Attentat auf Rafic Hariri: Ziehen diejenigen, die den Abzug betätigt haben, jetzt die Fäden? - von Silvia Cattori

Einen einmaligen Einblick in die Aktivitäten von Geheimdiensten, Mitarbeitern unserer Regierungen und sogenannten Ermittlern vermittelt der nachfolgende, an einigen Stellen von uns ganz leicht gekürzte Bericht zur Ermordung des früheren libanesischen Premiers Rafik Hariri. Er zeigt einmal mehr, wie wir immer wieder offiziell belogen und getäuscht werden.

Jürgen Cain Külbel, in der ehemaligen DDR kriminalpolizeilicher Ermittler, wurde nach der Wiedervereinigung Deutschlands Journalist. Er hat im Mordfall des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafik Hariri recherchiert und eine Gegendarstellung verfaßt. Réseau Voltaire präsentierte den Autor und dessen Ergebnisse auf einer Pressekonferenz am 7. Mai 2006 in Damaskus der arabischen Öffentlichkeit. In diesem Interview spricht er über die politische Rolle der UNO-Kommission und über die tabuisierte Spur, die auf eine israelische Verwicklung hindeutet.
 
Silvia Cattori: Ist es nicht ungewöhnlich, daß ein freier, allein arbeitender Journalist Recherchen zur Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik Hariri anstellt, wenn es bereits eine Untersuchungskommission gibt, der ein großes Budget zur Verfügung steht?
Jürgen Cain Külbel: Was nützen eine Menge hoch qualifizierter Ermittler, schier unerschöpfliche logistische, kriminaltechnische und andere die Untersuchung unterstützende Mittel, wenn bei der Untersuchung des Verbrechens sämtliche Prinzipien des üblichen ermittlungstaktischen Vorgehens vorsätzlich verletzt werden? Bei der Untersuchung von Straftaten mit unbekannten Tätern gehen die Ermittler gewöhnlich verschiedenen Versionen nach, um den Drahtziehern auf die Spur zu kommen. Im Falle Hariri hätten seit Tag eins neben vielen anderen folgende wichtige Ermittlungsrichtungen parallel zueinander existieren müssen: Mossad, CIA, Geschäftspartner, Exillibanesen. Das hat aber nicht stattgefunden. Und so bin ich einer diesen „vernachlässigten“ und nach meinem Geschmack besonders wichtigen Version nachgegangen und habe recherchiert. So ist mein erster Teil über den Hariri-Mord entstanden.
 
S. C: Wie Sind Sie auf die Idee gekommen, sich für so ein wichtiges Thema zu interessieren?
J. C. K: Ich will es in aller Deutlichkeit behaupten: Ich hatte schon kurz nach dem Mord das ungute Gefühl, daß es weniger eine ermittlungstaktische Schlappe zu sein schien, daß die UNO-Untersucher mit Vehemenz einzig der Spur Syrien folgten und noch immer folgen, sondern eher ein ebenso vorsätzlicher krimineller Akt wie das vorsätzliche kriminelle und international bislang ungesühnte Fälschen und Fabrizieren von „Beweisen“ durch Amerikaner und Lakaien - Weiße-Kragen-Kriminalität auf höchster politischer Ebene, die im Frühjahr 2003 den völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak zu legitimieren half. In beiden Fällen handelt es sich meiner Meinung nach um primitiven Betrug von Tätern, die zwar vorgeben, die Vereinten Nationen zu vertreten und moderne Demokratiebringer zu sein, jedoch in Wahrheit nur Möchtegernbezwinger unseres Globus sein wollen respektive ihnen zuarbeiten.
Um Ihre Frage in Sachen Hariri endgültig zu beantworten: Die Kommission mit den „ungeheuren Untersuchungsmitteln“ schien mir das Mittel zur Täuschung zu sein, um den Betrug auch im konkreten Fall Hariri zur Vollendung zu bringen. Sozusagen ein Verbrechen innerhalb der Verbrechensaufklärung. Und da sträuben sich mir die Nackenhaare noch immer.
 
S. C: Haben Sie auch vor Ort Untersuchungen angestellt?
J. C. K: Ja, doch darüber werde ich in einem nächsten Buch berichten. Lassen Sie mich an dem Punkt eine Anmerkung zum Spurenmaterial machen, das die UN-Kommissionen gesammelt haben. Es stellt sich nämlich momentan die Frage, ob das kriminaltechnische Element überhaupt (noch) von Wert ist. Was ist mit dem Material während des Juli-Krieges geschehen? Was hat der Belgier Serge Brammertz zwei Tage nach Kriegsausbruch, als er vor den israelischen Bomben floh, mit nach Zypern genommen? So viele Hände, die da während des Bombenhagels ungehindert Einfluß nehmen konnten. Das ist doch alles nicht mehr nachzuvollziehen und nicht mehr seriös. Sträflich auch, die Liaison zwischen dem frechdreisten John Bolton, US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, und Serge Brammertz zu vergessen! Bolton, der sich einst als Nachfolger für Herrn Mehlis dessen Klon wünschte und nachgerade Brammertz bekam, zeigt sich mit der Leistung des Belgiers bislang äußerst zufrieden. Da sollten die Alarmglocken schellen, denn Bolton, einer der wichtigsten lebenden Kriegsverbrecher, ist derjenige, der maßgeblich beim Türken der Beweise für den Irak-Krieg mitgewirkt hat. Überhaupt: Wie in allen bislang produzierten Reporten nachzulesen ist, konnten die UN-Kommissionen nichts bieten, was zur Überführung der Täter dienlich wäre. Herr Mehlis ist im vorigen Jahr kläglich gescheitert, weil er eindeutige Warnungen ignoriert hatte und dachte, er könne mit Rückendeckung der USA und der UNO Damaskus irgendwie zum Wohl von Bush und Kohorten in die Knie zwingen. Seine „Arbeit“, man denke an die absonderlichen Zeugenvernehmungen, darf nur noch Platz auf dem Müllhaufen der Kriminalistik finden oder als abschreckendes Lehrbeispiel in Seminaren für angehende Juristen oder Kriminologen simuliert werden.
 
S. C: Wie lauten Ihre bedeutendsten Schlußfolgerungen, und inwiefern widersprechen sie denen von Herrn Mehlis?
J. C. K: Meine Schlußfolgerungen haben mit denen von Herrn Mehlis generell nichts gemein. Es ist schade, daß mein Buch „Mordakte Hariri“ noch nicht in anderen Sprachen außer in Deutsch und Arabisch verlegt worden ist, denn immer wieder taucht diese Frage auf. Auch hatte ich nie vor, mit meiner Arbeit die zwei Berichte des Herrn Mehlis zu widerlegen. Vielmehr hatte ich vor, die Ermittlungen der UN-Kommissionen, die entlang einer kriminalstrategisch unzulässigen Einbahnstraße führen, ad absurdum zu führen und zwar allein durch den Nachweis dessen, daß es eine weitere wichtige Spur gibt, die unbedingt verfolgt werden muss. Normalerweise kommt es für ehrenhaft arbeitende Ermittler nicht in Frage, solche Hinweise, die ich erarbeitet habe, schlicht und einfach zu ignorieren. Aber genau an dieser Ignoranz kann man erkennen, daß die UNO-Kommission sehr einseitig arbeitet, sozusagen voreingenommen. Das ist unter normalen Umständen Gift für eine objektive kriminalistische Ermittlungsarbeit, allerdings Lebenselixier für devote „Chefermittler“, die einzig die politischen Interessen ihrer Auftraggeber befriedigen. Aber das müssen die beteiligten Herren, offenbar alles tote Fische, die mit dem Strom schwimmen und den Mund halten, Diener der Systeme, mit ihrem Gewissen, soweit vorhanden, selbst abmachen. Ich fordere an dieser Stelle noch einmal, Richard Perle zu vernehmen oder Daniel Pipes, ein Mann, der zumindest in Deutschland unter anderem Vorzeichen längst wegen Volksverhetzung einsitzen würde, oder Abdelnour oder Najjar oder Kahl, und wie sie alle heißen; all diejenigen, die in meinem Buch vorkommen und irgendwie Dreck am Stecken haben, Hariri auf der Abschussliste hatten, Umsturz im Libanon forderten, etc. Die haben die Gewalt doch schon theoretisch vorgeplant, einige hatten Hariri bereits mit Worten getötet oder auf die Abschussliste gesetzt. Wieso hat bislang keiner dieser tollkühnen, im Libanon stets unter Lebensgefahr arbeitenden, sich selbst aufopfernden Helden Chefermittler auch nur einen dieser Typen wenigstens ansatzweise befragt? An dieser Stelle wird die Kommission zur Lachnummer, weil sie indirekt postuliert, was sie will und was nicht. Die seriöse Medienlandschaft ist gefragt, Druck auf die UN-Kommission auszuüben. Ich diskutiere hier nicht um Details, Spuren, Vernehmungsinhalte. Es geht um die Infragestellung der Objektivität der Untersuchung; denn die ist nicht gegeben, weil die Kommissare vor einer wichtigen Spur die Augen verschließen; und zwar vorsätzlich. Da können die Verantwortlichen, auch ihr Präsident Chirac, noch so schöne Worthülsen spucken.
 
S. C: Sie sind zu dem Schluss gekommen, daß Syrien nicht, wie zuvor von Herrn Bush behauptet, für die Ermordung Hariris verantwortlich ist.
J. C. K: Bushs Kohorten wussten, was sie anzettelten, als sie ihren Führer in Washington noch über der warmen Leiche von Hariri sagen ließen, die Drahtzieher des Verbrechens säßen in Damaskus. Das Echo kam prompt und war drusisch und antisyrisch libanesisch. Das Lied, das der erste Kommissar, der Ire Peter Fitzgerald, dann im März 2005 über die Schlamperei der libanesischen Behörden bei der Tatortsicherung und -untersuchung anstimmte, war Kalkül und überheblicher Kolonialstil. Alle Welt wusste, daß es der libanesischen Polizei, den Geheimdiensten, mit unseren Standards verglichen, an hochqualifizierten - besser wäre spezialisierten Fachleuten - technischer Ausrüstung, forensischen oder kriminaltechnischen Untersuchungsmethoden mangelte. Ebenso fehlte neben der Logistik das kriminaltaktische Know how, wie mit solchen überdimensionalen Kapitelverbrechen umzugehen ist. Woher auch? Die Verantwortlichen am Potomac und die Dienste, die das Attentat auf Hariri ausgeheckt hatten, wussten genau, daß, wenn die Libanesen die Erstuntersuchung einleiteten, in so einem Fall hundertprozentig Nachlässigkeiten eintreten würden. Fehler und Schlampigkeiten dieser Art sind in der kriminalpolizeilichen Untersuchung übrigens weltweit keine Seltenheit. Und in diesem konkreten Fall, dem Attentat auf Hariri, sollten diese „Fehler und Schlampereien“ als Vorwand genommen werden, um einen Anfangsverdacht zu konstruieren, der in Richtung libanesisch-syrisches Komplott ging. Angeheizt wurde die Fiktion zuerst durch den Nahost-Korrespondenten Robert Fisk, der noch vor der Veröffentlichung des Fitzgerald-Reports in der britischen Tageszeitung The Independent ein irriges Bild zeichnete: Die Ermittler seien davon überzeugt, daß ‚in den höchsten Rängen’ der Geheimdienste Beweise verschleiert worden seien und daß der UN-Bericht ‚verheerend’ ausfallen werde. Robert Fisk nannte keine Quellen, weissagte dagegen, US-Präsident George W. Bush werde bald verkünden, ‚syrische und vielleicht libanesische Offiziere des Militär-Geheimdienstes’ seien in den Mord "involviert" gewesen. Das Weiße Hause verneinte dies damals noch, was aber eher als Heuchelei zu betrachten war.
 
S. C: Welche Ziele verfolgten die Mörder?
J. C. K: Ein Gespenst geht auf der Weltkugel um. Im Zuge der globalen Restauration der Verhältnisse, die vor der Teilung der Welt in ein kommunistisches und kapitalistisches Lager existierten sowie von geostrategischen ökonomischen Interessen des Kapitals angetrieben, greifen die Exponenten westlicher Herrschaftsformen, irrtümlich als Demokratien bezeichnet, beim Schleifen nicht genehmer Regierungen zur Billig-Variante des Putsches, den ‚demokratische Revolutionen’. Zogen die Imperatoren von jenseits des Atlantiks mit ihren angelsächsischen Paladinen noch 2003 gegen den Irak zu Felde, merkten die Kriegsverbrecher bald, daß sie sich in der Sache verhoben hatten: Die Befriedung des Iraks blieb aus, ebenso der Dominoeffekt: nämlich den Pan-Arabismus zu liquidieren, indem andere Autokratien und Diktaturen so nebenbei stürzen. um mit leichter Hand eine Balkanisierung Arabiens auszulösen, das so leichter beherrschbar, ausbeutbar würde und Israel als Hegemonialmacht vor die Nase bekäme. Regent Bush der Jüngere griff entnervt in die kaderpolitische Hamsterkiste, zerrte die gletscherkalte Afroamerikanerin Condoleeza Rice hervor und kürte sie zur Außenministerin. Seither unterstützt und finanziert Rice - ebenso wie Kriegsprofiteur US-Vize Cheney oder Donald Rumsfeld, Oberbefehlshaber der US-Terrormacht, Diener des Big Oil - offen oder versteckt ‚Widerstandsbewegungen’ in den früheren Staaten der Sowjetunion und im Nahen Osten, um amerikafreundliche Regimeveränderungen zu erzwingen. Unterstützung fließt eben auch in Regionen, die in strategischer Nähe zu geplanten Pipelinerouten liegen.
 
Finanzielle und „logistische“ Hilfe leisten unter anderen das von dem ehemaligen Direktor der CIA, James Woolsey, geleitete Freedom House, die United States Agency for International Development (USAID), das Open Society Institute von George Soros, einer der reichsten Parasiten der Welt, das National Endowment for Democracy (NED) und auch Tony Blairs Regierung. Seit Rice durfte sich das Weltpublikum nun an einigen eintagsfliegenähnlichen ‚demokratischen’ Obst- und Gemüserevolutionen ‚erfreuen’: Orangen in der Ukraine, Samt in Georgien, Tulpen in Kirgisien und die im Frühjahr 2005 nach dem Attentat auf Rafik Hariri angekurbelte Zedernrevolte. Die wiederum wurde vom Drusenkönig Walid Jumblatt, Massenmörder im libanesischen Bürgerkrieg, angeführt.
 
S. C: War die Amtszeit von Hariri nicht fast schon beendet?
J. C. K: Das war doch egal, eine Galionsfigur des öffentlichen und politischen Lebens musste publikumswirksam abgeschlachtet werden, um die Wut der libanesischen Volksseele zum Kochen zu bringen. Ein getöteter Hariri, ein massakrierter Mister Libanon, der den Staat wie Privateigentum führte, war wie kein anderer dazu geeignet, um die „Zedernrevolution“, ein Begriff aus der neokonservativen Vorratskammer, in Gang zu setzen.
 
S. C: Standen Sie während Ihrer Ermittlungen in Kontakt mit der Mehlis Kommission?
J. C. K: Ich betrachtete das als unsinnig; eben weil ich eine völlig andere Spur habe. Trotz allem hatte ich in einem Falle den Kontakt zu Herrn Mehlis gesucht. Es ging um die Störsender, die in Hariris Wagenkolonne eingebaut waren und nach Angaben eines Anonymus aus israelischer Produktion stammen. Er verwies damals auf seine Schweigepflicht und leitete meine Anfrage an Brammertz weiter. Kaum aber war die deutsche Ausgabe der ‚Mordakte Hariri’ auf dem Markt, brach er überraschend sein Schweigegelübde und teilte am 21.4.2006 dem libanesischen Daily Star mit: <Die im Buch gemachten Behauptungen, wie die, daß das System der von Hariri benutzten Störsender von einer israelischen Firma sei, sind völlig falsch und einfach lächerlich. Ich und einige Mitglieder der UN-Kommission haben die Angelegenheit untersucht: das System, das von Hariri benutzt wurde, wurde aus einem westeuropäischen Land importiert.> Gut, importiert bedeutet längst nicht produziert. Die Beantwortung letzterer Kernfrage blieb mir Gil Israeli, ein ehemaliger Geheimdienstler und Chef der israelischen Firma, die diese Störsender produziert, schuldig
 
S. C: Angenommen, einige Zeugen hätten ihre Aussage nicht zurückgezogen, hätte dann Herr Bush über den nötigen Vorwand verfügt, um seine Pläne zur Destabilisierung Syriens sofort in die Tat umzusetzen?
J. C. K: Klar, Bush hatte nach dem Libanon den Dominoeffekt im Auge und glaubte, auch Syrien würde eine leichte Beute werden. Ein geeigneter Pappenheimer, also so eine Art Tschallabi für Syrien, stand auch schon Gewehr bei Fuß: der in der USA beheimatete ‚syrische Oppositionsführer’ Farid Ghadry. Der in Aleppo geborene Geschäftsmann und Präsident der nach dem 11. September eilig gegründeten Reformpartei Syriens (RPS) ist den Syrern völlig unbekannt. Achtjährig emigrierte er mit den Eltern nach Libanon, später in die USA, studierte dort Finanzwirtschaft und Marketing, arbeitete in der Rüstungsindustrie und kam zu Wohlstand. Nach dem 11. September 2001 sah er seine Zeit gekommen, um der fernen Heimat mit ökonomischen und politischen Reformen zu Demokratie, Wohlstand und Freiheit zu verhelfen. Deshalb trat er dem US-Committee on the Present Danger bei, dem Leute wie Newt Gingrich und der frühere CIA-Chef James Woolsey angehören. Ghadry schrieb im Februar 2005 unter dem Eindruck der Ereignisse in Libanon in einem Zeitungsartikel: <Demokratie (in Syrien) wird ein illusionärer Traum bleiben, solange die US-Regierung nicht willens ist, die Reformer öffentlich zu unterstützten und finanziell anständig auszustatten. Ein Treffen im Weißen Haus mit einem syrischen demokratischen Führer könnte deutliche Signale in Richtung Damaskus senden, daß Veränderungen auf den Weg gebracht sind.> Schon Ende März wurde er von Elizabeth Cheney, Tochter des Vizepräsidenten und im Außenministerium für den Nahen Osten zuständig, erhört. Mit Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte sie einst die Middle East Partnership Initiative (MEPI) installiert, die unter dem Deckmantel ökonomischer, politischer und Bildungsreformen oppositionellen Kräften in der arabischen Welt Gelder zuschießt. Allein 2003 flossen 100 Millionen $. Die 36-jährige Hardlinerin leitete in Washington ein ‚inoffizielles’ Meeting, an dem Farid Ghadry mit seinen in der USA beheimateten und in der Dachorganisation Syrian Democratic Coalition (SDC) vereinten ‚syriscchenOppositionellen’ teilnahm und bei dem mit offiziellen Beamten des Büros des Vizepräsidenten, des Pentagons und des Nationalen Sicherheitsrates Wege erörtert wurden, wie das <Regime in Damaskus geschwächt und syrischen Offiziellen kriminelle Machenschaften nachgewiesen werden könnten.> Ghadry, der darauf drängte, daß der US-Präsident persönlich den Druck auf Damaskus erhöht, resümierte nach der Runde: Der Ruf nach Demokratie in Syrien werde < in der Regierung Bush auf höchster Ebene sehr ernst genommen>. Seinerseits wolle er in enger Zusammenarbeit mit der US-Regierung und der EU das ‚Syrien drangsalierende Baath- Regime’ stürzen. Ghadry, der eng mit Abdelnour zusammenarbeitete, verschwand jedoch in der Versenkung, nachdem er das Europäische Parlament angelogen hatte und von seiner eigenen Partei wegen dubioser Praktiken entthront wurde. Aus dieser tauchte er jedoch wieder auf, als zwischen dem 16. und 18. Juni 2006 in Beaver Creek (Colorado) das Weltforum des neokonservativen American Enterprise Institute (AEI) statt fand, was ja bekanntermaßen das Planungstreffen für einen amerikanisch-israelischen Luftangriff auf den Iran gewesen sein soll. Dort gab Cheney dem anwesenden israelischen Ex-Premier Benjamin Netanjahu grünes Licht für den jüngsten Angriffskrieg gegen den Libanon. Zu den 64 Teilnehmern zählten US-Verteidigungsminister Rumsfeld und andere Mitglieder der Regierung Bush. Und dort traf sich Cheney nun auch mit Farid Ghadry. Das bedeutet jedenfalls nichts Gutes.
 
S. C: Welche Rolle spielte Hariris Sohn bei der Entwicklung dieser Untersuchung? Schlug er sich nicht auf die Seite der Libanesen, die Mitarbeiter der Geheimdienste dazu brachten, Syrien zu beschuldigen?
J. C. K: Lassen Sie mich an dieser Stelle nur eins sagen. Suleiman Franjieh, der Chef der libanesischen Marada Partei, erklärte Anfang Juli 2006 während eines im Fernsehen übertragenen Interviews, daß auf ihn, als er Innenminister war, Druck ausgeübt worden war. Er sollte sagen,  daß die Bombe, die Hariri tötete, unterirdisch plaziert worden war, damit die Familie Hariri das Versicherungsgeld kassieren konnte. Hariri junior hat Franjieh wegen Verleumdung verklagt.
 
S. C: Und was sagen Sie zur Haltung des Sozialisten Walid Jumblatt und zu der von Marowan Hamadé?
J. C. K: Über Jumblatt möchte ich nicht sprechen, ich bin kein Psychiater. Ob Hamadé schon einmal darüber nachgedacht haben könnte, so eine Art Testballon für den Hariri-Mord gewesen zu sein? Sicher war er nicht das geeignete Opfer, um einen allgemeinen Bürgerradau zu provozieren, den man dann in gewünschte Richtungen kanalisieren kann. Aber zumindest war er für Tel Aviv als lebendige Person entbehrlich. Als Minister für Einwanderung erklärte er seinerzeit, als Elie Hobeika einer Autobombe zum Opfer fiel: <Es ist klar, Israel möchte in dem historischen Prozess in Belgien, der Ariel Sharon sicherlich für die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern in Sabra und Shatila verurteilen wird, keine Zeugen gegen sich haben Wir haben bereits unter dem Verbrecher Sharon in Beirut gelitten und Palästina macht heute wegen ihm dasselbe durch.> Harte Worte in Richtung Israel. Hamadeh wurde im Oktober 2004 Opfer eines Autobombenattentates in Beirut; er überlebte, sein Fahrer starb.
 
S. C: Was geschieht mit den Generälen, die im Anschluss an die Untersuchung von Mehlis verhaftet wurden?
J. C. K: Wo sind die Menschenrechtsorganisationen? Herr Brammertz verzichtete in seinem Report auf das Resümee von Mehlis, daß die Tötung Hariris nicht ohne Wissen hochrangiger syrischer und libanesischer Geheimdienstler geschehen konnte. Während Mehlis im Konjunktiv ‚Beweise’ aus der Retorte zauberte, legt Brammertz eine ungewohnt ‚vergeheimnissende’ Art an den Tag und verkauft neu, was eigentlich längst feststeht: Er spricht von einer hochkomplexen terroristischen Handlung, und davon, daß die Beteiligten sehr professionell vorgegangen sind und das Verbrechen <mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit geplant und den Einsatz mit hohen Standards an individueller und kollektiver Selbstdisziplin ausgeführt haben. Zumindest einige der Beteiligten hätten wohl Erfahrungen in solchen terroristischen Aktionen besessen.>
 
Alles beim Alten, beruhigte Jumblatt gewichtig: <Brammertz folgt der Arbeit von Mehlis. Die Tatsache,  daß der Report ( …) eine Verbindung zwischen allen Explosionen sieht, die vorher und nach der Ermordung von Hariri stattfanden, ist eine ausdrückliche Anklage gegen das syrische Regime (...), das den Libanon zur Zeit der Ermordung Hariris beherrschte.> Sozusagen eine stillschweigende Verurteilung des syrischen Regimes. Brammertz hat jedenfalls keine Einwände gegen die weitere Inhaftierung der im Sommer vergangenen Jahres auf Anregung von Mehlis inhaftierten vier hochrangigen libanesischen Sicherheitschefs, obwohl die Beweislage gegen die Herren im Dezember völlig zusammengebrochen war. Im Gegenteil, der Libanon bereitet sich in Zusammenarbeit mit der UNO auf ein Tribunal vor. Blauäugig, wer da denkt, Brammertz könnte einen Alleingang oder gar einen syrienfreundlichen Kurs fahren. Allein die europäische Dienstachse belehrt uns eines Besseren: Carla del Ponte, Chefanklägerin gegen Milosevic, hatte im Frühjahr 2005 ihren Herzensbruder Detlev Mehlis für das Amt des Chefermittlers vorgeschlagen; der wiederum empfahl im Dezember 2005 den Freund Serge Brammertz als seinen Nachfolger. Man haut sich doch nicht gegenseitig in die Pfanne!
 
S. C: Was hat Ihrer Meinung nach der Selbstmord des syrischen Innenministers zu bedeuten?
J. C. K: Offenbar Erpressung. Die USA hatte im Sommer 2005 Ghazi Kanaans Konten eingefroren. Sie krächzten, er sei an illegalen Geschäften in Libanon beteiligt gewesen. Kanaan hatte einst enge Beziehungen zu Hariri; auch finanzieller Art. Nicht nur die libanesischen Medien hatten nach dem Vorstoß der Amerikaner den psychologischen Druck auf ihn verstärkt: er wurde als ‚korrupter Drogenboss’ gehandelt. Von einer Befragung Kanaans durch Mehlis war dann die Rede. Sagen wir mal so: Da kommt einer, legt ihnen wortlos Dokumente auf den Tisch, aus denen hervorgeht, daß sie vom Opfer mehrmals viel Geld empfangen haben und verschwindet vorerst. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, dafür aber Walid Jumblatt, jenes Chamäleon des Libanons, sprechen lassen, als er mit seinen stets gewichtigen Mutmaßungen einmal nicht die Balken verbog: <Wenn sein Stolz unter dem erwarteten UN-Bericht zu dem Hariri-Attentat gelitten hatte, dann wäre das (der Selbstmord) die mutige Tat eines mutigen Mannes.>
 
S. C: Man beschuldigte Herrn Mehlis sehr schnell, nicht über die nötige Kompetenz zu verfügen, um eine so sensible Untersuchung zu leiten, und korrupten libanesischen Politikern und israelischen Quellen vertraut zu haben. Bestätigen Sie diese Aussagen?
J. C. K: Manche in Deutschland, die vorgeben, Herrn Mehlis beziehungsweise dessen Arbeitsmethode zu kennen, behaupten, er sei fachlich inkompetent und, ich sag’s mal im Jargon, dusslig. Das war im Dezember 2005 auch  die internationale Meinung. Ich habe nicht den Eindruck, daß es so ist. Vielmehr hat Herr Mehlis, analog Verbrechern, die eigene Handschriften in der Tatausführung entwickeln, einen eigenen staatsanwaltschaftlichen Stil hervorgebracht, der sich nachweisbar wie ein roter Faden durch seine Praxis zieht. Daß dieser Stil nicht unsere allgemeinen Vorstellungen von Recht und Moral abdeckt, ist eine andere Geschichte. Ich vergleiche das immer mit einem hochspezialisierten Spitzensportler; der ‚Spezialist’ Mehlis verfügt offenbar über solche Leistungsmerkmale oder Qualitäten, die es anderen erlauben, ihm einen Wunschtäter zu nennen, den er danach auch aufzubauen in der Lage ist. Damit hat sich auch der zweite Teil der Frage erledigt, denn eben auf solche korrupten Elemente, die Sie benannten, muss er dann auch zwangsläufig zurückgreifen.
Aber lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu Israel machen: Ibrahim Gambari, stellvertretender Generalsekretär der UNO für politische Angelegenheiten, sagte tatsächlich Ende August 2005, daß Mehlis eine gute Zusammenarbeit mit Israel und Jordanien hergestellt habe, nicht aber mit Syrien. Ein Witz angesichts der in diesem Jahr ausgehebelten Mossad-Netzwerke im Libanon, die dort seit Jahren Autobombenanschläge, Mord und Terror verbreitet hatten. Man fragt sich, wozu dieser Haufen mit Sitz in New York [die UNO] überhaupt noch nützlich ist.
 
S. C: Können wir also daraus schließen, daß die Untersuchungskommission unter Mehlis nur ein Werkzeug in den Händen der Neokonservativen war, die das Attentat Syrien unterschieben wollte?
J. C. K: Klar. Nehmen wir das Beispiel Serge Brammertz, sozusagen John Boltons Winkeladvokat. Obwohl es der Belgier bislang vermied, Damaskus die Schuld am Mord zuzuweisen, wie man es in Washington gern sähe, und betonte, daß <die künftige Kooperation der Syrer für die Untersuchung ausschlaggebend sei >, sah sich der für  Flegeleien berüchtigte Bolton genötigt, das wie folgt zu übersetzen: <Brammertz hat uns verdeutlicht, wenn auch diplomatisch, daß Syrien noch immer nicht voll kooperiert.> Das bedeute, man müsse den Druck gegen Syrien erhöhen, gegebenenfalls durch eine neue Resolution des UN-Sicherheitsrates.
 
Auf den ersten Blick scheint es, als bügle der Belgier Schlampereien, Manipulationen aus, die ihm Mehlis hinterließ. Fünfzehn Monate nach dem Attentat meint er nun, Hariri sei durch eine unter- und oberirdische Explosion getötet worden. Das behaupten Zeugen längst; Herr Mehlis verweigerte sich, weil es nicht in sein Verschwörungskonstrukt gegen die Syrier passte. Er favorisierte den oberirdischen Bombenschlag, von einem mit 1000 kg Sprengstoff beladenen Mitsubishi Cancer herbeigeführt. Den schob er den Syrern unter und zauberte diverse Geister aus der Flasche, die er ‚Zeugen’ nannte. Brammertz erwähnt die Zeugen nicht mehr; offenbar, weil sie ‚Aussagen’ unter Androhung von Folter oder nach Schmiergeldzahlung gemacht und sie längst zurückgezogen hatten. Aber er blendet das stümperhafte Material des deutschen Ermittlers nicht aus, denn noch sitzen aufgrund der suspekten Aussagen eben die vier libanesische Ex-Sicherheitsoffiziere in Einzelhaft, denen Mehlis die Tat in Kollaboration mit syrischen Geheimdiensten untergeschoben hatte.
S. C: Gerüchten zufolge soll Mehlis in Forschungszentren von Nachrichtendiensten in der USA gearbeitet haben, stimmt das?
J. C. K: Im Fall ‚La Belle’ war er 1996 einmal drüben und holte etwas rüber. Oder beim Skifahren fährt er mit Angehörigen der CIA, hoch droben in Aspen, Colorado. Mehlis ist offenbar ein Werkzeug der Geheimdienste. Ohne die dürfte oder könnte er überhaupt nicht in diesen sensiblen Bereichen schmutziger Politik herumkramen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Glauben Sie etwa, die Großmächte sind so dumm, ihre Zeit an „ehrliche” Untersucher zu verschwenden, die von einem naiven Drang nach Wahrheit getrieben werden? Doch zurück zu seinen Verbindungen zum israelischen Geheimdienst: Mehlis begann seine Arbeit in der UNIIIC (der Hariri Kommission) im Mai 2005. Wenige Wochen später, am 20. Juli 2005, fragte ihn die französische Tageszeitung Le Figaro: <Warum haben Sie Israel und Jordanien um Assistenz gebeten?> Mehlis antwortete: <Es ist bekannt, daß die Israelis gute Sicherheitsausrüstung besitzen, besonders technologische. Wir haben sie gebeten, uns Daten zu liefern, die das Attentat betreffen. Sie gaben uns gute Informationen.> Später, in seinem ersten Bericht am 19. Oktober 2005, sagte er in der Einleitung, Paragraph 19: <… es soll bedauert werden, daß kein Mitgliedsstaat solche nützlichen Informationen an die Kommission weitergab.> Mehlis scheint ein notorischer Lügner zu sein. Sogar die israelische Presse schrieb, daß sich Geheimagenten des Staates Israels mit seinem Team in Europa getroffen hatten. Selbstverständlich verschwendet keiner der Herren einen Gedanken daran, zu untersuchen, ob der Mossad Drahtzieher des Mordes an Hariri sein könnte oder nicht. Das gehört nicht zu den Befehlen, die sie von ihren Auftraggebern erhalten haben. Sie haben nur eine Vorgabe zu erfüllen: Syrien an den Schandpfahl pflocken. Das sind klassische Roboter, die sich das System selbst kreiert: angepasst, Karriere machend, skrupellos hinter ihren sauberen Masken, Huren des Systems, die, wie ich immer zu sagen pflege, für jede Art von Obszönitäten benutzt werden können.
 
S. C: Ist Serge Brammertz Ihrer Ansicht nach besser?
J. C. K: Brammertz hat die Weltöffentlichkeit mit seinem ersten und dem zweiten technischen Report offensichtlich getäuscht. Es wird gemunkelt, er habe in den letzten Wochen einen von Mehlis ‚Hauptzeugen’ wieder aufgewärmt: Mohammad Zuheir Siddiq. Dieser erzählte am Samstag, den 9. 9. 2006 auf Al Arabiyya, daß der <syrische Präsident Bashar Assad und sein libanesischer Amtskollege Emile Lahoud die Befehle zur Liquidierung des ehemaligen Premiers Rafik Hariri gegeben haben> und fügte hinzu, die <Attentäter sind gegenwärtig im Gefängnis und der Rest in Syrien.> Dabei bezog er sich auf die vier libanesischen Ex-Sicherheitschefs, die seit mehr als einem Jahr eingesperrt sind, eben auf der Basis seiner ‚Aussage’ und auf Empfehlung von Mehlis. Das sind der ehemalige Leiter für Sicherheit, Brigadegeneral General Jamil Sayyed, der frühere Chef des Armeegeheimdienstes General Raymond Azar, der ehemalige Chef der Präsidentenwache, Brigadegeneral Mustafa Hamdan und der ehemalige Polizeichef Ali Hajj. Der Spiegel hattejedoch bereits am 22. 10. 2005 enthüllt, daß Siddiq eine suspekte Person mit krimineller Vorgeschichte war; ein vorbestrafter Krimineller und Betrüger. Der angebliche ehemalige Offizier des syrischen Geheimdienstes war in Wirklichkeit mehr als einmal strafbarer Handlungen überführt worden, auch wegen Veruntreuung von Geldern. Der Spiegel berichtete, daß die UNO-Kommission wohl darüber im Bilde war, von Siddiq belogen worden zu sein; dieser hatte zuerst bestätigt, Beirut einen Monat vor dem Attentat auf Hariri verlassen zu haben, dann aber Ende September 2005 seine direkte Teilnahme bei der Durchführung des Verbrechens zugegeben. Siddiq hatte Mehlis gegenüber erklärt, er habe sein Appartement in Beirut den Verschwörern, die Hariri töten wollten, zur Verfügung gestellt; darunter waren eben auch die vier inhaftierten Sicherheitsoffiziere. Von sich selbst sagte er, für syrische Dienste Informationen über palästinensische Flüchtlingslager in Libanon gesammelt zu haben. Bereits Wochen vor seiner Aussage hatte die syrische Regierung eine Dokumentation über Siddiq an verschiedene westliche Regierungen geschickt, in der Hoffnung, Mehlis würde nicht in die Falle dieses notorischen Betrügers gehen. Später wurde bekannt, daß Siddiq Geld für seine Aussage unter Eid erhalten hatte. Seine Geschwister enthüllten, daß sie im Spätsommer einen Telefonanruf von ihm aus Paris erhalten hatten, in dem er verkündete: <Ich bin jetzt Millionär.> Der Libanon stellte einen Haftbefehl gegen Siddiq aus, die französischen Behörden lehnten die Auslieferung Siddiqs allerdings ab, weil im Libanon noch die Todesstrafe legal ist. Keiner der vier Sicherheitschefs wurde bislang von der Justizgewalt formal angeklagt, noch wurde einer von ihnen Siddiq gegenübergestellt, wie es das Gesetz erfordert. Am Samstag, den 9. September 2006, wiederholte Siddiq seine Beschuldigungen aus dem sicheren Paris heraus: <Ich sah das Fahrzeug [das den Sprengstoff transportiert haben soll], während es im syrischen Geheimdienstcamp Zabadani in der Bekaa-Ebene präpariert wurde und übergab dem ehemaligen Chef der UNO-Ermittlerkommission unumstößliche Bilder und Dokumente; ich habe die Negative bei mir; es gibt viele Dinge, die später enthüllt werden.> 
 
S. C: Ist es nicht merkwürdig, daß Kofi Annan so eine Person für einen so wichtigen Posten nominiert hat?
J. C. K: Herr Kofi Annan ist nun schon der dritte schwarzhäutige Mensch nach O. J. Simpson und Condoleezza Rice, dem ich nicht über den Weg laufen möchte.
 
S. C: Hat Frau Carla Del Ponte, Herrn Mehlis Pendant als Staatsanwältin beim Internationalen Gerichtshof (den Jacques Vergès als illegale Einrichtung betrachtet), diesen aus unschuldigen Motiven für die Untersuchung vorgeschlagen?
J. C. K: Alles vom selben Stamm. Carla del Ponte oder Carlita la pesta schlug Mehlis für den Posten vor, Mehlis nachher den Freund Brammertz als seinen Nachfolger.
 
S. C: Handelt es sich da nicht um eben den Herrn Mehlis, der bereits einen Skandal auslöste, als er für der Attacke auf die Discothek „La Belle“ in Berlin im Jahre 1986 Libyen als für den Anschlag verantwortlich bezeichnete - eine Anschuldigung, auf Grund derer die USA Tripolis und Benghazi bombardieren und Libyen isolieren konnte?
J. C. K: Mehlis hat tatsächlich die La-Belle-Ermittlungen geführt. Am Rande: Merkwürdigerweise kam der erste Gedanke, daß die Libyer dahinter stecken könnten, vom Inhaber selbst. Dieser sagte einen Tag nach dem Anschlag auf die vorwiegend von farbigen US-Soldaten besuchte Westberliner Diskothek, bei der eine junge Türkin und zwei GIs von einer Bombe zerrissen und rund zweihundert Gäste zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden, am 6. 4. 1986: <Man hört in letzter Zeit sehr viel von Terroranschlägen mit Ghaddafi als Drahtzieher und ich befürchtete, daß meine Diskothek möglicherweise irgendwann das Ziel eines solchen Anschlages sein könnte.> Inwieweit der Mann im Drogenmilieu steckte oder in den Waffenhandel verwickelt war - wie dies Zeugen behaupteten- und dadurch vielleicht für gewisse Dienste zum Spielball werden konnte, wurde nie untersucht.
 
S. C: Im Fall „La Belle“ spielten doch auch Funksprüche eine Rolle, die der Mossad gesendet hatte, um Libyen das Attentat in die Schuhe schieben zu können. Wie ist der Ermittler und Staatsanwalt Mehlis mit diesem ‚Spielmaterial’ umgegangen, das ja kaum als Beweismittel zu bezeichnen ist?
 
J. C. K: Für den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan stand gleich nach dem Attentat fest, daß der libysche Staatspräsident Muammar Al Ghaddafi den Anschlag inszeniert haben sollte. Als Beweis musste ein angeblich vom US-Geheimdienst NSA abgefangener Funkspruch des Libyschen Volksbüros in Ostberlin, damals Hauptstadt der DDR, herhalten; darin hieß es: „Um 1.30 Uhr heute früh hat die Durchführung einer der Aktionen mit Erfolg stattgefunden, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Das Volksbüro in Berlin.“ Im Lockerbie-Prozeß sagte der ehemalige Oberst im israelischen Geheimdienst, Victor Ostrovsky, unter Eid aus, Kommandogruppen des Mossads hätten damals einen Trojaner, also einen Sender in Tripolis installiert, der die falschen Signale über den ‚Erfolg’ der Berliner Bombe aussandte. Die abgefangenen Funksprüche waren vom Mossad erfunden worden, so Ostrovsky.
 
S. C: Was wissen Sie über diese so genannten Funksprüche?
J.C. K: Nun, Herr Mehlis hatte sich an den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach bei München gewandt und erhielt am 9.10.1996 vom BND ein Schreiben, das den Inhalt der suspekten Funksprüche enthielt. Um präzis zu sein: es handelte sich um fünf angebliche Telex-Verkehre, die zwischen Tripolis und dem libyschen Volksbüro in Ostberlin im Zeitraum zwischen dem 25. März und 5. April 1986 ausgetauscht worden sein sollen und die dem BND, so geben die Herren vor, im Rahmen der Auslandsaufklärung bekannt geworden waren. Laut BND waren die Meldungen seinerzeit von einem ‚befreundeten Dienst’ - mit großer Wahrscheinlichkeit ein US-amerikanischer - in verschlüsselter Form erfasst und an den BND weitergeleitet worden. Ersterer Dienst machte es gegenüber dem BND zur Bedingung, namentlich geheim zu bleiben, ermächtigte ihn aber dazu, die abgefangenen Meldungen der deutschen Staatsanwaltschaft und dem Gericht zur Verfügung zu stellen. Nicht nur, daß die Funksprüche ein geistiges Produkt des Mossads sind, wie Ostrovsky eidesstattlich bekundete, nein, sie haben auch auf unseriöse Art und Weise ihren Weg in einen deutschen Gerichtssaal gefunden. Das ist doch eine Intrige der billigsten Art und so durchsichtig, daß sich Menschen mit gesundem Verstand ob solcherart Manipulationen die Fußnägel aufrollen.
 
S. C: Können wir daraus schließen, daß Mehlis im Sinne Israels und der USA agierte, da er ja schon einmal eine Aktion des Mossads in dem Berliner Dossier gedeckt hat?
J. C. K: Ich schließe mich auch aus obigen Gründen der Analyse des Londoner Politikwissenschaftlers Nafeez Mosaddeq Ahmed weitestgehend an: <Als Berliner Staatsanwalt vertuschte Mehlis versehentlich, aber konsequent, das dubiose Interesse der US-amerikanischen, israelischen und deutschen Geheimdienste an dem Terroranschlag von 1986, konstruierte gegen Verdächtige aktiv einen selektiven, politisch motivierten Sachverhalt, und zwar ohne objektives materielles Beweismaterial, wobei er eine Gruppe von Verdächtigen mit dokumentierten Verbindungen zu westlichen Geheimdiensten ignorierte und schützte.>
 
S. C: Brammertz verlangt die Verlängerung der Untersuchung um ein Jahr; erscheint Ihnen das sinnvoll?
J. Cain Külbel: Irgendwie ist den Herren Ermittlern in der UNO-Inquisition zwar die Luft ausgegangen, d.h. die Beweislage gegen Damaskus und gegen die vier inhaftierten libanesischen Ex-Sicherheitsoffiziere ist so dünn wie das Loch in einer kaputten Socke, doch genügt es den dahinter stehenden Auftraggebern, sprich der US-Administration, offensichtlich erst einmal, die Beschuldigungen gegen Syrien zumindest ein weiteres Jahr am Kochen zu halten. Bush hat ja, wie man allgemein vermutet, in seiner zweiten Amtszeit noch einige kriegerische Imperialschläge vor.
 
S. C: Wird die Bewegung ‚14th March Movement’ von der USA finanziert?
J. C. K: Sie meinen damit jene lausige Truppe, die seit der Zedernrevolution zu Diensten von Mordamerika steht?
 
S. C: Ist dies den Zielen von Herrn Ziad Abdelnour dienlich, der Mann, auf den sich Tel Aviv und Washington verlassen, daß er ein ihnen günstig gewogenes Regime aufbaut (in Ihrem Buch beschreiben Sie Herrn Ziad K. Abdelnour, Vorsitzender des Kommittees „United States Committee for a Free Lebanon“ als Schlüsselfigur bei der Förderung der Pläne der Bush Administration)?
J. C. K: Er ist nach wie vor einer der eifrigsten Schreibtischtäter, der keine Möglichkeit der Propaganda und Hetze ausläßt, um Syrien und den Status quo in Libanon anzuprangern. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, Arabien klassische kapitalistische Verhältnisse aufzuzwingen. Eine politische Rolle wird er wohl nach meinem Buch nicht mehr spielen. Aber seine Wirtschaftinteressen und die seiner Klientel werden durch ein Marionettenregime selbstredend befriedigt werden. Das ist ja auch das eigentliche Ziel des Wallstreetbankers. Nicht missioniertes Araberland ist einfach ein wirtschaftlicher Verlust für Leute seines Schlages. Zwischen dem 5. und 7. Juni 2006 beispielsweise debattierte er in Dubai im Madinat Jumeirah Hotel zum Thema ‚Venture capital investing’ im arabischen Raum. Abdelnour sprach dort in seiner Eigenschaft als Präsident und CEO von Blackhawk Partners, LLC, USA, vor gewichtigen Brüdern aus großen Konzernen und Banken aus Europa, den USA und dem Nahen und Mittlern Osten sowie vor Vertretern des International Monetary Fund.
 
S. C: Hat die Destabilisierung des Libanons die von Israel und der USA finanzierten Kandidaten begünstigt, wie zum Beispiel Herrn Nagi N. Najjar, eine Art Herr Chalabi 2?
J. C. K: Kein einziger ehrlicher Libanese würde den Dauerkollaborateur mit Israel, diesen Najjar, auch nur als vorgesetzten Schuhverkäufer erdulden wollen. Diese Art unmoralischer Leute, meist Diener zweier Herren, existiert in den Grauzonen zwischen Politik und Geheimdiensten, treiben dort ihre Spielchen und bringen sich ein, eben als Kollaborateure und Drahtzieher. Die Rolle dieses ‚Strategen’ bedarf noch einer umfassenderer Aufklärung, als ich sie bereits in die Wege geleitete hatte. Etienne Sakr, der Führer der nach faschistischem Vorbild organisierten Bürgerkriegsmiliz ‚Guardians of the Cedars’, brachte Ende Februar eine Delegation libanesischer ‚Widerständler im Exil’ mit Mitgliedern des Britischen Parlaments zusammen, um die Lage im Libanon und in Syrien zu diskutieren. Najjar war selbstverständlich mit von der Partie. Die Exilanten, denen im Libanon Prozesse drohen, weil sie im Bürgerkrieg mit Israel kollaborierten, forderten dort das Recht zur Rückkehr und die Teilnahme am politischen Prozess ein, um dem islamischen Fundamentalismus den Kampf anzusagen. Zudem kritisierten sie Beirut, weil es die Hisbollah nicht entwaffnet. London und Washington, so forderte der im Libanon zum Tode verurteilte Sakr, sollten zudem den Druck auf die Regierung in Damaskus erhöhen, die wegen der ‚Förderung’ des Terrors und der Hisbollah ein Unruheherd in der Region sei. Beide Seiten kamen im Military Officers Club in London überein, das Anliegen im Auge zu behalten und noch mit den Franzosen abzustimmen. Beinahe zeitgleich, am 17. 3. 06, trafen sich, wie es der Zufall will, auch 14 syrische Exilpolitiker in Brüssel und erklärten, auch <Syrien bedürfe der Erlösung von dem autokratischen Regime, das das Land geschwächt hat.> Die Oppositionsgruppen von Liberalen, Kommunisten, Kurden und der Moslembruderschaft wollen beim Regimewechsel die Verfassung außer Kraft setzen, eine Übergangsregierung etablieren, Wahlen organisieren und den Notstand aufheben. <Eine unserer größten Herausforderungen ist es, die Mauer der Angst niederzureißen,> sagte Nadjib Ghadbian vom syrischen Nationalrat, einer Dachorganisation von Oppositionsgruppen in der USA. Ghadbian, Professor an der Universität von Arkansas, ist zudem führendes Mitglied des Washingtoner Center for the Study of Islam & Democracy (CSID), eine Dissidentenorganisation, die eng mit Cheneys und Rice’s USAID zusammenarbeitet. Man köchelte eben am „neuen Nahen Osten“, dem die granitene Rice huldigt.
 
S. C: Hat die Inhaftierung der Angehörigen des Mossads im Juni 2006 im Südlibanon irgendeine Verbindung zur Akte Hariri?
J. C. K: Ich hatte am 26. Juni 06 einen offenen Brief an Kofi Annan und Serge Brammertz geschickt, der auch in arabischen Tageszeitungen veröffentlich wurde. Darin forderte ich, keine unnötige Zeit verstreichen zu lassen und die Ermittlungen im Mordfall Hariri in Richtung Täterschaft ‚Israel und Mossad’ samt Kollaborateuren auszuweiten. Da derartige Verbrechen des Mossads im Ausland - wie zuletzt im Fall Majzoub - ausschließlich mit Billigung des israelischen Premiers ausgeführt werden, schlug ich Annan vor, die UNIIIC unverzüglich und notfalls per Resolution des UNO-Sicherheitsrat zu ermächtigen, die Verantwortlichen in der israelischen Regierung, allen voran Premier Ehud Olmert und Mossad-Chef Meir Dagan, zu vernehmen. Denn, wie die Ermittlungen der libanesischen Armee ergaben, verfügt Israel über umfassende Erfahrungen und ausgefeiltes Know how in der verbrecherischen und feigen Technik der Autobombenanschläge. Zudem bietet sich der UNIIIC unter Serge Brammertz samt seinen fleißigen Ermittlern die einmalige Chance, nunmehr in ein logistisch und technisch auf höchstem Niveau operierendes Terrorgefüge einzudringen und so möglicherweise auf viele offene Untersuchungsfragen - wenn auch nur zum Zweck des besseren Verstehens oder zum Vergleich - eine Antwort zu bekommen; darunter eben auch, mit welchen Hightech-Mitteln der Anschlag auf Hariri durchgeführt wurde.
 
S. C: Alle unparteiischen Analytiker sind der Meinung, daß Frankreich durch seine  Unterstützung der Resolution 1559 seit 2004 für das Desaster im Libanon verantwortlich ist. Verstehen Sie, warum Frankreich eine Position bezogen hat, die seinem Image in der arabischen Welt schaden könnte?
J. C. K: Selbstverständlich gehört Frankreich zu den Hauptverantwortlichen der Katastrophe, die den Libanon seit dem Mord an Hariri heimgesucht hat. Jaques Chirac ist nicht nur Mitläufer der US-amerikanischen Machenschaften in der Levante, er hat sogar aktiv versucht, Bush davon zu überzeugen, dem heutigen Frankreich im früheren Einflußgebiet des französischen Kolonialismus freie Hand zu lassen. Der Text der UNO-Resolution 1559, die zum Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon aufforderte, wurde von einem Berater des Elysées zusammen mit Außenministerin Condoleezza Rice entworfen. Weder Kofi Annan noch das französische Außenministerium sollen darüber informiert gewesen sein. Die Ereignisse danach deuten darauf hin, daß sich Chirac, Bush und Sharon bei dem Komplott, Syriens Präsident Assad zu stürzen und die Baath-Partei auszurotten, auf eine Verteilung der Rollen verständigt hatten.
 
S. C: Sind Sie der Meinung, daß sich diese Region mitten in einem langwierigen Krieg befindet und daß Israel diesen Krieg also nicht nur führt, um die Hisbollah zu zerstören, sondern auch, um die Völker dieser Region zu vernichten?
J. C. K: Israel nimmt vorderhand die Völkergemeinschaft als Geisel. Die ‚demokratischen’ Fürstenhöfe in Europa und anderswo schicken 15000 ihrer jungen Landeskinder, die mit robustem Mandat für die Sicherheit des Judenstaates zu sorgen haben, ins Heilige Land. Das bezahlen natürlich die Steuerzahler der jeweiligen Länder. Für die zurückgeführten Leichen gibt’s dann Trompetenklänge und Böllerschüsse. Ob das robuste Mandat aber gleichzeitig auch der Vorbereitung eines Schlages der Israelis oder der Amerikaner oder beider gemeinsam gegen den Iran dienlich sein könnte, weiß der Kuckuck aus Kentucky. Möglich ist schon, daß die Blauhelme genau dann in dem Teil des Arabischen Ostens für Rückendeckung  sorgen sollen, wenn die imperialen und israelischen Kampfflieger Teheran attackieren. Die hat die UNO sowieso in den vergangenen Jahren zu einem handlungsunfähigen Schrumpfkopf zusammengekocht und mit finanzieller Austrocknung gedroht, falls sie sich den Imperatoren am Potomac nicht fügt. Warum sollten nun die Amerikaner nicht auch noch die Streitkräfte, die eigentlich für Friedenseinsätze vorgesehen sind, zu Kampfzwecken und zum Wohle von Bushs und Cheneys Clique verbraten?
 
S. C: Der Mossad und die CIA sehen Sie heute sehr wahrscheinlich als Feind an und überprüfen Ihren Briefwechsel undIhre Kontakte; haben Sie keine Angst davor, man könnte versuchen, Sie brutal zum Schweigen zu bringen?
J. C. K: Das ist mir auch schon durch den Kopf geschossen. Auch in den Vorgängen, die Mehlis bearbeitet, kamen regelmäßig Leute um, sei es durch Unfälle oder Melancholie.
 
Quelle: http://www.voltairenet.org/article143544.html vom 22. 9. 06
Hervorhebungen durch politonline