Metamorphosen

Zu was die Bundesrepublik Deutschland Hand bietet, geht aus dem nachfolgenden Bericht von German Foreign Policy hervor. Es sollte jedem klar sein, dass es unmöglich ist, dass angesichts der dargelegten Rüstungslieferungen ein Friede in Sicht sein kann.

Metamorphosen
Unter friedenspolitischen Vorwänden ("Existenzrecht Israels") betreibt Berlin die Entsendung deutscher Marine- und Polizeieinheiten in den Nahen Osten. Das in Vorbereitung befindliche Expeditionskorps soll die israelischen Embargomaßnahmen vor der libanesischen Küste fortführen und die bombardierten Straßenverbindungen nach Syrien besetzen. Der vom israelischen Kriegskabinett ausdrücklich befürwortete Bundeswehr-Einsatz gilt in Tel Aviv als unproblematisch, da durch langjährige Rüstungs- und Militärbeziehungen mit der Bundesrepublik abgesichert. Die bellizistische Allianz ergänzt glänzende Geschäfte der deutschen Wehrwirtschaft mit den arabischen Staaten und zeitigt zusätzlichen Gewinn: Durch die Israel gewährten Sonderkonditionen und politischen Überhöhungen ("Juden schützen") bewahrt sich Berlin vor Restitutionsforderungen in hundertfacher Milliardenhöhe. Nach einer mehrtägigen Inszenierung, bei der es um die öffentliche Hinnahme neuer Auslandseinsätze der Bundeswehr ging, ist die Entsendung deutscher Militäreinheiten in den Libanon inzwischen weitgehend akzeptiert. Truppenangebote wird der deutsche Verteidigungsminister heute in New York unterbreiten.
 
Reserven
Wie in ähnlichen Fällen zuvor hatte die Bundesregierung entsprechende Signale in das Zielgebiet der Intervention entsandt und war mit der verabredeten Zustimmung bedacht worden. Den floskelhaften Austausch eröffnete der Berliner Innenminister am vergangenen Wochenende und teilte mit, Deutschland werde sich seiner "Verantwortung" nicht entziehen [1]; daraufhin antwortete das israelische Außenministerium unverzüglich, deutsche Soldaten seien willkommen [2]. Um die erweiterte Militärkooperation durchzusetzen, berief sich Berlin zum wiederholten Mal auf die Toten der Shoah. Wegen Auschwitz, wahlweise auch trotz Auschwitz, sei der Bundeswehr-Einsatz unvermeidlich. Wie der Generalinspekteur der Bundeswehr daraufhin feststellte, verfüge die deutsche Marine noch über "Reserven".[3]
 
Kriegswirksam
Die deutsch-israelische Militärkooperation beschert der deutschen Rüstungsindustrie seit Jahrzehnten eine kontinuierliche Auftragslage. Nach offiziellen Angaben beliefen sich die deutschen Waffenexporte zwischen 1992 und 1999 auf mehr als zwei Milliarden DM. Von 2000 bis 2004 seien Rüstungsgegenstände im Wert von 500 Millionen Euro nach Israel ausgeführt worden, heißt es in Berlin. Der tatsächliche Umfang deutscher Militärhilfe dürfte weitaus höher liegen, da die Angaben kriegswirksame Leistungen im Bereich des Nachrichtenwesens sowie mittelbare Zuarbeiten nicht erfassen. Parallel munitioniert die deutsche Rüstungsindustrie die arabischen Widersacher Israels mit Exporten, die bislang meist deutlich unter den tatsächlichen Werten für Tel Aviv liegen. So betrugen die Ausfuhren nach Saudi Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate in den Jahren 2000 bis 2004 jeweils 200 Millionen Euro, nach Ägypten 100 Millionen.
 
Entlastung
Die deutsch-israelische Militärkooperation geht auf geheime Kontakte im Jahr 1957 zurück. Spätestens zu diesem Zeitpunkt öffnete sich den Rüstungsunternehmen der Bundesrepublik ein Exportfeld, das nach offizieller Lesart den Schutz des kurz zuvor neu gegründeten Staates bezweckt. Die geheimen Absprachen zwischen Franz-Josef Strauß, dem damaligen westdeutschen Verteidigungsminister, und seinem israelischen Amtskollegen Shimon Peres hatten jedoch einen völlig anderen Hintergrund: Sie folgten dem Druck der USA, die nach der Suez-Krise eine Nahostfront gegen die arabische Unabhängigkeitsbewegung schmiedeten und dabei von der Bundesrepublik technologisch wie finanziell entlastet werden wollten - durch Rüstungsgüter für Tel Aviv. Ein entsprechender Geheimvertrag über deutsche Waffenlieferungen und militärische Ausbildungshilfe für die israelischen Streitkräfte wurde im Juni 1962 abgeschlossen.
 
Neutralisiert
Für Kontakte zugunsten der amerikanischen Israel-Politik hielten sich in der Bundesrepublik vor allem sozialdemokratische Kreise zur Verfügung. In der israelischen Öffentlichkeit galten sie als weniger belastet und verfügten über Parallelorganisationen, die mit den damals bedeutenden Gewerkschaftsbewegungen in Tel Aviv oder Haifa unbefangener kooperieren konnten. Unter dem Vorsitzenden der Frankfurter Bank für Gemeinwirtschaft (BfG), eines Unternehmens der deutschen Einheitsgewerkschaft DGB, trat im April 1967 eine "Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen mit Israel" an die Öffentlichkeit. Die Organisation sorgte für die zivile Ergänzung der sich ausweitenden Militärgeschäfte. 1975 vereinbarten der DGB und der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut einen "Partnerschaftsvertrag", der linke Kritik gegen die deutsche Nahost-Politik neutralisieren hilft.
 
Ergänzung
Seit den 1970er Jahren erlaubt der komplementäre Aufbau der deutschen Nahost-Politik die Wahrung gegenläufiger Interessen. Dabei bedienen die SPD und die ihr verwandten Organisationen den Entlastungsbedarf der ursächlichen US-Strategie und gelten als entschiedene Fürsprecher Israels; deutsche Wirtschaftskreise mit nationalsozialistischer Unternehmensgeschichte und erheblichen Exportinteressen in der arabischen Welt werden vornehmlich von der FDP sowie von großen Teilen der CDU/CSU betreut. Diese wechselseitige Ergänzung spiegelt die Statistik. So lag das deutsch-israelische Handelsvolumen Ende der 1990er Jahre mit 4,3 Milliarden US-$ geringfügig unter dem deutschen Warenaustausch mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Iran (insgesamt 6,8 Milliarden US-$)
 
Besorgnis
Neuerdings kommt es zu erheblichen Schwankungen, deren Ursache die zunehmende Liquidität der arabischen Energielieferanten aufgrund hoher Rohstoffpreise ist. So machte das deutsch-israelische Handelsvolumen im vergangenen Jahr (3,7 Milliarden €) nur noch 15 % des Handels mit den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens aus (24,7 Milliarden €). Diese Unausgewogenheit ruft in der deutschen Außenpolitik Besorgnis hervor. Am 7. Juni nahm der deutsche Wirtschaftsminister an der Gründungssitzung eines Deutsch-Israelischen Wirtschaftsrates teil, der Schwung in die zurückfallenden Handelsbeziehungen bringen soll.
 
Mittler
Gesteigerte Besorgnis prägt die deutsche Außenpolitik angesichts ihrer militärpolitischen Versuchung, im Nahen Osten als bewaffnete Ordnungsmacht aufzutreten. Wie zu erwarten, warnen FDP und große Teile der CDU/CSU vor den Folgen eines Bundeswehreinsatzes zugunsten Israels: Der arabische Markt könnte leiden. Umgekehrt bemühen sich SPD und verwandte Organisationen, in ihre US-basierte Israel-Politik auch arabische Staaten einzubinden, um einen Bruch mit den deutschen Industrieinteressen zu vermeiden. Jüngster Versuch war die Reise des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in den Nahen Osten. Bei seinen Komplementär-Aktivitäten, die der deutschen Öffentlichkeit als friedensstiftende Mittlertätigkeit dargestellt werden, holte sich Steinmeier (SPD) in Syrien jetzt eine Abfuhr.[4]
 
Philosemiten
Widersprüche und Übereinstimmungen der außenpolitischen Interessen im Nahen Osten werden der deutschen Öffentlichkeit überhöht präsentiert und in eine ursächliche Beziehung zu den nationalsozialistischen Massenverbrechen gebracht. Demnach müsse Deutschland (trotz oder wegen Auschwitz) "Israel schützen" und sei "den Juden" verpflichtet.[5] Solche Darstellungen dominieren die deutsche Nahost-Politik seit ihrem letztmaligen Scheitern im Jahr 1945 und der anschließend erzwungenen Umkehr antisemitischer Stereotype. "Der deutsche Nachkrieg war die Geburtszeit des philosemitischen Habitus", schreibt Frank Stern in einer Studie des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv.[6]
 
Ummantelung
Mit der angeblich tief empfundenen Zuwendung, die Israel gelte, gelang es den westdeutschen Nachkriegseliten, sich sowohl moralisch wie finanziell freizukaufen. Dieselben, die den antijüdischen und antislawischen Vernichtungskrieg zu verantworten hatten, traten nun als Gönner des "Judenstaates" auf. In London unterzeichnete der NS-Bankier Hermann J. Abs 1953 ein Schuldenabkommen, das die okkupierten Staaten und deren jüdische Bevölkerung um gerechtfertigte Milliardenforderungen brachte. Auch die israelische Seite akzeptierte die Brosamen der Mörder: 3,45 Milliarden DM als "Wiedergutmachung". Fortan funktionierte der Philosemitismus als politische Ummantelung der deutschen Nahost-Politik. Wegen der materiellen Zugeständnisse an Israel hatte die Bundesrepublik grundsätzliche Störungen aus Tel Aviv nicht mehr zu befürchten. In einer "philosemitischen Metamorphose" (Frank Stern) hatten sich die kaltblütigen Planer des antijüdischen Massenmordes in Förderer des angeblich heiß geliebten Israel verwandelt.
 
Abenteuer
Mit dem instrumentalisierten Philosemitismus, durch den die spiegelverkehrten Strukturen des rassistischen Judenhasses scheinen, zieht die deutsche Nahostpolitik in ihr nächstes Abenteuer - weil Berlin möchte, "dass Deutschland zu den großen Akteuren der Weltpolitik gehört" [7], nicht jedoch, um "Israel zu schützen".
[1], [2] Schäuble und Jung offen für Nahost-Einsatz; N24.de 14.08.2006
[3] Bundeswehr hat Reserven für Nahost-Truppe; Financial Times Deutschland 15.08.2006
[4] s. dazu Bürgerkrieg
[5] Beispielhaft: Israel muss geschützt werden; Berliner Zeitung 16.08.2006
[6] Frank Stern: Im Anfang war Auschwitz. Antisemitismus und Philosemitismus im deutschen Nachkrieg, Gerlingen 1991
[7] Israel muss geschützt werden; Berliner Zeitung 16.08.2006
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56460 vom 17.08.2006