführung zur Kommunikationsüberwachung im Inland die Dienste, die wir mit dem Abhörsystem Onyx haben, vielleicht besser einbeziehen könnte. Das alles muss jetzt in der Gesetzgebung berücksichtigt werden.“Unser überall geschätzter Justizminister will demnach seine eigene Bevölkerung abhören. Ohne weitere Worte. 

Fazit
Onyx ist kein Instrument zur totalen Überwachung der Schweizer Bevölkerung. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Die übermässige Geheimhaltung des Projektes Malachit und die Tendenzen zum Einsatz von Onyx im Inland, sowie die Weitergabe von Informationen aus Zufallsfunden an den DAP sind besorgniserregend. Auch die Unabhängigkeit der UKI darf getrost angezweifelt werden. Onyx soll Ende 2005/Anfang 2006 vollständig in Betrieb gehen.

Halten wir die Augen offen.




[i] http://www.weltwoche.ch/artikel/?AssetID=10344&CategoryID=60

[ii] http://www.ofv.ch/index.php?&ID=bkDet&nr=2295

[iii] Die „National Security Agency“ ist mit mehr als 100.000 Mitarbeitern weltweit der grösste US-Nachrichtendienst und ist ausschliesslich auf die Beschaffung von Informationen durch COMINT spezialisiert. (Siehe auch James Bamford: NSA http://www.randomhouse.com/features/bamford/home.html)

[iv] Udo Ulfkotte: Verschlusssache BND: http://www.randomhouse.de/book/edition.jsp?edi=163756

[v] Direction générale de la sécurité extérieure

[vi] Quelle des Autors

[vii] http://www.admin.ch/ch/d/ff/2004/1499.pdf

[viii] http://www.woz.ch/archiv/old/02/17/6573.html

[ix] http://www.parlament.ch/print/ed-pa-gpk-gpdel-2004.pdf

[x] http://www.admin.ch/ch/d/ff/2004/1499.pdf

[xi] http://www.bigbrotherawards.ch/

[xii] http://www.admin.ch/ch/d/ff/2004/1499.pdf

[xiii] http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4708/125502/d_n_4708_125502_125787.htm