Lieberman spricht laut über Israels Apartheidsrealität - Von Saree Makdisi

Die nachfolgenden Texte sollten aufmerksam gelesen werden, um zu ermessen, was andernorts unangefochten vor sich geht, während wir selbst unentwegt von dem uns von der UNO oktroyierten Rassismusgesetz bedrängt werden.

Das neue Buch des früheren Präsidenten Jimmy Carter wird diese Woche herauskommen. In diesem Buch wird Israel als ‚Apartheid’ bezeichnet. Doch noch bevor das Buch auf den  Verkaufsständen ausliegt, haben sich Mitglieder seiner eigenen Partei von seiner Darstellung distanziert. Während diese Bezeichnung für die Unterstützer Israels unangenehm ist, ist es ganz offensichtlich, dass Israel institutionalisierte Diskriminierung gegenüber nicht-jüdischen Bürgern praktiziert. Israel geht darin sogar noch weiter als Südafrika. Während die Weissen in Südafrika die Kontrolle über die Nicht-Weissen auszuüben trachteten, hat Israel seit seiner Errichtung verschiedene Mittel angewendet, um die nicht-jüdische Bevölkerung im Ganzen loszuwerden.
 
Nachdem Avigdor Liebermans Partei sich Israels Koalitionsregierung angeschlossen hat und Lieberman selbst zum Minister für die ’Strategie gegen die Bedrohung Israels’ ernannt wurde, verursachte er auch einiges Unbehagen unter den ernsthaftesten Unterstützern Israels. Aber Liebermans Aufstieg zum stellvertretenden Ministerpräsidenten sollte denen eine Pause zum Nachdenken geben, die  Carter so heftig dafür angriffen, dass er den Terminus Apartheid benützte, um Israels Politik zu beschreiben. Uns wurde erzählt, dass Lieberman keine Hilfe sei; dass er der falsche Partner für den augenblicklichen Ministerpräsidenten sei; dass er einen Frieden mit den Palästinensern nicht fördern wird; dass er hemmungslos und unverantwortlich sei und dass er - nach der israelischen Zeitung Haaretz - sogar eine strategische Bedrohung sei.
 
Dieser Konsens ist keine Reaktion auf Liebermans zweifelhaften Hintergrund - frühere Nachtklub-Rausschmeisser gelangten im allgemeinen nicht in staatliche Ämter - es ist eher die Tatsache, dass er bereit ist, diplomatische Nettigkeiten auszuteilen und Israels Ambitionen und Ziele auf primitivste und keineswegs rechtfertigende Weise äussert. Lieberman wünscht ein Israel ohne die ursprüngliche und einheimische Bevölkerung. Das erklärte Ziel seiner Partei ist es, die palästinensische Minderheit - etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung - aus Israel zu vertreiben und  Teile der besetzten Westbank und Ost-Jerusalems  mit grosser jüdischer Siedlerbevölkerung zu annektieren. Seltsam daran ist natürlich, dass Lieberman selbst  in einer entfernten Provinz der früheren UDSSR geboren wurde und nicht in Israel. Er  kam als Erwachsener nach Israel. Da er jüdisch war, bekam er nach dem israelischen Rückkehrgesetz sofort die israelische Staatsbürgerschaft. Aber es war für Lieberman als russisch sprechender und gerade dem Flugzeug entstiegener Immigrant offensichtlich noch nicht genug, dass er sofort die Rechte und Privilegien erhielt, die den im Lande geborenen Palästinensern und den  durch die Schaffung des Staates Israel 1948 Vertriebenen verweigert wurde. Die pure Präsenz einer einheimischen nichtjüdischen Bevölkerung in Israel war für ihn tatsächlich  nicht  annehmbar.
 
Also wünscht er sich die Nicht-Juden weg - und sagt es unverhohlen. Es ist also weniger die von Lieberman vertretene Politik als sein offener Rassismus, der Israels Fürsprecher, besonders die Liberalen, beunruhigt. Denn die einzigen bedeutenden Unterschiede zwischen Lieberman und den anderen Mainstream-Politikern sind eher Fragen des Stils als des Inhaltes.
Alle israelischen Politiker haben sich verpflichtet, Israels Jüdischkeit zu bewahren. Sie müssen dies tun - so ist das Gesetz. Als der Staat des jüdischen Volkes ist Israel das einzige Land in der Welt, das ausdrücklich behauptet, nicht der Staat all seiner jetzigen Bürger zu sein (der eine Million Nicht-Juden einschliesst). Von denen, die es tatsächlich (mit den besetzten Gebieten) beherrscht, sind  etwa die Hälfte palästinensische Araber. Der grösste Teil von Israels Land ist z.B. nicht im Besitz des israelischen Volkes, sondern des jüdischen Volkes, wo immer es lebt. Als Nicht-Juden ist es den palästinensischen Bürgern Israels verboten,  Staatsland zu erwerben, obwohl das Land ursprünglich palästinensisch ist. In ähnlicher Weise verbietet ein revidiertes Nationalitätengesetz palästinensischen Bürgern Israels Palästinenser aus den besetzten Gebieten zu heiraten und mit ihrem Ehepartner in Israel zu leben. Dieses Gesetz gilt aber nicht für jüdische Israelis, die einen jüdischen Siedler heiraten, der in den besetzten Gebieten lebt. Interessanterweise war ein ähnliches Gesetz in Südafrika auf dem Höhepunkt der Apartheid vorgeschlagen worden, doch wurde es vom Obersten Gerichtshof des Landes zurückgewiesen. Israels Nationalitätengesetz jedoch war von Israels Oberstem Gericht erst dieses Jahr gebilligt worden.
 
Im Grunde genommen ist dies alles nichts Neues. Tatsache ist, dass Nicht-Juden bestenfalls immer ein Hindernis für Israels Jüdischkeit gewesen sind. Wenn palästinensische Bürger Israels fordern, dass ihr Staat, ein Staat für all seine Bürger wird, dann werden sie bezichtigt, sie würden die  jüdische Natur des Staates gefährden. Auch deshalb forderte Israel wiederholt auch zur Aufgabe der Palästinensischen Nationalcharta als Einleitung zu Verhandlungen mit der PLO auf. Die seit langem bestehende palästinensische Forderung nach einem demokratischen und säkularen Staat, einem Staat für Araber und Juden, wurde immer als  Bedrohung für Israels Jüdischkeit betrachtet. Den Bürgern der fortschrittlichen westlichen Demokratien erscheint das Konzept eines demokratischen und säkularen Staates, eines Staates für all seine Bürger, grundlegend und normal. Für Israel dagegen ist dies wie ein  Fluch.
 
Das einzige, was Avigdor Lieberman vom durchschnittlichen Politiker in Israel unterscheidet, ist seine Bereitschaft, Israels Vision von sich selbst zu einem  logischen Abschluss zu bringen. Statt die Nicht-Juden als Bürger zweiter oder dritter Klasse zu tolerieren, wünscht er sie alle zusammen ‚raus’. Das Problem ist also nicht, dass Lieberman rassistischer ist als andere israelische Politiker. Es ist vielmehr so, dass er schamlos äussert, was die meisten seiner Anhänger nicht laut zu sagen wagen.
 
 
Quelle: Electronic Intifada, 15.11.06
Saree Makdisi ist Dozentin für Englisch und vergleichende Literatur an der University of California in Los Angeles und eine  häufige Kommentatorin des Nahen Osten.
 
Als Ergänzung der von Makdisi angeführten Fakten bringen wir hier den nachfolgenden Brief:
 
Ich möchte mit meiner Frau zusammenbleiben!
Von Ghassam Abdullah; Ramallah im Dezember 2006
 
Israel hat bestimmt, dass meine Frau und ich nicht mehr zusammen eben können. Ich bin Palästinenser und sie ist Schweizerin. Wir haben vor 28 Jahren geheiratet. Man hat ihr jetzt noch 2 Wochen Zeit gegeben, um das besetzte palästinensische Gebiet zu verlassen. Das israelische Ministerium schrieb auf ihren Schweizer Pass: Letzter Passierschein. Wir haben seit 12 Jahren gemeinsam in Ramallah gelebt. Wir kamen 1994 nach dem Oslo-Abkommen, als wir von der Aussicht auf Frieden und Entwicklung ermutigt worden waren. Meine Frau Anita spricht Arabisch wie die einheimischen, kocht arabisch und kümmert sich um das Dorfhaus meines Großvaters, ein altes Steingebäude mit Pflanzen drum herum; mehr als ich es tue. Sie wählt bei palästinensischen Wahlen als Frau eines Palästinensers. Sie arbeitet in der örtlichen Gemeinde im öffentlichen Gesundheitswesen mit. Sie hat hier viele Freunde und sie betrachtet Ramallah als ihr Zuhause. Sie hat zwar noch Kontakte nach Europa und europäische Werte. Aber sie will nicht von dieser Umgebung und von mir getrennt werden. Und ich will ganz sicher nicht von ihr getrennt werden. Unsere Kinder sind erwachsen und arbeiten im Ausland. Aber es ist nicht sicher, ob sie uns hier besuchen dürfen. Auf ihrem Weg zu uns nach Ramallah vor ein paar Monaten musste unsere Tochter, die einen Schweizer Pass hat, 6 Stunden am Flughafen in Tel Aviv warten und wurde in die Mangel genommen. Sie hattte noch Glück, andere wurden zurückgeschickt, nachdem sie in den  berüchtigten Zellen des Flughafens die Nacht verbringen mussten. Die letzten 12 Jahre war es Anita  gelungen, hier zu bleiben, nachdem sie ihre Aufenthaltserlaubnis alle drei oder Monate durch Ausreisen und Zurückkommen gewissenhaft erneuern liess, um dem israelischen Gesetz, das für die besetzten Gebiete gilt, Genüge zu tun. Sie kämpft nun ums Hierbleiben, nahm schon einen Anwalt und hofft auf eine einstweilige Verfügung, um solange zu bleiben, bis ein Urteil gefällt ist. Sie hat auch Kontakt zu ihrer Botschaft aufgenommen und sich anderen angeschlossen, die sich an die EU und das US-Konsulat, an israelische und palästinensische  Menschenrechtsorganisationen so wie an die Medien gewandt haben.
 
Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen. Wir müssen schnell handeln. Was sollen wir mit einem Leben in Trennung machen, mit unseren Papieren und Konten, den  hundert kleinen Dingen, die wir hier gemeinsam haben, was mit der neuen Wohnung, mit der wir einen Fehler machten, da wir sie im falschen Augenblick gekauft haben. Sie hat die Fließen ausgesucht und die Küche gestaltet. Wir können es nicht glauben und nicht akzeptieren, dass wir getrennt werden. Aber wir müssen es glauben, wenn wir von andern gemischten Ehepaaren oder Familien in unserer Umgebung, die  schon getrennt wurden, daran erinnert werden. Seit letztem Frühjahr haben die israelischen Besatzungsbehörden den Druck auf Palästinenser mit nicht-palästinensischen Pässen verstärkt und  ihnen den Zutritt zu den palästinensischen Gebieten verweigert. Das schloss auch Palästinenser mit ausländischen Pässen, ausländischen Ehepartnern, Kinder, Eltern und andere Verwandte mit ein. Davon betroffen waren auch Ausländer, die an den Universitäten lehrten, arbeiteten oder freiwillig mit lokalen oder ausländischen NGOs zusammenarbeiteten, und die als Experten für verschiedene, von EU-Ländern finanzierte Projekte kamen - Sympathisanten für Menschenrechtsaktivisten.
 
BITAKHON ist das Zauberwort in Israel
Im Namen von Bitakhon oder Sicherheit können die israelischen Behörden jede illegale, unmenschliche oder aggressive Massnahme gegen das palästinensische Volk unter militärischer Besatzung ergreifen. Sie können das Wort Bitakhon jedem europäischen und ausländischen Diplomaten an den Kopf werfen, der es wagt, ihre Massnahmen zu hinterfragen, selbst wenn sie gegen die Menschenrechte, das Völkerrecht, die 4. Genfer Konvention gehen, die das Miteinander von Besatzern und Besetzten regeln sollte. Es erscheint Palästinensern zuweilen, als könne sogar ein Offizieller 3. Grades von irgendeinem Ministerium die ganze EU und seine Abgeordneten in Schrecken versetzen, wenn er sich auf die ‚Sicherheit’ der  Israelis beruft und wenn er nur darauf hindeutet, was Europäer den Juden angetan haben.
 
Meine Frau ist nicht allein unter denjenigen, denen in der vergangenen Woche ein Ultimatum gestellt wurde. Dutzende anderer Frauen, Männer und Kinder, die seit Jahren in der Westbank gelebt haben, die ihr von Israel erteiltes ‚Besucher’-Visum erneuerten, um wieder drei Monate bleiben zu können, haben nur für kurze Zeit eine Verlängerung erhalten. Diese läuft zum Ende des Jahres aus. Kinder müssen von ihren Schulen genommen  und von ihren Eltern oder einem Elternteil getrennt werden. So werden Mütter, Väter, Geschwister und Grosseltern aus der sehr geschätzten örtlichen Grossfamilie herausgerissen. Hunderte andere erwartet in den nächsten Tagen und Wochen dasselbe Schicksal. Tausenden wurde im vergangenen Sommer der Besuch bei ihren Familien verweigert. Der Sommer ist für die palästinensischen Familien oft die Saison fürs Heiraten. Da kommen dann die mit anderen Pässen und Ausweisen und  die Sommerabende sind mit Musik und Tanz erfüllt. Doch nicht im vergangenen Sommer.
 
Die israelischen Behörden haben nicht aufgehört, Land zu enteignen. Meine palästinensische Identitätskarte ist von israelischen Behörden ausgestellt. Sie kontrollieren das palästinensische zivile Meldeamt. Jede Geburt, jeder Todesfall, Heiraten, Reisen  - alles wird von ihnen kontrolliert, sogar im Gazastreifen, trotz der sogenannten Trennung. Natürlich kontrollieren sie auch das Wasser, die Strassen und die Bewegung der Leute innerhalb der Westbank durch Hunderte von Absperrungen und Kontrollpunkte. Alle Bäume, die  ihnen oder der Mauer im Weg zu stehen scheinen, werden ausgerissen. Sie schneiden so mit der Mauer und ihren Siedlern mitten in unser Land. Sie nehmen sich nach Lust und Laune  noch ein Stück Land und noch einen Hügel. Warum greifen die Israelis  diese ‚gemischten’ palästinensischen Paare an? Bevor sich heute Leute verlieben, fragen sie nach der Identitätskarte und wo sie ausgestellt wurde. Sie wollen ihr Leben von Anfang an nicht auf das Risiko bauen, auseinandergerissen zu werden.
 
Ghassan Abdullah, Computerberater, Ramallah   abdullah@palnet.com