«10 vor 10» hilft Asylrekurs-Kommission - von Nationalrat Ulrich Schlüer, Flaach ZH

Am 13. Januar 2006 informierte die «Schweizerzeit» in der «Spalte rechts» die Öffentlichkeit, dass zwei in ihrem Herkunftsland wegen schwerer Verbrechen ausgeschriebene und per Interpol gesuchte Albaner durch Entscheid der hiesigen Asylrekurs-Kommission in der Schweiz Asyl erhalten haben.

Der «Schweizerzeit-Kommentar hat massive Reaktionen ausgelöst. Diese erfuhren eine Verstärkung, nachdem Bundesrat Christoph Blocher den gleichen Vorgang in seiner Albisgüetli-Rede am 20. Januar in Zürich ebenfalls kritisch kommentiert hatte. Die Öffentlichkeit reagierte mit Kopfschütteln und offener Empörung.
 
 
Behauptungen …
 
Die harschen Reaktionen in der Öffentlichkeit riefen den Anwalt der beiden nunmehr in der Schweiz in Freiheit ihr Asyl nutzenden Albaner, den Basler Advokaten Dr. Heinz Lüscher auf den Plan. Es gelang ihm, «10 vor 10» am 23. Januar für einen Beitrag zu gewinnen, der schwere Vorwürfe an die Adresse jener richtete, die den Fall der beiden Albaner publik gemacht hatten.
 
Diese beiden Albaner seien in Wahrheit Opfer harter politischer Verfolgung des seinerzeitigen Berisha-Regimes (Staatspräsident 1992 - 1997) in Albanien. Das Bundesgericht, behauptete «10 vor 10», habe Anhaltspunkte anerkannt, wonach die beiden Albaner Opfer von Aktivitäten des albanischen Geheimdienstes geworden seien, der mit falschen Anklagen sowie mit Zeugenaussagen operiert habe, welche angeblich unter Folter zustande gekommen seien. Das Bundesgericht, behauptete der Basler Anwalt in «10 vor 10», habe diese Standpunkte anerkannt. Blocher müsse sich bloss noch entschuldigen …
 
Das sind zweifellos happige Vorwürfe. Wenn sie nur auch stimmen würden.
 
 
… und Fakten
 
Im Entscheid des Bundesgerichts vom 14. Dezember 2005, auf den sich die «Schweizerzeit» abstützt, finden sich die von «10 vor 10» präsentierten Ausführungen über die beiden Albaner tatsächlich. Allerdings als Einwendungen, die von der Verteidigung vorgebracht worden waren gegen die der Interpol-Fahndung gegen die beiden Albaner zugrunde liegenden Vorwürfe. Keinesfalls aber als Schlussfolgerungen oder gar Urteil des Gerichts.
 
Ein Gerichts-Urteil – das weiss jedermann, der je mit Gerichten zu tun hatte – präsentiert am Anfang immer in geraffter Form die Standpunkte, welche die Streitparteien im Verfahren eingenommen haben. Diese werden so wiedergegeben, wie sie von den Parteien vorgebracht und als Ausgangspunkt einer Verhandlung vom Gericht in Betracht gezogen worden sind. Diese Standpunkte bilden also den Ausgangspunkt, nicht das Ergebnis des Verfahrens. Die von Albanien 2004 – zu dieser Zeit war Berisha in der Opposition –anbegehrte Auslieferung hätte die beiden Albaner einem Gerichtsverfahren zuführen sollen, das sowohl die Anklagen als auch die Entlastungsargumente bezüglich der den beiden Albanern zur Last gelegten Taten hätte beurteilen müssen.
 
Die vom Schweizer Verteidiger der beiden Albaner gewählte Taktik zielte indessen darauf, eine solche Untersuchung um jeden Preis zu verhindern. Laut Bundesgerichts-Urteil argumentierten die Albaner und ihr Verteidiger in den in der Schweiz ablaufenden Verfahren ausschliesslich zukunftsbezogen: Würden die beiden Albaner je ausgeliefert, hätten sie in Albanien politische Verfolgung zu befürchten. Und zwar weil sie Roma seien.
 
Die Asylrekurs-Kommission erachtete diese Befürchtung als stichhaltig und hob den Entscheid des Bundesamts für Flüchtlinge, das den beiden Albanern Asyl verweigert hatte, auf. Es gewährte Asyl – bevor der kriminelle Sachverhalt im Rahmen der gegen die beiden Albaner laufenden Verfahren auch nur ansatzweise abgeklärt werden konnte. Aus dem Bundesgerichts-Urteil geht nicht einmal hervor, ob wenigstens überprüft worden ist, dass es sich bei den beiden Albanern tatsächlich um Roma handelt.
 
Das Bundesgericht war, als die Asylrekurs-Kommission den beiden Albanern Asyl gewährte, mit der Tatsache konfrontiert, dass die beiden Albaner in Auslieferungshaft festgehalten wurden. Wer auf Entscheid der Asylrekurs-Kommission Asyl erhält, darf indessen nicht in Auslieferungshaft behalten werden. Weil Auslieferung für jemanden, der hier Asyl erhalten hat, nicht mehr in Frage kommt. Das führte dazu, dass die beiden in Auslieferungshaft festgehaltenen Albaner nach dem Asyl-Entscheid der Asylrekurs-Kommission unverzüglich freigelassen werden mussten – ohne dass der ihnen angelastete kriminelle Sachverhalt irgendwie von irgend jemandem untersucht werden konnte.
 
 
Desinformation
 
Diese zweifellos äusserst wichtige Information unterschlug «10 vor 10» den Zuschauern. Es fiel ganz auf die vom Anwalt gewählte Verteidigungs-Taktik herein, jede Abklärung zum kriminellen Hintergrund der beiden Albaner um jeden Preis zu vermeiden. «10 vor 10» war auf diese besonderen Umstände im Verfahren gegen die beiden Albaner ausdrücklich aufmerksam gemacht worden. Trotzdem unterliess es die korrekte Information.
Unverzeihlich ist auch jene Lücke in der «10 vor 10»-Berichterstattung, die den Zuschauern gegenüber alle Bemühungen des Bundesamts für Justiz verschwieg, den Sachverhalt um die Interpol-Fahndung sorgfältig abzuklären, bevor der Auslieferungs-Entscheid zu den beiden Albanern in der Schweiz getroffen wurde – jener Auslieferungs-Entscheid, der danach durch den vorschnellen Asyl-Entscheid der Asylrekurs-Kommission nichtig geworden ist. Vorschnell, weil in keiner Weise abgewartet wurde, was die Abklärungen zu den kriminellen Anschuldigungen gegen die beiden Albaner ergaben.
 
Noch krasser fiel im Nachgang zur «10 vor 10»-Sendung jener Zeitungsbericht aus, den Redaktor Markus Brotschi in der «Berner-Zeitung» und in den dieser angeschlossenen Kopfblättern (sowie, noch etwas erbärmlicher, Jürg Sohm im gleichenorts gedruckten «Bund») noch auftischte. Brotschi wurde der Zusammenhang zwischen Bundesgerichts-Entscheid und Asylentscheid der Asylrekurs-Kommission detailliert und präzise dargestellt. Trotzdem übernahm er einseitig die gezielt tendenziöse Darstellung des Basler Anwalts der beiden Albaner. Wobei er sich zusätzlich Schützenhilfe erbat von Jürg Schertenleib, dem Hauptsprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) – jener Organisation, die aus der Verwaltung des Asylmissbrauchs in der Schweiz in der Vergangenheit wie kaum eine andere materiellen Gewinn gezogen hat. Auch Brotschi stellt – eindeutig wider besseres Wissen – Einwendungen der Verteidigung so dar, als handle es sich um ein abschliessendes Urteil des Bundesgerichts.
 
Jürg Sohm erachtete es für seine im «Bund» formulierten Breitseiten nicht einmal für nötig, sich bei den Angeschossenen wenigstens über den Sachverhalt ins Bild zu setzen. Ganz nach dem Motto: Unbelastet von genauem Wissen polemisiert sich’s am einfachsten.
 
 
Berisha-Albanien ist Vergangenheit
 
Zurück zur «10 vor 10»-Darstellung: Diese wurde dort zur Manipulation, wo sie die beiden per Interpol gesuchten Albaner kurzerhand und allein mit dem tatsächlich zweifelhaften Regime Berisha in Verbindung brachte, das Mitte der Neunzigerjahre Albanien beherrscht hatte.
 
Das Auslieferungs-Begehren von seiten Albaniens, das die Interpol-Fahndung ausgelöst hatte, erfolgte allerdings erst im Februar 2004, also Jahre nach der Berisha-Zeit. Das heutige Albanien kann keinesfalls unbesehen mit dem Berisha-Albanien in den gleichen Topf geworfen werden. Das Bundesamt für Justiz hat die Rechtsstaatlichkeit des Justizwesens in Albanien abgeklärt. Die Schweiz hat mit Albanien im Rechtsbereich Abkommen abgeschlossen. Unter anderem ein Rücknahme-Abkommen für hier abgewiesene Asylanten. Der Vorsteher der Justizdepartements hat sich anlässlich der Unterzeichnung dieses Rücknahme-Abkommens persönlich ein Bild gemacht über das Funktionieren der Justiz in Albanien. Albaniens heutige Justiz und das heute dort etablierte Polizeiwesen wurde unter massgeblicher Mitwirkung mehrerer europäischer Staaten in den letzten Jahren neu aufgebaut. Justiz und Polizei des heutigen Albanien völlig unbesehen mit der seinerzeitigen Berisha-Herrschaft gleichzusetzen, ist eine journalistische Fehlleistung bedenklichsten Ausmasses.
 
Tatsache ist und bleibt: Die Taktik der Verteidigung der beiden Albaner zielte darauf ab, eine sorgfältige Überprüfung der den beiden Albanern zur Last gelegten Verbrechen um jeden Preis zu verhindern. Diese Taktik ist dank dem raschen Asyl-Entscheid der Asylrekurs-Kommission – die ihrerseits keinerlei Abklärungen über den kriminellen Hintergrund der beiden Albaner abwarten wollte – aufgegangen. Der Öffentlichkeit das Recht abzusprechen, die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens als bedenklich zu kritisieren – dafür besteht wahrhaftig kein Grund.
Ulrich Schlüer