Warnungen

Eigener Bericht. BERLIN/SANTIAGO/LA PAZ Angesichts umfangreicher bolivianischer Verstaatlichungsvorhaben bringt die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ihre lateinamerikanischen Filialen und deren Partnerorganisationen gegen die Regierung in La Paz in Stellung. Bolivien hat vor wenigen Tagen ein Wirtschaftsbündnis mit Venezuela und Kuba abgeschlossen und Maßnahmen zur Nationalisierung der Energiebranche eingeleitet, die auch europäische Konzerne betreffen und in Berlin scharf kritisiert werden. Zu Beginn der kommenden Woche wollen hochrangige KAS-Vertreter auf einer zweitägigen Konferenz mit mehreren Staatssekretären und Bundestagsabgeordneten sowie brasilianischen Experten das weitere Vorgehen erörtern. Die Konferenz dient der Vorbereitung auf den Lateinamerika-Gipfel der EU (11.Mai). Dort werden die bolivianischen Wirtschaftsmaßnahmen ("neuer Populismus in Südamerika") im Mittelpunkt stehen. Bestimmende Kreise der deutschen Außenpolitik und die chilenische KAS-Außenstelle wenden sich seit geraumer Zeit gegen die Neuorientierung der bolivianischen Wirtschaftspolitik. Die deutsche Stiftung, in deren Mutterpartei bereits 1973 Sympathien für das Putschregime von Augusto Pinochet laut geworden waren, hat in den 1980er Jahren Kontakte zur damaligen christdemokratischen Opposition in Chile aufgenommen und verfügt heute über hervorragende Beziehungen zu den regierenden Eliten des Landes.

Die bolivianischen Verstaatlichungspläne werden von Berlin seit Monaten kritisiert [1] und jetzt zum Anlaß für deutliche Warnungen des deutschen Außenministers sowie der Europäischen Union genommen. In die enge Kooperation Boliviens mit Venezuela und Kuba könnte nach einem möglichen Sieg des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Ollanta Humala auch Peru einbezogen werden. Diese Perspektive bedroht deutsche und europäische Konzerninteressen, zumal die bisherigen Pläne zur engeren wirtschaftlichen Anbindung Südamerikas an die EU vor dem Scheitern stehen. Die Zukunft des Staatenbündnisses Comunidad Andina (Andengemeinschaft) [2], mit dem die EU ein Freihandelsabkommen abschließen wollte, ist ungewiss, seit Venezuela im April seinen Austritt erklärt hat. Ebenso vom Zerfall bedroht ist der Zusammenschluss Mercosur [3], mit dem die EU gleichfalls ein Freihandelsabkommen anstrebt [4]; der Präsident Uruguays hat jetzt mitgeteilt, sein Land ziehe einen Ausstieg aus dem Bündnis in Betracht.
 
Sorge
Angesichts der drohenden Rückschläge, die wegen des wachsenden Wirtschaftseinflusses der Volksrepublik China in Lateinamerika an Bedeutung gewinnen [5], mobilisiert die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ihre lateinamerikanischen Filialen sowie deren Partnerorganisationen, um gegen die neuen Bündnisstaaten Venezuela, Kuba und Bolivien vorzugehen. Die KAS-Außenstelle in Chile versammelte Mitte März "die für internationale Fragen kompetenten Mitglieder" der chilenischen CDU-Partnerpartei Partido Demócrata Cristiano Chileno (PDC), darunter ehemalige Botschafter, Außen- und Verteidigungsminister, zu einem außenpolitischen Workshop mit entsprechender Stoßrichtung. "Die Gefahr eines zunehmenden Populismus in Lateinamerika war Konsens bei den Anwesenden", umschrieb die KAS nach dem Treffen die verabredete Frontstellung gegen Maßnahmen zum Schutz der nationalen Wirtschaft Boliviens und anderer Nachbarstaaten. [6] Wenige Tage später vertraute die Organisation mehreren Journalisten chilenischer Printmedien ihre "Sorge an, daß sich in der Region populistische Bewegungen breit machen". Was sich hinter der sorgenvollen deutschen Sprachregelung ("Populismus") wirklich verbirgt, erfuhren chilenische Journalisten von der Konrad-Adenauer-Stiftung in einem Hintergrundgespräch. Demnach ist die Marktwirtschaft in Gefahr, wenn souveräne Regierungen in Lateinamerika Wirtschaftsprotektionismus betreiben - eine in Deutschland, in den Kernstaaten der EU sowie in den USA alltägliche Praxis, sofern sie der Einhegung eigener Unternehmenssektoren dient. Bei identischer Konkurrenzabwehr auf dem lateinamerikanischen Kontinent ruft die KAS nach höheren Werten: "Demokraten aus Parteien und Regierungen" sollten dem vermeintlichen Populismus ein Bekenntnis zum Rechtsstaat entgegensetzen, forderte die deutsche Stiftung in dem Hintergrundgespräch mit chilenischen Pressevertretern. [7]
 
Sehr positiv
Die KAS ist seit rund 40 Jahren in Chile tätig und verfügt über Einfluss auf den PDC (Partido Demócrata Cristiano Chileno), der Teil des Parteienbündnis "Concertación" ist. Das Bündnis regiert seit dem Ende der Pinochet-Diktatur und stellt ein PDC-Mitglied als Außenminister. Von ihm weiß die deutsche Stiftung, daß er "eine kritische Position zu den vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez angeführten Linkspopulisten Lateinamerikas einnehmen wird". [8] Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Lateinamerika sucht die KAS den deutschen Flügel des PDC weiter zu stärken und setzt dabei u.a. auf die Bildungseinrichtung der Partei (Instituto Chileno de Estudios Humanísticos/ ICHEH). Wie die Stiftung mitteilt, hat der neue ICHEH-Präsident Otto Boye 14 Jahre in Deutschland verbracht und über mehrere Jahre an der chilenischen Botschaft in Bonn gearbeitet; er äußert sich "sehr positiv über die Zusammenarbeit mit der KAS". Auch enge Beziehungen zu der vor wenigen Tagen gewählten neuen PDC-Vorsitzenden Soledad Alvear ließen "auf eine Verbesserung der Kooperation zwischen PDC, ICHEH und KAS hoffen", heißt es bei dem Berliner Polit-Unternehmen in Chile. [9]
 
Guter Rat
Ein Beispiel für die engen personellen Kontakte zu chilenischen Christdemokraten bietet das Mitglied des chilenischen Verfassungsgerichts Mario Fernández Baeza. Der Jurist ist der deutschen Stiftung verbunden, seit er in den 1970er Jahren mit einem KAS-Stipendium in Deutschland studierte - unter anderem bei dem ehemaligen KAS-Repräsentanten in Chile, Prof. Dr. Dieter Nohlen. Fernández Baeza arbeitete von 1990 bis 1999 mit zwei kürzeren Unterbrechungen als Staatssekretär im chilenischen Verteidigungsministerium und übernahm von 2000 bis 2002 die Leitung der Behörde. [10] Im Jahr 2003 wurde er für drei Jahre als Botschafter nach Deutschland entsandt - ein Amt, das zwischen 1990 und 2003 bereits vier weitere KAS-Stipendiaten innegehabt hatten. Bei einem gemeinsamen Treffen in den Räumen der deutschen Stiftung in Santiago riet Fernández Baeza kürzlich seiner Nachfolgerin, ihre Botschaftstätigkeit in Berlin zu nutzen, um "zu einer engen Zusammenarbeit mit den deutschen politischen Stiftungen und insbesondere mit der ihm und ihr verbundenen Konrad Adenauer Stiftung" beizutragen. [11] Für seine Verdienste um die deutsch-chilenischen Beziehungen hat Fernández Baeza bereits vor Jahren das deutsche Bundesverdienstkreuz erhalten.
 
Ordnung
Ihre Kontakte zu chilenischen Christdemokraten baute die KAS in den 1980er Jahren auf, als sich der Übergang vom Militärregime Augusto Pinochets zu Formen parlamentarischer Demokratie abzeichnete. Pinochets Putsch vom 11. September 1973, der Verstaatlichungsplänen des damaligen chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende ein blutiges Ende setzte, hatte zuvor in Kreisen der deutschen Unionsparteien zuverlässige Unterstützer gefunden. "Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang", schrieb die Parteizeitung der CSU am 22. September 1973; einen Monat später äußerte CDU-Generalsekretär Bruno Heck angesichts der damaligen Pogrome nach einem Chile-Aufenthalt: "Soweit wir Einblick bekommen haben, bemüht sich die Militärregierung in optimalem Umfang um die Gefangenen." [12] Über die neoliberale Wirtschaftspolitik, die das Pinochet-Regime in Abstimmung mit seinen ausländischen Gönnern durchsetzte, waren deutsche Wirtschaftskreise voller Bewunderung: "In Chile wird das Prinzip der freien Marktwirtschaft heute mehr praktiziert als bei uns und einiges, was man erreicht hat, grenzt ans Unglaubliche." [13]
 
Aggressiver
Die Grundzüge der chilenischen Wirtschaftspolitik blieben nach dem Ende des Pinochet-Regimes intakt. An dieser Kontinuität mitgewirkt zu haben, darf sich die Konrad-Adenauer-Stiftung anrechnen. Wie Berliner Regierungsberater urteilen, führt die seit 1990 regierende "Concertación" die "makroökonomische (...) Politik der unter Pinochet agierenden 'Chicago-Boys'" fort.[14] Daß dies auch für die übrigen Staaten Lateinamerikas gelten soll, unterstreicht der deutlich aggressiver werdende Auftritt der Berliner Außenpolitik und ihrer diversen Stiftungen zwischen La Paz und Mexico-City.
 
[1] s. dazu Wandel durch Entwicklung
[2] Mitglieder sind derzeit noch Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru.
[3] Mitglieder sind Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay und Venezuela.
[4] s. dazu Gestolpert und Wichtiger Markt
[5] Die Volksrepublik China hat in den vergangenen Jahren ihren Wirtschaftsaustausch mit Lateinamerika vervielfacht und erhält inzwischen mehr als vier Prozent der gesamten lateinamerikanischen Exporte. Rund ein Drittel der chinesischen Auslandsinvestitionen fließt nach Lateinamerika. S. auch Strategische Neubestimmungen und Neuer Anlauf
[6] Workshop: Herausforderungen der Außenpolitik für die neue chilenische Regierung; Konrad-Adenauer-Stiftung Chile, März 2006. Der Bericht der deutschen Stiftung über das Treffen endet mit dem Hinweis: "Die Gäste dankten der Stiftung für die Initiative, einen Beitrag zur Debatte über internationale und außenpolitischen Fragen zu leisten und baten um eine Fortsetzung dieser Treffen in der Zukunft. "
[7] Journalistengespräch über Herausforderungen für die neue chilenische Regierung; Konrad-Adenauer-Stiftung Chile, März 2006
[8] Michelle Bachelet beruft sieben Christdemokraten in ihr Kabinett; Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung 02.02.2006
[9] Partnerrunde mit den Leitern der von der KAS in Chile geförderten Institutionen; Konrad-Adenauer-Stiftung Chile, April 2006
[10] s. dazu Siegeskreuz
[11] Almuerzo-Coloquio mit Herrn Marion Fernández Baeza, Mitglied des chil. Verfassungsgerichts; Konrad-Adenauer-Stiftung Chile, April 2006
[12] Hans-Werner Bartsch, Martha Buschmann, Gerhard Stuby, Erich Wulff (Hg.): Chile. Ein Schwarzbuch, Köln 1974
[13] Dr. Otmar Emminger, ehemaliger Präsident der Bundesbank, zitiert nach: Gaby Weber: "Krauts" erobern die Welt, Hamburg 1982
[14] Die neue politische Landkarte Lateinamerikas; SWP-Aktuell 6, Februar 2006
 
s. auch Generalsprotest und Zuerst Gerechtigkeit sowie Was kommt nach Castro?
 
 
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56347 vom 5. Mai 2006